OGH 2Ds2/21y

OGH2Ds2/21y15.4.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 15. April 2021 durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Senatspräsidenten Dr. Jensik und Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth sowie die Hofräte Mag. Lendl und Dr. Nordmeyer als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Csencsits als Schriftführerin im Disziplinarverfahren gegen den Richter des Bezirksgerichts ***** wegen Pflichtverletzung nach § 57 Abs 1 RStDG über die Berufung der Oberstaatsanwaltschaft Wien wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts Wien vom 4. Dezember 2020, GZ 134 Ds 3/19h‑21, nach mündlicher Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Mag. Bauer, des Beschuldigten und dessen Verteidigers Mag. Fetz zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020DS00002.21Y.0415.000

 

Spruch:

 

Der Berufung des Disziplinaranwalts wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Der Berufung des Disziplinaranwalts wegen Strafe wird Folge gegeben und eine Geldstrafe in Höhe von 50 % eines Monatsbezugs verhängt.

Der Beschuldigte hat die mit 300 Euro bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschuldigte eines Dienstvergehens (§ 101 Abs 1 RStDG) schuldig erkannt. Danach hat er im Zeitraum von ca Mitte 2018 bis ca Frühjahr 2020 in 28 näher bezeichneten Verfahren erhebliche Verzögerungen bewirkt und selbst einfache, lediglich einen geringen Zeitaufwand erfordernde Verfahrensschritte über einen längeren Zeitraum hinweg unterlassen, in fünf Verfahren prozessordnungswidrige und Parteienrechte beeinträchtigende Verfahrensschritte getätigt und in drei Verfahren ein unzulässiges Abstreichen verfügt. Er hat hiedurch gegen die in § 57 Abs 1 und 3 RStDG normierte Pflicht, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, die Pflichten seines Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen sowie sich im Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen seines Berufsstandes nicht gefährdet wird, verstoßen.

[2] Gemäß § 104 Abs 1 lit a RStDG wurde über den Beschuldigten die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt.

[3] Hingegen wurde der Beschuldigte vom weiteren Vorwurf freigesprochen, er habe auch dadurch gegen seine in § 57 Abs 1 und 3 RStDG normierten Pflichten verstoßen, dass er versucht habe, sich in einem näher bezeichneten Strafverfahren durch missbräuchliche Anzeige seiner Ausgeschlossenheit und nachfolgender missbräuchlicher Abtretung des Verfahrens wegen örtlicher Unzuständigkeit an ein anderes Bezirksgericht die Erledigung dieses Verfahrens zu ersparen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den freisprechenden Teil dieses Erkenntnisses und den Ausspruch über die Strafe richtet sich die Berufung der Oberstaatsanwaltschaft Wien, mit welcher der Disziplinaranwalt einen Schuldspruch auch im zweiten Faktum sowie die Verhängung einer tat- und schuldangemessenen Disziplinarstrafe begehrt.

[5] Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld:

[6] Das Vorliegen eines Dienstvergehens kann, worin dem Disziplinarankläger im Grundsatz zuzustimmen ist, auch aus einer Summierung von Handlungsweisen resultieren, die für sich allein noch kein disziplinäres Fehlverhalten begründen (vgl Ds 10/07). Den dem zweiten Faktum zugrundeliegenden Handlungen des Beschuldigten fehlt es allerdings – bei ausgewogener und mit Augenmaß vorgenommener Bewertung – gerade noch am Gewicht eines disziplinarrechtlich relevanten Verhaltens.

[7] Klarzustellen ist zunächst, dass das Disziplinargericht erster Instanz in tatsächlicher Hinsicht ohnehin davon ausgegangen ist, dass das beanstandete Verhalten des Beschuldigten auch vom Wunsch getragen war, sich die Bearbeitung des Aktes zu ersparen. Es trifft auch zu, dass die vom Beschuldigten zur Begründung seiner Ausgeschlossenheitsanzeige angegebenen Umstände letztlich nicht überzeugen können. Allerdings hat sich der Beschuldigte in seiner Anzeige nicht vorrangig auf seine subjektive Einschätzung zurückgezogen, sondern alle fraglichen Umstände sehr detailliert offengelegt, was eine umfassende Beurteilung durch die Vorsteherin des Bezirksgerichts erleichterte.

[8] Es mag nun für die Abtretung des Verfahrens wegen örtlicher Unzuständigkeit im damaligen Verfahrensstadium an einer haltbaren Begründung gefehlt haben. Allerdings hat bereits das Disziplinargericht erster Instanz zutreffend erkannt, dass in einer – wie im Anlassverfahren voraussehbar – komplexen Causa mit einem sehr hohen Schaden und zahlreichen Beschuldigten auch mit einer besonders nachdrücklichen, alle Facetten einschließenden Strafverteidigung gerechnet werden muss. Die frühzeitige Klärung einer allfälligen Ausgeschlossenheit und der Zuständigkeit war daher aus verfahrensökonomischer Sicht nicht nachteilig.

[9] Im Übrigen lässt der Disziplinaranwalt unberücksichtigt, dass mit dieser Verhaltensweise des Beschuldigten keine wirksam ins Gewicht fallenden Verzögerungen verbunden waren und der Beschuldigte das betreffende Verfahren letztlich rasch und besonders ressourcenschonend erledigt hat. Da es sich überdies um den offenbar ersten Vorfall dieser Art handelt, ist mit dem Disziplinargericht erster Instanz davon auszugehen, dass dieses Verhalten des Beschuldigten das Gewicht eines disziplinarrechtlich relevanten Verhaltens gerade noch nicht erreicht.

[10] Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe:

[11] Für die Strafbemessung sind die Art und Schwere der Pflichtverletzung maßgebend, wobei auch auf Erwägungen der Spezial‑ und Generalprävention Rücksicht zu nehmen ist (2 Ds 2/19w mwN).

[12] Als mildernde Umstände sind der bisher ordentliche Lebenswandel und die mit erheblichem Einsatz verfolgte rasche Aufarbeitung der Rückstände hervorzuheben.

[13] Ungeachtet der rechtlichen Zusammenfassung der Tathandlungen zu einem Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG sind die wiederholten Tathandlungen als erschwerend zu werten, weil sie das für eine Qualifikation zum Dienstvergehen erforderliche Ausmaß deutlich übersteigen (vgl Ds 26/13 und 2 Ds 2/19w je mwN). Dem Beschuldigten ist vorzuwerfen, dass die einzelnen von ihm zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen besonders lang andauerten und es darüber hinaus über einen langen Zeitraum (nahezu zwei Jahre) immer wieder zu diesen beträchtlichen Verzögerungen kam. Die Verfahrensverzögerungen betrafen ganz überwiegend Scheidungs- und Pflegschaftsverfahren, wobei der Beschuldigte mehrfach auch ganz einfache Verfahrensschritte, wie etwa die Zustellung von verfahrenseinleitenden Anträgen an die Gegenpartei, unterließ und dadurch Kontaktrechtsverfahren (zB 181 Ps 30/18m: sieben Monate kein Verfahrensschritt) und Verfahren über Obsorgeanträge (zB 183 Ps 17/17p: sechseinhalb Monate kein Verfahrensschritt) in einer für Parteien eines Pflegschaftsverfahrens besonders unzumutbaren Weise verzögerte. Bereits das Disziplinargericht erster Instanz hat zutreffend darauf verwiesen, dass Verzögerungen in Außerstreitverfahren, in denen über die Obsorge und/oder ein Kontaktrecht oder die Bestellung eines Erwachsenenvertreters zu entscheiden ist, das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtspflege in besonderem Maß beeinträchtigen. In Kontaktrechtsverfahren kommt dazu, dass eine straffe Verfahrensführung erforderlich ist, um eine Entfremdung des betroffenen Kindes zum antragstellenden Elternteil zu vermeiden.

[14] Es trifft auch nicht zu, dass die Verzögerungen ausschließlich den Zeitraum betrafen, in dem der Beschuldigte jenen umfangreichen Strafakt zu bearbeiten hatte, in dem seine Ausgeschlossenheitsanzeige erfolglos blieb und sein Versuch, das Verfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit abzutreten, scheiterte (vgl zB 118 Fam 43/17y [Beschlussausfertigung im Abstammungsverfahren mehr als ein Jahr nach Einlangen des Gutachtens], 185 P 32/18a, 182 Ps 34/18g, 183 Ps 17/17p). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte zwischen dem Anfall des Strafaktes im April 2019 und der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Zuständigkeit (September 2019) nur seine Ausgeschlossenheit anzeigte und einen Beschluss über die örtliche Unzuständigkeit fasste. Daher ist jedenfalls in diesem Zeitraum eine besondere Beanspruchung des Beschuldigten durch das Strafverfahren nicht erkennbar.

[15] Entgegen der Auffassung des Disziplinargerichts erster Instanz kann das „umfassende und reumütige Geständnis“ des Beschuldigten, das sich recht besehen im Zugeben von Tatsachen erschöpfte (vgl RIS-Justiz RS0091585), im Hinblick auf die von der Justizverwaltung minutiös aufgearbeiteten Sachverhaltsgrundlagen nicht als wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung gewertet werden (vgl 2 Ds 2/19w; 2 Ds 3/17y).

[16] Der bloße Ausspruch der Disziplinarstrafe des Verweises (§ 104 Abs 1 lit a RStDG) kommt im Hinblick auf das Gewicht der Taten, deren mehrfache Wiederholung und das Zusammentreffen mit dem dreimaligen unberechtigten Abstreichen in tatsächlich nicht endgültig erledigten Verfahren daher nicht in Betracht. Vielmehr erachtet der Oberste Gerichtshof – der Berufung des Disziplinaranwalts folgend – eine Geldstrafe für geboten, die Belangen der Spezial- und Generalprävention hinreichend gerecht wird.

[17] Gemäß § 104 Abs 1 lit b RStDG ist eine Geldstrafe in der Höhe von „bis zu fünf Monatsbezügen“ festzusetzen. Die Frage der ziffernmäßigen Berechnung der Strafe ist ein Rechenvorgang, der beim Vollzug der Geldstrafe erfolgt (vgl Ds 26/13; RIS-Justiz RS0129298; VwGH 2013/09/0001). Dem Wortlaut des § 104 Abs 1 lit b RStDG ist nicht zu entnehmen, dass die Geldstrafe nur in vollen Monatsbezügen, nicht aber mit einem Prozentsatz eines Monatsbezugs bemessen werden kann. Davon zu unterscheiden ist, dass die Festsetzung einer Geldstrafe mit einer Geldsumme nicht zulässig ist, weil dann nicht überprüfbar ist, wie vielen (Teilen von) Monatsbezügen diese Summe entspricht (vgl VwGH 2013/09/0001: gebotene Umschreibung einer Geldstrafe in Teilen von Monatsbezügen). Die Wendung „bis zu fünf Monatsbezügen“ ist also nur dahin zu verstehen, dass die Höhe der zu verhängenden Geldstrafe mit fünf Monatsbezügen begrenzt ist und in (Teilen von) Monatsbezügen auszudrücken ist.

[18] Unter Berücksichtigung der Vielzahl an unvertretbaren Verfahrensstillständen insbesondere in Pflegschaftsverfahren und der teilweise sehr langen Verfahrensverzögerungen ist trotz der bisherigen disziplinären Unbescholtenheit des Beschuldigten eine Geldstrafe in Höhe von 50 % eines Monatsbezugs tat- und schuldangemessen.

[19] Die Entscheidung nach § 137 Abs 2 iVm § 140 Abs 3 RStDG ist im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof und den Vermögensverhältnissen des Beschuldigten begründet.

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