European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132832
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Mit Erkenntnis vom 1. 7. 2016, GZ W I 6/2016‑125, gab der Verfassungsgerichtshof der Anfechtung des zweiten Wahlganges der Bundespräsidentwahl vom 22. 5. 2016 gemäß Art 141 B‑VG statt und hob das Verfahren des zweiten Wahlganges der Bundespräsidentenwahl ab der Kundmachung der Bundeswahlbehörde vom 2. 5. 2016, soweit mit dieser die Vornahme eines zweiten Wahlganges angeordnet wurde, auf.
[2] In der Begründung heißt es unter anderem:
„1. Die Auswertung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen wurde in den Stimmbezirken Innsbruck‑Land, Südoststeiermark, Villach, Villach‑Land, Schwaz, Wien‑Umgebung, Hermagor, Wolfsberg, Freistadt, Bregenz, Kufstein, Graz-Umgebung, Leibnitz und Reutte rechtswidrig, insbesondere entgegen den §§ 14 ff BPräsWG vorgenommen.
2. Die Übermittlung von (Teil‑)Ergebnissen der Wahl vor Wahlschluss an ausgewählte Empfänger durch die Bundeswahlbehörde verstößt gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl.
3. Die unter Punkt 1. und 2. genannten Rechtswidrigkeiten sind von Einfluss auf das Wahlergebnis.
..“
[3] Zu den Vollzugsfehlern im Stimmbezirk * heißt es:
„Im Stimmbezirk * sind 7.303 Wahlkarten bei der Bezirkswahlbehörde eingelangt; davon wurden 6.794 Wahlkarten in die Ergebnisermittlung miteinbezogen. 178 Stimmen wurden als ungültig gewertet; von den 6.616 gültigen Stimmen entfielen 3.785 Stimmen auf Ing. Norbert Hofer und 2.831 Stimmen auf Dr. Alexander Van der Bellen.
Mit Schreiben vom 13. Mai 2016 erging eine Einladung des Bezirkswahlleiters an die Mitglieder der Bezirkswahlbehörde. Diese hatte – soweit maßgeblich – folgenden Inhalt:
'Am Sonntag, 22. Mai 2016, findet mit Beginn um 16.00 Uhr im großen Sitzungssaal der Bezirkshauptmannschaft *, Erdgeschoß, die Sitzung der Bezirkswahlbehörde statt. Als Mitglied der Bezirkswahlbehörde werden Sie eingeladen, verlässlich an dieser Sitzung teilzunehmen. Bei Verhinderung kontaktieren Sie bitte Ihre Parteileitung zwecks Entsendung eines Ersatzmitgliedes.
Tagesordnung:
Begrüßung durch den Vorsitzenden
Angelobung der noch nicht angelobten Mitglieder
Feststellung des Wahlergebnisses für den Wahltag
Allfälliges
Gleichzeitig mit der Einladung ergeht folgende Ankündigung:
Am Montag, 23. Mai 2016 (Tag nach dem Wahltag), findet ebenfalls in der ha. Bezirkshauptmannschaft * eine Sitzung der Bezirkswahlbehörde statt.
Tagesordnung:
Feststellung des Ergebnisses für die im Stimmbezirk mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen
Feststellung des Ergebnisses für den Tag nach dem Wahltag
Allfälliges
Die Mitglieder der Bezirkswahlbehörde werden ersucht, auch an diesem Tag ihre Agenden wahrzunehmen.'
Der Bezirkswahlleiter hat somit die Mitglieder der Bezirkswahlbehörde mit Schreiben vom 13. Mai 2016 für Sonntag, 22. Mai 2016, 16.00 Uhr, geladen und für Montag, 23. Mai 2016, eine weitere Sitzung angekündigt. Laut Tagesordnung für die Sitzung am Sonntag, 22. Mai 2016, sollte in dieser lediglich die Feststellung des Ergebnisses für den Wahltag, nicht aber die Feststellung des Ergebnisses der für die im Stimmbezirk mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen erfolgen; diese war vielmehr für die Sitzung am Montag, 23. Mai 2016, angekündigt.
Am Sonntag, 22. Mai 2016, eröffnete der Bezirkswahlleiter‑Stellvertreter, [der Beklagte], die Sitzung der Bezirkswahlbehörde. Gegen 17.00 Uhr fragte der Bezirkswahlleiter‑Stellvertreter die sechs erschienenen Beisitzer und die erschienene Vertrauensperson, ob sie damit einverstanden seien, wenn die für den Tag nach dem Wahltag vorgesehenen Wahlhandlungen im Zusammenhang mit den mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen bereits am Sonntagabend durchgeführt würden. Alle anwesenden Mitglieder der Bezirkswahlbehörde erklärten sich mit diesem Vorgehen einverstanden.
Am Sonntag, 22. Mai 2016, ab 17.00 Uhr, öffnete der Bezirkswahlleiter‑Stellvertreter sodann gemeinsam mit den anwesenden Beisitzern, einer Vertrauensperson und Mitarbeitern der Bezirkshauptmannschaft * die eingelangten Wahlkarten. Die Wahlkuverts wurden aus den Wahlkarten entnommen und die darin befindlichen Stimmzettel ausgezählt. Der Vorgang der Öffnung von Wahlkarten und der Stimmenauszählung war um 20.30 Uhr beendet. Am Montag, 23. Mai 2016, fand keine Sitzung der Wahlkommission statt.“
[4] Zur Rechtmäßigkeit des Auswertungsvorganges durch die Bezirkswahlbehörde * führte der Verfassungsgerichthof aus:
„Im Stimmbezirk * wurden die Wahlkarten unter Verstoß gegen die Vorschrift des § 14a BPräsWG und gegen den Grundsatz der geheimen Wahl gemäß Art. 60 Abs. 1 B‑VG geöffnet. Zwar waren dabei sechs Beisitzer und eine Vertrauensperson anwesend und hat der Bezirkswahlleiter‑Stellvertreter die Anwesenden am Beginn des Vorganges des Öffnens der Wahlkarten am Sonntag, 22. Mai 2016, gefragt, ob sie mit dem Öffnen der eingelangten Wahlkarten sowie der Auszählung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen bereits am Sonntag, 22. Mai 2016, einverstanden wären. Allerdings waren nicht sämtliche Mitglieder der Bezirkswahlbehörde am Sonntagabend anwesend und konnten insbesondere die Abwesenden aufgrund der Einladung auch nicht erkennen, dass bereits am Sonntagabend die mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen ausgezählt würden und am Montag nach dem Wahltag keine Sitzung mehr stattfinden würde.
Die Ermittlung des Ergebnisses der Briefwahl im Stimmbezirk * verstößt gegen § 14a BPräsWG und den Grundsatz der geheimen Wahl gemäß Art 60 Abs. 1 B‑VG und ist daher rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit erfasst jedenfalls die im Stimmbezirk * in die Ergebnisermittlung miteinbezogenen 6.794 Wahlkarten.
(…)
Gemäß Art 60 Abs 2 B‑VG ist zum Bundespräsidenten gewählt, wer mehr als die Hälfte aller gültigen Stimmen für sich hat. In Anbetracht des dargestellten Wahlergebnisses besteht zwischen den Wahlwerbern (...) ein Stimmenunterschied von 30.863 Stimmen. Dieses Wahlergebnis stellt dabei (auch) die Summe der Ergebnisse der einzelnen Stimmbezirke dar, weshalb auch die Stimmen jener Stimmbezirke, in denen die Auszählung rechtswidrig erfolgt ist, zusammenzuzählen sind. Bildet man die Summe der von den festgestellten Rechtswidrigkeiten erfassten Stimmen – die theoretisch sowohl Ing. Norbert Hofer als auch Dr. Alexander Van der Bellen hätten zukommen können – aus den Stimmbezirken Innsbruck‑Land, Südoststeiermark, Villach, Villach‑Land, Schwaz, Wien‑Umgebung, Hermagor, Wolfsberg, Freistadt, Graz‑Umgebung und Leibnitz, so ergibt sich, dass diese bereits die Differenz von 30.863 Stimmen insofern übersteigt, als mehr als 77.769 Stimmen von Rechtswidrigkeiten erfasst sind, (…).“
[5] Zur Veröffentlichung von Vorabinformationen führte der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis unter anderem aus:
„(...) In Anbetracht dessen verstößt nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes die seitens der Bundeswahlbehörde in ihrer Gegenschrift und in der mündlichen Verhandlung zugestandene, zuletzt durch Beschluss vom 23. März 2016 ausdrücklich gebilligte und daher der Bundeswahlbehörde zuzurechnende Praxis der Veröffentlichung von Informationen über (Gesamt‑)Ergebnisse vor Wahlschluss (sogenannte 'Rohdaten'), wie insbesondere die Weitergabe an ca 20 ausgewählte Empfänger (vor allem Medien und Forschungsinstitute), gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl. Es ist nämlich – ungeachtet der eingeschränkten Pflicht zur Amtsverschwiegenheit von Mitgliedern der Wahlbehörde (...) – nicht ausgeschlossen, dass die systematische Weitergabe von solchen Vorabinformationen durch die Wahlbehörde an bestimmte 'Empfänger' und die damit einhergehende von den Wahlbehörden nicht kontrollierbare Weitergabe an Dritte, von Einfluss auf das Wahlverhalten und damit auf das Ergebnis der Wahl sein kann, dies umso mehr, als auf Grund heutiger Kommunikationsmöglichkeiten eine sofortige und weitreichende, sich auf das gesamte Bundesgebiet erstreckende Verbreitung dieser Informationen erfolgen kann. Daran vermag auch die Möglichkeit, dass beispielsweise veröffentlichte Hochrechnungen nicht allein auf den von der Bundeswahlbehörde übermittelten 'Rohdaten', sondern auch auf anderweitig erlangten Daten basieren, nichts zu ändern, zumal [...] nicht ausgeschlossen werden kann, dass die von Dritten veröffentlichten Informationen – zumindest zum Teil – auf den von der Bundeswahlbehörde übermittelten (Teil‑)Wahlergebnissen basieren. Im Hinblick auf die Art der erwiesenen Rechtswidrigkeit ist davon auszugehen, dass diese – angesichts des knappen Wahlausganges und der nachweislich österreichweiten Verbreitung der vorab veröffentlichten Wahlergebnisse – auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte.“
[6] Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von 36.000 EUR und bringt vor, dass ihr durch die Aufhebung des zweiten Wahlgangs der Bundespräsidentenwahl ein unmittelbarer Schaden von zumindest 8.047.000 EUR entstanden sei. Diesen Schaden habe der Beklagte als Bezirkswahlleiter in seinem Stimmbezirk * rechtswidrig und grob fahrlässig gemeinsam mit 17 anderen Bezirkswahlleitern aus insgesamt 14 Stimmbezirken verursacht. Als Bezirkswahlleiter sei dem Beklagten die ordnungsgemäße Durchführung und Leitung des zweiten Wahlgangs oblegen. Er habe die Sitzungen der von ihm zu leitenden Wahlbehörde und die Durchführung der dieser zukommenden Beschlussfassungen vorzubereiten gehabt. Diese Rechtspflichten habe er verletzt. Im Stimmbezirk * seien die Wahlkarten unter Verstoß gegen die Vorschrift des § 14a BPräsBG und entgegen dem Grundsatz der geheimen Wahl gemäß Art 60 Abs 1 B‑VG geöffnet worden. Bei der Auszählung am Wahltag seien nicht sämtliche Mitglieder der Bezirkswahlbehörde anwesend gewesen und hätten die Abwesenden aufgrund der Einladung auch nicht erkennen können, dass die Auszählung bereits am Sonntag erfolgen werde und am Montag nach dem Wahltag keine Sitzung mehr stattfindet. Aufgrund unter anderem dieses Fehlverhaltens sei der zweite Wahlgang der Bundespräsidentenwahl 2016 aufgehoben worden. Es lägen sogenannte „summierte Einwirkungen“ vor. Daraus folge eine Solidarverpflichtung aller Personen, die rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hätten. Unter Beachtung des der Klägerin unmittelbar entstandenen Schadens, der dem Beklagten als Bezirkswahlleiter obliegenden Aufgaben und Befugnisse, seiner Ausbildung und der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel werde unter Vorwegnahme eines richterlichen Mäßigungsrechts ein Ersatzanspruch von nur 36.000 EUR geltend gemacht.
[7] DerBeklagte bestritt und brachte vor, der eigentliche Grund für die Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl 2016 sei ein Fehlverhalten der Bundeswahlbehörde gewesen, die Teilergebnisse der Wahl vor Wahlschluss an ausgewählte Empfänger übermittelt und somit gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl verstoßen habe. Zwar seien bei der Auszählung in seinem Stimmbezirk zwei Wahlbeisitzer am Wahltag entschuldigt nicht anwesend gewesen, sie hätten jedoch gleichzeitig bekanntgegeben, keinesfalls am darauffolgenden Tag in das Amtsgebäude zu kommen. Den politischen Mitgliedern der Wahlbehörde sei aufgrund vieler vorangegangenen Wahlen bekannt gewesen, dass die Briefwahlstimmen frühestens ab dem Wahlsonntag 17:00 Uhr und spätestens am Montag nach der Wahl um 9:00 Uhr auszuzählen seien. Sie seien daher davon ausgegangen, nach vorausgehendem Beschluss den Auszählungszeitpunkt abändern zu dürfen. Wenn sich dementsprechend sämtliche Mitglieder der beschlussfähig erschienen Wahlbehörde dazu entschieden hätten, die Briefwahlstimmen am Wahlsonntag auszuzählen, sei das eine nicht zu beanstandende, keinesfalls rechtswidrige Entscheidung. Dem Beklagten komme dabei kein Stimmrecht zu. Selbst wenn man von einer formalrechtlichen Verletzung einzelner Bestimmungen durch den Beklagten ausgehe, dienten diese Wahlbestimmungen ausschließlich der Regelung von freien Wahlen in einem demokratischen Rechtsstaat und seien keine Schutzgesetze im Sinn des Schadenersatzrechts, weder für Wahlwerber noch für den Staat selbst. Es sei nicht Schutzzweck dieser Normen, den Staat vor finanziellen Schäden zu schützen, die ihm aus Mehraufwendungen entstanden seien, die durch die Übertretung der Wahlgesetze verursacht worden seien. Auch liege weder ein Befugnisfehlgebrauch noch ein Schädigungsvorsatz vor. Jedenfalls ließen sich die Anteile bestimmen, die Klägerin müsse nur darlegen, welcher Schaden in Bezug auf den Stimmbezirk des Beklagten entstanden sei. Das Klagebegehren sei auch der Höhe nach unschlüssig. Die einzelnen Schadenspositionen müssten konkret bezeichnet und bewiesen werden.
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Wahlbehörde sei am Wahltag beschlussfähig gewesen. Der Beklagte sei als Bezirkswahlleiter‑Stellvertreter nicht stimmberechtigt gewesen. Er habe den von den Beisitzenden gefassten Beschluss – wenn überhaupt – nur initiiert und nicht mitgestimmt. Ein rechtswidriges Organverhalten könne ihm daher nicht vorgeworfen werden. Auch bei Bejahen eines organschaftlichen Verhaltens des Beklagten würde aber der Rechtswidrigkeitszusammenhang fehlen. Wahlvorschriften dienten unmittelbar der Einhaltung der Wahlgrundsätze und zur Vermeidung von Manipulationen und Missbräuchen. Es würde zu weit gehen, wolle man den unmittelbaren Schutzzweck auch auf den Schutz der Klägerin vor Kosten, die durch eine Wahlwiederholung entstehen, ausweiten.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen diese Entscheidung Folge und änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, dass es als Zwischenurteil das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannte. Es ging davon aus, dass der Beklagte als Bezirkswahlleiter‑Stellvertreter für die Beachtung der Wahlvorschriften Sorge zu tragen gehabt habe und Überschreitungen des Wirkungskreises der Wahlbehörde nicht hätte zulassen dürfen. Die entgegen der angekündigten Tagesordnung erfolgte Auszählung der Briefwahlstimmen sei durch das Verhalten des Beklagten mitverursacht worden und rechtswidrig gewesen. Dies habe im Zusammenwirken mit den Handlungen verschiedener anderer Amtsträger zur Wahlwiederholung geführt. Es liege daher eine kumulative Kausalität vor. Die Haftung der Organe nach dem OrgHG betreffe das Verhältnis zwischen dem Amtswalter und dem Rechtsträger. Durch die rechtswidrigen Handlungen unter anderem des Beklagten habe der Rechtsträger, der für die Durchführung der freien und geheimen Wahl verantwortlich gewesen sei, durch zusätzliche Aufwendungen einen unmittelbaren Schaden erlitten. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang sei daher zu bejahen.
[10] Bei summierten Ursachen könne sich der Beklagte auch nicht auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten berufen. Auch das Verschulden des Beklagten sei zu bejahen. Die Einhaltung der Formalvorschriften sei jedenfalls zumutbar und möglich gewesen. Bei Unklarheiten hätte der Beklagte rechtzeitig vor der Wahl Informationen einholen und die Rechtslage abklären können. Unter den konkreten Umständen sei von einem Verschulden auszugehen, das den Grad einer entschuldbaren Fehlleistung übersteige. Damit lägen sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für eine Haftung vor. Bei Nichtbestimmbarkeit der Anteile mehrerer Schädiger am Gesamtschaden sei von einer solidarischen Haftung aller Verursacher auszugehen. Der Schaden lasse sich auch nicht entsprechend den Wahlbezirken aufteilen. Ebensowenig könne der Fehler der Bundeswahlbehörde den Kläger entlasten, weil kumulative Kausalität zu einer solidarischen Haftung führe. Da das Erstgericht keine Feststellungen zur Schadenshöhe getroffen habe, sei die Berechtigung des Anspruchs dem Grunde nach festzustellen. Im fortgesetzten Verfahren seien entsprechende Feststellungen zur Höhe des Schadens und zu den Mäßigungsgründen zu treffen.
[11] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil keine Rechtsprechung zu den Fragen der Organhaftung bei summierten Ursachenbestehe.
[12] Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision des Beklagten, mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[13] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
[14] Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[15] 1. Der Beklagte macht als Aktenwidrigkeit, hilfsweise als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, dass das Berufungsgericht davon ausgegangen sei, dass in der überwiegenden Zahl die Wahlbehörden die Wahl ordnungsgemäß durchgeführt hätten, woraus sich ergebe, dass die Einhaltung der Formalvorschriften jedenfalls zumutbar und möglich gewesen sei. Dabei sei eine unrichtige Behauptung der Klägerin ungeprüft übernommen worden.
[16] Auf diese Argumentation muss nicht weiter eingegangen werden, da, wie noch auszuführen sein wird, unabhängig von der Zahl der Wahlbehörden, die ordnungsgemäß gearbeitet haben, kein Grund ersichtlich ist, warum es dem Beklagten nicht möglich gewesen sein soll, die gesetzlichen Bestimmungen über die Auszählung der Briefwahlstimmen einzuhalten.
[17] 2. Soweit der Beklagte dem Berufungsgericht eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorwirft, weil es in seiner rechtlichen Beurteilung die von ihm erhobenen Einwendungen „nur oberflächlich und wenig sorgfältig“ abgearbeitet habe und sich nicht ausreichend mit ihnen auseinandergesetzt habe, kann ihm nicht gefolgt werden. Auch wenn das Berufungsgericht, was schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtseinheit zielführend ist, Begründungselemente in Übereinstimmung mit Parallelakten verwendet hat, hat es sich auch detailliert mit den Umständen des konkreten Falls auseinandergesetzt. Ob die rechtliche Beurteilung inhaltlich richtig ist, ist im Rahmen der Rechtsrüge zu prüfen. Ebenfalls der Rechtsrüge zuzuordnen sind auch die vom Beklagten behaupteten sekundären Verfahrensmängel.
[18] 3. Die Revision wendet sich gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die Vorverlegung der Auszählung der Briefwahlstimmen rechtswidrig gewesen sei. Diese Vorverlegung sei auf einem bindenden Beschluss der Bezirkswahlbehörde zurückzuführen, die auch an der Auszählung mitgewirkt habe, wodurch die Stimmabgabe zweifelsfrei dokumentiert und eine nachvollziehbare Zuordnung der Stimmen sichergestellt gewesen sei.
[19] 4. Nach Art 141 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anfechtung der Wahl des Bundespräsidenten. Im Rahmen einer solchen Prüfung hat er die Vorgangsweise der Wahlkartenauszählung im Stimmbezirk des Beklagten als rechtswidrig erkannt und davon ausgehend und im Zusammenhang mit anderen rechtswidrigen Vorgängen der Wahlanfechtung stattgegeben. Dass die in der Entscheidung dargelegte Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofs in der Lehre teilweise auf Kritik gestoßen ist (etwa Wiederin,Das Erkenntnis über die Stichwahl zum Bundespräsidenten: Eine verfassungsrechtliche Nachlese, in Jahrbuch Öffentliches Recht 2017, 9), ändert nichts daran, dass die Rechtswidrigkeit einzelner Wahlvorgänge und der Wahl insgesamt damit feststeht.
[20] Da die Klägerin aus dieser Rechtswidrigkeit der Wahl eine Haftung des Beklagten nach dem OrgHG ableitet, ist zu prüfen, ob dem Beklagten in diesem Zusammenhang ein haftungsbegründendes Verhalten zur Last zu legen ist.
[21] 5. Nach § 1 Abs 1 OrgHG haften Personen, die als Organe (ua) einer Gebietskörperschaft handeln, nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen, den sie dem Rechtsträger, als dessen Organ sie gehandelt haben, in Vollziehung der Gesetze durch ein schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten unmittelbar zugefügt haben.
[22] Nach § 1 Abs 2 OrgHG sind Organe im Sinn dieses Gesetzes alle physischen Personen, wenn sie in Vollziehung der Gesetze (Gerichtsbarkeit oder Hoheitsverwaltung) handeln, gleichviel ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt sind, ob sie gewählte, ernannte oder sonst wie bestellte Organe sind und ob ihr Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist.
[23] 6. Unstrittig ist der Beklagte im Rahmen seiner Funktion als Wahlleiter‑Stellvertreter als Organ der Beklagten im funktionellen Sinn in Vollziehung der Gesetze tätig geworden. Vor Beurteilung, ob ihm ein rechtswidriges Verhalten anzulasten ist, sind zunächst die relevanten rechtlichen Bestimmungen darzustellen, wie sie auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis dargestellt hat (vgl W I 6/2016, Rz 181 ff) sowie die allgemein vom Verfassungsgerichtshof vertretenen Grundsätze im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Wahlen:
[24] Das BPräsWG sieht hinsichtlich der Wahlbehörden die sinngemäße Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der NRWO vor (§ 2 BPräsWG). Die Bezirkswahlbehörde besteht gemäß § 10 Abs 2 NRWO – soweit hier von Interesse – aus dem Bezirkshauptmann oder einem von ihm zu bestellenden ständigen Vertreter als Vorsitzendem und Bezirkswahlleiter sowie aus neun Beisitzern. Der Bezirkswahlleiter hat gemäß § 10 Abs 3 NRWO für den Fall seiner vorübergehenden Verhinderung mehrere Stellvertreter zu bestellen und die Reihenfolge zu bestimmen, in der diese zu seiner Vertretung berufen sind.
[25] Gemäß § 17 Abs 1 NRWO ist die Wahlbehörde beschlussfähig, wenn der Vorsitzende oder sein Stellvertreter und wenigstens die Hälfte der gemäß § 15 NRWO bestellten Beisitzer anwesend sind. Zur Fassung eines gültigen Beschlusses ist Stimmenmehrheit erforderlich. Der Vorsitzende stimmt nicht mit, bei Stimmengleichheit gilt jedoch die Anschauung als zum Beschluss erhoben, der er beitritt (§ 17 Abs 2 NRWO). Ersatzbeisitzer werden nach Abs 3 bei Beschlussfähigkeit und bei der Abstimmung nur dann berücksichtigt, wenn ihre zugehörigen Beisitzer an der Ausübung ihres Amtes verhindert sind.
[26] Nach § 18 Abs 3 NRWO kann der Wahlleiter unaufschiebbare Amtshandlungen selbständig vornehmen, zu deren Vornahme ihn die Wahlbehörde ausdrücklich ermächtigt hat.
[27] Bereits in früheren Erkenntnissen hat der Verfassungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass ganz allgemein jene Regelungen der Wahlordnung, die die Durchführung des Wahlverfahrens kollegialen Verwaltungsbehörden übertragen und der monokratischen Aufgabenbesorgung, insbesondere durch den Wahlleiter, enge Grenzen setzen, auch dazu dienen, Missbräuchen und Manipulationen im Wahlverfahren entgegenzuwirken (ua VfGH W I 4/98, W I 10/98). Im vorliegenden Erkenntnis vom 1. 7. 2016 verwies der Verfassungsgerichtshof zusätzlich darauf, dass die Zusammensetzung der Wahlbehörden, deren stimmberechtigte Beisitzer durch die von Wahlen betroffenen politischen Parteien nominiert werden, die Objektivität dieser Behörden verbürgen. Bei Tätigkeiten, die mit der Auszählung der Stimmen in unmittelbarem Zusammenhang stehen, dienen sie letztlich dazu, die Transparenz der Ermittlung des Wahlergebnisses sicherzustellen, eine gegenseitige Kontrolle zu gewährleisten und die Möglichkeit von Manipulationen zu verhindern. Im Hinblick darauf, dass die Durchführung des Wahlverfahrens grundsätzlich den Wahlbehörden als Kollegium vorbehalten ist, ist die – gesetzlich nur in engen Grenzen zulässige – Ermächtigung zur selbständigen Durchführung von Amtshandlungen durch den Wahlleiter restriktiv zu interpretieren (VfGH W I 6/2016 RZ 182).
[28] Die Beschlussfähigkeit der Wahlbehörde setzt eine ordnungsgemäße Einberufung voraus, was bedeutet, dass die Beisitzer und die Ersatzbeisitzer der Wahlbehörde über den Ort, die Zeit und den Gegenstand der vorzunehmenden Amtshandlung rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden. Eine selbständige Vornahme von Amtshandlungen durch den Wahlleiter gemäß § 18 Abs 1 NRWO kommt nur dann in Betracht, wenn die Beisitzer und Ersatzbeisitzer ordnungsgemäß einberufen worden sind. Auch dann darf der Wahlleiter die Amtshandlung nur unter der Voraussetzung selbständig durchführen, dass die Dringlichkeit der Amtshandlung einen Aufschub nicht zulässt. Darunter sind jedoch keinesfalls solche Amtshandlungen zu verstehen, deren Vornahme für einen gesetzlich ausdrücklich festgelegten – späteren – Zeitpunkt bestimmt ist (insbesondere § 14a Abs 1 BPräsWG, der die Vornahme der Amtshandlung der Bezirkswahlbehörde für den Tag nach der Wahl, 9:00 Uhr festlegt).
[29] § 7 Abs 1 NRWO regelt den Wirkungskreis der Wahlbehörden und der Wahlleiter. Demnach obliegt die Durchführung und Leitung der Wahl den Wahlbehörden. Die Wahlleiter haben die Geschäfte zu besorgen, die ihnen nach der NRWO zukommen. Sie haben auch die Sitzungen der Wahlbehörden vorzubereiten sowie die Beschlüsse der Wahlbehörden durchzuführen. Allerdings sieht im IV. Hauptstück „Abstimmungsverfahren“ § 62 Abs 2 NRWO auch vor, dass der Wahlleiter für die Beobachtung der Bestimmungen der NRWO Sorge zu tragen und Überschreitungen des Wirkungskreises der Wahlbehörden nicht zuzulassen hat. Der „Wirkungskreis“ erfasst sowohl den sachlichen als auch den örtlichen Zuständigkeitsbereich. Nach Neisser/Handstanger/Schick (Das Bundeswahlrecht, 331) hat der Wahlleiter auch dagegen Stellung zu nehmen, dass eine Wahlbehörde einen außerhalb ihres Wirkungsbereichs gelegenen Beschluss fasst, und wird gegebenenfalls Anordnungen nach § 62 Abs 3 NRWO zu erlassen haben, um einen derartigen mangelhaften Beschluss zu verhindern. Auch wenn sich diese Regelung im Abschnitt über die „Wahlhandlung im Inland“ findet, sieht die Bestimmung allgemein vor, dass der Wahlleiter für die Beachtung des Gesetzes Sorge zu tragen hat, ohne dies auf den unmittelbaren Wahlvorgang einzuschränken. Es entspricht der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, wie bereits dargelegt, dass die Wahlbehörden durch die Formalvorschriften der Wahlordnungen streng gebunden sind, dass die Bestimmungen der Wahlordnungen strikt nach ihrem Wortlaut ausgelegt werden müssen, dass daher ein Raum für Ermessensentscheidungen der Wahlbehörden nicht gegeben ist und nicht gegeben sein darf. Dieser Standpunkt ist nach VfSlg 1904 beispielsweise maßgebend für die Abgrenzung des aktiven und des passiven Wahlrechts, für die Einbringung der Wahlvorschläge, für die formale Gestaltung des Abstimmungs‑ und des Ermittlungsverfahrens und die Beurteilung der Gültigkeit der abgegebenen Stimmzettel. Davon ausgehend und unter Berücksichtigung, dass die NRWO den Wahlleiter als in der Regel mit den Wahlvorschriften vertrauten Beamten nicht nur als Vollzugsorgan für die Beschlüsse der Wahlbehörde definiert, sondern als deren Vorsitzenden mit Dirimierungsrecht, dem auch die Vorbereitung der Beschlüsse übertragen ist, ist die Verpflichtung des Wahlleiters allfälliger Überschreitungen ihrer Befugnisse durch die Wahlbehörde entgegenzuwirken nicht als auf den Prozess der Stimmabgabe beschränkt anzusehen, sondern umfasst den gesamten Ablauf der Wahl und jedenfalls auch den – ebenfalls im IV. Hauptstück enthaltenen – Vorgang der Stimmauszählung und der Feststellung des Wahlergebnisses.
[30] 7. Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte als Stellvertreter am Wahlabend die Aufgabendes Wahlleiters wahrzunehmen. Dementsprechend war er auch Mitglied der Wahlbehörde, die in beschlussfähiger Anzahl erschienen war, wenn auch nicht stimmberechtigt. Geht man von dem vom Verfassungsgerichtshof seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt aus, den der Beklagte in erster Instanz nur unsubstantiiert bestritten hat, wurden auf seinen Vorschlag hin mit Zustimmung sämtlicher erschienenen Mitglieder der Wahlbehörde die Briefwahlstimmen entgegen § 14a BPräsWG bereits am Wahlabend und nicht am darauffolgenden Tag ausgezählt. Selbst wenn man diese offenbar formlos getroffene Entscheidung über eine vorzeitige Auszählung als formellen Beschluss der Wahlbehörde ansieht, hat der Beklagte durch seinen dem Gesetz widersprechenden Vorschlag an dieser Entscheidung initiativ mitgewirkt.
[31] Aber auch wenn man von einer Entscheidung der Wahlbehörde ohne Beteiligung des Beklagten ausgeht, wofür – wie ausgeführt – ein konkretes Sachverhaltsvorbringen des Beklagten fehlt, wäre es nach § 62 NRWO seine Aufgabe gewesen, diese Überschreitung der Befugnisse der Wahlbehörde zu verhindern. Es liegt, wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung wiederholt betonte, nicht in der Befugnis der Wahlbehörde, mit Beschluss eine Änderung des in § 14a BPräsWG vorgesehenen Ablaufs des Auszählens der Wahlkartenstimmen anzuordnen, jedenfalls nicht, wenn dadurch die Möglichkeit der Beteiligung einzelner oder aller Mitglieder der Wahlbehörde beeinträchtigt wird.
[32] Dem Beklagten ist daher zur Last zu legen, dass er dievorverlegte Auszählung initiiert hat, jedenfalls aber, dass er die übrigen Mitglieder der Wahlbehörde nicht auf deren Rechtswidrigkeit hingewiesen hat und keine Schritte unternommen hat, um eine rechtswidrige Auszählung zu verhindern.
[33] 8. Richtig ist zwar, dass im Gegensatz zu anderen Wahlkreisen die Auszählung im Stimmbezirk des Beklagten nicht durch den Bezirkswahlleiter allein, sondern grundsätzlich in der im Gesetz vorgesehenen Weise durch Beiziehung der Bezirkswahlbehörde erfolgte. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Auszählung aber dennoch als rechtswidrig angesehen, weil damit den beiden nicht erschienenen Mitgliedern der Wahlbehörde die Möglichkeit genommen wurde, an der Auszählung, die nach der Ladung erst für den nächsten Tag vorgesehen war, teilzunehmen. Selbst wenn man in diesem Zusammenhang den vom Beklagten behaupteten Sachverhalt zugrunde legt, dass diesen Ersatzmitgliedern bekannt war, dass üblicherweise die Briefwahlstimmen am Wahltag ausgezählt werden und sie ohnehin mitgeteilt hatten, am nächsten Tag nicht zu einer Auszählung zu erscheinen, ändert dies nichts an der Rechtswidrigkeit des konkreten Vorgangs.
[34] Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, dass vor dem Hintergrund der aus dem demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung abzuleitenden notwendigen Eindeutigkeit wahlrechtlicher Regelungen Formalvorschriften der Wahlordnungen strikt nach ihrem Wortlaut auszulegen sind, damit nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Die Wahlbehörden sind durch die Formalvorschriften der Wahlordnung streng gebunden (VfGH W I 2/2020, W I 3/2020).
[35] Insbesondere lässt das Gesetz die Entnahme von Stimmzetteln aus den Wahlkuverts, Zählungen sowie sonstige Überprüfungen der Stimmzettel nur unter ständiger gegenseitiger Kontrolle der Mitglieder der Wahlbehörde zu (vgl § 14a BPräsWG). Jede anderweitige Manipulation mit den Stimmzetteln widerspricht der strengen Regelung des Gesetzes (vgl VfGH W I 2/64). Eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ist immer schon dann gegeben, wenn das Wahlverfahren einen mit der Anordnung des Gesetzes nicht übereinstimmenden Verlauf genommen hat (VfGH W I 2/70).
[36] Im vorliegenden Fall war die Auszählung der Briefwahlstimmen nach den Ladungen der Mitglieder der Wahlbehörde für den Montag nach der Wahl vorgesehen. Objektiv wurde daher durch die Vorverlegung der Auszählung auf den Wahltag den nicht anwesenden Mitgliedern der Wahlbehörde die Möglichkeit genommen, an dieser Auszählung teilzunehmen. Dass diese Mitglieder der Wahlbehörde allenfalls zu der Auszählung am Montag ohnehin nicht erschienen wären (sei es entschuldigt oder unentschuldigt) sowie der Umstand, dass sie aufgrund der üblichen Gepflogenheiten von einer Auszählung schon am Wahltag ausgegangen sind, ändert nichts daran, dass die Vorschriften, die eine Teilnahme am Auszählungsvorgang ermöglichen sollten, formell nicht eingehalten wurden und damit die Stimmauszählung rechtswidrig erfolgte. Ebenso wenig könnte das Unterlassen der Ladung der Mitglieder der Wahlbehörde damit gerechtfertigt werden, dass diese ohnehin nicht erschienen wären. Die Bestimmungen, die die Rechtmäßigkeit der Wahl sichern und Manipulationen und Missbrauch verhindern sollen, stehen weder zur Disposition des Wahlleiters noch der Wahlbehörde, und es kann ihre Verletzung nicht damit gerechtfertigt werden, dass bei ihrer Einhaltung die Wahl keinen anderen Verlauf genommen hätte und kein anderes Ergebnis erbracht hätte.
[37] Die Vorverlegung der Auszählung war, wie sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs ergibt, daher rechtswidrig und ist dies auch auf ein rechtswidriges Verhalten des Beklagten zurückzuführen.
[38] 9. Nach § 4 OrgHG haften, wenn sich der Ersatzanspruch auf eine von einem Kollegialorgan beschlossene Entscheidung oder Verfügung gründet, nur die Stimmführer, die für diese Entscheidung oder Verfügung gestimmt haben. Beruht jedoch die Entscheidung oder Verfügung auf einer unvollständigen oder unrichtigen Darstellung des Sachverhalts durch den Berichterstatter, so haften auch die Stimmführer, die dafür gestimmt haben, nicht, es sei denn, sie hätten die pflichtgemäße Sorgfalt grob fahrlässig außer acht gelassen.
[39] Richtig verweist die Revision in diesem Zusammenhang zwar darauf, dass dem Beklagten bei einer Beschlussfassung durch die Wahlbehörde kein Stimmrecht zukommt, der Wahlleiter hat nur ein Dirimierungsrecht. Allerdings bezieht sich § 4 OrgHG nur auf Ersatzansprüche, die aus dem Beschluss selbst resultieren. Selbst wenn man die Vorverlegung der Auszählung als Beschluss der Wahlbehörde ansieht, kann das den Beklagten im konkreten Fall nicht entlasten. Der Vorwurf gegen ihngründet sich, wie ausgeführt, nicht auf die rechtswidrige Beschlussfassung, sondern auf die Vernachlässigung seiner Pflicht als Wahlleiter, für die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zu sorgen, auf die Initiierung eines rechtswidrigen Beschlusses, das Unterlassen der Belehrung über die Rechtswidrigkeit der geplanten Vorgangsweise und das Nichtverhindern der Vollziehung des rechtswidrigen Beschlusses. Darüber hinaus schließt § 4 OrgHG (entsprechend § 3 Abs 3 AHG) nicht aus, dass unter bestimmten Voraussetzungen sogar jene Mitglieder des Kollegialorgans, die gegen eine Entscheidung gestimmt haben, zur Haftung herangezogen werden können, dies kann sich etwa aus einer unvollständigen oder unrichtigen Darstellung des Sachverhalts durch eben jene Mitglieder ergeben oder aber auch daraus, dass auf die Unvertretbarkeit einer Rechtsauffassung nicht hingewiesen wurde (vgl Lang in Holoubek/Lang, Organhaftung und Staatshaftung in Steuersachen, 173 f mwN).
[40] 10. Die Revision macht weiters geltend, dass die Vermögensschäden der Klägerin nicht vom Schutzzweck der Wahlgesetze umfasst sind.
[41] Der Schutzzweck der verletzten Norm (Rechtswidrigkeitszusammenhang) stellt ein selbständiges Abgrenzungskriterium der Schadenersatzhaftung neben der Rechtswidrigkeit und der Kausalität dar. Sowohl der Geschädigte als auch die Art des Schadens und die Form seiner Entstehung müssen vom Schutzzweck erfasst sein (RS0027553 [T18]). Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens ist daher nur für jene verursachten Schäden zu haften, die vom Schutzzweck erfasst werden, wenn die Norm zumindest auch derartige Schäden verhindern wollte.
[42] Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, dass Wahlrechtsbestimmungen, wie insbesondere der die Auszählung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen regelnde § 14a BPräsWG insgesamt dem Ziel dienen, die Stimmabgabe zweifelsfrei zu dokumentieren und damit verbundene Unklarheiten möglichst zu beseitigen sowie eine nachvollziehbare Zuordnung der Stimmen zu den einzelnen Wahlparteien bzw Kandidaten und die Überprüfbarkeit des Wahlverfahrens, wie insbesondere auch anlässlich einer Wahlanfechtung, sicherzustellen. Ziel der Einhaltung dieser Bestimmungen sind der Schutz und die Sicherung des Wählerwillens und die Umsetzung der Wahlgrundsätze der freien und geheimen Wahl. Ein Schutz etwa politischer Parteien (oder anderer Spender) im Hinblick auf für die von ihnen unterstützten Wahlwerber aufgewendeten Kosten ist daraus nicht abzuleiten (1 Ob 212/19m).
[43] Der Beklagte übersieht jedoch in seiner Argumentation, dass er nach dem OrgHG in Anspruch genommen wird. Gegenstand der Organhaftung ist das Einstehenmüssen für Schäden, die dem Rechtsträger durch die Verletzung der Dienstpflichten des Organs entstanden sind. Des Schutzzwecks der Norm bedeutet im Zusammenhang mit der Organhaftung, dass Sinn der verletzten Norm gewesen ist, die Schädigung jener öffentlichen Interessen zu vermeiden, die das Organ für den Rechtsträger in seinem Zuständigkeitsbereich zu schützen hat (Kucsko‑Stadlmayer in Holoubek/Lang, Organhaftung und Staatshaftung in Steuersachen 378). Richtig hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es Aufgabe des Beklagten als Wahlleiter‑Stellvertreter und damit als funktionell für die Klägerin tätiges Organ war, für die Einhaltung der Wahlrechtsbestimmungen, darunter auch § 14a BPräsWG zu sorgen. Da er diese Pflichten im zuvor aufgezeigten Sinn nicht erfüllt hat, ist dem Rechtsträger, für den er tätig wurde, ein unmittelbarer Schaden dadurch entstanden, dass die Wahl wiederholt werden musste. Dementsprechend ist auch der Schutzzweck der Norm zu bejahen.
[44] 11. Der Beklagte kann sich auch nicht auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten berufen. Bei der Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens geht es darum, ob ein rechtswidrig handelnder Täter selbst dann für seinen verursachten Schaden zu haften hat, wenn er denselben Nachteil durch ein rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt hätte. Der Beweis dafür obliegt dem Schädiger. Im Fall des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens ist dem hypothetischen Kausalverlauf ein sonst gesetzeskonformes Verhalten des Schädigers zugrunde zu legen (RS0111706 [T1, T8]).
[45] Nach der Argumentation des Beklagten wäre dann, wenn die Auszählung nicht am Wahlabend erfolgt wäre, am nächsten Tag (unter seiner Leitung) ohne Beiziehung der nicht ordnungsgemäß geladenen (keine Angabe von Ort und Zeit in der Ladung), nicht erschienenen Wahlbehörde und damit rechtswidrig ausgezählt worden, was ebenfalls zu einer Aufhebung der Wahl durch den Verfassungsgerichtshof hätte führen müssen. Dabei übergeht der Beklagte, dass er bei einem rechtmäßigen Verhalten eine Auszählung der Briefwahlstimmen nur in Anwesenheit der Mitglieder der Bezirkswahlbehörde bzw in deren Abwesenheit nur aufgrund einer ordnungsgemäßen Ladung hätte durchführen dürfen. Dass es aber nicht möglich gewesen wäre, die Mitglieder der Bezirkswahlbehörde trotz einer nicht ordnungsgemäßen Ladung zu verständigen und zu einer entsprechenden Sitzung (allenfalls nach 9:00 Uhr am Tag nach der Wahl) einzuberufen und erst dann mit der Auszählung zu beginnen, lässt sich allein aus dem Umstand, dass die Mitglieder der Wahlbehörde teilweise am nächsten Tag entschuldigt waren, nicht ableiten.
[46] Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Auszählung der Briefwahlstimmen auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten im Stimmbezirk des Beklagten vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig angesehen worden wären. Dementsprechend muss auch die Frage, ob in der konkreten Konstellation der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens gegenüber dem Handeln des Bezirkswahlleiters überhaupt zulässig ist, nicht weiter geprüft werden.
[47] 12. Können mehrere Ereignisse (Ursachen) für sich genommen den Schaden nur durch ihr Zusammenwirken herbeiführen, spricht man von summierten Einwirkungen (RS0123611, vgl auch RS0010538). Entscheidend für die Annahme summierter Einwirkungen ist, dass sie von verschiedenen Schädigern ausgehen, wobei jede für sich allein noch nicht den eingetretenen Schaden eines Dritten bewirkt hätte und erst deren Zusammenwirken zu einem bestimmten Gesamtschaden führt. Lassen sich die jeweiligen Anteile am Gesamtschaden nicht bestimmen, kommt es in sinngemäßer Anwendung des § 1302 ABGB zu einer solidarischen Haftung aller Verursacher, weil jeder von ihnen eine conditio sine qua non für den Gesamtschaden gesetzt hat (1 Ob 258/11i).
[48] Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs ist einer Wahlanfechtung nicht schon dann stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen wurde, sie muss darüber hinaus auch auf das Wahlergebnis von Einfluss gewesen sein. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung bereits erfüllt, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte (VfGH W I 6/2016, Rz 495 mwN).
[49] Zwischen den Kandidaten im zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl lag nach der Auszählung der Stimmen ein Stimmunterschied von 30.863 Stimmen vor. Die Wahlbezirke, bei denen der Verfassungsgerichtshof Rechtswidrigkeiten feststellte, ergaben Unregelmäßigkeiten bei mehr als 77.769 Stimmen. Im Wahlbezirk des Beklagten waren davon 6.794 Stimmen betroffen. Unter Berücksichtigung der insgesamt festgestellten Rechtswidrigkeiten ging der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass diese auch von Einfluss auf das Wahlergebnis sein konnten. Sie waren daher gemeinsam ursächlich für die Wahlwiederholung im Sinn summierter Einwirkungen.
[50] Zusätzlich sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass auch die Weitergabe der sogenannten „Rohdaten“ durch die Bundeswahlbehörde vor Wahlschluss – angesichts des knappen Wahlausgangs und der nachweislich österreichweiten Verbreitung der vorab veröffentlichten Wahlergebnisse – auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte (VfGH W I 6/2016, 531).
[51] Der Beklagte geht davon aus, dass die Bundeswahlbehörde daher den gesamten Schaden alleine verursacht habe. Die Weitergabe von Wahlergebnissen vor Auszählung der Briefwahlstimmen an unbefugte Dritte allein hätte auch allein zu einer Aufhebung geführt. Es liege daher eine überholende Kausalität vor.
[52] Tatsächlich handelt es sich dabei aber nicht um einen Fall der überholenden, sondern der kumulativen Kausalität. Der Eintritt des Schadens war die Aufhebung der Bundespräsidentenwahl durch den Verfassungsgerichtshof. Diese wäre sowohl aufgrund der Unrechtmäßigkeiten in den einzelnen Wahlbezirken als auch aufgrund der Weitergabe der Daten durch die Bundeswahlbehörde erfolgt. Auch wenn die Weitergabe der Daten durch die Bundeswahlbehörde zeitlich vor den Unregelmäßigkeiten der Bezirkswahlbehörden erfolgte, war dadurch der Schaden noch nicht eingetreten. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Verfassungsgerichtshof eine Wahl nur im Umfang des Anfechtungsvorbringens prüft. Der Anfechtungswerber hat im vorliegenden Fall sowohl die Fehler der Bezirkswahlbehörden als auch der Bundeswahlbehörde geltend gemacht, beide waren aber für sich allein geeignet, zur Aufhebung der Wahl zu führen.
[53] Zur Annahme der kumulativen Kausalität ist nicht zwingend gleichzeitiges Handeln der Täter erforderlich, die Tathandlungen können auch zeitlich gestreckt nacheinander erfolgen, solange dadurch ein einheitlicher Schaden herbeigeführt wird (RS0026610 [T2]). Bei kumulativer Kausalität haften die Schädiger solidarisch (RS0107081; RS0022729).
[54] Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Anteile am Gesamtschaden bestimmbar sind und mit der Anzahl der vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig ausgezählten Stimmen gleichgesetzt werden können. Vielmehr haben sämtliche rechtswidrig ausgezählte Stimmen zusammen den Gesamtschaden verursacht. Von diesem Gesamtschaden kann nicht ein bestimmter Anteil einem bestimmten Wahlbezirk zugerechnet werden. Damit ist aber von einer Solidarhaftung auszugehen, nicht von einer Anteilshaftung.
[55] 13. Nach dem OrgHG liegt Verschulden nach allgemeinen Regeln bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln vor. Dabei kommt dem Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB besondere Bedeutung zu, weil die Tätigkeit der Organe öffentlicher Rechtsträger im Allgemeinen eine besondere Ausbildung, besondere Fähigkeiten, ein besonderes Maß an Verantwortung oder besondere Erfahrung erfordert (Mader in Schwimann/Kodek, ABGB4 VII, OrgHG § 1, Rz 11 mwN). Da eine Haftung auch für fahrlässiges Verhalten besteht, kommt es auf den in der Revision geforderten Vorwurf eines zumindest bedingten Schädigungsvorsatzes nicht an.
[56] Der Beklagte hatte als Wahlleiter‑Stellvertreter die Aufgabe eines Wahlleiters wahrzunehmen. Als solcher war er nicht nur Teil der Bezirkswahlbehörde, sondern übte auch deren Vorsitz aus und war ihm die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Wahlvorgangs übertragen. Dazu lag ihm ein Leitfaden des Bundesministeriums für Inneres vor. Aus diesem ergibt sich unter Punkt 20, wann und wie die Auswertung der Briefwahl zu erfolgen hat. Dass von diesen Vorgaben abgewichen werden kann, lässt sich dagegen daraus nicht ableiten. Richtig hat das Berufungsgericht auch darauf verwiesen, dass bei Unklarheiten die Möglichkeit bestanden hätte, Informationen einzuholen und die Rechtslage abzuklären. Darauf, ob die überwiegende Zahl der Wahlbehörden die Wahl ordnungsgemäß durchgeführt hat, kommt es letztlich nicht an. Auch aus der Revision ergibt sich nicht, wieso dem Beklagten die Einhaltung der vorgegebenen Formalitäten, Auszählung der Wahlkartenstimmen am Tag nach der Wahl in Anwesenheit der Wahlkommission, nicht möglich gewesen wäre. Insgesamt ist daher das Verhalten des Beklagten vom Berufungsgericht zu Recht als fahrlässig beurteilt worden.
[57] Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Wahlvorschriften für die Sicherung des Grundsatzes der geheimen Wahl und der besonderen Verantwortung des Wahlleiters für deren Einhaltung kann dabei auch nicht von einer bloß entschuldbaren Fehlleistung ausgegangen werden.
[58] Andererseits ist im Hinblick darauf, dass das Vorgehen des Beklagten vom Bemühen getragen war, eine rasche Auszählung der Wahlstimmen und damit eine rasche Feststellung des Wahlergebnisses zu ermöglichen, ihm die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht bewusst war, die Entscheidung der vorgezogenen Auszählung von den anwesenden Mitgliedern der Wahlkommission mitgetragen war, die auch bei der Auszählung anwesend waren, und dem in der Gemeinde üblichen Vorgehen entsprach sowie dem Umstand, dass der eingetretene Schaden nicht durch den Beklagten allein verursacht wurde, sondern erst aufgrund des Zusammenwirkens einer Vielzahl voneinander unabhängig handelnder Personen entstanden ist, von einer nur leichten Fahrlässigkeit auszugehen.
[59] 14. Zusammenfassend sind sämtliche Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem OrgHG erfüllt. Inwieweit eine Mäßigung iSd § 3 OrgHG zu erfolgen hat, wird im fortgesetzten Verfahren, in dem der entstandene Schaden und allfällige Mäßigungsgründe festzustellen sein werden, zu prüfen.
[60] Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
[61] 15. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
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