OGH 15Os152/21y

OGH15Os152/21y27.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer im Verfahren zur Übernahme der Strafvollstreckung an * M*, AZ 195 Ns 18/20y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00152.21Y.0427.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Das Landesgericht für Strafsachen Wien führte zu AZ 195 Ns 18/20y gegen den slowakischen und österreichischen Staatsangehörigen * M* aufgrund einer nach Artikel 4 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 ausgestellten Bescheinigung des Fachstrafgerichts Pezinok vom 8. Juli 2020 ein Verfahren wegen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach §§ 39 ff EU‑JZG.

[2] Demnach wurde * M* mit (sogleich rechtskräftigem) Urteil des Obersten Gerichtshofs der Slowakischen Republik vom 20. März 2018, AZ 2 To 1/2017z, in Abwesenheit wegen des besonders schweren Verbrechens des versuchten Auftragsmordes nach §§ 14 Abs 1, 21 Abs 1 lit c, 144 Abs 1 des slowakischen Strafgesetzbuches schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 23 Jahren verurteilt.

[3] Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. August 2020, GZ 195 Ns 18/20y‑33, wurde die Vollstreckung der mit dem genannten Urteil über * M* verhängten Freiheitsstrafe übernommen und die im Inland zu vollstreckende Freiheitsstrafe mit 20 Jahren festgesetzt.

[4] Der dagegen erhobenen Beschwerde des Verurteilten gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 8. Oktober 2020, AZ 22 Bs 229/20t (ON 41 im Ns‑Akt), nicht Folge.

[5] Mit Beschluss vom 21. April 2021 wies der Oberste Gerichtshof, AZ 15 Os 141/20d, den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des gegen ihn geführten Verfahrens wegen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach §§ 39 ff EU‑JZG zurück (ON 54).

[6] Bereits mit Antrag vom 19. März 2021 (ON 50) begehrte der Verurteilte die Wiederaufnahme des Strafvollstreckungsverfahrens gemäß „§§ 353 ff analog StPO und/oder § 27 analog EU‑JZG“.

[7] Diesen Antrag wies das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 18. Mai 2021 (ON 57), zurück. Eine Analogie zu den Bestimmungen über die Wiederaufnahme sei nicht zulässig, weil im (aktuell anzuwendenden) dritten Hauptstück des EU‑JZG (zur Anerkennung und Vollstreckung justizieller Entscheidungen) in keinem Fall die Möglichkeit eines Antrags auf Wiederaufnahme vorgesehen sei, und gegen eine Analogie überdies auch der Umstand spreche, dass lediglich das fünfte Hauptstück des EU‑JZG (zur Überwachung justizieller Entscheidungen; §§ 81 ff EU‑JZG) in § 93 EU‑JZG Vorschriften zur Wiederaufnahme des Verfahrens enthält und dies auch nur bloß dergestalt, dass „über Anträge auf Wiederaufnahme des der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahrens […] der Ausstellungsstaat“ entscheidet. Daraus ergebe sich klar, dass die Geltendmachung von Wiederaufnahmegründen bzw eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließlich nur im Urteilsstaat zulässig sei.

[8] Der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde des Verurteilten (ON 59) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 24. Juni 2021, AZ 20 Bs 151/21h (ON 61 im Ns‑Akt), nicht Folge.

[9] Zum Zeitpunkt der bekämpften Entscheidung habe das in sieben Hauptstücke gegliederte EU‑JZG ausschließlich in § 27 EU‑JZG betreffend das Übergabeverfahren im zweiten Hauptstück und (in § 93 EU‑JZG) im fünften Hauptstück Bestimmungen über die Wiederaufnahme des (Übergabe-)Verfahrens vorgesehen. Nach den Materialien der Stammfassung des EU‑JZG sollte durch Schaffung des § 27 EU‑JZG lediglich Gleichklang zu § 39 ARHG hergestellt werden, der die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Auslieferungsverfahrens vorsehe. Überdies sei § 27 EU‑JZG mit Ablauf des 28. Mai 2021 ersatzlos entfallen. Da somit die Möglichkeit zur Antragstellung zur Wiederaufnahme explizit nur in bestimmten Verfahrensarten, nämlich in Übergabe- bzw Auslieferungsangelegenheiten aus Österreich und bei der Überwachung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten vorgesehen [war bzw] ist, sei nicht von einer planwidrigen Lücke, die durch Eröffnung von Wiederaufnahmemöglichkeiten auch im gegenständlichen Vollstreckungsverfahren zu schließen sei, auszugehen, weshalb ein diesbezügliches Antragsrecht des Beschwerdeführers nicht bestehe.

[10] Mit rechtzeitig am 28. Dezember 2021 beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Schriftsatz wendet sich * M* gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts und begehrt die Erneuerung (§ 363a StPO im erweiterten Anwendungsbereich) des gegen ihn zu AZ 195 Ns 18/20y beim Landesgericht für Strafsachen Wien geführten Verfahrens wegen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach §§ 39 ff EU‑JZG.

[11] Mangels inhaltlicher Auseinandersetzung des Erst‑ und des Beschwerdegerichts mit dem (im Ergebnis wider die bekämpfte Vollstreckung Ablehnungsgründe iSd § 40 Z 12 EU‑JZG relevierenden) Vorbringen im Antrag auf Wiederaufnahme seien seine Rechte auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK), auf eine wirksame Beschwerde (Art 13 MRK iVm Art 47 GRC iVm Art 19 EUV) und auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) sowie der Gleichheitssatz (Art 7 B‑VG und Art 2 StGG) verletzt.

[12] Denn bei einer inhaltlichen Auseinandersetzung „hätte sich ergeben (können), dass Vollstreckungshindernisse im Sinne des § 40 EU‑JZG vorliegen […], insbesondere […], dass das Urteil des Obersten Gerichtshofs der Slowakischen Republik […] unter Verletzung von Grundrechten oder wesentlichen Rechtsgrundsätzen im Sinne von Art 6 des Vertrags über die Europäische Union zustande gekommen [und] eine materielle Prüfpflicht des Tatverdachtes im Vollstreckungsverfahren erforderlich“ sei. Der Ausschluss einer Wiederaufnahmemöglichkeit im Vollstreckungsverfahren bilde eine unsachliche Ungleichbehandlung und verstoße gegen den Gleichheitssatz.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Erneuerungsantrag erweist sich als offenbar unbegründet.

[14] Vorauszuschicken ist, dass ein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO (auch im erweiterten Anwendungsbereich) nur wegen Verletzungen der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle – nicht jedoch auch hinsichtlich Garantien nach der GRC oder wegen (gegenständlich auch relevierter) Verletzungen nationaler Grundrechte (wie nach Art 7 B‑VG oder Art 2 StGG) – gestellt werden kann (RIS‑Justiz RS0132365, RS0122228 [T8]; vgl bereits 15 Os 141/20d [Rz 23]).

[15] Soweit eine Verletzung des Art 6 MRK geltend gemacht wird, ist festzuhalten, dass die genannte Bestimmung auf Verfahren betreffend einen Antrag auf Wiederaufnahme eines früheren, rechtskräftig beendeten Verfahrens keine Anwendung findet, wenn – wie hier im Verfahren betreffend die Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten – das Gericht im Zuge der Behandlung eines solchen Rechtsbehelfs nicht eine Entscheidung über die Anklage zu treffen hat (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 16, 27; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 6 Rz 21, 32;RIS‑Justiz RS0105689, RS0120762, RS0121373; EGMR 11.7.2017 (GK), 19867/12, Moreira Ferreira/Portugal; vgl hiezu auch 15 Os 141/20d).

[16] Daher kann das weitere, das Vollstreckungsverfahren betreffende Wiederaufnahmegründe relevierende Vorbringen, auf sich beruhen.

[17] Im Übrigen übergeht der Erneuerungswerber die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts zur nicht möglichen analogen Anwendung von Wiederaufnahmebestimmungen und unterlässt solcherart eine deutliche und bestimmte Auseinandersetzung mit der als grundrechtswidrig kritisierten Entscheidung (vgl aber RIS‑Justiz RS0124359; Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c Rz 83) und überdies eine methodengerechte Ableitung der aufgestellten Rechtsbehauptung (vgl aber RIS‑Justiz RS0128393; Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c Rz 84).

[18] Inwieweit trotz aktuell ohnehin eingeräumter Beschwerdemöglichkeit gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Mai 2021 und auch grundsätzlich meritorischer Behandlung der Beschwerdeargumente durch das Oberlandesgericht (ON 61) dennoch das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK) und auf eine wirksame Beschwerde (Art 13 MRK) verletzt sei, ist nicht ersichtlich. In Bezug auf das als verletzt bezeichnete Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) gelangen ausschließlich die Bestimmungen des GRBG zur Anwendung (RIS‑Justiz RS0122737 [T26]).

[19] Im Ergebnis bekämpft der Erneuerungswerber bloß in prozessordnungsfremder Weise das Gesetz wegen im Vollstreckungsübernahmeverfahren nicht vorgesehener Wiederaufnahmemöglichkeit.

[20] Der Erneuerungsantrag war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Stichworte