OGH 8ObA45/22h

OGH8ObA45/22h29.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfram Hitz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S* T*, Facharbeiter, *, vertreten durch die Beneder Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V* GmbH & Co KG, *, vertreten durch die Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. April 2022, GZ 11 Ra 22/22t‑36, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00045.22H.0629.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Im Sommer/Herbst 2020 wurde bei der Beklagten in Hinsicht auf die Covid‑19‑Pandemie die generelle Pflicht für Arbeitnehmer (wieder) eingeführt, in der Arbeit, wenn es zu näherem Kontakt mit anderen Mitarbeitern kommt, zumindest einen Mund‑Nasen‑Schutz (MNS) zu tragen. Unmittelbarer Auslöser der Kündigung des Klägers war, dass er sich beharrlich weigerte, einenMNS zu tragen. Seine Kündigung erfolgte nach den Feststellungen „aber nicht allein aus diesem Anlassfall, sondern war wesentlich motiviert durch andere, frühere Vorkommnisse“. Der Kläger hatte es nämlich trotz wiederholter Ermahnungen abgelehnt, der Weisung der Beklagten zu entsprechen, bei der Arbeit an einer großen Walze seinen etwa 20 cm langen Bart in einem Bartschutznetz zu tragen, um zu verhindern, dass er in die Walze gezogen wird. Zudem hatte er bloß seine normale optische Brille getragen und war der wiederholten Aufforderung der Beklagten nicht nachgekommen, sich auf ihre Kosten eine optische Schutzbrille zu besorgen, um das Eindringen von Metallspänen von der Seite in das Auge zu verhindern. Drittens hatte der Kläger die Sicherheitsanweisung der Beklagten, dass bei laufenden Walzen die Einhausung der Maschine verriegelt sein muss, insbesondere wenn er sich entfernt, nicht immer eingehalten.

[2] Die Vorinstanzen verneinten das Vorliegen einer unzulässigen Motivkündigung nach § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG. Eine Anfechtbarkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG wurde mit der Begründung verneint, durch die Kündigung seien zwar wesentliche Interessen des Klägers beeinträchtigt (55‑jähriger Alleinverdiener mit drei Unterhaltspflichten und einer prognostizierten Gehaltsreduktion von ca 2.740 EUR auf ca 2.320 EUR jeweils brutto monatlich). Es lägen aber in seiner Person gelegene Umstände iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG vor und aufgrund der der Beklagten bei Nichteinhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften drohenden wirtschaftlichen Lasten, insbesondere durch Regressansprüche der Sozialversicherungsträger im Falle eines Unfalls, schlage die Abwägung der Interessen der Parteien zu Lasten des Klägers aus.

[3] Der Kläger zeigt in seiner außerordentlichen Revision keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Ein Kläger, der sich auf einen Anfechtungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG beruft, hat diesen nach § 105 Abs 5 Satz 1 ArbVG glaubhaft zu machen. Die Anfechtungsklage ist nach § 105 Abs 5 Satz 2 ArbVG abzuweisen, wenn bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom Arbeitgeber glaubhaft gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war.

[5] Die Kündigung war hier „wesentlich motiviert durch andere, frühere Vorkommnisse“. Insoweit ist der Beklagten der Beweis gelungen, dass die Verweigerung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes für sie nicht das „wesentliche“ Kündigungsmotiv war. Voraussetzung für das Vorliegen einer verwerflichen und mit Erfolg anfechtbaren Motivkündigung wäre, dass das iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG verpönte Motiv für die Kündigung zumindest ein wesentlicher Beweggrund– wenn auch nicht der ausschließliche – war (8 ObA 3/19b mwN). Vor allem hat das Berufungsgericht aber hinsichtlich der behaupteten Motivkündigung – insoweit unbekämpft – das Vorliegen einer ordnungsgemäß ausgeführten Rechtsrüge verneint. Auf die Frage, ob eine Kündigung wegen Verweigerung des Tragens eines MNS überhaupt unter § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG fällt (vgl Chlestil, COVID‑19 – Impfpflicht im Arbeitsverhältnis? DrdA-infas 2021, 417 [419 bei und in FN 19]; Rauch, Impfverweigerung und Kündigung, ASoK 2021, 202 [205]; vgl zur Verweigerung eines Corona-Tests: 8 ObA 42/21s = EvBl 2021/145 [Hargassner] = DrdA‑infas 2022/6 [Bachhofer] = RZ 2021/21 [Spenling]; zum Tragen eines MNS: 9 ObA 19/22t), ist daher nicht mehr einzugehen. Aus denselben Gründen ist die Frage der Vereinbarkeit des Verlangens der Beklagten, der Kläger habe einen MNS zu tragen, mit § 3 Abs 2 COVID-19-LV ohne Relevanz.

[6] 2. Steht – wie hier – fest, dass durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt sind und andererseits in der Person des Arbeitnehmers gelegene Umstände betriebliche Interessen nachteilig berühren, dann sind diese Voraussetzungen zueinander in eine Wechselbeziehung zu setzen und eine Abwägung dieser sich gegenüberstehenden Interessen vorzunehmen, um den Zweck des Kündigungsschutzes, nämlich Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen, erfüllen zu können (RS0051818). Diese Interessenabwägung kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls erfolgen und stellt daher in der Regel – und so auch hier – keine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0051818 [T8]).

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