OGH 3Ob70/22y

OGH3Ob70/22y19.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* S*, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M* P*, vertreten durch Mag. Dr. Paula Stecher und MMag. Dr. Georg Janovsky, Rechtsanwälte in Schwaz, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2021, GZ 4 R 177/21i‑41, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 26. Mai 2021, GZ 3 C 145/20h‑35, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00070.22Y.0519.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten, in seiner Wohnung „die Verursachung von Lärm durch Schlagwerkspiel (insbesondere E-Drum, Schlagzeug und Marimba), sodass in der angrenzenden Wohnung (...) des Klägers (…) das ortsübliche und zumutbare Maß überschritten wird, zu unterlassen“ und (auch) auf Dritte einzuwirken, dass sie die Verursachung (solchen) Lärms (...) unterlassen.

[2] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es beschränke sich „die bisherige Rechtsprechung hinsichtlich häuslichen Musizierens im Wesentlichen auf das Klavierspiel, weshalb im Hinblick auf die Diversifizierung der Musikausübung in Österreich eine Klarstellung auch zu den hier gegenständlichen Schlagwerkinstrumenten im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich erscheint. Zudem erweist sich auch die Frage der Bestimmtheit des Klagebegehrens (...) als von allgemeinem Interesse“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage angesprochen. Da auch der Beklagte in seiner Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist sein Rechtsmittel entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 1. Zur Zulassungsfrage, die sich auf die Ortsüblichkeit des Musizierens mit bestimmten Schlagwerkinstrumenten bezieht, führt der Beklagte aus, dass dazu noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Das Spielen von E‑Drums und Marimbas sei – so wie das Klavierspielen nach der Entscheidung 5 Ob 210/21z – außerhalb der Ruhezeiten als ortsüblich anzusehen. Von einer besonderen Lästigkeit der Lärmimmissionen sei nicht auszugehen. Das Berufungsgericht habe auch nur auf die rein subjektive gesundheitliche Situation des Klägers abgestellt, der nur in Ausnahmefällen seine Wohnung verlasse.

[5] 2. Der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Frage oder Sachverhaltskonstellation noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, begründet dann keine erhebliche Rechtsfrage, wenn die Rechtslage durch den klaren Wortlaut der anzuwendenden Norm eindeutig ist oder die relevanten Grundsätze in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt sind (vgl RS0102181; RS0042656; 4 Ob 105/19y). Die Grundsätze zur Beurteilung unzulässiger Immissionen nach § 364 Abs 2 ABGB sind in der Rechtsprechung geklärt. Die Revision des Beklagten bietet keinen Anlass für weitere Klarstellungen.

[6] 3.1 Für die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer konkreten Lärmimmission kommt es beim Musizieren in einer Wohnung grundsätzlich auf die konkrete Beurteilung an, ob die von dieser Wohnung einwirkenden Belästigungen das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und die ortsübliche Benutzung der Nachbarwohnung wesentlich beeinträchtigen. Diese Fragen sind nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0010587; RS0033674 [T4]; RS0010583 [T2]).

[7] 3.2 Mit der Beurteilung, dass das Spielen von E‑Drums und Marimbaphon mit Klavier- oder Flötenspiel aufgrund der Klopfgeräusche (E‑Drums) bzw aufgrund der Lautstärke (Marimba, mit dem teilweise aus gesundheitlichen Gründen empfohlene Grenzwerte überschritten werden) nicht vergleichbar sei, hat das Berufungsgericht auf Basis bereits vorliegender Rechtsprechung den ihm zustehenden Bewertungsspielraum nicht verlassen.

[8] 3.3 Aus der vom Beklagten mehrfach ins Treffen geführten Entscheidung zu 5 Ob 210/21z (immo aktuell 2022/5, 37 [Höllwerth] = immolex 2022/83 [Streller]) lässt sich nicht der allgemeine Rechtssatz ableiten, dass Musizieren (dort: Klavierspielen) als ortsübliche Beeinträchtigung anzusehen sei. Vielmehr billigte dort der erkennende Senat mit seinerRevisionszurückweisung das vom Berufungsgericht im Einzelfall erzielte Ergebnis, das zu beurteilende Klavierspiel bewirke – unter Berücksichtigung der festgelegten Ruhezeiten und zeitlichen Beschränkungen sowie der konkret festgestellten Erhöhung des Grundgeräuschpegels – keine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung der Wohnung des Klägers.

[9] 4.1 Auch bei der Beurteilung der Nutzungsbeeinträchtigung ist das Berufungsgericht von den anerkannten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht abgewichen. Demnach ist für die Beurteilung, ob der von einem Grundstück ausgehende Lärm die ortsübliche Nutzung der Nachbarliegenschaft wesentlich beeinträchtigt, nicht nur die objektiv messbare Lautstärke (im Sinn der Erhöhung des Grundgeräuschpegels), sondern auch die subjektive Lästigkeit maßgebend, wobei auf das Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten abzustellen ist (RS0010607). Für die Lästigkeit sind vor allem die Tonhöhe, die Dauer und die Eigenart der Geräusche entscheidend (RS0010557; RS0010607; 4 Ob 64/20w; 3 Ob 54/22w). Dabei ist auf die „subjektive Lästigkeit“ des Geräuschs – allerdings gemessen am Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners – abzustellen (jüngst 6 Ob 171/21x).

[10] 4.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Bespielen der E‑Drums nicht als Musik, sondern als schwer zuordenbare Klopfgeräusche wahrgenommen und daher unabhängig von der Lautstärke als störend empfunden wird, weshalb im Sinn der Rechtsprechung die besondere Lästigkeit zu bejahen sei, ist keine Verkennung der dargelegten Grundsätze. Das Berufungsgericht hat bei dieser Beurteilung ausdrücklich nicht auf eine allenfalls bestehende besondere Empfindlichkeit des Betroffenen, sondern auf das Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Beeinträchtigten abgestellt.

[11] 5.1 In seinen weiteren Ausführungen in der Revision bezweifelt der Beklagte die Bestimmtheit des Urteilsspruchs. Er und seine Söhne wüssten nicht, welcher Erfolg zu unterlassen sei, weil die zulässigen Dezibelwerte im Spruch nicht angegeben seien.

[12] 5.2 Bei einem Unterlassungsurteil nach § 364 Abs 2 ABGB bedarf es der Angabe von Messeinheiten nach der Rechtsprechung nicht (vgl 9 Ob 48/12t; 4 Ob 196/07p; 3 Ob 54/22w jeweils mwN). Es entspricht der Rechtsprechung, dass auch bei Lärmimmissionen ein auf Untersagung ortsüblicher und das zumutbare Maß überschreitender Immissionen gerichtetes Klagebegehren hinreichend bestimmt ist (vgl RS0037178). Warum dies bei Lärmbeeinträchtigungen durch Musik anders sein soll, legt der Beklagte nicht schlüssig dar. Daraus, dass der Oberste Gerichtshof in einzelnen Entscheidungen die Angabe von Dezibelwerten im Urteilsspruch der Vorinstanzen – etwa unter Bezugnahme auf behördlich festgelegte Grenzwerte (vgl etwa 7 Ob 361/97g; 1 Ob 196/00f) – gebilligt hat, kann nicht abgeleitet werden, dass solche Werte zwingend angegeben werden müssten. Es bestehen auch keine Rechtsgrundsätze dahin, dass ein Unterlassungsbegehren ohne Angabe von Messeinheiten nur dann hinreichend bestimmt sei, wenn die Lärmbelästigung während anerkannter Ruhezeiten erfolge oder die ortsübliche Intensität evident überschreite.

[13] 5.3 Im hier zu beurteilenden Urteilsspruch sind sowohl die Lärmerregungsquelle als auch das unzulässige Ausmaß und die unzulässigen Auswirkungen angeführt. Die von den Umständen des Einzelfalls geprägte Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Urteilsspruch auch ohne Angabe von Dezibelwerten ausreichend bestimmt sei (vgl RS0037671), hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechungsgrundsätze.

[14] 6.1 Der Beklagte meint weiters, dass der Urteilsspruch deshalb unbestimmt sei, weil er auf die Unterlassung der Verursachung von Lärm durch Schlagwerkspiel allgemein abziele und dabei nur „insbesondere“ auf E‑Drum‑Set, Schlagzeug und Marimba Bezug nehme. Seine Söhne spielten nur E‑Drums und Marimbaphon.

[15] 6.2 In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dem Unterlassungsbegehren eine allgemeinere Fassung gegeben werden darf, um Umgehungen zu vermeiden (RS0037733; RS0037607). In diesem Sinn ist es zulässig, entweder die konkrete Verletzungshandlung zu nennen und das Verbot auf ähnliche Eingriffe zu erstrecken oder das unzulässige Verhalten verallgemeinernd zu umschreiben und durch „insbesondere“ aufgezählte Einzelverbote zu verdeutlichen; auch bei einer solchen allgemeineren Fassung des Urteilsbegehrens muss der Spruch den Kern der Verletzungshandlung erfassen und das verbotene Verhalten so deutlich umschreiben, dass es dem Beklagten als Richtschnur für sein künftiges Verhalten dienen kann (4 Ob 206/19a mwN).

[16] 6.3 Die Fassung des Urteilsspruchs durch das Berufungsgericht entspricht auch diesen Grundsätzen. Dessen Ansicht, dass die Söhne des Beklagten an der Musikschule eine Ausbildung im Fach „Schlagwerk“ absolvierten, in einer Musikkapelle sowie ein Sohn zudem auch in einer Band als Schlagwerker aktiv seien und für beide ein regelmäßiger Übungsbedarf bestehe, weshalb die Gefahr gegeben sei, dass sie auf andere Schlagwerkinstrumente ausweichen, ist keine im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[17] 7. Zusammenfassend gelingt es dem Beklagten mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; der Kläger hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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