OGH 13Os119/20d

OGH13Os119/20d16.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Pateisky im Verfahren zur Unterbringung des Yusmen N***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 29. Juli 2020, GZ 16 Hv 47/20y-83, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00119.20D.0316.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Yusmen N***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

[2] Danach hat er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer akuten endogenen Psychose, beruht,

(I) am 31. Dezember 2019 in R*****, indem er um ca 3:05 Uhr in der während der Nachtzeit versperrten und nur für Mitarbeiter mittels Zugangschips oder Schlüssels zugänglichen akutpsychiatrischen (US 9) Station E1 des Landeskrankenhauses, auf der sich teilweise in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkte und durch Fixierung oder Medikamentengabe handlungs- und bewegungsunfähige Patienten befanden, einen befüllten Wäscheständersack, einen Duschvorhang und einen weiteren Vorhang (US 10) in Brand setzte, wobei dadurch keine Feuersbrunst ausgebrochen wäre, weil das Feuer auch ohne Löschmaßnahmen örtlich beschränkt geblieben und von selbst erloschen wäre, durch die daraus resultierende starke Rauchgasentwicklung, somit anders als durch eine der in den §§ 169, 171 und 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen, eine Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) einer größeren Zahl von Menschen herbeigeführt, weiters

(II 1) am 8. Dezember 2019 in D***** Michael K***** mit Gewalt gegen dessen Person fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz abgenötigt, und zwar eine Geldtasche samt 300 Euro Bargeld, indem er ihn von hinten niederschlug, ihm mehrfach ins Gesicht trat, ihn aufforderte, ihm die Geldtasche zu geben und im Anschluss daran erneut mehrmals ins Gesicht des K***** trat, wobei dieser durch die ausgeübte Gewalt eine verschobene Nasenbeinfraktur und eine Mehrfragmentfraktur des Kiefers erlitt, somit schwer verletzt (§ 84 Abs 1 StGB) wurde,

und dadurch jeweils ein Verbrechen der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB (I) sowie des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Satz StGB (II 1) begangen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

[4] Entgegen der Kritik offenbar unzureichender Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite zur Anlasstat I (Z 5 vierter Fall) haben die Tatrichter diese methodisch einwandfrei auf das objektive Vorgehen und das Verhalten des Betroffenen gestützt (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671) und eingehend dargelegt, weshalb sie dessen leugnender Verantwortung keinen Glauben schenkten (US 24 bis 27).

[5] Mit der Verantwortung des Betroffenen, er habe den in Brand gesetzten Wäschesack für einen „Müllkübel“ gehalten, haben sich die Tatrichter – der Beschwerde (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) zuwider – sehr wohl auseinandergesetzt (US 24 f).

[6] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO, Art 6 Abs 2 MRK) wird ein aus Z 5 oder Z 5a des § 281 Abs 1 StPO beachtlicher Mangel nicht behauptet (RIS‑Justiz RS0102162).

[7] Dass zur Anlasstat I die Aussagen des Betroffenen zu seinen Löschversuchen und jene des Zeugen Erwin L***** zu dessen Standort sowie die Brandspuren auf der Jacke des Betroffenen nicht gewürdigt worden seien, trifft ebenso wenig zu (US 24 ff).

[8] Der Umstand, dass die im Urteil angeführten Gründe den Betroffenen nicht überzeugen, stellt keine Nichtigkeit her (RIS-Justiz RS0118317 [T9]). Soweit er aus diesen Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für sich günstige Schlüsse ableitet, wendet er sich bloß nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[9] Zur Anlasstat II 1 schloss das Erstgericht aus den Angaben der Zeugen Michael K*****, Kevin H*****, Kadir A***** und Sabri S***** sowie dem Zeitpunkt des Eintreffens der ermittelnden Beamten am Tatort, jedoch entgegen der leugnenden Verantwortung des Betroffenen, auf die Tatzeit 4:40 Uhr und die Täterschaft des Betroffenen (vgl US 16 bis 21). Dies widerspricht weder grundlegenden Erfahrungssätzen noch den Denkgesetzen (RIS-Justiz RS0118317).

[10] Die Mängelrüge (Z 5), die diese Begründung der Tatrichter als „konstruiert“ und „willkürlich“ bezeichnet, dabei aber – unter erneutem Verweis auf den Zweifelsgrundsatz – bloß einzelne beweiswürdigende Erwägungen zur Aussage des Zeugen K***** isoliert betrachtet, ist nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0119370).

[11] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) zur Anlasstat I aus vom Erstgericht angeführten Prämissen, nämlich der Verantwortung des Betroffenen, Löschversuche unternommen zu haben, den Anschmelzspuren an dessen Jacke und der Aussage des Zeugen L***** (vgl insb US 26 f), für den Betroffenen günstigere Schlüsse zieht als die Tatrichter, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0099674).

[12] Die in diesem Zusammenhang nach Art einer Aufklärungsrüge vorgebrachte Kritik, das Erstgericht sei seiner Pflicht zu amtswegiger Wahrheitsforschung (§ 2 Abs 2 StPO) nicht nachgekommen, unterlässt die gebotene Darlegung, wodurch der Betroffene insoweit an einer sachgerechten Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sei (RIS-Justiz RS0115823).

[13] Zur Anlasstat II 1 weckt die Rüge mit dem Hinweis auf Details der Aussage des Zeugen K***** keine erheblichen Bedenken gegen die Konstatierungen zur – fallbezogen aus Sicht der Tatrichter erkennbar (US 20 f) eine notwendige Bedingung für die Bejahung der Täterschaft des Betroffenen bildende (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 410) – Tatzeit (zur Erheblichkeitsschwelle siehe RIS-Justiz RS0119583).

[14] Soweit die Rüge moniert, das Erstgericht habe es unterlassen, „die als Begründung festgehaltenen Parameter im Verfahren zu erörtern“, weil es „nicht darauf aufmerksam gemacht“ habe, dass „von einem Tatzeitpunkt um 4:40 Uhr und einem Zeitfenster von ca einer halben Stunde von der Tat bis zur Verständigung der Polizei ausgegangen“ werde, wodurch der Betroffene daran gehindert gewesen sei, „auf seine Verteidigung abzielende Anträge zu stellen“, verkennt sie, dass beweiswürdigende Erwägungen des Gerichts unter dem Aspekt der Nichtigkeitsgründe nicht Gegenstand des Überraschungsverbots (Art 6 Abs 3 lit a und b MRK) sind (RIS-Justiz RS0120025 [T1, T3], jüngst 13 Os 34/20d).

[15] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet zur Anlasstat I die Erfüllung des Tatbestands des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB in objektiver Hinsicht, weil nach den Urteilskonstatierungen zu einem örtlich beschränkten Brand, der von selbst erloschen wäre, keine „Gemeingefahr“, sondern „nur eine berechenbare und beherrschbare Gefahrenlage geschaffen“ worden sei. Damit orientiert sie sich nicht an der Gesamtheit des Urteilssachverhalts (siehe aber RIS-Justiz RS0099810).

[16] Den relevanten Feststellungen (US 9 ff) zufolge warf der Betroffene um ca 3:00 Uhr in einer akutpsychiatrischen Pflegestation eines Krankenhauses, die in der Nacht verschlossen und nur von Mitarbeitern durch Chips, Schlüssel und Zugangskarten betreten und verlassen werden kann, und in der sich neun Patienten, die teils ans Bett fixiert, teils im Zimmer eingesperrt und medikamentös mit „schlafanstoßenden Mitteln“ eingestellt waren, sowie fünf Mitarbeiter aufhielten, eine brennende Zigarette in einen im Patientenbadezimmer abgestellten Wäscheständersack, in dem sich unter anderem gebrauchte Bettschutzunterlagen befanden, wodurch dieser, der angrenzende Duschvorhang und ein weiterer Vorhang in Brand gesetzt wurden. Nachdem ein Brandmeldealarm ausgelöst wurde, evakuierten die Mitarbeiter die schlafenden Patienten, die nach dem Erwachen schläfrig waren, nicht selbst laufen konnten und auf ihren Betten saßen. Das Atmen war durch den dichten schwarzen Rauch erschwert und die Sicht war eingeschränkt. Die Patienten konnten gerade noch rechtzeitig ohne gesundheitliche Schäden evakuiert werden, durch den dichten Rauch mussten sie teils auf Knien krabbelnd oder in gebückter Haltung, in einem Fall mit dem Bett, die Station verlassen. Ein Teil der Patienten musste über einen angrenzenden Bereich evakuiert werden, weil der Stationsgang schon sehr stark verraucht und ein gefahrloses Passieren nicht mehr möglich war. Zufolge der thermischen Umsetzung der in Brand gesetzten Materialien (Kunststoffe und Textilien) wurden toxische Gase freigesetzt und es kam auf der gesamten Station zunehmend zu einer starken Rauchentwicklung. Die Rauchschicht erstreckte sich bereits nach kurzer Zeit von der Decke bis auf eine Höhe von etwa ein bis eineinhalb Meter über dem Boden und dadurch verringerte sich die Sichtweite auf wenige Meter. Es bestand daher eine konkrete Lebensgefahr für die Patienten und die Mitarbeiter der Station. Der Brand im Sanitärraum wäre örtlich beschränkt geblieben und von selbst erloschen. Unbeschadet dessen ergab sich durch die starke Rauchentwicklung die beschriebene Gefahrensituation.

[17] Weshalb das Erstgericht davon ausgehend die Herbeiführung einer konkreten – durch die Momente der Unabsehbarkeit, der Unbestimmtheit, der Unberechenbarkeit und der Unbeherrschbarkeit der Gefahr, die einen größeren Personenkreis gleichzeitig bedroht (vgl zum Ganzen Fabrizy , StGB 13 § 176 Rz 2 f; Leukauf/Steininger/Tipold , StGB 4 § 176 Rz 4 ff; Murschetz in WK 2 StGB § 176 Rz 2 f; RIS-Justiz RS0119773, RS0095067 und RS0066542), gekennzeichneten – Gemeingefahr im Sinn des § 176 Abs 1 StGB zu Unrecht bejaht haben soll, legt die Rüge nicht dar.

[18] Nach den in subjektiver Hinsicht getroffenen Feststellungen zur Anlasstat I hielt es der Betroffene ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass er durch die festgestellte Tathandlung einen Brand mit starker toxischer Rauchgasentwicklung verursacht und dadurch eine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben der mehr als zehn auf der in den Nachtstunden versperrten Station befindlichen Personen, darunter teils fixierte, teils in ihrem Zimmer eingesperrte, medikamentös eingestellte und daher zumindest teilweise in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkte oder gänzlich handlungs- und bewegungsunfähige sowie schlafende Patienten, herbeiführt (US 13).

[19] Aus welchem Grund die subjektive Tatseite des § 176 Abs 1 StGB, der den auf die Herbeiführung der konkreten Gemeingefährdung gerichteten – zumindest bedingten (§ 5 Abs 1 StGB) – Vorsatz verlangt ( Murschetz in WK 2 StGB § 176 Rz 6 mwN), damit nicht hinreichend konstatiert sein soll, legt die Rüge nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (RIS-Justiz RS0116565).

[20] Die eine rechtliche Beurteilung nach § 177 Abs 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) entfernt sich von den Feststellungen zur subjektiven Tatseite und entzieht sich solcherart einer meritorischen Erledigung (RIS-Justiz RS0099810).

[21] Indem die Rüge mit der leugnenden Verantwortung des Betroffenen argumentiert, bekämpft sie die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

[22] Hinzugefügt sei, dass der Beschluss auf Zurückweisung des Anschlusses wegen privatrechtlicher Ansprüche (§ 430 Abs 6 StPO iVm § 67 Abs 4 Z 1 StPO) – unter dem Aspekt der Nichtigkeitsbeschwerde bedeutungslos – verfehlt ( Danek/Mann , WK-StPO § 270 Rz 18/5 und Rz 50) in die Urteilsausfertigung aufgenommen wurde.

[23] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[24] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

Stichworte