OGH 3Ob123/22t

OGH3Ob123/22t8.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei C* GmbH, *, vertreten durch Sauerzopf & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die verpflichtete Partei E*, vertreten durch Mag. Martin Bican, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft, über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. Mai 2022, GZ 46 R 35/22w‑102, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 20. Jänner 2022, GZ 22 E 57/16g‑98, ersatzlos aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00123.22T.0908.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die betreibende Partei hat der verpflichteten Partei die mit 3.327,16 EUR (darin 405,81 EUR USt und 892,30 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht bewilligte der (dritten Rechtsvorgängerin der) Betreibenden antragsgemäß aufgrund eines vollstreckbaren Urteils über die Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft am 6. Dezember 2016 die Exekution nach den §§ 352 ff EO durch gerichtliche Versteigerung sämtlicher Anteile der gemeinschaftlichen Liegenschaft EZ *. Die Betreibende ist zu 61/128, die Verpflichtete zu 67/128 Anteilen Miteigentümerin dieser Liegenschaft.

[2] Der Verkehrswert der Liegenschaft betrug zum Stichtag 1. November 2019 ohne Lasten 7.600.000 EUR. Auf den Anteilen der Verpflichteten ist ein Fruchtgenussrecht einverleibt, das mit 1.471.181,89 EUR bewertet wurde. Die Anteile der Betreibenden sind mit einem (ausgenützten) Höchstbetragspfandrecht von 4.500.000 EUR belastet. Die Parteien konnten bisher keine Einigung über die von der Betreibenden vorgelegten Versteigerungsbedingungen und über das geringste Gebot erzielen.

[3] Die Verpflichtete beantragte am 30. April 2021, der Betreibenden unter Fristsetzung den Auftrag zu erteilen, die Belastung ihrer Liegenschaftsanteile auf das Höchstmaß von 3.620.171,35 EUR herabzusetzen, und im Fall der nicht fristgerechten Beseitigung dieser übermäßigen Belastung das Exekutionsverfahren einzustellen. Ausgehend von der Schätzung des Sachverständigen ergebe sich ein negativer Verkehrswert der Miteigentumsanteile der Betreibenden von rund 880.000 EUR, was auch der Verpflichteten zum Nachteil gereiche. Das Höchstbetragspfandrecht sei voll ausgenützt und da ein Ersteher diese Belastung übernehmen müsse, werde er diesen Betrag bei seinem Gebot in Abzug bringen. Der Verpflichteten könne wegen der Belastung der Miteigentumsanteile der Betreibenden im Fall der Erzielung (nur) des Schätzwerts kein Anteil zugewiesen werden, der dem Verkehrswert ihrer Miteigentumsanteile entspreche. Die übermäßige Belastung mache die Teilung daher unmöglich, weshalb das Exekutionsverfahren einzustellen sei (ON 95).

[4] Die Betreibende trat dem Einstellungsantrag entgegen und beantragte, das Exekutionsverfahren unter Zugrundelegung der gesetzlichen Versteigerungsbedingungen fortzuführen.

[5] Das Erstgericht trug der Betreibenden mit Beschluss vom 20. Jänner 2022 auf, binnen sechs Wochen die Belastung ihrer Liegenschaftsanteile auf ein Höchstmaß von 3.600.000 EUR herabzusetzen und dem Gericht urkundlich nachzuweisen, widrigenfalls das Exekutionsverfahren eingestellt werde.

[6] Die hohe Belastung der Liegenschaftsanteile der Betreibenden sei aufgrund des vom Sachverständigen errechneten Schätzwerts nicht allein durch die Verteilung des Meistbots auszugleichen, weshalb das Exekutionsverfahren ohne Herabsetzung der Belastung aufgrund des sich daraus ergebenden Nachteils für die Verpflichtete einzustellen sei.

[7] Das Rekursgericht hob den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos auf.

[8] Seit der Neufassung der §§ 352 bis 352c EO durch die EO-Novelle 2000 sei ein Depurierungsauftrag nicht mehr vorgesehen. Nach § 352a Abs 2 EO blieben die Rechte dinglich Berechtigter von der Versteigerung unberührt; diese Lasten seien vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen, auch wenn sie durch das Meistbot nicht gedeckt seien. Eine vom Ersteher zu übernehmende Last mindere den erzielbaren Erlös, auch wenn diese nur einen Miteigentümer betreffe. Dieser Nachteil sei nach der Versteigerung auszugleichen; bei ungleicher Belastung der Miteigentumsanteile sei dem Versteigerungserlös der Wert der Last zuzuschlagen und dem Miteigentümer des unbelasteten Anteils von dem so errechneten Betrag der seinem Anteil entsprechende Erlös zuzuweisen, während der Rest dem Miteigentümer zufalle, dessen Anteil belastet sei. Mangels Einigung der Parteien über die Verteilung des Meistbots werde hierüber gemäß § 352c EO nach mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden sein. Auch ohne Depurierungsauftrag sei es naheliegend, das geringste Gebot so hoch anzusetzen, dass der den Miteigentumsanteilen der Betreibenden entsprechende Meistbotsanteil deren Belastung entspreche; demnach müsse ein lastenfreier Schätzwert von 9.450.000 EUR angenommen werden, was angesichts der gegenwärtigen Immobilienpreise nicht unrealistisch erscheine.

[9] Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob nach der durch die EO‑Novelle 2000 geänderten Rechtslage im Verfahren über die Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft nach den §§ 352 ff EO ein Depurierungsauftrag erteilt werden könne.

[10] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Verpflichteten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss dahin abzuändern, dass das Exekutionsverfahren eingestellt, hilfsweise der Depurierungsauftrag des Erstgerichts „bestätigt“ werde.

[11] Die Betreibende beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

[13] 1.1 Nach der Rechtslage vor der EO‑Novelle 2000, BGBl I 2000/59, war die exekutive Zivilteilung einer Liegenschaft in einem Exekutionsverfahren durchzuführen, in dem – abgesehen von § 74 EO – die allgemeinen Bestimmungen der §§ 1 bis 78 EO und infolge des Verweises in § 78 EO die Rechtsmittelvorschriften der ZPO galten (Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO § 352 Rz 2 mwN; Klicka in Angst/Oberhammer, EO3 §§ 352 bis 352c Rz 1). Die Durchführung der Versteigerung hatte gemäß § 352 EO aF unter Anwendung der §§ 272 ff AußStrG 1854 und nach Bestimmungen der (inzwischen durch das 1. BRBG, BGBl I 1999/191, aufgehobenen) FeilbO zu erfolgen. Der Zuschlag vermittelte dem Ersteher (noch) nicht das Eigentum, sondern (nur) den entgeltlichen vertraglichen Erwerbstitel (RS0004497; RS0004504); das Eigentum erwarb der Ersteher nach der Rechtslage bis zur EO-Novelle 2000 bei Liegenschaften (erst) durch dessen grundbücherliche Einverleibung bzw beim Superädifikat mit Urkundenhinterlegung (Höllwerth in Deixler-Hübner, EO § 352 Rz 2 mwN). Erzielten die Teilhaber über die Verteilung des Meistbots keine Einigung, war dieses bei Gericht zu erlegen. Die Parteien mussten dann die Zuweisung des Versteigerungserlöses im streitigen Verfahren klären; ein Teilhaber musste also die anderen auf Zustimmung in die Ausfolgung des seinem Anteil entsprechenden Teils des bei Gericht erlegten Erlöses klagen (Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO § 352 Rz 2 mwN).

[14] 1.2 Die Bestimmung des § 352 EO aF (mit ihrem Verweis auf das AußStrG 1854) wurde so verstanden, dass die Rechte der an der Liegenschaft dinglich berechtigten Dritten durch die Versteigerung gemäß § 847 ABGB und § 277 AußStrG 1854 „in keiner Weise berührt“ werden; dies gelte auch, wenn der Wert der Lasten das Meistbot übersteige. Um die Bieter darüber nicht im Zweifel zu lassen, müsse im Versteigerungsedikt bestimmt werden, ob sich der Ersteher den Gesamtbetrag der Lasten vom Meistbot abziehen könne, oder nicht; fehle es an einer solchen Bestimmung, so gelte die Übernahme der Lasten ohne Anrechnung (Heller/Berger/Stix, EO4 2542 mwN). Bei ungleichmäßiger Belastung der Anteile könne es vorkommen, dass die Gesamtlasten den Ausrufpreis übersteigen würden, sodass ein Ausgleich bei der Verteilung des Erlöses unter den Miteigentümern nicht möglich sei; dann müsse der Ausrufpreis entsprechend hoch angesetzt oder – wenn dies nicht möglich sei (weil dann ein Angebot nicht erzielt werden könne) – den Parteien „der Auftrag erteilt werden, innerhalb einer gewissen Frist die notwendigen Tilgungen und Löschungen zu veranlassen“; bei Unterbleiben einer solchen „Depurierung“ müsse das Verfahren eingestellt werden, sofern der sonst benachteiligte Miteigentümer nicht dennoch der Versteigerung zustimme (Heller/Berger/Stix, EO4 2543 mwN). Die Entscheidungen zu dieser Rechtslage hoben ebenfalls hervor, der Gefahr, dass die übrigen Miteigentümer bei der gerichtlichen Feilbietung der Liegenschaft durch die Erzielung eines wegen der Belastung der Miteigentumsanteile des klagenden (betreibenden) Miteigentümers dem Verkehrswert ihrer Miteigentumsanteile nicht entsprechenden Meistbots geschädigt werden könnten, sei im Exekutionsverfahren nach § 352 EO (aF) durch Bestimmung eines entsprechend hoch angesetzten Ausrufpreises, durch Erteilung eines Depurierungsauftrags an den Kläger oder durch die Gewährung eines Wertausgleichs an die Beklagten zu begegnen (RS0004347 [T2]; RS0004618 [T3]). Eine konkrete gesetzliche Regelung für die Vorgangsweise zur Verhinderung von Nachteilen für einzelne Miteigentümer bei der Zivilteilung infolge einer unterschiedlichen Belastung der Miteigentumsanteile gab es somit nicht, sondern diese war das Ergebnis von Rechtsprechung und Lehre zur Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft nach § 352 EO aF.

[15] 1.3 Seit der EO-Novelle 2000 gelten für das Exekutionsverfahren auf Zivilteilung einer Liegenschaft im Wesentlichen die Regeln über die Zwangsversteigerung mit den sich aus §§ 352 bis 352c EO ergebenden Abweichungen. Anders als nach früherer ständiger Rechtsprechung erwirbt der Ersteher nun originär durch (hoheitlichen) Zuschlag Eigentum (§ 352 iVm § 237 Abs 1 EO; 5 Ob 95/09w mwN; Höllwerth in Deixler-Hübner, EO § 352 Rz 3; Sprohar‑Heimlich in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 843 Rz 48; Klicka in Angst/Oberhammer, EO3 §§ 352 bis 352c Rz 1).

[16] 1.4 Gemäß § 352a Abs 2 EO bleiben die Rechte dinglich Berechtigter von der Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft unberührt; diese Lasten sind vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen, auch wenn sie durch das Meistbot nicht gedeckt sind. Eine Abweichung der Versteigerungsbedingungen von dieser gesetzlichen Anordnung ist unzulässig (§ 352a Abs 2 EO). Gemäß § 352c EO ist das Meistbot primär nach dem Einvernehmen der Parteien zu verteilen. Einigen sich die Parteien nicht, so hat das Gericht über die Verteilung nach mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden. Grundsätzlich hat jeder Miteigentümer Anspruch auf einen seinem Anteil entsprechenden Teil des Meistbots (RS0004316 [T2]). Bei ungleicher Belastung der Miteigentumsanteile ist dem Versteigerungserlös zunächst der Wert der Last zuzuschlagen und sodann dem Miteigentümer des unbelasteten Anteils von dem so errechneten Betrag der seinem Anteil entsprechende Erlös zuzuweisen, während der Rest dem Miteigentümer zufällt, dessen Anteil belastet ist (RS0004605; so auch Klicka in Angst/Oberhammer, EO3 §§ 352 bis 352c Rz 4/1; Höllwerth in Deixler-Hübner, EO § 352c Rz 5).

[17] 2.1 Wie die Verpflichtete zutreffend erkennt, findet sich weder im Gesetzestext noch in den Gesetzesmaterialien zur EO-Novelle 2000 ein Hinweis zur– bisherigen oder weiteren – Zulässigkeit der Erteilung eines Depurierungsauftrags durch das Exekutionsgericht im Rahmen der Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft. Allerdings übersieht die Verpflichtete – ebenso wie das Rekursgericht – den Umstand, dass es schon nach der bisherigen Rechtslage keine gesetzliche Regelung über einen solchen Depurierungsauftrag gab. In der Literatur wird die Frage der Zulässigkeit eines Depurierungsauftrags im Zusammenhang mit der Zivilteilung seit der EO-Novelle 2000 zwar nicht näher behandelt, aber auch nicht in Zweifel gezogen. So meint etwa Parapatits (in Kletečka/Schauer, ABGB1.04 § 843 Rz 14) mit Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 186/08m, einem möglichen Nachteil eines Miteigentümers bei der Zivilteilung sei vor der Versteigerung durch einen entsprechend hohen Ausrufungspreis oder einen Depurierungsauftrag entgegen zu wirken (ebenso Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas, ABGB4 § 830 Rz 21). Nach Ansicht von Sprohar-Heimlich könne die Zivilteilung scheitern, wenn ein Anteil übermäßig belastet wurde und eine Depurierung unterbleibe (Sprohar-Heimlich in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 830 Rz 88 mwN; ähnlich Weixelbaum in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 843 ABGB Rz 26).

[18] 2.2 In der Entscheidung 3 Ob 186/08m hat der Senat die bereits erwähnte Rechtsprechung fortgeschrieben, nach der eine vom Ersteher zu übernehmende Last auf der Liegenschaft den erzielbaren Erlös mindert, auch wenn die Last nur einen Miteigentumsanteil betrifft, und dass diesem, den anderen Miteigentümer belastenden Nachteil vor der Versteigerung durch einen entsprechend hoch anzusetzenden Ausrufungspreis oder durch einen Depurierungsauftrag (Auftrag zur Lastenfreistellung) oder danach eben durch die Gewährung eines Wertausgleichs zu begegnen sei.

[19] 2.3 Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber durch die EO-Novelle 2000 die Möglichkeit oder Zulässigkeit der Erteilung eines Depurierungsauftrags im Rahmen eines Verfahrens nach den §§ 352 ff EO beseitigt hätte. Durch die mit 1. Juli 2021 in Kraft getretene Gesamtreform des Exekutionsrechts – GREx, BGBl I 2021/86, wurden die Bestimmungen über die Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft – abgesehen von redaktionellen Berichtigungen – inhaltlich ebenfalls nicht verändert (dazu ErläutRV 770 BlgNR 27. GP 63).

[20] 3.1 Über die von der Betreibenden vorgelegten Versteigerungsbedingungen oder einen Ausrufpreis im Sinn des § 352a Abs 4 EO konnten die Beteiligten keine Einigung erzielen; das Erstgericht wird daher – mangels einer doch noch zustande kommenden Einigung der Parteien – dem weiteren Verfahren die gesetzlichen Versteigerungsbedingungen zugrunde zu legen haben, wie dies letztlich auch von der Betreibenden beantragt wurde (ON 97).

[21] 3.2 Gemäß § 352 EO sind auf die Vollstreckung des Anspruchs der gerichtlichen Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft zum Zweck der Auseinandersetzung die Bestimmungen über die Zwangsversteigerung mit den in den Z 1 bis 6 genannten Abweichungen sinngemäß anzuwenden. Eine abweichende Regelung von der Bestimmung über die Schätzung des Werts von Liegenschaften ist nicht vorgesehen. Nach § 143 Abs 2 erster Satz EO ist im Rahmen der Schätzung einer Liegenschaft, auf der Lasten haften, die „auf den Ersteher von Rechts wegen übergehen“, nur der Wert zu ermitteln, den die Liegenschaft bei Aufrechterhaltung der Last hat. Mit den „von Rechts wegen“ auf den Ersteher übergehenden Lasten sind die ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmenden Lasten gemeint (vgl Mini in Deixler-Hübner, EO § 143 Rz 9 mwN, zu den im Zwangsversteigerungsverfahren ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmenden Lasten). Wie bereits erwähnt, sind gemäß § 352a Abs 2 EO die Lasten vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen, auch wenn sie durch das Meistbot nicht gedeckt sind; davon abweichende Versteigerungsbedingungen sind unzulässig. Lasten, die auf der Liegenschaft haften und auf den Ersteher „von Rechts wegen übergehen“, also von ihm ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen sind, finden ihren Niederschlag in einem geringeren Schätzwert der Liegenschaft, weil der Verkehrswert der Liegenschaft – entsprechend der Regelung des § 143 Abs 2 EO – unter Bedachtnahme darauf zu ermitteln ist, dass die Belastung aufrecht bleibt (Mini in Deixler‑Hübner, EO § 143 Rz 10).

[22] 3.3 Die Betreibende begehrte am 10. Juli 2020, den Antrag der Verpflichteten auf neuerliche Bewertung der Liegenschaft bzw Ergänzung des Gutachtens abzuweisen und das Verfahren auf der Grundlage des bereits vorliegenden Ergänzungsgutachtens fortzusetzen (ON 84). Nach drei gemeinsamen Fristerstreckungsanträgen der Parteien und einem Einstellungsantrag der Verpflichteten beantragte die Betreibende schließlich am 17. Jänner 2022, das Verfahren durch Anberaumung eines zeitnahen Versteigerungstermins fortzuführen (ON 97).

[23] 3.4 Dem Rekursgericht mag zuzugestehen sein, dass eine Aktualisierung der Bewertung der Liegenschaft nahe läge, weil seit der Ermittlung des Verkehrswerts durch den gerichtlichen Sachverständigen annähernd drei Jahre verstrichen sind. Dazu war allerdings die Betreibende nicht bereit, weshalb von den zum Stichtag 1. November 2019 im Verfahren ermittelten Werten der Liegenschaft ohne Lasten (7.600.000 EUR) und der auf beiden Miteigentumsanteilen jeweils vorhandenen Belastungen (4.500.000 EUR auf den Anteilen der Betreibenden und rund 1.400.000 EUR auf den Anteilen der Verpflichteten) auszugehen ist. Demnach erweist sich der vom Erstgericht erteilte Depurierungsauftrag als richtig und notwendig, um eine Versteigerung ohne Benachteiligung der Verpflichteten zu ermöglichen: Der Schätzwert der Liegenschaft ist nach diesen Bewertungsergebnissen mit 1.700.000 EUR anzusetzen, weil er sich wegen der gesetzlich angeordneten Übernahme der Lasten durch den Ersteher mit dem (Verkehrs-)Wert der Liegenschaft abzüglich aller Lasten errechnet. Im Fall einer Versteigerung (nur) zum geringsten Gebot (= Schätzwert) wird nur bei vorheriger Erfüllung der im Beschluss des Erstgerichts beauftragten Reduktion der Lasten auf den Anteilen der Betreibenden auf 3.600.000 EUR eine Benachteiligung der Verpflichteten durch die Versteigerung nicht (mehr) eintreten: Nach der bereits erwähnten Berechnungsmethode für Fälle ungleicher Belastung der Miteigentumsanteile (vgl RS0004605) ist dem Versteigerungserlös (geringstes Gebot mindestens 1,7 Mio EUR) zunächst der Wert der Lasten (5,9 Mio EUR) zuzuschlagen und dann dem anderen Miteigentümer von dem so errechneten Betrag der seinem Anteil entsprechende Erlös zuzuweisen: Von rund 7,6 Mio EUR sind 52 % rund 4 Mio EUR. Von dieser Summe ist der Wert des auf den Anteilen der Verpflichteten lastenden Fruchtgenussrechts (1,4 Mio EUR) abzuziehen, wonach rund 2,6 Mio EUR verbleiben, die der Verpflichteten aus dem Erlös zukommen müssen, um Nachteile im Bezug auf den Wert ihrer Anteile zu vermeiden. Wird die auf den Anteilen der Betreibenden vorhandene Belastung bis zur Versteigerung um 900.000 EUR auf rund 3,6 Mio EUR reduziert, so ergibt sich ein Schätzwert von rund 2,6 Mio EUR, wodurch ein Erlös gesichert ist, aus dem die Verpflichtete den Wert ihrer Anteile erhält. Sollte die Betreibende hingegen diese Reduktion der Belastung ihrer Anteile nicht (fristgerecht) veranlassen, so wäre eine Versteigerung ohne Benachteiligung der Verpflichteten nicht möglich und die vom Erstgericht in Aussicht genommene Einstellung des Verfahrens vorzunehmen.

[24] 3.5 Da dem Revisionsrekurs somit – auf der Basis der bei der Beschlussfassung aufgrund der Aktenlage anzusetzenden Bewertungsergebnisse – insgesamt Berechtigung zukommt, war der erstgerichtliche Beschluss wiederherzustellen.

[25] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. § 351 Abs 3 EO kommt nicht zur Anwendung, weil ein Zwischenstreit mit der betreibenden Partei vorliegt (vgl RS0002188; Höllwerth in Deixler‑Hübner, EO § 351 Rz 43 mwN).

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