OGH 6Ob117/22g

OGH6Ob117/22g29.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Dr. Walter Hausberger und andere Rechtsanwälte in Wörgl, wider die beklagte Partei F*, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Stufenklage nach Art XLII EGZPO, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Mai 2022, GZ 4 R 19/22h‑70, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00117.22G.0829.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Der Beklagte gründete eine GmbH, an der später auch seine Kinder (darunter der Vater der Klägerin) beteiligt waren. Der (noch minderjährige) Vater der Klägerin erteilte seiner Mutter (und in deren Todesfall seinem Vater, dem Beklagten) für sich und seine Rechtsnachfolger „unwiderruflich“ Vollmacht (auch) zur Verwaltung des aus einem etwaigen Verkauf des Geschäftsanteils stammenden Erlöses. Er verkaufte seinen Geschäftsanteil im Jahr 1986 und verstarb im Jahr 2005.

[2] Die Klägerin (die Enkelin des Beklagten) wurde mit rechtskräftigem Einantwortungsbeschluss im April 2006 zu zwei Drittel als Erbin nach ihrem Vater eingesetzt. Die Großeltern veranlagten die aus dem Verkaufserlös der Geschäftsanteile ihrer Kinder stammenden Gelder mittels eines im Jänner 2007 bei einer Schweizer Bank eröffneten Portfolios. Die Großmutter der Klägerin starb im Juni 2013. Der Beklagte ließ das Portfolio im März 2019 schließen. Der Verbleib des Geldes ist unbekannt.

[3] Im Mai 2019 widerrief die Klägerin die zuvor erwähnte Vollmacht. Sie begehrt nun mit Stufenklage vom Beklagten (unter anderem) Rechnungslegung insbesondere über den Verbleib des Geldes aus dem Portfolio (im Umfang des ihr zustehenden Anteils).

[4] Das Erstgericht gab dem Rechnungslegungsbegehren statt.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Die vom Beklagten schon in der Berufung geltend gemachte Nichtigkeit des Ersturteils wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs hat das Berufungsgericht verworfen. Diese vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit kann nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0043405).

[6] 2. Der Vorwurf, das Erstgericht habe nicht festgestellt, dass das Portfolio erst nach dem Verlassenschaftsverfahren angelegt worden sei, trifft nicht zu. Es kommt auch nicht darauf an, ob im Einantwortungsbeschluss (denkunmöglich) der auf die Klägerin entfallende Prozentsatz von 8,8314 % des Werts des Portfolios (zwei Drittel des aus dem Verkaufserlös des Geschäftsanteils des Vaters stammenden Anteils am Portfolio) genannt ist, sondern lediglich darauf, dass die Klägerin zu zwei Drittel (rechtskräftig) als Erbin eingeantwortet wurde, womit (auch insoweit) Universalsukzession eingetreten ist.

[7] 3. Nach dem bindend festgestellten Sachverhalt sollten die Kinder des Beklagten (darunter der Vater der Klägerin), um das mit dem Verkauf der Gesellschaft verbundene Vermögen „innerhalb der Familie abzusichern“, noch vor dem Verkauf der Gesellschaft an dieser beteiligt werden. Zwar konnte das Erstgericht feststellen, dass der Beklagte seine Frau und seine Kinder lediglich als „Strohfrauen bzw ‑männer“ ansah (und ansieht), nicht aber, ob auch Frau und Kinder dieser Ansicht waren oder sind; ebenso wenig, ob der Beklagte und seine Kinder zu irgendeinem Zeitpunkt vor oder nach Eingehen von deren Beteiligung an der Gesellschaft übereingekommen waren, dass ungeachtet der Anteilsübertragung tatsächlich der Beklagte wirtschaftlicher Eigentümer der Gesellschaftsanteile bzw der aus deren Verkauf resultierenden Erlöse bleiben sollte, während die Kinder nur auf dem Papier berechtigt sein sollten.

[8] Inwiefern auf Basis des vollständig wiedergegebenen Sachverhalts die rechtliche Beurteilung eines bloßen Scheingeschäfts ableitbar sein sollte, bemüht sich der Beklagte, der nur die Festellung zu seiner eigenen Haltung zitiert, gar nicht zu argumentieren.

[9] 4. Das Berufungsgericht hat sich – anders als der Beklagte behauptet – mit seiner Rechtsrüge zur Vermischung des Verkaufserlöses mit seinem Vermögen (wenn auch nicht mit dem von ihm gewünschten Ergebnis) auseinandergesetzt. Es hat ihm vorgehalten, dass sich die Frage einer allfälligen Vermischung nach § 371 ABGB im Zusammenhang mit dem Rechnungslegungsbegehren nicht stellen könne. Abseits der Tatsache, dass die Anteile am inzwischen ohnehin aufgelösten Portfolio bestimmbar waren, wäre nicht einmal bei Annahme von Alleineigentum der – dann aufgrund eines Bereicherungsanspruchs gegebene (vgl Leupold in Klang³ [2011] § 371 ABGB Rz 43 mwN; vgl auch 7 Ob 746/83) – Anspruch auf Rechnungslegung in Frage zu stellen.

[10] 5. Im derzeitigen Verfahrensstadium ist – obwohl auch in der von der Beurteilung des Einzelfalls abhängigen Frage der Gültigkeit des Widerrufsverzichts keine Fehlbeurteilung von der Revision aufgezeigt wird (zur Kündbarkeit s nur RS0019841; RS0031261; RS0019844; zur Sittenwidrigkeit der Unwiderruflichkeit bei fehlender zeitlicher Befristung und ohne besonderen im Kausalgeschäft wurzelnden Zweck RS0014859; RS0019779; zur Kündigung bei [Un-]Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses RS0027780) – unbeachtlich, ob die Vollmacht noch aufrecht oder bereits wirksam widerrufen ist. Selbst wenn sie noch aufrecht wäre, bestünde der Anspruch der Klägerin. Warum sie als (Rechtsnachfolgerin des) Machtgeber(s) gegenüber dem Beklagten als (ehemaligem) Verwalter auf Basis des Verwaltungsvertrags keinen Rechnungslegungsanspruch geltend machen können sollte, vermag der Beklagte nicht darzustellen (s RS0019564; 8 Ob 167/00t [jederzeit]; Rubin in Kletecka/Schauer ABGB‑ON 1.03 § 1012 Rz 25 mwN).

[11] 6. Der Beklagte will das Geld ersessen haben, weil er es für „sein Vermögen ansah und es seit über 30 Jahren in seinem Sinne verwendete“. Dieser Schluss ist angesichts des festgestellten Sachverhalts und insbesondere wegen der bloßen Vollmacht zur Verwaltung völlig haltlos.

[12] Auch der im Zusammenhalt mit der „Ersitzung“ erhobene Einwand einer „Verjährung“ ist unnachvollziehbar, bleibt doch schon unklar, welcher Anspruch überhaupt oder warum verjährt sein soll. Unabhängig davon kann in diesem Einwand schon deshalb nicht der Anlass dafür liegen, – wie der Beklagte aber ausführt – die Revision „aus Gründen der Rechtseinheit und der Rechtssicherheit“ zuzulassen, weil er den Einwand einer Verjährung im Verfahren erster Instanz gar nicht erhoben (RS0034726 [T2]) und die Verjährung in der Berufung nicht thematisiert hat (RS0043573 [T4, T39]). Mit der erstmaligen Geltendmachung in der Revision verstößt er gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO).

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