European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140NS00037.21H.0510.000
Spruch:
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.
Gründe:
[1] Mit beim Landesgericht Wels eingebrachter Anklageschrift vom 1. März 2021 (ON 3) legt die Staatsanwaltschaft Wels ***** R***** als einem Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 12 dritter Fall StGB (1) und mehreren Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (2) subsumierte Taten zur Last.
[2] Die Akten wurden vom Vorsitzenden wegen Bedenken gegen die Zuständigkeit des Landesgerichts Wels gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz StPO dem Oberlandesgericht Linz (ON 1 S 41) und von diesem – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Gründe – nach § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vorgelegt, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei (ON 7).
[3] Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[4] Gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im (hier vorliegenden) Fall gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).
[5] Nach dieser Gesetzessystematik normiert der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO eine Ausnahme zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung (RIS‑Justiz RS0124935).
[6] Vorausgeschickt wird, dass Bezugspunkt der Prüfung örtlicher und sachlicher Zuständigkeit zwar der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand (Sachverhalt) ist, für das Gericht allerdings hinsichtlich der örtlichen und zeitlichen Angaben ebenso wenig Bindung an die Anklageschrift besteht wie bei der rechtlichen Beurteilung. Vielmehr hat es sich an der Aktenlage zu orientieren (RIS‑Justiz RS0131309).
[7] Da die § 223 Abs 2 StGB subsumierten Taten (2) bloß in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallen, bleiben sie für die weitere Prüfung außer Betracht (vgl jüngst 14 Ns 78/20m; 13 Ns 94/20g).
[8] Von den zu einer Subsumtionseinheit zusammengefassten Betrugstaten (1) begründet vorliegend keine für sich die Zuständigkeit des Schöffengerichts (vgl § 31 Abs 3 Z 6a StPO). Weiters fällt – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – (auch bei isolierter Betrachtung) keine dieser Taten in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts. Denn die Staatsanwaltschaft stützt die Annahme der Gewerbsmäßigkeitsqualifikation knapp (ohne nähere Ausführungen in der Begründung [§ 211 Abs 2 zweiter Satz StPO]) auf „§ 70 Abs 1 Z 3 StGB“ (ON 3 S 1). Zwei (für sich gesehen) schadensqualifizierte Betrugshandlungen (1/1 und 1/2) gingen den als Betrug mit einem 5.000 Euro nicht übersteigenden Schaden beurteilten Taten (1/4 bis 6; vgl zu I/5: ON 358 und ON 2 S 3 in ON 8 in ON 68 in ON 2, wonach die Tat – entgegen der offenkundig auf einem Schreibfehler beruhenden Datumsangabe im Anklagetenor [ON 3 S 2] – am 26. November 2018 begangen wurde) voraus, weshalb bei diesen die objektive Voraussetzung nach § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB erfüllt ist. Unter der Prämisse tatbestandsmäßiger Absicht ist demnach – Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO) begründende – Gewerbsmäßigkeit (bei isolierter Betrachtung der Anklagepunkte 1/4 bis 6) nach § 148 erster Fall StGB (vgl zum Begriff „solche Taten“ RIS‑Justiz RS0130965) aus den Verfahrensergebnissen ableitbar. Aus den Akten (ON 2 S 17 und 35 sowie ON 4 S 5 [jeweils] in ON 8 in ON 68 in ON 2) ergibt sich zum Anklagepunkt 1/5 überdies ein – bei der Subsumtion in der Anklage nicht berücksichtigter – Verdacht, der Angeklagte habe diese Tat mittels Inserats im Internet unter Verwendung einer falschen Identität begangen und solcherart die Qualifikation nach § 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall StGB verwirklicht (vgl RIS‑Justiz RS0122091 [insbes T2]; Kirchbacher/Sadoghi in WK 2 StGB § 147 Rz 28/26).
[9] Demnach kommt jede einzelne der zu Punkt 1 angeklagten Straftaten für die Zuständigkeitsanknüpfung nach § 36 Abs 3 erster Satz StPO (Ort der [versuchten] Tatausführung) in Frage (RIS-Justiz RS0127231).
[10] Von diesen Taten wurde (nach Anklage und Aktenlage) keine im Sprengel jenes Gerichts begangen (vgl RIS‑Justiz RS0133476), bei dem die anklagende Staatsanwaltschaft (vgl 14 Ns 60/15g) ihren Sitz hat, weshalb Zuständigkeitsbegründung nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO hier ausscheidet.
[11] Es gibt daher nach § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO die Zuständigkeit für die früheste Straftat den Ausschlag (11 Ns 14/20b; RIS‑Justiz RS0131445; Oshidari , WK‑StPO § 37 Rz 5/1; Nordmeyer , ebd. § 26 Rz 8/1). Dies ist die zu Punkt 1/1 angeklagte Tat, welche der Angeklagte als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB [vgl dazu 14 Ns 41/14m; Nordmeyer , WK‑StPO § 25 Rz 1]) in Wien ausgeführt haben soll (ON 3 S 1 und 5 iVm ON 28 S 59 ff in ON 2).
[12] Demnach war die Sache gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz letzter Halbsatz StPO – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das sie gemäß § 215 Abs 4 erster Satz StPO dem zuständigen Landesgericht für Strafsachen Wien zuzuweisen haben wird (RIS-Justiz RS0124585 [insbes T2]).
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