European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00162.21S.0928.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Beim Erstgericht ist zu AZ 1 Ps 76/20a ein Pflegschaftsverfahren für zwei Kinder anhängig, die der mittlerweile aufgelösten Lebensgemeinschaft ihrer Eltern entstammen. Zwischen den Eltern ist Obsorge, Kontaktrecht und Unterhalt strittig. Nach der Geschäftsverteilung des Erstgerichts ist zur Führung des Verfahrens der Richter Mag. P***** zuständig.
[2] Die Mutter lehnte den Erstrichter am 18. 5. 2021 mit – näher ausgeführter – Begründung ab.
[3] Der Erstrichter erstattete eine sehr ausführlich begründete Stellungnahme gemäß § 22 Abs 2 JN, in der er sich für nicht befangen erklärte.
[4] Der Vorsteher des Erstgerichts wies den Ablehnungsantrag mit der wesentlichen Begründung zurück, die Ablehnungsgründe seien gemäß § 21 Abs 2 JN verfristet.
[5] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Mutter Folge und sprach aus, der Richter des Bezirksgerichts Purkersdorf Mag. P***** sei in der Rechtssache AZ 1 Ps 76/20a des Bezirksgerichts Purkersdorf befangen, die Parteien hätten die Kosten des Rekursverfahrens jeweils selbst zu tragen. Im Spruch selbst findet sich kein ausdrücklicher Ausspruch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das vom befangenen Richter geführte Verfahren nichtig sei.
[6] Das Rekursgericht teilte die Auffassung des Erstgerichts, die im Ablehnungsantrag selbst geltend gemachten Gründe seien verfristet. Allerdings berücksichtigte es als im Sinn des § 49 Abs 1 AußStrG zulässige Neuerungen die Argumente der Mutter im Rekurs, wonach sich aus der Äußerung des Erstrichters im Ablehnungsverfahren seine Befangenheit ableiten lasse.
[7] Soweit eine (teilweise) Nichtigerklärung des vom abgelehnten Richter geführten Verfahrens unterblieb, richtet sich gegen diese Entscheidung der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass das erstgerichtliche Verfahren ab einschließlich der Verhandlung vom 2. 3. 2021 für nichtig erklärt werde, so insbesondere die Beschlüsse vom 2. 3. 2021 und vom 19. 4. 2021; hilfsweise möge den Unterinstanzen die erforderliche Ergänzung der vom Rekursgericht getroffenen Entscheidung in diesem Umfang aufgetragen werden.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Revisionsrekurs ist zwar nicht absolut unzulässig, er zeigt aber keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[9] 1.1. In Ablehnungssachen ist gegen Entscheidungen der zweiten Instanz ein weiteres Rechtsmittel grundsätzlich ausgeschlossen, legt doch die Rechtsprechung die Regelung des § 24 Abs 2 JN als abschließende Sonderregelung über die Rechtsmittelzulässigkeit im Ablehnungsverfahren aus (RIS‑Justiz RS0074402; Mayr in Rechberger ZPO5 § 24 JN Rz 6 mwN). Demnach ist gegen die Entscheidung des Rekursgerichts insoweit, als die dem Ablehnungsantrag nicht stattgebende (entsprechend der üblichen Terminologie: den Antrag zurückweisende) Entscheidung des Erstgerichts nach meritorischer Prüfung bestätigt wurde, ein weiteres Rechtsmittels jedenfalls unzulässig.
[10] 1.2. Die Rechtsmittelbeschränkungen des § 24 Abs 2 JN betreffen aber nur die Entscheidung über die Ablehnung selbst, nicht jedoch eine allenfalls erforderliche Nichtigerklärung des Verfahrens im Sinn des § 25 zweiter Satz JN (RS0107874; RS0046014). Insoweit die erforderliche Nichtigerklärung des Verfahrens nicht oder nur teilweise erfolgte, ist die Entscheidung der zweiten Instanz daher anfechtbar. Der dargestellte Rechtsmittelausschluss gilt dann nicht, wenn das Verfahren trotz erfolgreicher Befangenheitsanzeige des Richters nicht oder nur teilweise für nichtig erklärt wurde (1 Ob 45/97t; 9 ObA 37/04p).
[11] 2.1. Soweit das Rekursgericht hier übereinstimmend mit dem Erstgericht von einer Verfristung der im Ablehnungsantrag selbst geltend gemachten Ablehnungsgründe ausging, entschied es darüber meritorisch, implizit hat es die Zurückweisung des auf die im Ablehnungsantrag selbst geltend gemachten Gründe gestützten Ablehnungsantrags bestätigt. Insoweit ist der Revisionsrekurs nach § 24 Abs 2 JN jedenfalls unzulässig. Auf die Argumentation im Revisionsrekurs ist nicht näher einzugehen, soweit sie sich auf die ursprünglich im Ablehnungsantrag geltend gemachten Gründe bezieht.
[12] 2.2. Anderes gilt für die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfang aufgrund der vom Rekursgericht – unanfechtbar – ausgesprochenen Befangenheit des Erstrichters von ihm gesetzte Verfahrenshandlungen für nichtig zu erklären sind. Diesbezüglich wäre an sich ein Ausspruch nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG erforderlich gewesen, ob insoweit der ordentliche Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig ist. Ist allerdings der Revisionsrekurs ohnedies als unzulässig zurückzuweisen, wäre es ein unnötiger Formalismus, dem Rekursgericht die Akten mit dem Auftrag zurückzustellen, seinen Beschluss durch einen Ausspruch nach § 59 Abs 2 AußStrG zu ergänzen (RS0007063 [T2]; 7 Ob 211/20k).
[13] 3.1. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0045994) ist im stattgebenden Ablehnungsbeschluss ausdrücklich auszusprechen, dass das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben wird und bis zu welchem Zeitpunkt es aufgehoben wird. Wird nämlich einer Befangenheitsanzeige des Richters (oder einem Ablehnungsantrag) stattgegeben und erfasst der Befangenheitsgrund auch von ihm vorgenommene Prozesshandlungen, sind gemäß § 25 zweiter Satz JN diese Prozesshandlungen nichtig und „soweit erforderlich“ aufzuheben. Die Entscheidung über die Ablehnung eines Richters und die Aufhebung der vom befangenen Richter vorgenommenen Prozesshandlungen als nichtig bildet dabei nicht nur insoweit eine Einheit, als darüber grundsätzlich in einem Beschluss zu entscheiden ist (1 Ob 45/97t), sondern auch insoweit, als sich beide Aussprüche in ihrem zeitlichen Wirkungsbereich decken müssen (RS0109586). Es sind nämlich Fälle denkbar, in denen die Befangenheit des Richters zeitlich nicht bis zu seiner erstmaligen Befassung mit der Rechtssache zurückreicht; etwa wenn sich der bis dahin unvoreingenommene Richter erst wegen eines grob ungehörigen und beleidigenden Verhaltens des Ablehnungswerbers als befangen erachtet. In einem solchen Fall sind jene Prozesshandlungen, die der Richter noch unvoreingenommen vorgenommen hat, die also von seiner erst später eingetretenen Befangenheit noch nicht berührt sind, von der Aufhebung durch die Ablehnungsinstanz auszunehmen; in diesem Umfang ist der eine weiterreichende Wirkung der Befangenheit eröffnende Wortlaut der Bestimmung des § 25 zweiter Satz JN von seinem Regelungszweck her zu reduzieren (RS0107873). Ein solcher Fall liegt hier vor.
[14] 3.2. Ein formeller Ausspruch im Sinn des § 25 Abs 2 JN durch das Rekursgericht ist hier unterblieben. Aus der Begründung seiner Entscheidung ist für den erkennenden Senat jedoch eindeutig ableitbar, dass es davon ausging, dass erst der Ablehnungsantrag der Mutter vom 18. 5. 2021 zu einer Befangenheit des Verhandlungsrichters führte, die sich dann in der Wortwahl seiner Stellungnahme zeigte. Da aber sowohl die Tagsatzung und der Beschluss vom 2. 3. 2021 als auch der Beschluss vom 19. 4. 2021, deren Nichtigerklärung die Revisionsrekurswerberin anstrebt, vor dem Tag der Einbringung des Ablehnungsantrags liegen, er nach der Aktenlage nach diesem Zeitpunkt weder Tagsatzungen abgehalten noch inhaltliche Entscheidungen getroffen hat, und beide Aussprüche sich in ihrem zeitlichen Wirkungsbereich – wie bereits ausgeführt – zwingend decken müssen, ist die (dem Spruch implizit zu entnehmende) Entscheidung des Rekursgerichts, von einer Nichtigerklärung von Verfahrenshandlungen des für befangen erklärten Erstrichters abzusehen, im Einzelfall nicht korrekturbedürftig.
[15] 4. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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