OGH 11Os45/22k

OGH11Os45/22k28.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juli 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ristic, BA, als Schriftführerin in der Strafsache gegen R* R* und K* R* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weitere strafbare Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten sowie über die K* R* betreffende Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. Jänner 2022, GZ 61 Hv 100/21b‑87, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00045.22K.0728.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R* R* und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruchpunkt I, demgemäß im R* R* betreffenden Strafausspruch und im diesen Angeklagten betreffenden Ausspruch des Verfalls im Umfang eines Betrages von 3.000 Euro sowie im Ausspruch über die Konfiskation des „sichergestellte[n] Mobiltelefon[s] Google Phone“ aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R* R* im Übrigen und jene der K* R* werden zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte R* R* auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Die Akten werden dem Landesgericht für Strafsachen Wien rückgemittelt, das entsprechende Aktenteile dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der K* R* zuzuleiten hat.

Den Angeklagten R* R* und K* R* fallen die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden R* R* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I) und des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2, Abs 3 SMG (II) und K* R* des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II) schuldig erkannt.

 

[2] Danach haben in W* und an anderen Orten

I) R* R* als Mitglied einer kriminellen Vereinigung – der neben ihm unter anderem die abgesondert verfolgten * D*, * Dr* und * S* sowie weitere Mittäter angehörten – vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen bzw verschafft, indem er

1) am 26. März 2021 1.000 Gramm Kokain mit zumindest 80 % Reinsubstanz Cocain von dem abgesondert verfolgten * K* übernahm und dieses sodann an unbekannte Abnehmer übergab;

2) am 10. April 2021 1.000 Gramm Kokain mit zumindest 80 % Reinsubstanz Cocain von dem abgesondert verfolgten * P* übernahm und dieses sodann an unbekannte Abnehmer übergab;

3) am 19. April 2021 500 Gramm Kokain mit zumindest 80 % Reinsubstanz Cocain an die abgesondert verfolgten * D* und * Sa* übergab [iSv retournierte], da er mit der Qualität nicht zufrieden war;

4) am 19. April 2021 1.000 Gramm Kokain mit zumindest 80 % Reinsubstanz Cocain von dem abgesondert verfolgten * Sa* übernahm und dieses sodann an unbekannte Abnehmer übergab;

5) am 1. Mai 2021 1.000 Gramm Kokain mit zumindest 80 % Reinsubstanz Cocain von dem abgesondert verfolgten * P* übernahm und dieses sodann an unbekannte Abnehmer übergab;

6) am 11. Mai 2021 die Übergabe von 500 Gramm Kokain mit zumindest 80 % Reinsubstanz Cocain durch * Dr* an einen unbekannten Abnehmer mitorganisierte;

II) am 17. Mai 2021 R* R* als Mitglied einer kriminellen Vereinigung – der neben ihm unter anderem die abgesondert verfolgten * D*, * Dr* und * S* sowie weitere Mittäter angehörten – und K* R* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass dieses in Verkehr gesetzt werde, indem sie 500,8 Gramm Kokain netto mit zumindest 414 Gramm Reinsubstanz Cocain (mithin in einer das 27,6‑fache der Grenzmenge) von * Dr* für den Weiterverkauf übernahmen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Urteil richten sich getrennt ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten, die R* R* auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO stützt und K* R* auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gründet.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R* R*:

[4] Soweit der Rechtsmittelantrag auf gänzliche Urteilsaufhebung abzielt, die Rüge jedoch inhaltlich zum Schuldspruchpunkt II ausschließlich die Annahme der Qualifikation nach § 28 Abs 3 SMG bekämpft, blieb die Nichtigkeitsbeschwerde diesbezüglich mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen unausgeführt (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO).

[5] Da es für die Feststellung einer Mitgliedschaft des Angeklagten in der kriminellen Vereinigung nicht entscheidend ist, ob sich neben dem Angeklagten, Dr* undS* auch D* dieser Vereinigung als Mitglied anschloss (vgl § 278 Abs 2 StGB: „... Zusammenschluss von mehr als zwei Personen …“; Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 5) waren die Tatrichter dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten, dessen insoweit unerhebliche Aussage, wonach er den Angeklagten nicht kenne und keine Nachricht an den Chat-Namen „Wolf“ geschrieben habe, explizit zu erörtern (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 428; RIS‑Justiz RS0098377, RS0106295, RS0106642).

[6] Im Übrigen gründete das Schöffengericht die Feststellungen zur Tatbegehung des Angeklagten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (US 5) auf für richtig befundene Berichte des Bundeskriminalamtes (ON 36 und 37), aus welchen sich auch die Identität der Mitglieder der Tätergruppe durch Zuordnung der anlässlich der Suchtgiftgeschäfte verwendeten Chat‑Namen ergibt (US 14 f).

[7] Die (ebenso) gegen die Annahme der Qualifikationen nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG (Schuldspruchpunkt I) und § 28 Abs 3 SMG (Schuldspruchpunkt II) gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet (unter Bezugnahme auf Schwaighofer in WK2 SMG § 27 Rz 82), es sei nicht festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer durch die Tatbegehung „die Vereinigung als solche unterstützen (wusste und) wollte“.

[8] Sie legt jedoch prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810, RS0118429) nicht dar, welche über die getroffenen Urteilsfeststellungen (wonach es dem Angeklagten gerade darauf ankam, sich durch die Taten an der auf Schmuggel von größeren Suchtgiftmengen nach Österreich und deren Verkauf im Inland ausgerichteten Tätergruppe zu beteiligen und im Rahmen der kriminellen Vereinigung die Suchtgiftquanten laut Schuldspruchpunkt I zu verschaffen und zu überlassen [Schuldspruchpunkt I/6 – US 6], und es ihm zudem geradezu darauf ankam, das Suchtgift laut Schuldspruchpunkt II für die kriminelle Vereinigung zu übernehmen und zu verwahren, um es anschließend weiter zu geben – US 7) hinausgehenden Konstatierungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen wären (zu den entsprechenden Vorsatzerfordernissen vgl im Übrigen Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 42; Schwaighofer in WK2 § 28a Rz 33 sowie jüngst 14 Os 18/22m, 14 Os 19/22h Rz 11).

[9] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[10] Hingegen zutreffend zeigt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zum Schuldspruchpunkt I auf, dass die entscheidungswesentliche Feststellung, wonach das vom Angeklagten überlassene und verschaffte Kokain einen Reinheitsgehalt von 80 % Cocain aufgewiesen habe (US 6), unzureichend begründet ist. Denn die bloße Bezugnahme (US 17) auf Untersuchungsberichte des Kriminalamtes, wonach das am 17. Mai 2021 bei den Angeklagten (ON 30), in der von * Dr* benützten Wohnung (ON 29) und in einem von * S* „gelenkten“ PKW (ON 47) sichergestellte Kokain einen derartigen Reinheitsgehalt hatte, liefert entgegen US 17 allein keine zureichende Begründung zum Reinheitsgehalt des von R* R* imZeitraum von 26. März 2021 bis 11. Mai 2021 überlassenen oder verschafften (Schuldspruchpunkt I/6) Kokains (Schuldspruchpunkt I – US 6). Im Übrigen gingen die Tatrichter zum Schuldspruchpunkt I/3 davon aus, dass der Angeklagte mit der Qualität der diesbezüglichen 500 Gramm Kokain „nicht zufrieden war“ (US 3, 6 und 14).

[11] Die Aufhebung des Schuldspruchpunktes I bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) zog die Aufhebung des Strafausspruchs sowie des Ausspruchs des Verfalls im 500 Euro übersteigenden Betrag (also über Schuldspruchpunkt Ⅱ hinausgehend) nach sich, weil das Erstgericht feststellte, dass der Angeklagte für jede einzelne der anklagegegenständlichen Taten 500 Euro erhalten hat (US 18).

[12] Mit seiner Berufung war der Angeklagte R* R* auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der K* R*:

[13] Indem die Mängelrüge (nominell Z 5 erster, zweiter, dritter und vierter Fall) anhand eigenständig entwickelter Beweiswerterwägungen von jenen der Tatrichter (die die insofern leugnende Verantwortung der Angeklagten ohnedies eingehend berücksichtigt haben – US 9 f) abweichende Schlussfolgerungen zum Wissen der Angeklagten, dass es sich um Kokain handelte (US 7), anstrebt, zeigt sie kein Begründungsdefizit auf (RIS‑Justiz RS0098400).

[14] Sie bekämpft vielmehr die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (vgl Ratz, WK‑StPO Vor §§ 280–296a Rz 11, 13).

[15] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) in objektiver und subjektiver Hinsicht Feststellungen zum Besitz des Kokains durch die Angeklagte vermisst, ignoriert sie prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810, RS0099658) die entsprechenden tatrichterlichen Konstatierungen (US 7) und legt nicht dar (RIS‑Justiz RS0116565), weshalb die Angeklagte, die demnach mit (sogar) auf Besitz gerichtetem Vorsatz den Plastiksack mit dem Suchtgift an sich nahm und das in Plastikfolie gehüllte Kokain unter dem Beifahrersitz versteckte, dieses Suchtgift nicht in Gewahrsam gehabt haben soll (Schwaighofer in WK‑SMG § 27 Rz 14 f; RIS‑Justiz RS0088344).

[16] Weshalb der festgestellte Wille der am Übergabeort anwesenden Beschwerdeführerin, das Suchtgift, an dem sie nach den Urteilskonstatierungen Gewahrsam erlangte, zu erwerben (US 7), zur Annahme des § 28 Abs 1 SMG in subjektiver Hinsicht nicht genügen sollte (Schwaighofer in WK‑SMG § 27 Rz 11; erneut RIS‑Justiz RS0088344), erklärt die Rechtsrüge ebenso wenig methodengerecht (RIS‑Justiz RS0116565). Im Übrigen stellen Erwerb und Besitz ein alternatives Mischdelikt dar (RIS‑Justiz RS0114037 [T3]).

[17] Schließlich macht die Rüge nicht klar, weshalb ein „Tatbestandsmerkmal[s] des 'In-Verkehr-Setzens' des Suchtgiftes“ zur rechtsrichtigen Unterstellung der Tat unter § 28 Abs 1 SMG Voraussetzung sein sollte und ignoriert neuerlich die Konstatierungen der Tatrichter zu einem auf folgendes Inverkehrsetzen des Suchtmittels durch R* R* gerichteten Vorsatz der Angeklagten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten K* R* folgt (§ 285i StPO).

 

Zur amtswegigen Maßnahme:

[18] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das angefochtene Urteil in Bezug auf die Konfiskation nicht geltend gemachte Nichtigkeit zum Nachteil der beiden Angeklagten aufweist, die von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[19] Das Erstgericht sprach – ohne diese Strafe (vgl RIS‑Justiz RS0129178) einem der beiden Angeklagten zuzuordnen – gemäß § 19a Abs 1 StGB die Konfiskation des „sichergestellte[n] Mobiltelefon[s] Google Phone“ aus (US 4). Dazu, dass dieser Gegenstand durch den Angeklagten oder die Angeklagte bei Begehung der vom Schuldspruch erfassten Taten verwendet wurde oder von der oder dem Angeklagten dazu bestimmt war, bei der Begehung verwendet zu werden, und zum Eigentum am Gegenstand zur Zeit der Entscheidung erster Instanz enthält das Urteil jedoch keine Angaben (vgl aber § 19a Abs 1 StGB).

[20] Da das – in Überschreitung der Strafbefugnis ergangene (Z 11 erster Fall) – Konfiskationserkenntnis von den Angeklagten nicht angefochten wurde (RIS‑Justiz RS0130617) war es ebenfalls bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) und die Sache auch in diesem Umfang an das Erstgericht zu verweisen.

[21] Die Kostenentscheidung, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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