European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131580
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.175,22 EUR (hierin enthalten 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin wurde vom beklagten Rechtsanwalt bei ihrer (einvernehmlichen) Scheidung und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegenüber ihrem ehemaligen Gatten vertreten.
[2] Die Klägerin begehrt Schadenersatz für fehlerhafte Exekutionsführungen durch den Beklagten. Es sei ihm unter anderem vorzuwerfen, dass er hinsichtlich des laufenden Unterhalts keinen Exekutionsantrag gestellt habe. Wegen der verabsäumten Exekutionsschritte seien ihr Unterhaltszahlungen entgangen.
[3] Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass der Klägerin kein Schaden entstanden sei und er die notwendigen Anträge im Exekutionsverfahren immer ohne Verzug gestellt habe.
[4] Die Vorinstanzen gaben dem Leistungsbegehren statt. Es sei unvertretbar, dass der Beklagte bei einem Exekutionsantrag ohne Rücksprache mit der Klägerin für diese nur den rückständigen Unterhalt, nicht aber den laufenden Unterhalt betrieben habe. Damit seien der Klägerin Zahlungen in Höhe des eingeklagten Betrags entgangen.
[5] Das Berufungsgericht ließ die Revision nach § 508 ZPO nachträglich zur Frage zu, ob ein mit der Exekutionsführung bevollmächtigter Rechtsanwalt ohne Rücksicht auf dabei entstehende Kosten bei nicht bestehender Rechtsschutzdeckung und ohne ausdrücklichen Auftrag verpflichtet sei, neben dem rückständigen auch den laufenden Unterhalt geltend zu machen.
[6] Die vom Beklagten erhobene (und von der Klägerin beantwortete) Revision ist – ungeachtet des berufungsgerichtlichen Zulassungsausspruchs – in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und somit zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[7] 1.1 Der Beklagte rügt als Verfahrensmangel den Umstand, dass das Einkommen des Unterhaltsschuldners nach § 273 ZPO geschätzt worden sei. Sei die Anwendbarkeit des § 273 ZPO zu Unrecht bejaht worden, müsse dies mit Mängelrüge bekämpft werden.
[8] 1.2 Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor. Bereits das Erstgericht hat das Einkommen in Anwendung des § 273 ZPO geschätzt, was vom Berufungsgericht nicht beanstandet wurde. Wegen des Umstands, dass das Berufungsgericht die Anwendung des § 273 ZPO billigte, ist im Revisionsverfahren eine nochmalige Überprüfung der behaupteten erstgerichtlichen Mangelhaftigkeit nicht möglich (RIS‑Justiz RS0040364 [T3, T7]).
[9] 2. Auch das vom Beklagten im Rahmen seiner Rechtsrüge (vgl RS0111576) bekämpfte Ergebnis der nach § 273 ZPO erfolgten Betragsfestsetzung zum Einkommen des Unterhaltsschuldners wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Vorinstanzen haben bei der Betragsermittlung an die für die Jahre 2011 bis 2017 dokumentierten Einkünfte des zum Teil als Musiker unselbständig tätigen Unterhaltsschuldners angeknüpft und sind von weiteren Einkünften von monatlich 1.000 EUR ausgegangen. Das Berufungsgericht argumentierte dabei mit der Bandbreite der an den Schuldner zur Auszahlung gelangten Honorare und den festgestellten Auftrittsmöglichkeiten. Auf diese Argumente geht das Rechtsmittel nicht ein. Die Revision beschränkt sich vielmehr auf die knappe Behauptung, dass der Betrag willkürlich festgesetzt worden sei und sich dazu aus den Urteilen der Vorinstanzen keine Überlegungen entnehmen ließen. Diese aktenwidrigen Ausführungen können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. Entsprechendes gilt für den in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf eines Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Hier übersieht der Beklagte, dass es sich um eine Frage der rechtlichen Beurteilung (und nicht um eine Tatfrage) handelt.
[10] 3.1 Die Anforderungen an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts und ob diese eingehalten werden, erfüllen regelmäßig Fragen des Einzelfalls, sodass schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RS0023526 [T16]; RS0112203 [T10]).
[11] 3.2.1 Dem hält die Revision eine frühere Entscheidungslinie zum Lauterkeitsrecht entgegen (RS0042710). Demnach kann eine erhebliche Rechtsfrage auch dann vorliegen, wenn zu einem unbestimmten Gesetzesbegriff des Wettbewerbsrechts zwar bereits allgemeine, durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelte Leitsätze bestehen, die konkrete Lösung des zu entscheidenden Falls sich aber daraus noch nicht ohne weiteres ergibt, sondern mangels Vorliegens von Vorentscheidungen mit weitgehend gleichartigen Sachverhalten ein sorgfältiger Vergleich mit den bisher entschiedenen, nur ähnlichen Fällen vorzunehmen ist.
[12] 3.2.2 Diese Rechtsprechung ist zum einen für die Beurteilung von Fragen der Anwaltshaftung (Sorgfaltsmaßstab, Verschulden) nicht einschlägig. Zudem wurde diese Judikatur vom Senat bereits aufgegeben (RS0042710 [T9]: „müsste doch der Oberste Gerichtshof sonst in jedem Einzelfall, dessen Sachverhalt von jenem bereits entschiedener Vergleichsfälle irgendwie abwiche, selbst dann die Sachentscheidung treffen, wenn diese ohnehin auf dem Boden höchstgerichtlicher Leitlinien ergehen kann“).
[13] 3.2.3 Damit führt auch im Anlassfall das vom Berufungsgericht zur Begründung der Zulässigkeit herangezogene Fehlen einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt nicht zum Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0122015; RS0102181), zumal die Kasuistik des Einzelfalls eine solche eher ausschließt (RS0042405).
[14] 3.3 Das Rechtsmittel zeigt auch nicht auf, dass hinsichtlich der Beurteilung zum Sorgfaltsverstoß eine unvertretbare bzw krasse Fehlentscheidung vorliegt, die eine Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung erforderlich macht.
[15] 3.3.1 Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten; diese Bestimmung ergänzt § 1009 ABGB, der den Gewalthaber verpflichtet, das ihm durch den Bevollmächtigungsvertrag aufgetragene Geschäft umsichtig und redlich zu besorgen. Daraus ergeben sich für den Anwalt eine Reihe von Pflichten, wie unter anderem Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten, die alle Ausprägung der Kardinalspflicht des Rechtsanwalts sind, nämlich der Pflicht zur Interessenswahrung und zur Rechtsbetreuung (RS0112203). Zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsanwalts, der eine Vertretung übernimmt, gehört die Belehrung des meist rechtsunkundigen Mandanten (vgl RS0038682). Ist fraglich, ob weitere Exekutionsschritte noch im Interesse des Auftraggebers liegen, hat der Rechtsanwalt dessen Zustimmung einzuholen (RS0038731). Sind die Weisungen des Mandanten widersprüchlich oder nicht genügend bestimmt, so muss er, außer bei Gefahr im Verzug, rückfragen (RS0038753 [T1]).
[16] 3.3.2 Der angefochtenen Entscheidung liegt die Rechtsansicht zugrunde, dass es der Beklagte schuldhaft unterlassen habe, mit der Klägerin abzuklären, ob der Exekutionsantrag auch hinsichtlich des laufenden Unterhalts eingebracht werden soll. Die Klägerin habe sich darauf verlassen können, dass der Beklagte von sich aus die notwendigen Schritte zur Einbringlichmachung der Forderung unternehmen werde.
[17] 3.3.3 Das Berufungsurteil hält sich damit im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung, zumal der Beklagte den laufenden Unterhalt in einem früheren Exekutionsantrag sehr wohl zum Gegenstand des von ihm eingebrachten Antrags machte und unklar blieb, wie weit der Auftrag der Klägerin reichte. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte bei der Klägerin (deshalb) rückfragen, sie auch über die seines Erachtens nach außer Verhältnis zu den Kosten stehenden Erfolgsaussichten aufklären und sodann zur Präzisierung ihrer hinsichtlich des Umfangs nicht eindeutig bestimmten Weisung auffordern hätte müssen, wird in der Revision nicht konkret bekämpft.
[18] Insoweit der Beklagte das Fehlen der Sorgfaltswidrigkeit darauf stützt, dass ihm die konkreten Einkommensverhältnisse des Unterhaltsschuldners nicht erkennbar gewesen seien, blendet er aus, dass die Vorinstanzen die Klagestattgebung auf die unterlassene Rücksprache mit der Klägerin gestützt haben und dabei von den oben aufgezeigten Grundsätzen der Judikatur nicht abgewichen sind.
[19] 4. Die Ausführungen zu § 290a Abs 1 Z 2 EO werfen ebenfalls keine Fragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf. Der Beklagte vermisst Feststellungen darüber, ob der Unterhaltsschuldner zumindest „halbbeschäftigt“ gewesen war, weil davon die Zulässigkeit der Pfändung des laufenden Unterhalts im Rahmen eines Exekutionsantrags für die Zukunft abhänge.
[20] 4.1 Abgesehen davon, dass der Klage keine „Pfändung des laufenden Unterhalts“ (sondern eine verabsäumte Exekutionsführung durch Pfändung eines Einkommens zur Deckung des laufenden Unterhalts) zugrunde liegt, findet die (erkennbare) Rechtsansicht des Beklagten, dass eine Exekutionsführung zur Hereinbringung des laufenden Unterhalts von zumindest einer Halbbeschäftigung des Verpflichteten abhängen soll, im insoweit klaren Wortlaut des § 290a EO nicht im Ansatz Deckung.
[21] 4.2 Auch aus dem Schrifttum ist eine solche Rechtsansicht nicht abzuleiten. Das dazu angeführte Zitat (Oberhammer in Angst/Oberhammer 3 § 290a EO Rz 3) betrifft (nur) die Frage, welche Leistungen mit Entgeltcharakter nur unter Vorbehalt des dem Verpflichteten verbleibenden Existenzminimums gepfändet werden können. Ist derartiges zu verneinen, kommen (zugunsten des Gläubigers) die Pfändungsbeschränkungen gar nicht zur Anwendung.
[22] 4.3 Aus § 290a EO ist damit die (gänzliche) Unzulässigkeit einer Forderungsexekution zur Hereinbringung des laufenden Unterhalts nicht ableitbar. Die Zulässigkeit einer Exekution auf zukünftige Unterhaltsforderungen richtet sich vielmehr nach § 291c Abs 1 Z 1 EO. Der geltend gemachte sekundäre Verfahrensmangel kann daher die Zulässigkeit der Revision nicht stützen.
[23] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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