OGH 9ObA37/04p

OGH9ObA37/04p21.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Silvia M*****, Angestellte, *****, vertreten durch Ploil Krepp & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A*****GmbH, *****, vertreten durch Ehrlich-Rogner & Schlögl, Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 35.000) und EUR 12.944,85 sA (Gesamtstreitwert EUR 47.944,85 sA), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 2004, GZ 10 Ra 10/04w-9, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19. Dezember 2003, GZ 1 Nc 41/03f-6, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, welcher hinsichtlich der Entscheidung über die Befangenheit des Erstrichters unberührt bleibt, wird dahin abgeändert, dass es ergänzend zu heißen hat:

"Die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 6. 11. 2003 wird hinsichtlich der nach Einbringung des Ablehnungsantrages gesetzten Verfahrensschritte für nichtig erklärt."

Text

Begründung

In der Verhandlung vom 12. 6. 2003, welche seitens der beklagten Partei unbesucht blieb, erging über Antrag der erschienenen klagenden Partei ein Versäumungsurteil. Dieses wurde nach Stattgebung eines von der säumigen beklagten Partei eingebrachten Wiedereinsetzungsantrages aufgehoben.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 6. 11. 2003 erstatteten die Parteienvertreter zunächst ihre Vorträge, danach wurden von der Klägerin vorgelegte Urkunden verlesen. Der Richter wies den Klagevertreter darauf hin, dass die Urkunden "entsprechend zu markieren sind", womit er die Bestimmung des § 297 1. Satz ZPO idF der ZVN 2002 meinte, wonach "die maßgeblichen Stellen bestimmt anzugeben oder hervorzuheben sind". Im Anschluss daran entspann sich eine Diskussion zwischen dem Vorsitzenden und dem Klagevertreter darüber, ob der Klagevertreter in der Verhandlung vor Fällung des Vesäumungsurteils den Rechtsanwalt der Gegenseite angerufen hatte oder nicht. Daraufhin lehnte der Klagevertreter den Vorsitzenden als befangen ab.

Danach führte der Vorsitzende mit den Parteienvertretern ein Rechtsgespräch (§ 182a ZPO), in welchem er den seiner Auffassung nach relevanten Prozessstoff und die Beweispflicht der klagenden Partei darlegte. Überdies gab der Beklagtenvertreter eine Erklärung zu den von der klagenden Partei vorgelegten Urkunden ab.

Der Befangenheitssenat des Erstgerichtes wies den Befangenheitsantrag der klagenden Partei zurück.

Das Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichtes dahin ab, dass es dem Befangenheitsantrag stattgab. Dabei sprach es nicht aus, ob bzw in welchem Umfang das vom befangenen Richter geführte Verfahren erster Instanz nichtig sei. (Aus der dem Vorlagebericht des Rekursgerichtes angeschlossenen Stellungnahme des Rekursgerichtes geht hervor, dass eine (Teil-)Nichtigerklärung nicht irrtümlich unterblieben, sondern absichtlich unterlassen worden ist, weil der abgelehnte Richter in der Verhandlung vom 6. 11. 2003 keine relevanten Prozesshandlungen vorgenommen habe.)

Insoweit eine (teilweise) Nichtigerklärung des vom abgelehnten Richter geführten Verfahrens unterblieben ist, richtet sich gegen diese Entscheidung der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass das erstgerichtliche Verfahren ab und einschließlich der Verhandlung vom 6. 11. 2003 für nichtig erklärt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt. Die Rechtsmittelbeschränkungen des § 24 Abs 2 JN betreffen nur die Entscheidung über die Ablehnung selbst, nicht jedoch eine allenfalls erforderliche Nichtigerklärung des Verfahrens iSd § 25 2. Satz JN (RIS-Justiz RS0107874; RS0046014 ua). Insoweit daher die erforderliche Nichtigerklärung des Verfahrens nicht oder nur teilweise erfolgt, ist auch die Entscheidung der zweiten Instanz anfechtbar, wobei freilich die Grenzen des § 528 Abs 1 ZPO zu beachten sind (RdW 1998, 138 ua).

Ungeachtet dessen, dass das Rekursgericht keinen Ausspruch gemäß § 526 Abs 3 ZPO iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO getätigt hat, ist es hier nicht erforderlich, die Sache an das Rekursgericht zur Berichtigung bzw Ergänzung seiner Entscheidung durch Aufnahme eines Zulässigkeitsausspruches zurückzustellen. Die Revisionsrekurswerberin zeigt nämlich eine erhebliche, die Zulässigkeit des Rekurses rechtfertigende Fehlbeurteilung der zweiten Instanz auf. Es ist daher entbehrlich, der zweiten Instanz die ohnedies den Obersten Gerichtshof nicht bindende Entscheidung abzuverlangen, ob der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist oder nicht, weil er - gleich wie ein nachgetragener Ausspruch lauten würde - eine Sachentscheidung zu treffen hat (RIS-Justiz RS0002488 [T10, T11]).

Der erfolgreich abgelehnte Richter hat im vorliegenden Fall nach Eintritt seiner, vom Rekursgericht - unanfechtbar - angenommenen Befangenheit noch Prozesshandlungen gesetzt, nämlich das für den weiteren Verfahrensfortgang bestimmende Rechtsgespräch (§ 182a ZPO) geführt. Entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes kommt es bei Nichtigkeiten - anders als bei "schlichten" Verfahrensmängeln - nicht auf deren Relevanz an, sodass ein Ausspruch nach § 25 2. Satz JN zwingend gewesen wäre (6 Ob 104/97f ua). Entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin bedarf es aber keiner Nichtigerklärung der gesamten Verhandlung vom 6. 11. 2003. Tritt nämlich eine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit erst zu einem späteren Zeitpunkt ein, dann ist das Verfahren nicht zur Gänze, sondern erst ab diesem Zeitpunkt wegen Nichtigkeit aufzuheben (RIS-Justiz RS0107873; Ballon in Fasching2 I Rz 3 zu § 25 JN). Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die Befangenheit des Erstrichters schon vor Beginn seiner Diskussion mit dem Klagevertreter eingetreten wäre.

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