OGH 1Ob84/22t

OGH1Ob84/22t18.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Dr. O* J*, vertreten durch die Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Mag. I* J*, vertreten durch Dr. Brigitte Birnbaum und Dr. Rainer Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. Februar 2022, GZ 43 R 461/21v‑90, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 15. September 2021, GZ 1 C 3/16h‑81, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00084.22T.0518.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Eine unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS‑Justiz RS0056832 [T1]). Ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und eine Rechtsfrage, die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, gehört hingegen zum Tatsachenbereich (RS0043423 [T10]; RS0043432 [T4]).

[2] 1.2. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass bereits 2008/2009 die Ehe der Parteien in hohem Maß zerrüttet gewesen sei, zu einer Zeit, ab der zwischen ihnen keine Geschlechtsgemeinschaft mehr bestand. Es ging weiters erkennbar – wie schon das Erstgericht – von der unheilbaren Zerrüttung der Ehe mit Ende 2014 aus. Zuvor hatte die Beklagte und Widerklägerin (im Folgenden: Beklagte) anlässlich des 25. Hochzeitstags noch vergeblich versucht, dem Kläger und Widerbeklagten (im Folgenden: Kläger) näher zu kommen; zu Silvester gelangte sie schließlich anlässlich einer Urlaubsreise zur Erkenntnis, dass sie die Ehe nicht mehr retten kann und die Beziehung auch nicht mehr fortsetzen will.

[3] Wenn der Kläger versucht, der Beklagten die von ihr im Frühjahr 2015 eingegangene Beziehung zu einem anderen Mann als gravierende Eheverfehlung anzulasten, übergeht er, dass zu diesem Zeitpunkt die unheilbare Ehezerrüttung bereits eingetreten und eine Vertiefung der Zerrüttung nicht mehr möglich war.

[4] 2.1. Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen, sofern keine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz vorliegt (RS0118125; RS0119414 [T1]). Die Gewichtung einzelner Eheverfehlungen hängt nicht von einem zahlenmäßigen Überwiegen ab (RS0056171 [T8]). Maßgeblich sind vielmehr das Gesamtverhalten und die besonderen Umstände des Einzelfalls (RS0056171 [T6]), wobei insbesondere das Gewicht der Eheverfehlungen, ihre zeitliche und kausale Abfolge und damit ihr Beitrag zur Ehezerrüttung in die Beurteilung miteinzubeziehen sind (vgl RS0057223 [T2]). Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RS0057303). Ein überwiegendes Verschulden ist (nur) dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821; vgl auch RS0057057), also das Verschulden des einen Teils erheblich schwerer ist, als das des anderen (RS0057858 [T1]).

[5] 2.2. Nach den Feststellungen hat der Kläger jahrelang ein Leben ohne Rücksicht auf die Beklagte oder auf die Familie geführt und erwartet, dass sich die gesamte Familie nach ihm richtet. Wenn das Berufungsgericht dem Kläger anlastete, dass er die Beklagte auch in Ausnahmesituationen (Vorfall mit einer psychisch kranken Babysitterin; keine Teilnahme an einer erforderlichen Elterntherapie in Bezug auf den gemeinsamen Sohn) nicht unterstützt habe, sondern seine beruflichen Bedürfnisse stets an erste Stelle gereiht habe, wodurch die Beklagte vereinsamt sei, ist diese Beurteilung nicht zu beanstanden. Es entspricht der Rechtsprechung, dass die übermäßige Hinwendung eines Ehegatten zu seinem Beruf eine schwere Eheverfehlung bilden kann (RS0123640; RS0056053 [T11]). Dass der Kläger keine Zeit für die Beklagte und die Familie aufwendete, kann nicht durch seine erfolgreiche berufliche Tätigkeit gerechtfertigt werden. Er teilte der Beklagten auch nicht vorab seine Aufenthalte im Ausland mit, sondern fuhr einfach weg, wenn er es für richtig gehalten hat.

[6] Zudem nahm der Kläger eine sexuelle Beziehung zu einer Frau auf, aus der auch ein Kind entstammt, das er gegenüber der Beklagten verheimlichte. Wenn er argumentiert, sein Seitensprung habe nicht zur Zerrüttung der Ehe beitragen können, weil die Beklagte davon erst Ende 2015 erfahren habe, übergeht er die Feststellungen, dass er im Jahr 2013, als die Mutter seines weiteren Kindes bereits schwanger war, sein Verhalten gegenüber der Beklagten änderte, sich sehr zurückzog und dieses Verhalten auch auf diese (vom Kläger unerwünschte) Schwangerschaft zurückzuführen war. Die Beklagte spürte seit Jahren und auch zu dieser Zeit, dass sie vom Kläger hintergangen wurde. Bereits das Erstgericht hat nachvollziehbar festgehalten, dass das veränderte Verhalten des Klägers gerade in der Zeit stattgefunden hat, in der das außereheliche Kind gezeugt und geboren wurde, er sich dadurch noch mehr aus der ehelichen Beziehung zurückgezogen und seine Beziehung zur Mutter des unehelichen Kindes zu einer ständigen Belastung der Gesundheit der Beklagten und auch der Ehe geführt habe.

[7] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Revisionswerber das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten sei, wobei das (näher festgestellte) Verschulden der Beklagten demgegenüber fast völlig in den Hintergrund trete, ist nicht zu beanstanden.

[8] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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