European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00103.21K.0622.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der Zweitbeklagte verabreichte der Klägerin eine Injektion. Aufgrund des Verfahrens zu 12 Cg 35/97g des Landesgerichts Innsbruck steht fest, dass er der Klägerin für alle künftigen Schäden aus „dem Vorfall vom 11. 5. 1996“ haftet. Ihr wurde sowohl in diesem als auch in einem weiteren (Vor‑)Prozess (41 Cg 147/09z des Landesgerichts Innsbruck, in letzterem für „ab April 2001 bis April 2010 erlittene Schmerzen“) Schmerzengeld zugesprochen. Der (weitere) Zuspruch im zweiten Vorprozess erfolgte, weil „eine derartige prolongierte depressive Symptomatik zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens 12 Cg 35/97d nicht absehbar war“.
[2] Das Erstgericht ging nach Einholung eines Sachverständigengutachtens (und gegründet darauf) im nunmehrigen Verfahren davon aus, dass die zukünftige weitere Entwicklung der depressiven Symptomatik der Klägerin (auch) im zweiten Vorprozess nicht abgeschätzt werden konnte und die von ihr von April 2010 bis inklusive August 2017 erlittenen seelischen Schmerzen vom „Kalkül“ des Sachverständigen „nicht umfasst“ gewesen waren. Es seien bei Bemessung des Schmerzengeldes mit jenem Urteil nur in der Vergangenheit liegende Schmerzperioden berücksichtigt worden. Auf dieser Basis verpflichtete es den Zweitbeklagten zur Zahlung von (weiteren) 9.876 EUR sA an Schmerzengeld als Ersatz für von der Klägerin seit April 2010 erlittene und zukünftig (im Ausmaß von einer Stunde pro Woche) zu erwartende seelische Schmerzen.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und erklärte die Revision für zulässig.
[4] Die vom Zweitbeklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene und von der Klägerin beantwortete Revision ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird. Dies bedarf nur einer kurzen Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO):
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Das Berufungsgericht schloss sich der Ansicht des Erstgerichts an, dass es sich bei dem im zweiten Vorprozess (im Folgenden kurz nur mehr „Vorprozess“) „erfolgten Schmerzengeldzuspruch nur um einen Teilschmerzengeldbetrag für die Zeiträume April 2001 bis April 2010 gehandelt“ habe, hielt aber eine andere Auslegung des im zweiten Vorprozess ergangenen Urteils (im Sinne einer bereits damals erfolgten Globalbemessung) für möglich.
[6] Fragen der Auslegung der in einer gerichtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellungen sowie des Sinngehalts und der Reichweite einer Entscheidung sind aber von den Umständen des Einzelfalls geprägt und entziehen sich im Allgemeinen generellen Aussagen. Ihnen kann daher keine Bedeutung als erhebliche Rechtsfrage zukommen, es sei denn, es läge eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung vor (RIS‑Justiz RS0118891 [T4, T5]), was hier nicht der Fall ist.
[7] Das Berufungsgericht stützte sich für seine Auslegung auf die Ausführungen des Sachverständigen im Vorprozess (dieser habe in seinem Gutachten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zwar „mit einiger Wahrscheinlichkeit von einer zukünftigen ähnlichen bzw gleichbleibenden Situation auszugehen ist, diesbezüglich allerdings Nachuntersuchungen samt Dokumentation der Behandlungen durchzuführen wären“) und die darauf folgende Einschränkung des Schmerzengeldbegehrens durch die Klägerin. Wenn in jenem Urteil der Zuspruch von 5.400 EUR (und die Abweisung eines Mehrbegehrens von 3.600 EUR) auf Basis von Feststellungen darüber, dass die Klägerin im Zeitraum zwischen April 2001 und April 2010 an 54 Tagen leichte Schmerzen erdulden musste, erfolgte, kann der Zweitbeklagte mit dem Vorhalt der „Ermangelung ausdrücklicher Feststellungen hinsichtlich noch nicht absehbarer zu erwartender Schmerzen“ keine Bedenken gegen die Auslegung des Berufungsgerichts, es seien damals nur die im genannten Zeitraum erlittenen Schmerzen abgegolten worden, wecken.
[8] 2. Der Revisionswerber argumentiert ausschließlich auf Basis österreichischen Rechts und zeigt dazu keine erhebliche Rechtsfrage auf. Schmerzengeld soll eine einmalige Abfindung für alles Ungemach des Geschädigten sein (RS0031307; RS0031191). Es hat daher grundsätzlich – soweit möglich – eine Globalbemessung zu erfolgen, in die auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende Folgen miteinzubeziehen sind (zuletzt 2 Ob 11/21p mwN). Dadurch soll insbesondere verhindert werden, dass der Haftpflichtige ständig neuen Forderungen ausgesetzt ist, obwohl die Verletzungsfolgen schon im ersten Prozess hinreichend überschaubar waren (2 Ob 60/20t mwN).
[9] Eine Globalbemessung kann dagegen nicht vorgenommen werden, wenn die Folgen einer Schädigung noch nicht voraussehbar sind (RS0031082) oder wenn das Ausmaß der Schmerzen nicht so weit abgeschätzt werden kann, dass eine Gesamtbeurteilung möglich ist (RS0031082 [T3, T4]). Ob Globalbemessung oder Teilbemessung vorzunehmen ist, hängt nicht davon ab, ob der Geschädigte dies im Vorprozess ausdrücklich begehrt hat, sondern davon, ob die Folgen der Körperbeschädigung (damals) schon voraussehbar und abschätzbar waren oder nicht (vgl RS0031082 [T1, T5]; vgl auch RS0031307 [T6]), ob also die Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (im Vorprozess) noch gar nicht oder nicht endgültig überschaubar erschienen oder der Kläger (im Rahmen des Folgeprozesses wegen ergänzender Teilbemessung) nachweisen kann, dass ihm – gegenüber dem Vorprozess und einer dort vorgenommenen Globalbemessung – weitere, aus der damaligen Sicht nicht abschätzbare Schmerzbeeinträchtigungen entstanden sind (2 Ob 240/10y; 2 Ob 59/17s je mwN).
[10] 3. Dem Zweitbeklagten ist zwar darin Recht zu geben, dass – weil Globalbemessung die Regel und Teilbemessung nur ausnahmsweise zulässig ist – der Geschädigte die für ihn günstigerer Tatsachen des Vorliegens der Voraussetzungen für eine ergänzende Teilbemessung behaupten und beweisen muss (vgl 2 Ob 240/10y mwN). Dass die Frage der Zulässigkeit einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung nicht im früheren, sondern – nach den maßgeblichen Kriterien – im Folgeprozess zu beurteilen ist, hat der Oberste Gerichtshof aber bereits klargestellt (RS0031235 [T4, vgl auch T7], sowie 3 Ob 28/15m „gegenüber dem Vorprozess“). In den Ausführungen des Revisionswerbers zum Fehlen von Vorbringen der Klägerin im Vorprozess (und Feststellungen im Urteil des Vorprozesses dazu) kann daher keine erhebliche Rechtsfrage liegen.
[11] 4. Das Berufungsgericht legte die zu Pkt 2. dargestellten Leitlinien des Höchstgerichts seiner Entscheidung zu Grunde. Die Frage, ob eine Globalbemessung im Vorprozess möglich war, ist ebenso wie die Voraussehbarkeit künftiger Schäden eine nach den Gegebenheiten des Einzelfalls zu lösende und verwirklicht grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage (3 Ob 28/15m mwN). Wenn das Berufungsgericht im hier zu beurteilenden „Folgeprozess“ in Übereinstimmung mit dem Erstgericht und aufgrund der ebenfalls wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen im Vorprozess davon ausging, dass für die Klägerin damals noch „nicht mit der für eine Pauschalgeltendmachung von Schmerzengeld erforderlichen Sicherheit“ ersichtlich gewesen war, dass auch zukünftig mit krankheitswertigen unfallkausalen (psychischen) Beeinträchtigungen zu rechnen sein werde, bedarf dies keiner Korrektur im Einzelfall. Anders als der Zweitbeklagte behauptet, kann ein bloßes Ansprechen von zukünftigen seelischen Folgen (durch den Sachverständigen im Vorprozess) für sich nicht belegen, dass damals „Schmerzen und Ungemach für die Zukunft“ (in ihrem Ausmaß) schon „abschätzbar“ waren und daher eine Globalbemessung möglich gewesen wäre.
[12] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Für ein nicht zulässiges Rechtsmittel steht Kostenersatz nicht zu. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung bloß die Beurteilung des Berufungsgerichts als richtig verteidigt, ohne darzulegen, dass (oder warum) das Rechtsmittel der Beklagten nicht zulässig ist. Die Rechtsmittelbeantwortung kann daher nicht als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme angesehen werden.
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