OGH 1Ob100/22w

OGH1Ob100/22w22.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. HR Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Petra Patzelt, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Gemeinde M*, vertreten durch die Rechtsanwälte Estermann & Partner OG, Mattighofen, und 2. Land Oberösterreich, Linz, Landhausplatz 1, vertreten durch Mag. Klaus Fürlinger und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen 132.687,41 EUR sowie Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. April 2022, GZ 4 R 7/22k-24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 19. November 2021, GZ 2 Cg 13/21y‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00100.22W.0622.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erhebt Amtshaftungsansprüche, die er daraus ableitet, dass ihm mit Bescheid des Bürgermeisters der erstbeklagten Gemeinde der Abbruch seines Einfamilienhauses (sowie bestimmter Nebengebäude) aufgetragen wurde. Seiner dagegen erhobenen Berufung habe der Gemeinderat nicht Folge gegeben, auch sein Rechtsmittel an das Landesverwaltungsgericht, dessen Organe der Zweitbeklagten zuzurechnen seien, sei erfolglos geblieben. Sämtliche in diesem Verfahren zu Lasten des Klägers ergangenen Entscheidungen beruhten auf einer unvertretbaren Rechtsansicht sowie unvertretbar unrichtigen Tatsachenfeststellungen, es seien auch Entscheidungsfristen nicht eingehalten und Verfahrensvorschriften grob fahrlässig verletzt worden. Wenngleich der Abbruch des Hauses durch einen später genehmigten Umbau abgewendet werden habe können, seien dem Kläger dafür – sowie für die von ihm geführten Bauverfahren – Aufwendungen (neben den Umbaukosten insbesondere Kosten für die rechtsanwaltliche Vertretung in den diversen Bauverfahren sowie für das Erstellen von Bauplänen für den angestrebten Umbau) entstanden, deren Ersatz er mit der vorliegenden Amtshaftungsklage, die auch ein Feststellungsbegehren enthält, begehrt.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts, weil der Amtshaftungsanspruch aus mehreren Gründen unberechtigt sei:

[3] Eine Haftung der beklagten Parteien scheitere schon daran, dass der Kläger im Verfahren über den Abbruchauftrag erfolglos den Verwaltungsgerichtshof angerufen habe. Aus höchstgerichtlichen Entscheidungen könnten keine Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden. Eine vom Höchstgericht nicht überprüfbare unrichtige Beweiswürdigung bzw das Übergehen bestimmter Beweisergebnisse sei den Organen der beklagten Parteien, aus deren Entscheidungen der Kläger Amtshaftungsansprüche ableite, nicht vorzuwerfen. Da dem Kläger schon mehr als drei Jahre vor Klageeinbringung bzw vor Zustellung des Aufforderungsschreibens gemäß § 8 Abs 1 AHG an die zweitbeklagte Partei Schäden entstanden seien, die er auf das behauptete Fehlverhalten zurückführe, seien allfällige Ersatzansprüche außerdem verjährt. Im Übrigen sei es dem Kläger nicht gelungen, die Unvertretbarkeit der Rechtsanwendung der Organe der beklagten Parteien aufzuzeigen.

[4] Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine solche Rechtsfrage auf:

[6] 1. Der Revisionswerber stellt die angezogenen Rechtsmittelgründe inhaltlich nicht ausreichend getrennt dar, sodass Unklarheiten zu seinen Lasten gehen (RIS‑Justiz RS0041761).

[7] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können in dritter Instanz nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (vgl RS0042963), was auch nicht dadurch umgangen werden kann, dass Fragen der Beweiswürdigung unter dem Revisionsgrund des Verfahrensmangels an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (vgl RS0043150 [T8]). Angebliche Feststellungsmängel können den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO nicht begründen (RS0043304 [insb T6]). Der Vorwurf „überschießender“ Feststellungen lässt nicht erkennen, um welche Tatsachen es sich dabei handeln soll.

[8] 3.1. Der Kläger steht auch in dritter Instanz auf dem Standpunkt, dass seinen aus Entscheidungen des Bürgermeisters und des Gemeinderats der erstbeklagten Partei sowie des Landesverwaltungsgerichts des zweitbeklagten Bundeslandes abgeleiteten Amtshaftungsansprüchen kein höchstgerichtliches „Erkenntnis“ iSd § 2 Abs 3 AHG entgegenstehe, weil der Verwaltungsgerichtshof die gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts (vom Kläger und seiner Frau) erhobenen Revisionen mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B‑VG zurückgewiesen habe.

[9] 3.2. Gemäß § 2 Abs 3 AHG können aus Erkenntnissen der Höchstgerichte keine Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden, weil dies die nachträgliche Überprüfung eines höchstgerichtlichen Erkenntnisses durch ein ordentliches Gericht „unterer Instanz“ bedeuten würde. Amtshaftungsansprüche sind auch dann ausgeschlossen, wenn die Amtshaftungsklage auf eine behauptete unvertretbare Rechtsansicht gestützt wurde und das Höchstgericht die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückwies, weil dies in aller Regel nur so verstanden werden kann, dass es das Vorliegen einer unvertretbaren Rechtsansicht verneinte, hätte es eine solche doch sonst zur Wahrung der Rechtssicherheit und Rechtseinheit aufzugreifen gehabt (vgl RS0107173 zu Zurückweisungsbeschlüssen des Obersten Gerichtshofs; zur Zurückweisung einer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde durch diesen vgl 1 Ob 204/05i). Warum dies für das an die ZPO angelehnte Revisionsmodell und die seither vorgesehene Zurückweisung einer außerordentlichen Revision durch den Verwaltungsgerichtshof anders zu sehen sei, versucht der Kläger nicht aufzuzeigen (vgl 1 Ob 83/21v; siehe auch Mader/Vollmaier in Schwimann/Kodek ABGB4 § 2 AHG Rz 14 FN 116; VwGH Ra 2020/21/0408 mwN).

[10] 3.3. Nur soweit dem Höchstgericht die Überprüfung einer bekämpften Entscheidung – nach den Verfahrensvorschriften – bloß eingeschränkt möglich ist, könnten Amtshaftungsansprüche aus einem (insoweit vom Höchstgericht nicht überprüfbaren) Verhalten der Vorinstanzen abgeleitet werden (vgl RS0102269 [T2]; RS0077496). Dies betrifft etwa die Art der Verfahrensführung oder die Herbeiführung der Grundlagen für die freie Beweiswürdigung bzw einen Missbrauch des dabei bestehenden Spielraums (vgl RS0077496). Auf ein solches (rechtlich unvertretbares) Fehlverhalten der Organe der beklagten Parteien kommt der Kläger in dritter Instanz aber nicht mehr zurück. Auch zu Schäden, die durch die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs nicht abgewendet werden hätten können, enthält sein Rechtsmittel keine nachvollziehbaren Ausführungen.

[11] 3.4. Dem Argument des Revisionswerbers, der Verwaltungsgerichtshof habe die gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts erhobenen Revisionen deshalb zurückgewiesen, weil darin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B‑VG dargelegt worden sei, weshalb gar keine meritorische Überprüfung erfolgt sei, ist entgegenzuhalten, dass ein Rechtsmittel nicht nur „überhaupt“ erhoben, sondern auch so formuliert sein muss, dass die darüber entscheidende Instanz in der Lage ist, die nunmehr (im Amtshaftungsverfahren) behaupteten Beurteilungs- oder Verfahrensfehler aufzugreifen und zu korrigieren (RS0026901 [T14]). Auch der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 28 Abs 3 VwGG bei der Prüfung einer Revision, wenn das Verwaltungsgericht – wie hier – aussprach, dass diese nicht zulässig sei, an die darin vorgebrachten Gründe gebunden (vgl etwa VwGH Ro 2019/05/0025). Werden jene Gründe, aus denen später ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden soll, im Rechtsmittel nicht angeführt, fällt dies dem Amtshaftungskläger als Verletzung seiner Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG zur Last (RS0119554 [T1]).

[12] Warum jene nun behaupteten (vermeintlich rechtlich unvertretbaren) Beurteilungsfehler der Organe der beklagten Parteien, aus denen der Kläger Amtshaftungsansprüche ableitet, nicht bereits in der Revision an den Verwaltungsgerichtshof ausreichend dargelegt wurden, erklärt der Revisionswerber nicht, weshalb von einer vorwerfbaren Rettungspflichtverletzung auszugehen ist.

[13] 4. Soweit der Kläger auch in dritter Instanz behauptet, der Gemeinderat der erstbeklagten Partei habe seine Entscheidung über die Berufung gegen den Abbruchbescheid des Bürgermeisters schuldhaft verspätet gefasst, legt er nicht nachvollziehbar dar, welchen konkreten Schaden er daraus ableitet. Seine in der Revision enthaltenen Verweise auf erst- und zweitinstanzliches Vorbringen sind unbeachtlich (vgl RS0043579 [insb T7, T13]).

[14] 5. Da der Revisionswerber zur selbständig tragfähigen Begründung der Vorinstanzen, wonach Amtshaftungsansprüchen der im Verfahren über den Abbruch seines Hauses ergangene (Zurückweisungs‑)Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs entgegenstehe, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die Revision schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass auf die weiteren – vom Revisionswerber bekämpften – Gründe, aus denen die Vorinstanzen das Klagebegehren als unberechtigt ansahen, eingegangen werden muss.

[15] 6. Kostenersatz für die ohne Freistellung eingebrachten Revisionsbeantwortungen steht den Beklagten nach § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht zu (RS0043690 [T6, T7]).

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