OGH 13Os57/22i

OGH13Os57/22i7.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Kornauth in der Strafsache gegen D* M* und eine Angeklagte wegen Verbrechen der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 2 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten T* M* gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 31. Jänner 2022, GZ 37 Hv 98/21b‑48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00057.22I.0907.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der vom Schuldspruch Ⅱ umfassten Taten der Angeklagten D* M* und T* M* nach § 145 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB, demzufolge auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung), sowie der den Angeklagten D* M* betreffende Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsichten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte T* M* auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Der Angeklagten T* M* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde und für die amtswegige Maßnahme von Bedeutung – D* M* und T* M* jeweils eines Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 letzter Fall und Abs 2 Z 2 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie im Juli 2021 in I* und andernorts im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz * F* durch die Ankündigung, sonst Strafanzeige wegen Vergewaltigung gegen ihn zu erstatten, somit durch gefährliche Drohung „mit der Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung“, zu Handlungen, die ihn am Vermögen schädigen sollten, nämlich zur Unterfertigung einer „Zahlungsverpflichtung“ über 75.000 Euro, zu monatlichen Zahlungen von 800 Euro, zur „Überschreibung“ einer Wohnung im Wert von 480.000 Euro sowie dazu zu nötigen versucht, Kreditaufnahmen und Kontobehebungen auf seine Kosten zu gestatten, wobei sie die Erpressung längere Zeit hindurch fortzusetzen versuchten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen den Schuldspruch der T* M* wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde dieser Angeklagten.

[4] Das Erstgericht ging davon aus, dass die Beschwerdeführerin ein Schriftstück, das die Verpflichtung des Opfers zur Leistung von Zahlungen – wofür im Gegenzug „von der Anzeige“ wegen „versuchte[r] Vergewaltigung an T*“ „abgesehen“ werde – dokumentieren sollte, gemeinsam mit dem Mitangeklagten (ihrem damaligen Ehegatten) verfasst und unterfertigt hat (US 9 f). Die diesbezüglichen Feststellungen tragen die rechtliche Annahme ihrer Mittäterschaft (§ 12 erster Fall StGB, dazu RIS‑Justiz RS0090006 sowie Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 24 ff).

[5] Die Aussage des Zeugen F*, die Beschwerdeführerin sei „im Zeitpunkt“, als er „diese Schriftstücke unterschrieben“ habe, „zwar auch anwesend“ gewesen, habe „sich aber nicht aktiv an den Besprechungen beteiligt“ (ON 47 S 18), steht den angesprochenen Feststellungen – der Mängelrüge (Z 5) zuwider – nicht erörterungsbedürftig entgegen (Z 5 zweiter Fall).

[6] Die bloße Einschätzung des Genannten, die Beschwerdeführerin habe „eigentlich überhaupt nichts“ [mit der Erpressung] „zu tun“ gehabt (ON 47 S 18), ist kein Gegenstand des Zeugenbeweises (RIS‑Justiz RS0097540 [insbesondere T18 und T28]).

[7] Zwar trifft es zu, dass im angefochtenen Urteil zahlreich verwendete Formulierungen, ein Umstand sei „naturgemäß“ gegeben oder bedürfe „keiner näheren Erörterung“ (US 12 ff), für sich genommen keine Begründung darstellen (RIS-Justiz RS0099494). Ihre Feststellungen zum Nötigungs‑, zum Schädigungs- und zum Bereicherungsvorsatz der Beschwerdeführerin (US 10) stützten die Tatrichter aber nicht nur auf solche Floskeln. Sie erschlossen sie vielmehr aus den persönlichen Beziehungen der Beteiligten zueinander, dem Inhalt der in Rede stehenden Schriftstücke und (insbesondere) aus der eigenhändigen Unterfertigung des ersten Schreibens durch die Beschwerdeführerin als „angeblich Vergewaltigte“ (US 12 f, 15).

[8] Mit dem gegen jene Feststellungen gerichteten Vorwurf „unstatthafter Vermutungen“ und der „Scheinbegründung“ (Z 5 vierter Fall) versäumt es die Rüge, an der Gesamtheit der dargestellten Beweiswerterwägungen Maß zu nehmen (siehe aber RIS‑Justiz RS0119370).

[9] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) Feststellungen zu einer „Absicht“ der Beschwerdeführerin vermisst, „das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen“, setzt sie sich – prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) – über die genau dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 12 f) hinweg.

[10] Im Übrigen verlangt § 144 Abs 1 StGB – anders als § 107 Abs 1 StGB – keine Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB), sondern lässt hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale bedingten Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) genügen (Eder-Rieder in WK² StGB § 144 Rz 28, Hintersteininger SbgK § 144 Rz 37).

[11] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) den Wegfall der Qualifikation nach § 145 Abs 2 Z 2 StGB anstrebt, legt sie nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb ein Zeitraum von „zumindest mehreren Jahren“ (US 15), über den die Angeklagten die – gleichwohl im Stadium des Versuchs (§ 15 StGB) verbliebene – Erpressung nach dem Urteilssachverhalt fortsetzen wollten (US 10 f), nicht das Tatbestandsmerkmal „längere Zeit hindurch“ erfüllen sollte (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).

[12] Im bisher behandelten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[13] Die weitere Subsumtionsrüge (Z 10) zeigt jedoch (im Kern) zutreffend auf, dass die Feststellungsgrundlage des angefochtenen Urteils die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 145 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB nicht zu tragen vermag:

[14] Mit der angedrohten Erstattung einer (wenn auch inhaltlich falschen) Strafanzeige ist zwar regelmäßig eine Verletzung an der Ehre (Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 74 Rz 31 mwN), allenfalls auch am Vermögen und – bei Gefahr einer Verhaftung – an der Freiheit (RIS-Justiz RS0093980 [T2]) verbunden. Die Qualifikation einer Drohung mit der Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung erfüllt eine solche Ankündigung aber – entgegen der Ansicht des Erstgerichts (US 10) – auch dann nicht schlechthin, wenn Strafanzeige wegen „Vergewaltigung“ in Aussicht gestellt wird (und dieser Vorwurf publik werden könnte [vgl 14 Os 63/11p]).

[15] Die angesprochene Qualifikation ist vielmehr insoweit erst dann anzunehmen, wenn die Realisierung der Drohung – vom Tätervorsatz umfasst – dazu führen würde, dass der Bedrohte in einem größeren Kreis der ihn umgebenden Gesellschaft (RIS-Justiz RS0094047: der [engste] Familienkreis reicht jedenfalls nicht aus) seine bisherige Wertschätzung verlieren würde (RIS‑Justiz RS0092959 [T1]).

[16] Dazu bedarf es einer mit Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) vorgenommenen individuellen Prüfung, die entsprechende Tatsachenfeststellungen in objektiver und in subjektiver Hinsicht voraussetzt (14 Os 138/91, SSt 61/85; RIS-Justiz RS0092959). Insoweit ausschlaggebend sind nicht allein Art, Schwere und Konkretisiertheit des angedrohten Vorwurfs, sondern auch die Stellung des Bedrohten in dem für ihn maßgeblichen gesellschaftlichen Umfeld (vgl zum Ganzen Hintersteininger SbgK § 145 Rz 11, 13 und 14 sowie Schwaighofer in WK2 StGB § 106 Rz 8).

[17] Hierzu stellten die Tatrichter – neben dem Umstand, dass das Opfer „Familie[nangehörige]“ hat (US 7) – nur fest, dass F* einen Großteil seiner Freizeit (just) mit den beiden Angeklagten verbrachte, indem er „zum Beispiel auch für sich und den Erstangeklagten gemeinsame Bordellbesuche“ „finanzierte“ und „gegen Entgelt seinen 'Fußfetisch' an der Zweitangeklagten aus[lebte]“ (US 8). Über seine sonstige gesellschaftliche und berufliche Stellung zur Tatzeit (vgl dagegen US 6, wonach F* zehn Jahre davor, nämlich im März 2011, „als Staplerfahrer tätig“ war) trifft das angefochtene Urteil aber keine Aussage.

[18] Hiervon ausgehend bleiben die zur Urteilsbegründung verwendeten (US 11) verba legalia, bei der gegenständlichen Drohung mit einer Strafanzeige wegen Vergewaltigung habe es sich (auch nach der Intention der beiden Angeklagten) um eine solche mit der „Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung“ gehandelt, („zumal eine Drohung mit einer Anzeige wegen Vergewaltigung im Falle einer tatsächlichen Anzeigenerstattung mit einer Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung einer Person einhergeht“,) ohne Sachverhaltsbezug, somit zirkulär (RIS‑Justiz RS0119090).

[19] Ebendiese materielle Nichtigkeit haftet in gleicher Weise dem Schuldspruch (zu Ⅱ) des Mitangeklagten D* M* an, der die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ergriffen hat. Zwar bewirkt dieser Subsumtionsfehler für ihn – in concreto – keinen Nachteil im Sinn des ersten Falls des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO (vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 21 ff): Seine in Rede stehende Tat (Ⅱ) begründet ein (verbleibend) nach § 145 Abs 2 Z 2 StGB, seine weitere vom Schuldspruch umfasste Tat (Ⅰ) zudem ein nach § 145 Abs 1 Z 1 erster und letzter Fall sowie Abs 2 Z 2 StGB qualifiziertes Verbrechen, sodass die Strafrahmenbildung ohnedies rechtsrichtig (in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB) nach § 145 Abs 1 StGB erfolgte (US 3). Gleichwohl kommen ihm damit dieselben, von der Beschwerdeführerin zutreffend geltend gemachten Gründe zustatten (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO).

[20] Dies führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 289, 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO).

[21] Mit ihrer Berufung war die Angeklagte T* M* auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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