European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133238
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben und dem Kartellgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Entscheidungsveröffentlichung nach § 37 KartG aufgetragen.
Begründung:
[1] Der Beschluss des Kartellgerichts vom 12. 5. 2020, GZ 27 Kt 5/18i‑43, in einem Verfahren betreffend die Abstellung marktmissbräuchlichen Verhaltens wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs als Rekursgericht in Kartellrechtssachen vom 17. 2. 2021, 16 Ok 4/20d, in allen Punkten mit Ausnahme der Punkte I.1.A b) und e) teilweise bestätigt und teilweise abgeändert; im Umfang der Punkte I.1.A b) und e) wurde der Beschluss aufgehoben und dem Kartellgericht insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Der Beschluss des Kartellgerichts erwuchs daher mit Ausnahme der aufgehobenen Punkte I.1.A b) und e) in Rechtskraft.
[2] Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss sprach das Kartellgerichtaus, dass der in Rechtskraft erwachsene Teil der Entscheidung erst nach rechtskräftiger Entscheidung über die aufgehobenen Punkte gemäß § 37 KartG in der Ediktsdatei veröffentlicht werde. Die einzelnen Punkte der Entscheidung seien zwar thematisch abgrenzbar, hinsichtlich der Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung aber derart verflochten, dass eine Herausnahme einzelner Punkte der Entscheidung nicht tunlich erscheine; der Sinngehalt der restlichen Entscheidung würde leiden und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Entscheidung damit nicht Rechnung getragen. Im Übrigen sei die Entscheidung des Kartellobergerichts ohnehin im Rechtsinformationssystem des Bundes publiziert.
[3] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Bundeskartellanwalts mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens über die Veröffentlichung der Entscheidung aufzutragen.
[4] § 37 KartG, der die Veröffentlichung von Entscheidungen des Kartellgerichts in der Ediktsdatei anordne, sei mit dem KaWeRÄG 2012 mit der Folge novelliert worden, dass nun die Veröffentlichung einer Entscheidung aus Gründen der Transparenz nicht mehr im Ermessen des Kartellgerichts liege, sondern zwingend sei. Die Rechtsprechung zu § 85 UrhG und § 25 UWG sei daher nicht mehr heranzuziehen. Der Hinweis auf Art 30 VO 1/2003 in den ErlV 1804 BlgNR 24. GP S 10 betreffe nur den Umfang der Veröffentlichungspflicht. Seit dem KaWeRÄG 2017 seien auch einstweilige Verfügungen und abweisende Entscheidungen zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung im Rechtsinformationssystem verfolge andere Zwecke als jene in der Ediktsdatei. Um Schadenersatzklagen zu erleichtern und Verträge zu prüfen, sei die namentliche Anführung der zuwiderhandelnden Unternehmen notwendig, die im RIS nicht gewährleistet sei. Dank des Spruchs der Entscheidung seien die rechtskräftig beigelegten Streitpunkte identifizierbar. Die restlichen Streitpunkte könnten von den Parteien auch einvernehmlich beigelegt werden, weshalb auch Teilentscheidungen zu veröffentlichen seien.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der Rekurs ist berechtigt.
[6] 1. § 37 KartG, eingeführt mit dem Kartellgesetz 2005, BGBl I 2005/61, fasste die im Kartellgesetz 1988 auf die §§ 38, 39 und 143b verteilten Bestimmungen über die Entscheidungsveröffentlichung zusammen (vgl RV 926 BlgNR 22. GP ) und dehnte sie auf alle Entscheidungen aus, mit denen eine Zuwiderhandlung abgestellt oder festgestellt wurde. Die Norm trug dem Kartellgericht auf, der obsiegenden Partei, wenn diese daran ein berechtigtes Interesse hatte, auf Antrag die Befugnis zuzusprechen, die Entscheidung über die Abstellung einer Zuwiderhandlung, die Feststellung einer Zuwiderhandlung oder die Verhängung einer Geldbuße innerhalb bestimmter Frist auf Kosten des Gegners zu veröffentlichen.
[7] 2. Diese Bestimmung wurde mit KaWeRÄG 2012, BGBl I 2013/13, umfassend dahin novelliert, dass das Kartellgericht nunmehr nach § 37 Abs 1 KartG selbst rechtskräftige Entscheidungen (in der damaligen Fassung: über die Abstellung einer Zuwiderhandlung, die Feststellung einer Zuwiderhandlung, die Verhängung einer Geldbuße oder über Anträge nach den §§ 11 und 16 KartG) durch Aufnahme in die Ediktsdatei (§ 89j GOG) zu veröffentlichen hat. Seit damals unverändert regelt der zweite Satz der Norm, dass dann, wenn die Entscheidung des Kartellgerichts durch eine Entscheidung des Kartellobergerichts abgeändert wurde, jene des Kartellobergerichts zu veröffentlichen ist.
[8] Aus den ErlRV 1804 BlgNR 24. GP zu Z 22 (§ 37) geht das Anliegen des Gesetzgebers hervor, mehr Transparenz zu schaffen. Dies sollte dadurch gewährleistet werden, dass gegenüber der alten Rechtslage kein Kostenersatz mehr verlangt wurde und ein weiterer Kreis von Entscheidungen zu publizieren war. Zur Begründung dieser Veröffentlichungspflicht zusätzlich zum Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) wurde festgehalten, dass es bei ersterer um die Information über eine konkrete Rechtsverletzung und nicht – wie bei der Entscheidungsdokumentation Justiz – um die Information über die Auslegung des geltenden Rechts gehe. Nähere Erläuterung zum zweiten Satz der Regelung, insbesondere dazu, wie nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Fall von Teilabänderungen vorzugehen ist, enthalten die Materialien nicht.
[9] 3. Zweck des neu gefassten § 37 KartG ist es, Schadenersatzklagen von Privaten infolge eines bindend festgestellten kartellrechtswidrigen Verhaltens zu erleichtern. Dieser Zweck könnte nicht erreicht werden, wenn eine entsprechende Information der Öffentlichkeit über derart bindende Entscheidungen nicht in ausreichendem Maße erfolgen würde (16 Ok 6/14i; 16 Ok 14/13). Das Unterbleiben der (ausreichenden) Veröffentlichung der Entscheidung würde für Geschädigte eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des durch Art 6 EMRK und Art 47 Grundrechtscharta garantierten Rechts auf Zugang zu einem Gericht bedeuten, wenn – wie nach dem Wortlaut des § 39 Abs 2 KartG – nur mit Zustimmung der Parteien Akteneinsicht in die Akten des Kartellverfahrens zusteht (16 Ok 10/14b; 16 Ok 14/13).
[10] 4. Auch in der RV (1522 BlgNR 25. GP zu Z 7 [§ 37 Abs 1]) zum KaWeRÄG 2017, BGBl I 2017/56, wiederholte der Gesetzgeber sein Anliegen, mit § 37 KartG mehr Transparenz schaffen zu wollen. Er nahm deshalb auch Entscheidungen im Provisorialverfahren sowie ab- oder zurückweisende Entscheidungen neu in den Katalog dieser Norm auf.
[11] Damit wandte sich der Gesetzgeber gegen die bis dahin bestehende Judikatur des KOG, wonach bei einstweiligen Verfügungen keine endgültige Aussage über einen Kartellrechtsverstoß erfolge, weshalb eine Information der Öffentlichkeit entbehrlich sei, weil Dritte daraus noch keine Konsequenzen für die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen ziehen könnten (vgl 16 Ok 1/14).
[12] 5. Zuletzt hat das KaWeRÄG 2021, BGBl I Nr 176/2021 den Anwendungsbereich des § 37 Abs 1 erster Satz KartG dahin erweitert, dass nunmehr auch Entscheidungen über die Abstellung einer marktbeherrschenden Stellung sowie rechtskräftige Entscheidungen über die Annahme von Verpflichtungszusagen und über die Änderung oder Aufhebung von Auflagen oder Beschränkungen nach § 12 Abs 3 zweiter Satz KartG in der Ediktsdatei zu veröffentlichen sind.
[13] 6. Der Genese dieser Norm und ihrer wiederholten Novellierung ist damit zwanglos das Bestreben des Gesetzgebers nach zunehmender Information der interessierten Kreise durch regelmäßige Erweiterung des Kreises der zu veröffentlichenden kartellrechtlichen Entscheidungen zu entnehmen, der mittlerweile auch solche Entscheidungen betrifft, die – wie abweisende und einstweilige – dem in den ErlRV 1804 BlgNR 24. GP zu Z 22 (§ 37) genannten Ziel der Information über konkrete Rechtsverletzungen entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt dienen.
[14] 7. Da § 37 Abs 1 zweiter Satz KartG die Veröffentlichung der Entscheidung des KOG in der Ediktsdatei nur im Fall einer Abänderung des kartellgerichtlichen Beschlusses durch das KOG vorsieht, ist dieser Bestimmung im Umkehrschluss einerseits zu entnehmen, dass dann, wenn ein solcher Beschluss des Kartellgerichts vom KOG bestätigt wird, in der Ediktsdatei (nur) die bestätigte Entscheidung des Kartellgerichts zu veröffentlichen ist; andererseits sind aufhebende Entscheidungen des KOG ebenfalls nicht zu veröffentlichen (vgl dazu Solé/Kodek/Völkl‑Torggler, Das Verfahren vor dem Kartellgericht², Rz 283).
[15] 8. Die Frage der Veröffentlichung bei einerteilweise bestätigenden, teilweise abändernden und teilweise aufhebenden Entscheidung wird weder im Gesetz noch in den Materialien beantwortet.
[16] Interpretiert man aber den zweiten Satz des § 37 Abs 1 KartG im Sinne des aus den Gesetzesmaterialien deutlich ersichtlichen Anliegens des Gesetzgebers nach immer mehr Transparenz, folgt daraus, dass auch bereits durch einen teilweise bestätigten (und daher teilweise rechtskräftigen) Beschluss des Kartellgerichts eine (wenn auch nur teilweise) endgültige Aussage über kartellrechtliche Rechtsverletzungen im zuvor aufgezeigten weiten Sinne erfolgt. Hat aber der Gesetzgeber das Kartellgericht auch dazu verpflichtet, sogar vorläufige Entscheidungen zu publizieren, ist daraus zu schließen, dass er umso mehr auch teilrechtskräftige endgültige Entscheidungen veröffentlicht sehen möchte.
[17] Da somit, soweit eine Entscheidung auch teilweise abgeändert wurde, im Hinblick auf den zweiten Satz des § 37 Abs 1 KartG jedenfalls von einer Veröffentlichungspflicht in Bezug auf den Beschluss des KOG auszugehen ist und weder dem Gesetz noch den Materialien ein Hinweis darauf zu entnehmen ist, dass das Kartellgericht nicht nur die jeweilige Entscheidung in ihrer ergangenen, sondern in einer (durch Aufgliederung in bestätigte, abgeänderte bzw aufgehobene Teile) veränderten Form zu veröffentlichen hätte, gelangt der Senat zur Auffassung, dass in einem Fall teilweiser Abänderung ebenfalls nur die Entscheidung des KOG zu veröffentlichen ist, und zwar in der Form, in der sie ergangen ist, also gegebenenfalls auch mit ihrem aufhebenden Teil.
[18] 9. Die vom Kartellgericht angedachte Veröffentlichung in der Ediktsdatei erst nach Rechtskraft der Entscheidung über sämtliche Anträge würde infolge der damit einhergehenden (möglicherweise erheblichen) Verzögerung die sofortige Information über bereits rechtskräftig erteilte Abstellungsaufträge verhindern und widerspräche damit dem aufgezeigten Transparenzziel des Gesetzgebers. Auch würde diesfalls in einer allfälligen weiteren Entscheidung nur noch über die aufgehobenen und daher bisher unerledigt gebliebenen Teile des Begehrens abgesprochen werden, was wieder zum bereits als unerwünscht angesehenen Ergebnis führte, dass das Kartellgericht dann den ersten Beschluss nicht in seiner tatsächlich ergangenen Form, sondern in einer eigens für die Veröffentlichung veränderten Variante publizieren müsste.
10. Diese Überlegungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
[19] § 37 Abs 1 KartG ist dahin auszulegen, dass im Fall einer teilweise bestätigenden und teilweise abändernden Rechtsmittelentscheidung des KOG nur die Entscheidung des KOG und nicht jene des Kartellgerichts zu veröffentlichen ist. Diese Entscheidung ist (abgesehen von sich aus § 37 Abs 2 KartG ergebenden Veränderungen) grundsätzlich unverändert zu publizieren und kann daher gegebenenfalls auch sonst nicht der Veröffentlichungspflicht unterfallende aufhebende Teile umfassen.
[20] 11. Der angefochtene, von Amts wegen gefasste Beschluss ist daher aufzuheben und dem Kartellgericht die Fortsetzung des Veröffentlichungsverfahrens iSd § 37 Abs 2 KartG aufzutragen.
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