OGH 6Ob66/21f

OGH6Ob66/21f12.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Mag. Roland Schöndorfer, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Nichtigerklärung einer Ehe, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 19. Jänner 2021, GZ 23 R 443/20z‑33, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 3. November 2020, GZ 3 C 10/20p‑25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132015

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige, der Beklagte türkischer Staatsangehöriger. Die am 23. 2. 2012 in Deutschland geschlossene (Erst‑)Ehe des Beklagten mit einer anderen Frau wurde am 16. 10. 2015 in Deutschland geschieden. Einen Antrag auf Anerkennung des deutschen Scheidungsbeschlusses brachte der Beklagte in der Türkei am 8. 1. 2016 ein, die Trauung mit der Klägerin erfolgte am 13. 2. 2016 in Österreich. Erst am 22. 9. 2016 (rechtskräftig am 21. 12. 2016) wurde die (deutsche) Scheidung des Beklagten (in der Türkei) anerkannt; mit Rechtskraft der Anerkennungsentscheidung wurde der Familienstand des Beklagten im türkischen Personenstandsregister geändert.

[2] In ihrer Ehenichtigkeitsklage argumentiert die Klägerin, es liege eine Doppelehe vor, weil der Beklagte im Zeitpunkt der Eheschließung am 13. 2. 2016 nach türkischem Recht noch als verheiratet galt.

[3] Das Erstgericht gab der Nichtigkeitsklage statt und sprach die Nichtigkeit der zwischen den Streitteilen am 13. 2. 2016 geschlossenen Ehe aus. Die Ehevoraussetzungen des beklagten Ehemanns, der türkischer Staatsangehöriger ist, seien nach dessen Personalstatut zu beurteilen. Auch nach türkischem Recht sei eine Doppelehe mit Nichtigkeit bedroht. Da die Scheidung des Beklagten in Deutschland am 15. 10. 2015 zum Zeitpunkt der zweiten Trauung in der Türkei (noch) nicht anerkannt war, liege eine Doppelehe vor.

[4] Das Berufungsgericht schloss sich im Wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts an. Voraussetzung für die Gültigkeit einer ausländischen Entscheidung über eine Ehescheidung in der Türkei sei deren Anerkennung; eine Rückwirkung der Anerkennung auf den Zeitpunkt der Entscheidung im Ursprungsstaat sei der türkischen Rechtsordnung nicht zu entnehmen. Die Heilung einer Nichtigkeit wegen Doppelehe komme somit nicht in Betracht.

[5] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Rechtsprechung zur Frage des Zeitpunkts der Wirksamkeit „österreichischer“ Scheidungen für den türkischen Rechtsbereich vorliege. Aufgrund der großen Zahl an in Österreich lebenden türkischen Staatsangehörigen handle es sich um eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[7] 1. Aufgrund des Auslandsbezugs ist das österreichische IPRG anzuwenden, wonach die Prüfung der persönlichen Ehevoraussetzungen gemäß § 17 Abs 1 IPRG nach dem Personalstatut der Verlobten, somit hinsichtlich des Beklagten nach türkischem Recht, zu erfolgen hat. Für das Vorliegen der Ehevoraussetzungen ist der Zeitpunkt der Eheschließung relevant (vgl § 24 EheG).

[8] 2. Das ausländische Recht ist im Inland so anzuwenden, wie es im betreffenden Ausland angewendet wird, das heißt so, wie es dem herrschenden ausländischen Gerichtsgebrauch entspricht, unter Heranziehung der herrschenden ausländischen Lehre sowie der im betreffenden Ausland geltenden Auslegungsregeln und allgemeinen Rechtsgrundsätzen (RS0009223). Bei Widersprüchlichkeit, also Fehlen einer in der ausländischen Rechtsprechung herrschenden Auffassung hat das österreichische Gericht selbständig an die Auslegung des ausländischen Gesetzes zu schreiten (6 Ob 549/77; 1 Ob 770/81).

[9] 3. Das Erstgericht hat bereits die hier relevanten Bestimmungen des türkischen 3. Zivilgesetzbuchs Nr 4721 zitiert. Demnach hat derjenige, der erneut eine Ehe schließen möchte, die Beendigung der vorangegangenen Ehe zu beweisen. War ein Ehegatte im Zeitpunkt der Trauung verheiratet, ist die Ehe nichtig. Die Nichtigerklärung der zweiten Ehe ist ausgeschlossen, wenn die erste Ehe vor der zweiten Trauung beendet und der zweite Ehegatte guten Glaubens war. Es ist somit nicht in Zweifel zu ziehen, dass auch nach türkischem Recht eine erneute Trauung nicht möglich ist, wenn einer der Ehegatten noch verheiratet ist.

[10] Der Beklagte meint dazu, dass am 13. 2. 2016 eine gültige Ehe zu seiner ersten Ehefrau nicht bestanden habe, sei er doch in Deutschland bereits rechtskräftig geschieden gewesen und habe die Anerkennung der Scheidung in der Türkei auf diesen Zeitpunkt zurückgewirkt. Dem kann allerdings nicht gefolgt werden:

[11] 3.1. Die Art 50 ff des türkischen 2. Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Nr 5718 sehen die Voraussetzungen und das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Urteilen vor. Erst mit ihrer Anerkennung erlangen diese Wirkung für den türkischen Rechtsbereich (BayObLG FamRZ 2003, 310; Gökyayla/Odendahl, Die Neuregelung der Registrierung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen in der Türkei, StAZ 10/2019, 289; Kilic in Süß/Ring [Hrsg], Eherecht in Europa, Türkei Rz 95 f [Stand 2021]).

[12] Zwar trifft dabei die Auffassung des Beklagten zu, dass eine Anerkennung keine eigenständige Entscheidung in der Sache ist, sondern lediglich einer ausländischen Entscheidung auch für den inländischen Bereich Maßgeblichkeit verleiht. Dies vermag jedoch nichts an der Tatsache zu ändern, dass die Anerkennung nach türkischem Recht eine Wirksamkeitsvoraussetzung des ausländischen Urteils darstellt.

[13] 3.2. Art 59 des türkischen 2. Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Nr 5718 lautet übersetzt: „Ein ausländisches Urteil erwächst in materielle Rechtskraft oder hat Strengbeweiswirkung in dem Augenblick, in welchem es formell rechtskräftig wird.“

[14] Das Berufungsgericht vertrat dazu zwar die Auffassung, Art 59 lasse auf eine Rückwirkung der Anerkennungsentscheidung schließen, würde man beim zweiten Halbsatz davon ausgehen, dass die formelle Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung gemeint sei. Allerdings gelangte das Berufungsgericht in der Folge mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit einer „faktischen Rückwirkung“, weil „sich zeitliche Vorgänge eben nicht umkehren lassen“ würden, im Ergebnis zum Ausschluss einer Rückwirkung.

[15] Tatsächlich war eine ipso‑iure‑Geltung oder inzidente Anerkennung ausländischer Entscheidungen in der Türkei in der Regel ausgeschlossen. Erst 2018 trat eine Neuregelung in Kraft, nach der frühere Eheleute einvernehmlich ausländische Entscheidungen in Ehesachen im Personenstandsregister eintragen lassen können; nach einer weiteren Neuregelung 2020 erfolgt dies auch auf einseitigen Antrag eines früheren Ehegatten, wenn der andere Teil verstorben oder Ausländer ist (Rumpf/Odendahl in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei S 29).

[16] 3.3. Daraus folgt, dass zum Zeitpunkt der zweiten Eheschließung des Beklagten vor den genannten Neuregelungen eine ausländische Entscheidung erst mit der Anerkennung ihre Wirksamkeit für den türkischen Rechtsbereich entfalten sollte. Eine Eintragung, konkret die Änderung des Familienstandes, erforderte demnach die Anerkennung der ausländischen Entscheidung durch türkische Gerichte. Erst nach rechtskräftiger Anerkennung wurde, wie es auch im hier vorliegenden Fall erfolgte, das Personenstandsregister angepasst. Bis zu diesem Zeitpunkt galt der Beklagte in der Türkei als verheiratet. Eine Wiederverheiratung wäre vor türkischen Behörden nicht möglich gewesen, aber auch die Wiederverheiratung vor ausländischen Behörden war grundsätzlich ausgeschlossen, was auch die Verweigerung der Ausstellung eines Ehefähigkeitszeugnisses durch die türkischen Behörden im vorliegenden Fall zeigt.

[17] Dies alles spricht dafür, der Anerkennung keine rückwirkende Geltung in der Türkei zuzusprechen. Die Überlegung des Berufungsgerichts, dass die Zeit „nicht umkehrbar“, eine Heirat daher erst nach der tatsächlichen Anerkennung möglich sei und dies nicht rückwirkend gelten könne, erscheint durchaus nachvollziehbar. Dass dem Ehefähigkeitszeugnis – wie vom Beklagten ausgeführt – nur deklarative Wirkung zukommt, trifft zwar zu, vermag aber an dieser Rechtslage nichts zu ändern.

[18] 3.4. Der erkennende Senat verkennt nicht, dass sich ein Teil der Literatur für eine Rückwirkung der Anerkennungsentscheidung ausgesprochen haben. Gökyayla/Odendahl (StAZ 10/2019, 289) führen dazu aus, der „Registrierungsbeschluss wird in das Familienregister eingetragen, welches Teil des Personenstandsregisters ist. Damit wird die Ehe aus türkischer Sicht als beendet angesehen, es besteht jetzt die Möglichkeit der Wiederverheiratung ohne Verstoß gegen das Verbot der Doppelehe. Die Wirkungserstreckung wirkt allerdings auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der registrierten ausländischen Entscheidung zurück. Hier orientiert sich Art 10 Abs 2 der VO an Art 59 Abs 1 des (neuen) IPR‑Gesetzes“. Auch nach Kaman Kaplan (in Rieck [Hrsg], Ausländisches Familienrecht, Türkei S 47 [Stand November 2015]) erfolgte die „Rechtskraft bei Anerkennung [...] gemäß Art 59 IPRG rückwirkend zum Zeitpunkt der Rechtskraft des ausländischen Urteils“.In beiden Beiträgen sind jedoch keine weiteren Belege aus Literatur oder Rechtsprechung angeführt.

[19] 3.5. Der Beklagte hat sich im Verfahren mehrfach darauf berufen, dass die deutsche Scheidungsentscheidung in Österreich ex lege anerkannt werde. Tatsächlich ordnet Art 21 Abs 1 Brüssel IIa‑VO an, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, ohne dass es hiefür eines besonderen Verfahrens bedarf. Allerdings entspricht es herrschender Ansicht (4 Ob 88/18x; 4 Ob 230/18d; Rassi in Fasching/Konecny V/22 Art 21 EuEheKindVO Rz 63; Garber in Gitschthaler, Internationales Familienrecht Art 21 Brüssel IIa‑VO 16–18 – beide mit weiteren Nachweisen), dass von der automatischen Anerkennung Gestaltungs‑, Bindungs- und Präklusionswirkung umfasst sind, nicht aber (auch) die Tatbestandswirkung. Von einer solchen Tatbestandswirkung spricht man dann, wenn ein Urteil als juristische Tatsache die Grundlage für den geltend gemachten Anspruch bildet, sei es für die Bildung neuer Privatrechtsansprüche, sei es für deren Änderung oder deren Erlöschen (zuletzt etwa 7 Ob 125/18k; 4 Ob 230/18d). Es handelt sich bei dieser Wirkung des Urteils (in Abgrenzung zu den anderen Urteilswirkungen) gleichsam um eine Nebenwirkung (auch Reflexwirkung) der Entscheidung (4 Ob 151/15g; 4 Ob 230/18d; Klicka in Fasching/Konecny 3 § 411 ZPO Rz 169). Während die materielle Rechtskraft rein prozessual jede Neuaufrollung des bereits entschiedenen Anspruchs zwischen den gleichen Parteien ausschließt, tritt eine Tatbestandswirkung nur in dem Umfang ein, den das materielle Recht in Ansehung des neu strittigen Anspruchs festsetzt (RS0041374). Die Tatbestandswirkung zählt wie die Gestaltungswirkung deshalb zu den materiell‑rechtlichen Urteilswirkungen, weil mit der Existenz des Urteils eine Änderung der Rechtslage verbunden ist (konstitutive Wirkung; 4 Ob 151/15g; 4 Ob 230/18d). Da im vorliegenden Fall im Hinblick auf § 17 Abs 1 IPRG Voraussetzung für eine (weitere) Eheschließung des Beklagten das Vorliegen einer rechtskräftigen und in der Türkei mittels eigener Entscheidung anerkannten (ausländischen) Ehescheidungsentscheidung gewesen wäre, ist aus Art 21 Abs 1 Brüssel IIa‑VO für den Rechtsstandpunkt des Beklagten nichts zu gewinnen.

[20] 4.1. Das Erstgericht stützte seine Entscheidung auf den Rechtssatz RS0056142. Danach setzt § 24 EheG nur voraus, dass die erste Ehe zur Zeit der zweiten Eheschließung noch aufrecht bestanden hat; eine spätere Scheidung dieser Ehe ist belanglos. Nach Auffassung des Berufungsgerichts passen jedoch die dazu ergangenen Entscheidungen nicht zum hier vorliegenden Problem.

[21] 4.2. Zu 5 Ob 297/70 wurde ausgesprochen, dass eine nachträgliche Scheidung der Erstehe nichts an der Nichtigkeit der Zweitehe ändert. Das ist auch nicht weiter strittig. Im vorliegenden Fall hatte jedoch bereits eine in Deutschland rechtskräftige Scheidung stattgefunden. Der Unterschied liegt also darin, dass hier nur die Anerkennung im Heimatland fehlte, nicht auch die Scheidung an sich.

[22] 4.3. Die Entscheidung 4 Ob 163/18a betraf den Fall, dass nach dem Personalstatut der dort Beklagten die Wirksamkeit einer Scheidung nicht mit der Entscheidung darüber (im Heimatstaat) eintrat, sondern erst mit der Eintragung in ein Register. Es handelte sich somit nicht um den Fall einer Anerkennung, sondern um einen solchen der Verschiebung des Wirksamkeitseintritts, der auch Scheidungen, die im Inland vollzogen wurden, betrifft. In diesem Fall sprach der Oberste Gerichtshof aus, ein allfälliges Fortfallen des Ehehindernisses zufolge Art 3.41 litauisches ZGB 2000 ändere nichts an der nach dem insofern strengeren österreichischen Recht bereits eingetretenen Nichtigkeit der Ehe; § 24 EheG setze nur voraus, dass die erste Ehe zur Zeit der zweiten Eheschließung noch aufrecht bestanden hat.

[23] 4.4. Geht man im vorliegenden Fall davon aus, dass eine ausländische Entscheidung auf Auflösung einer Ehe in der Türkei erst mit der Anerkennung Wirksamkeit erlangt, führt die Voraussetzung der Anerkennung auch zu einer Verschiebung des Zeitpunkts des Eintritts der Wirksamkeit der Auflösungsentscheidung, weshalb der Beklagte bei Eheschließung am 13. 2. 2016 als verheiratet galt und damit eine nichtige Doppelehe vorlag.

[24] 5. Nach der in § 17 Abs 2 IPRG vorgesehenen Ausnahmeregelung liegt kein Ehenichtigkeitsgrund vor, wenn die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung vom Heimatstaat verweigert wird. Dazu meint Verschraegen, dass nach Abs 2 dem Schutz der inländischen Rechtskraftwirkung der Vorzug gegeben werde gegenüber einer internationalen Entscheidungsharmonie mit dem Personalstatut, was zu hinkenden Ehen führe. Abs 2 sei als Ausnahmevorschrift zu betrachten und sollte restriktiv ausgelegt werden. Störungen des internationalen Entscheidungseinklangs sollten möglichst in Grenzen gehalten werden. Abs 2 dürfe für Ausländer kein Freibrief werden, auf eine mögliche Anerkennung auswärtiger Ehelösungen in ihrem Heimatstaat zu verzichten. Deshalb solle diese Ausnahme nur für jene Fälle gelten, in denen das fremde Personalstatut die Anerkennung der auswärtigen Lösung einer Vorehe verweigere, nicht auch für jene, in denen eine mögliche Anerkennung mangels erforderlicher Antragstellung nicht stattgefunden habe oder in denen ein laufendes Anerkennungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Eine erst nach Schließung der neuen Ehe vom Personalstatut erfolgte Anerkennung der Vorehelösung solle dafür in jedem Falle zur Heilung des Ehehindernisses einschließlich allfälliger Folgen führen, selbst wenn das verletzte Personalstatut dies nicht vorsehe (Verschraegen in Rummel ABGB3 § 17 IPRG Rz 4 [Stand 1. 1. 2004, rdb.at]).

[25] Dies erscheint allerdings widersprüchlich, soll doch § 17 Abs 2 IPRG nur für Ausnahmefälle zur Anwendung gelangen und nicht etwa auch für jene Fälle, in denen ein laufendes Anerkennungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, wobei andererseits eine Heilung solcher Fälle „in jedem Fall“ eintreten soll.

[26] 6.1. Über die Folgen der Verletzung materieller Ehevoraussetzungen entscheidet das „verletzte“ Recht, also jenes Personalstatut, dessen Vorschriften nicht eingehalten wurden (Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts 205). Bei Verletzung zweier Personalstatuten ist zunächst zu prüfen, welche Sanktionen wirksam werden. Hängt die Sanktion der beiden Statuten von der Geltendmachung ab, so entscheidet zunächst das zeitliche Zuvorkommen. Werden abweichende Rechtsfolgen beider Personalstatuten gleichzeitig ausgelöst, so gilt der Grundsatz „des ärgeren Rechtes“ (RS0077156).

[27] 6.2. Verletzt sind im vorliegenden Fall sowohl das österreichische als auch das türkische Recht. Wie eingangs festgehalten, sieht das türkische Recht eine Möglichkeit der Heilung der Ehenichtigkeit vor, wenn die Erstehe getrennt ist und der andere Ehegatte guten Glaubens war. Dem österreichischen Recht ist jedoch eine Heilungsmöglichkeit bei Doppelehe fremd (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR § 24 EheG Rz 5; Koch in KBB6 § 24 EheG Rz 2; 4 Ob 163/18a), weshalb die Sanktion nach österreichischem Recht als dem „ärgeren“ Recht zu beurteilen ist. § 24 EheG setzt eben nur voraus, dass die erste Ehe zur Zeit der zweiten Eheschließung noch aufrecht bestanden hat; eine spätere Scheidung dieser Ehe ist belanglos (RS0056142). Die Heilung einer nichtigen Ehe wegen Verstoß gegen § 8 EheG ist bisher von der Rechtsprechung nicht angenommen worden. Zuletzt lehnte die Entscheidung 4 Ob 163/18a (wenn auch ohne nähere Begründung) eine derartige Möglichkeit ausdrücklich ab.

[28] 6.3. Ein Teil der Literatur geht zwar davon aus, dass eine Heilung dann eintreten könne, wenn die Erstehe für nichtig erklärt wird (vgl Stabentheiner in Rummel ABGB3 § 24 EheG Rz 3 [Stand 1. 1. 2002, rdb.at]; Höllwerth aaO § 8 EheG Rz 16; Verschraegen aaO). Dafür wird der Grundsatz des favor matrimonii sowie die Überlegung ins Treffen geführt, dass die Nichtigkeit einer Ehe ex-tunc wirkt und dass eine nichtige Ehe ihrerseits nicht zur Nichtigkeit einer weiteren (späteren) Ehe führen könne. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

[29] 7.1. Soweit die Revision rügt, dass gemäß § 24 4. DVEheG eine Entscheidung des BMJ einzuholen gewesen sei, wenn die Entscheidung in einem Ehenichtigkeitsprozess von der Anerkennung ausländischer Entscheidungen im Inland abhängt, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Bestimmung bereits mit dem KindRÄG 2001 (BGBl I 2000/135) ersatzlos aufgehoben wurde.

[30] 7.2. Der weiteren Ansicht der Revision, das vom Erstgericht zur Feststellung erhobene Schreiben und damit die Rechtsansicht eines türkischen Rechtsanwalts sollte zumindest mittelbare Geltung haben, woraus sich die Rückwirkung der türkischen Anerkennungsentscheidung ergebe, ist ebenfalls nicht zu folgen. Dabei handelt es sich um keine taugliche Rechtserkenntnisquelle iSd § 4 IPRG. Selbstverständlich kann der zuständige Richter von der Rechtsansicht eines anwaltlichen Vertreters abweichen; insoweit gilt bei ausländischem Recht nichts anderes als bei inländischem Recht.

[31] 7.3. Auf die Ausführungen der Revision zu § 100 AußStrG ist nicht weiter einzugehen, weil diese Norm im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung gelangt.

[32] 8. Damit erweisen sich aber die Entscheidungen der Vorinstanzen als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.

[33] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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