OGH 13Os90/20i

OGH13Os90/20i26.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. März 2021 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Fürnkranz und Dr. Setz-Hummel LL.M. als weitere Richter in der Strafsache gegen H***** E***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 16. Juni 2020, GZ 22 Hv 46/15b‑99, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00090.20I.0326.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde H***** E***** zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (vgl US 8) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in S***** seine Lebensgefährtin El***** H***** (vormals M***** S*****) in zwei Angriffen zwischen Februar bis Ende April 2015 durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs genötigt, und zwar zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs (US 3), indem er äußerte, dass er sie umbringen werde, wenn sie nicht mit ihm schlafe.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 2, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 2) wendet sich gegen die Verlesung des Protokolls über die den Angeklagten belastende Aussage der Zeugin El***** H***** anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung (§ 151 Z 2 StPO) am 12. Oktober 2015 (ON 2 S 25 ff) in der Hauptverhandlung (ON 98 S 8), weil die Genannte als Angehörige (§ 72 Abs 2 StGB) nicht über ihre Befreiung von der Aussagepflicht (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) informiert wurde (§ 159 Abs 1, Abs 3 erster Satz StPO). Ein entsprechender Verzicht, nachdem die „vergessene“ Belehrung am 13. Oktober 2015 verspätet nachgeholt wurde, lasse keinen Schluss auf das Aussageverhalten der Zeugin im Fall ordnungsgemäßer Belehrung am Vortag zu.

[5] Wenngleich ein nichtigkeitsbegründender Verstoß gegen § 156 Abs 1 Z 1 StPO durch eine nachträgliche Verzichtserklärung nicht saniert werden kann, so kann er – aufgrund der Relativität des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 2 StPO (Abs 3 dieser Gesetzesstelle) – dann nicht erfolgreich geltend gemacht werden, wenn die Zeugin (wie hier) die gemäß § 159 Abs 3 erster Satz StPO nichtige Aussage im Anschluss an die nachgetragene Belehrung und Verzichtserklärung wiederholt oder aufrecht hält (vgl ON 4 S 6: „Ich bleibe bei meiner Aussage von gestern“ – RIS‑Justiz RS0106265 [T2]; Kirchbacher , WK‑StPO § 159 Rz 11).

[6] Soweit der Beschwerdeführer die Verlesung dieses Protokolls in der Hauptverhandlung mit der Begründung rügt, die Zeugin H***** sei, obwohl sie der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig gewesen sei, ohne Dolmetscher vernommen worden und die nur handschriftlich verfasste Niederschrift sei für die Zeugin nicht zu „entziffern“ gewesen, übersieht er, dass unter „nichtigen“ Vorgängen im Sinn des § 281 Abs 1 Z 2 StPO nur solche Erkundigungen oder Beweisaufnahmen im Ermittlungsverfahren zu verstehen sind, die das Gesetz ausdrücklich als nichtig bezeichnet ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 173), was auf die behaupteten Umstände nicht zutrifft.

[7] Die – auf nicht rechtzeitige Belehrung der Zeugin H***** über die Aussagebefreiung gestützte – Kritik an der „Verlesung der kontradiktorischen Einvernahme vom 4. 11. 2015“ (ON 14) scheitert bereits am Widerspruch (vgl vielmehr ON 98 S 7 f, wonach das entsprechende Protokoll vom Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO umfasst war und die Aufnahmen der kontradiktorischen Vernehmung auszugsweise vorgespielt wurden).

[8] Der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) zuwider konnte der gegen die Verlesung des Protokolls über die polizeiliche Vernehmung der Zeugin H***** am 15. Oktober 2015 gerichtete Antrag schon deshalb sanktionslos abgewiesen werden (ON 98 S 8), weil er nicht erkennen ließ, inwieweit er angesichts der sich bereits aus der – widerspruchslos erfolgten – Vorführung der Aufnahmen der im Beisein eines Dolmetschers durchgeführten kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin und deren darin erfolgten Bestätigung ihrer polizeilichen Aussage (ON 14 S 2) ergebenden Beweislage geeignet sein sollte, diese zu Gunsten des Angeklagten zu verändern (RIS‑Justiz RS0116987, RS0107445, RS0098062, RS0099453 [T18, T20]).

[9] Bleibt anzumerken, dass die Zeugin H***** mit ihrer den Angeklagten entlastenden Aussage in der Hauptverhandlung (ON 98 S 3 ff) in wesentlichen Punkten von ihren früher abgelegten Aussagen abwich, sodass die Verlesungsvoraussetzung des § 252 Abs 1 Z 2 StPO gegeben war (vgl auch RIS‑Justiz RS0109794).

[10] Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[11] Entgegen der Kritik der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) haben sich die Tatrichter mit den Angaben der Zeugin H*****, und zwar auch in Bezug auf deren divergierende Aussagen im ersten Rechtsgang (ON 2 S 25 ff; ON 4 S 3 ff; ON 14) und im wiederaufgenommenen Verfahren (ON 80 S 3 ff; ON 81 S 13 ff; ON 98 S 3 ff), auseinandergesetzt (US 4 ff). Zu einer darüber hinausgehenden Erörterung sämtlicher Details der Aussage der genannten Zeugin war das Gericht nicht verhalten (RIS‑Justiz RS0106295).

[12] Indem die Rüge die Erwägungen des Erstgerichts mit dem Vorbringen kritisiert, es sei „kein Grund ersichtlich“, weshalb die Zeugin nur die Vergewaltigung bestreiten sollte, vielmehr sei „nachvollziehbarer“, dass die Zeugin „im Fall einer Lüge“ sämtliche dem Angeklagten vorgeworfene Taten bestreiten würde und moniert, das Erstgericht habe die Entscheidung mit „kreierten Widersprüchen“ begründet, bekämpft sie bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.

[13] Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, aus einzelnen Verfahrensergebnissen, nämlich der leugnenden Verantwortung des Angeklagten und den Angaben der Zeugin H***** im wiederaufgenommenen Verfahren, anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse abzuleiten. Solcherart wendet sie sich erneut bloß unzulässig gegen die Beweiswürdigung des Schöffengerichts (vgl RIS‑Justiz RS0119583, RS0100555).

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[15] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[16] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte