European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00124.21W.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Die 1995 geborene Klägerin erlitt aufgrund eines Mopedunfalls Verletzungen, die im Juli und August 2010 im Krankenhaus der Beklagten fehlbehandelt wurden, was mehrfache operative Revisionseingriffe sowie weitere stationäre Aufenthalte in diversen Krankenanstalten erforderlich machte. Zum Zeitpunkt ihres Unfalls war die Klägerin Schülerin und hatte gerade die erste Klasse der Handelsakademie abgeschlossen. Aufgrund des langjährigen Behandlungsverlaufs musste sie ein Schuljahr lang pausieren, wodurch sich letztendlich auch die Ablegung der Matura (im Mai 2015) um ein Jahr verzögerte. Nach Abschluss der Handelsakademie hätte sie jederzeit eine Anstellung als Sekretärin erhalten. Die Klägerin bewarb sich bei einer Sparkasse und stand dort von Juli 2015 bis Dezember 2019 in einem Dienstverhältnis als Bankangestellte.
[2] In einem Vorprozess (Klage vom 23. 5. 2013) begehrte die Klägerin unter anderem die Feststellung, dass ihr der Beklagte für sämtliche künftige kausale Schäden aus der mangelhaften Heilbehandlung zu haften habe. Dem Feststellungsbegehren wurde mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 29. 3. 2017 Folge gegeben, das am 2. 5. 2017 (teil‑)rechtskräftig wurde.
[3] Mit der gegenständlichen, beim Erstgericht am 28. 5. 2020 eingelangten Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten (nach Einschränkung) Verdienstentgangsersatz in Höhe von 38.135,88 EUR für ein Jahr ab Juli 2014 wegen des um ein Jahr verspäteten Einstiegs in das Berufsleben.
[4] Der Beklagte wendete Verjährung ein. Die nunmehr gegenständlichen Ansprüche hätten bereits im seinerzeitigen Verfahren geltend gemacht werden können. Selbst wenn man eine Unterbrechungswirkung durch das Einbringen der Feststellungsklage auch für die hier gegenständlichen Ansprüche annehmen würde, müssten diese binnen drei Jahren nach Zustellung des Feststellungsurteils gerichtlich geltend gemacht werden.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab. Mit Eintritt des Primärschadens werde die kurze Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auch für vorhersehbare Folgeschäden in Gang gesetzt, weshalb zum Zweck der Unterbrechung der Verjährungsfrist die Erhebung einer Feststellungsklage geboten sei. Ansprüche wegen Verdienstentgangs unterlägen der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB. Durch die Einbringung der Feststellungsklage werde die Verjährung für alle zu diesem Zeitpunkt noch nicht fälligen und daher zukünftigen Schadenersatzansprüche unterbrochen, wobei diese Unterbrechung erst mit der Zustellung des dem Feststellungsbegehren stattgebenden Urteils bzw des Eintritts von dessen Rechtskraft ende. Für die gegenständliche Konstellation bedeute dies, dass die dreijährige Verjährungsfrist mit Eintritt der (Teil‑)Rechtskraft des Feststellungsurteils (am 2. 5. 2017) wieder zu laufen begonnen habe und zum Zeitpunkt des Einbringens der Klage am 28. 5. 2020 daher bereits abgelaufen gewesen sei.
[6] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es mittels Zwischenurteils aussprach, die Verjährungseinrede des Beklagten bestehe nicht zu Recht. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für nicht zulässig. Es teilte zwar die rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts, berücksichtigte jedoch – infolge Berufung der Klägerin – zusätzlich die Fristenhemmung nach § 2 des 1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetzes ab dessen Inkrafttreten mit 22. 3. 2020 bis zum 30. 4. 2020, sodass die Klage als rechtzeitig eingebracht zu betrachten sei.
[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Unterbrechung der Verjährung von wiederkehrenden Leistungen ende nicht mit der Rechtskraft des Feststellungsurteils, sondern bereits vorher mit dessen Zustellung. Im Übrigen verstoße die Anwendung des 1. Covid-19-Justiz-Begleitgesetzes gegen das Neuerungsverbot.
[8] Die Klägerin beantragt mit ihrer – nach Freistellung eingebrachten – Revisionsbeantwortung, die Revision nicht zuzulassen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[10] 1.1. Die Vorinstanzen haben die Grundsätze der Verjährung von Rentenansprüchen im Zusammenhang mit einem Feststellungsurteil richtig wiedergegeben. Sie werden auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
[11] 1.2. Danach wird durch die Einbringung einer Feststellungsklage (der später stattgegeben wurde) die Verjährung aller in diesem Zeitpunkt zukünftigen Schadenersatzansprüche unterbrochen (RS0034771). Deshalb ist eine Klageausdehnung auf später fällig werdende Beträge nicht erforderlich (RS0034771 [T5]). Insofern ein Urteil auf Feststellung der Schadenersatzpflicht auch die Verpflichtung zum Ersatz künftig fällig werdender Rentenbeträge in sich begreift, unterliegen dann diese künftig (dh nach dem Feststellungsurteil) verfallenden Renten neuerlich der dreijährigen Verjährung (RS0034202). Unter „künftigen“ Leistungen sind alle diejenigen gemeint, welche bei Einbringung der Feststellungsklage noch nicht fällig waren, also auch solche, die während des Feststellungsprozesses angefallen sind (vgl RS0034202 [T6]; 10 Ob 88/07z). Für Letztere beginnt die Verjährungsfrist mit dem Wegfall der Unterbrechungswirkung neu zu laufen, sodass auch Ansprüche, die während des anhängigen Feststellungsprozesses noch gar nicht geltend gemacht worden sind, innerhalb von drei Jahren nach Rechtskraft (siehe unten) des Feststellungsurteils eingeklagt werden könnten (RS0034371 [T5]).
[12] 2.1. Im vorliegenden Fall wurde der Klägerin das Feststellungsurteil des Vorprozesses am 31. 3. 2017 zugestellt, die Rechtskraft trat am 2. 5. 2017 ein. Die nunmehrige Klage wurde am 28. 5. 2020 eingebracht.
[13] 2.2. Unter Berücksichtigung der durch § 2 1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz verfügten Fristenhemmung wäre daher bei (Neu‑)Beginn der unterbrochenen Verjährungsfrist ab Urteilszustellung Verjährung eingetreten, während dies bei Berechnung ab Rechtskraft nicht der Fall wäre.
[14] 2.3. Das Berufungsgericht stellte für den Fristenbeginn auf die Rechtskraft des Urteils ab, die Revision auf die Zustellung.
[15] 3.1. Die Revision zeigt zwar zutreffend auf, dass der Oberste Gerichtshof – beginnend mit der Leitentscheidung 2 Ob 316/70 = SZ 43/222 – in Übereinstimmung mit einem Teil der Lehre wiederholt den Frist‑(neu‑)beginn mit der Zustellung des Urteils annahm (3 Ob 182/11b; 10 Ob 88/07z; 1 Ob 147/01a; vgl auch M. Bydlinski in Rummel³ § 1497 ABGB Rz 7; 7 Ob 35/20b [Pkt 3.2.]), allerdings kam der Unterscheidung in keiner dieser Entscheidungen Bedeutung zu. In einigen anderen Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof das Problem benannt, jedoch dessen Lösung mangels Entscheidungsrelevanz offen gelassen (2 Ob 60/20t [Rn 22]; 2 Ob 78/19p [Pkt 2. „frühestens“, „jedenfalls“]; 3 Ob 33/00z).
[16] 3.2. Zu 1 Ob 159/18s – wo die Unterscheidung ebenfalls keine Relevanz hatte – wurde ausdrücklich auf die Rechtskraft des Feststellungsurteils abgestellt. Dies entspricht auch einem Teil der Lehre (R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 1497 Rz 40; Vollmaier in Klang³, § 1478 Rz 77 und § 1497 Rz 95 ff; Huber in JBl 1993, 726 [Anm zu 2 Ob 58/91]; vgl auch Mader/Janisch in Schwimann/Kodek 4, § 1497 Rz 10; Ertl, Die Verjährung zukünftiger Schadenersatzansprüche, ZVR 1993, 33).
[17] 3.3. Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist auf den Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsurteils abzustellen ist. Schließlich wird erst mit dem rechtskräftigen Urteil Rechtssicherheit geschaffen. Würde die Frist bereits mit der Urteilszustellung zu laufen beginnen, wäre bei einem längeren Rechtsmittelverfahren (etwa im Zusammenhang mit einer Anfechtung beim VfGH oder einer EuGH‑Vorabentscheidung) die Klagbarkeit in der Schwebe.
[18] Im Übrigen beruht die Unterbrechung der Verjährung auf § 1497 ABGB und die dreijährige Verjährungsfrist wird mit dem JME, RGBl Nr 105/1858 begründet, der wie folgt lautet:
Forderungen, welche nach den Vorschriften des allgemeinen bürgl. Gesetzbuches in kürzeren, als in den für die ordentliche Verjährung in den §§ 1478, 1485 und 1486 festgesetzten Fristen verjähren, unterliegen, wenn sie durch rechtskräftiges Urtheil zugesprochen oder durch einen, die Execution begründenden Vergleich oder Vertrag anerkannt worden sind, nur der, in den gedachten Paragraphen festgesetzten Verjährung. Wenn jedoch in einem Urtheile nicht bloß auf die Zahlung bereits verfallener, sondern auch auf jene der künftig verfallenden jährlichen Abgaben, Zinsen, Renten oder Dienstleistungen erkannt wurde, so unterliegen die nach der erreichten Rechtskraft des Urtheils verfallenen Giebigkeiten dieser Art neuerdings der im §. 1480 des bürgerlichen Gesetzbuches festgesetzten dreijährigen Verjährung.
[19] Der JME spricht ausdrücklich von einem rechtskräftigen Urteil (vgl auch 2 Ob 316/70 = SZ 43/222; 2 Ob 242/99y). Die Entscheidung SZ 43/222 zieht auch einen ausdrücklichen Vergleich zur Bestimmung des § 218 Abs 2 BGB aF, wonach dann, wenn sich die Feststellung auf regelmäßig wiederkehrende, erst künftig fällig werdende Leistungen bezieht, die kurze Verjährungsfrist zur Anwendung kommt. Auch zu dieser Bestimmung entsprach es jedoch der ganz herrschenden Ansicht, dass der Fristenlauf erst mit Rechtskraft des Feststellungsurteils in Gang gesetzt wird (Heinrichs in Palandt, BGB60 [2001], § 218 Rz 5; Peters in Staudinger [2001], § 218 BGB Rz 10, 18, je mwN). Dies wurde nunmehr in § 201 BGB positiviert.
[20] 4. In der Berücksichtigung der Fristenhemmung nach § 2 1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz liegt kein Verstoß gegen das Neuerungsverbot. Es trifft zwar zu, dass die Klägerin die Behauptungslast für die Voraussetzungen der Hemmung der Verjährungsfrist trifft (RS0037797 [T7]). Der vorliegende Hemmungstatbestand sieht allerdings keine solchen vor, die einer Behauptung durch die Klägerin bedurft hätten. Der Prüfung der Rechtsfolgen geht hier keine Klärung von Tatfragen voraus (vgl 4 Ob 82/19s [Pkt 2.1.]).
[21] Da sich somit der Verjährungseinwand insgesamt als unzutreffend erweist, ist der Revision nicht Folge zu geben.
[22] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO. Bereits das Berufungsgericht hat die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits dem Endurteil vorbehalten.
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