Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Bernd K***** der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1) und der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 „Z 1 und 2“ StGB (2) schuldig erkannt.
Danach hat er am 22. August 2009 in Graz Christopher Kr*****
1. dadurch, dass er ihm mit einem Stanleymesser zwei Schnitte ins Gesicht versetzte, eine an sich schwere Verletzung, nämlich zwei tiefe Schnittwunden in der linken Gesichtshälfte mit Wangenperforation und Durchtrennung mindestens eines größeren arteriellen Gefäßes, absichtlich zugefügt, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge (§ 85 StGB) in Form einer durch Narbenbildung bewirkten auffallenden Verunstaltung nach sich zog;
2. durch gefährliche Drohung mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz und gesellschaftlichen Stellung zur Unterlassung der Anzeigeerstattung wegen der Wegnahme seiner Brieftasche genötigt, indem er äußerte: „Wenn du meinen Namen der Polizei gegenüber auch nur erwähnst oder den Vorfall generell der Polizei meldest, werde ich dich wegen Vergewaltigung anzeigen.“
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 4, „9“ und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Verletzungen des § 252 Abs 2 und 2a StPO sind per se nicht mit Nichtigkeit bedroht (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 129 ff). Dass ein Vortrag des „Akteninhalts“ durch den Vorsitzenden (§ 252 Abs 2a StPO) - entgegen dem Inhalt des Protokolls über die Hauptverhandlung (ON 37 S 63) - nicht erfolgt und überdies keine Zustimmung hiefür vorgelegen sei, wie die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet, stellt daher den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund nicht her.
Mit dem in diesem Zusammenhang erhobenen Einwand offenbar unzureichender Begründung des „Ersturteils“ (nominell Z 3, der Sache nach Z 5 vierter Fall) verfehlt die Beschwerde den Bezug zu entscheidenden Tatsachen und unterlässt darüberhinaus weitgehend die gebotene deutliche und bestimmte Bezeichnung angeblich nicht vorgekommener, in den Entscheidungsgründen gleichwohl verwerteter Beweismittel (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399, 462; RIS-Justiz RS0111533; vgl zum Ganzen auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 71, RIS-Justiz RS0113210). Das konkret genannte Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. Peter Kl***** ist hinwieder durch dessen (zusammenfassenden) Vortrag und Ergänzung durch den Experten in der Hauptverhandlung vorgekommen (ON 37 S 25 bis 30). Die Aussagen der Zeugen (richtig:) Marion T***** (ON 9 S 17) und Benjamin F***** (ON 10 S 7), auf die sich das Urteil zudem gerade nicht stützt (US 6), wurden - insoweit von der Rüge nicht bestritten - mit „ausdrücklicher Zustimmung der Parteien“ nach § 252 Abs 1 Z 4 StPO verlesen (ON 37 S 47).
Durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines (weiteren) Gutachtens aus dem Fachbereich der Gerichtsmedizin (ON 37 S 59 ff) wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt.
Dieser Antrag war zum Beweis für eine - Absichtlichkeit nicht indizierende - andere als die vom Sachverständigen Dr. Kl***** genannte „Entstehungsart der Verletzung“ (Schuldspruch 1) gestellt und ausschließlich mit der unsubstantiierten Behauptung begründet worden, diese Frage könne fundiert nur durch einen Gerichtsmediziner, nicht aber durch einen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Allgemeinmedizin und Chirurgie (wie Dr. Kl*****) geklärt werden, womit der Sache nach bloß Zweifel an der fachlichen Kompetenz des dem Verfahren beigezogenen Experten geäußert wurden (vgl Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 65).
Liegt aber - wie hier - ein für den Beschwerdeführer nachteiliges Gutachten bereits vor, kann bei (in dessen Vernehmung bestehender) Beiziehung dieses Sachverständigen zur Hauptverhandlung nur durch Aufzeigen von - nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens bestehen gebliebenen, im Antrag nicht einmal behaupteten - Mängeln im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO das Gutachten eines weiteren Sachverständigen unter der Sanktion der Z 4 erwirkt werden. Auf mangelnde Sachkunde des Sachverständigen gegründete Einwendungen sind nach Erstattung von Befund und Gutachten nicht mehr zulässig (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 373; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 56, § 127 Rz 71; RIS-Justiz RS0115712).
Solcherart zielte der Antrag bloß auf eine Überprüfung der Beurteilung der vorliegenden Expertise in der nicht indizierten Erwartung eines für den Antragsteller günstigeren Ergebnisses und damit auf unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351; RIS-Justiz RS0117263, RS0102833).
Rechts- und Subsumtionsrüge (Z 9 lit a und Z 10) unterlassen zur Gänze die methodisch vertretbare Ableitung der jeweils bloß behaupteten rechtlichen Konsequenzen aus dem Gesetz (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588, 590; RIS-Justiz RS0116569).
Mit dem Einwand nicht ausreichender Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der „substanzlosen Drohung“ mit einer Anzeige „wegen Vergewaltigung“ als gefährlich im Sinn des § 105 StGB, argumentiert die Beschwerde (Z 9 lit a) zudem nicht auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe und verfehlt damit den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (vgl US 3 sowie Jerabek in WK² § 74 Rz 31). Weshalb einer Subsumtion unter §§ 15, 105 f StGB der unter einem ergangene Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des Diebstahl der Brieftasche des Christopher Kr***** entgegen stehen sollte, wird nicht erklärt.
Aus welchem Grund es neben den - auf das Sachverständigengutachten und die Wahrnehmungen des Schöffengerichts in der Hauptverhandlung gestützten (US 7) - Urteilsannahmen, wonach nach der operativen Versorgung der etwa 8 cm und 5 cm langen stark klaffenden Schnittwunden, die einerseits mit einer Wangenperforation und andererseits mit der Verletzung eines stark blutenden arteriellen Gefäßes verbunden waren, eine deutlich sichtbare, rot und minimal eingezogene Narbenbildung in der linken Gesichtshälfte des Tatopfers verblieb, welche an den in schlagenden Studentenschaften (Burschenschaften) gebräuchlichen „Schmiss“ erinnert (US 5), zusätzlicher Konstatierungen zur exakten „Länge der sichtbaren Narben“ bedurft hätte (vgl im Übrigen ON 13 S 5), wird in der Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch 1 ebenso wenig dargelegt (vgl dazu Burgstaller/Fabrizy in WK² § 85 Rz 12 mwN).
Die rechtliche Beurteilung dieser Verletzungen als an sich schwer im Sinn des § 84 Abs 1 StGB begegnet keinen Bedenken (vgl auch ON 13 S 4; ON 37 S 26), sodass von verfehlter Annahme von Versuch statt Vollendung (der Sache nach Z 11 zweiter Fall; vgl RIS-Justiz RS0122137) keine Rede sein kann.
Die zum Schuldspruch 2 aufgestellte These rechtsirriger Annahme der Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 1 StGB (Z 10) basiert auf allgemeinen Ausführungen zu deren Voraussetzungen und dem Hinweis auf eine Kommentarmeinung die - ebenso wie die (falsch zitierte, gemeint wohl: RZ 1992/83) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs - die behauptete Aussage, die Ankündigung einer Strafanzeige - sogar wegen eines „schweren Delikts“ erfülle „die Voraussetzungen nach § 106 in seiner Qualifikation wegen Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung nicht“, in dieser Allgemeinheit gar nicht enthält (Schwaighofer in WK² § 108 Rz 89), womit die Rüge ein weiteres Mal die Ausrichtung am Gesetz verfehlt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 590).
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Fall StPO sei festgehalten, dass eine Drohung mit der Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung im Sinn des § 106 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB dann anzunehmen ist, wenn die Realisierung der Drohung dazu führen würde, dass der Bedrohte in einem größeren Kreis der ihn umgebenden Gesellschaft seine bisherige Wertschätzung verlieren würde (Seiler in SbgK § 106 Rz 20), woran bei gebotener verhältnisorientierter individueller Prüfung (SSt 61/85) angesichts der hier aktuellen Ankündigung, das in - mittlerweile abgeschlossener - Ausbildung zum Piloten stehende (US 2 und 5) Tatopfer wegen Vergewaltigung anzuzeigen, die der Angeklagte dahin präzisierte, dass er bereits einen Detektiv zur Überwachung des Christopher Kr***** beschäftige und in der Lage sei, Frauen mit der Bereitschaft zu einer derartigen Falschbezichtigung zu finden (US 3), unter Berücksichtigung notorischer Öffentlichkeitswirksamkeit derartiger Strafverfahren kein Zweifel bestehen kann (vgl zum Ganzen Schwaighofer in WK² § 106 Rz 8; EvBl 1990/106, 1983/9; RZ 1992/83; RZ 1989/11; vgl auch Seiler in SbgK § 106 Rz 34).
Weil die in § 106 Abs 1 Z 1 vorletzter Fall StGB angeführte Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz eine der Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung rechtlich gleichwertige Begehungsform darstellt (alternatives Mischdelikt), erübrigt sich ein Eingehen darauf, ob das angedrohte Übel fallbezogen auch diese Qualifikation verwirklicht hat (15 Os 40/07g).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Bleibt anzumerken, dass die - ersichtlich irrig erfolgte - Annahme auch der Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 2 StGB, zu der das Urteil keinerlei Feststellungen trifft, keinen Anlass für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bietet, weil diese angesichts der Subsumtion auch unter die - die gleiche Strafdrohung aufweisende - Bestimmung des § 106 Abs 1 Z 1 StGB auf den Strafrahmen keinen Einfluss hatte und sich auch bei der Strafbemessung nicht nachteilig auswirkte. Bindung an die im Urteil insoweit unrichtig vorgenommene rechtliche Beurteilung besteht angesichts dieser Klarstellung nicht (RIS-Justiz RS0118870).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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