OGH 6Ob15/21f

OGH6Ob15/21f15.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 8. April 2020, GZ 21 R 6/20w‑54, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 23. Oktober 2019, GZ 14 Cg 372/18a‑48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131477

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird, soweit mit ihr das Urteil des Erstgerichts hinsichtlich des Verbots jeder Verbreitung (insbesondere über Facebook) der Behauptungen, das Arbeitsverhältnis des Klägers als Jugendfußballtrainer sei vom * beendet worden, weil er illegale Glücksspielautomaten betrieben habe, der Kläger bedrohe oder verängstige den Beklagten oder dessen Familie mittelbar oder unmittelbar sowie der Kläger habe eine serbisch-nationalistische Gesinnung, oder ähnlicher Behauptungen, die diese Annahmen nahelegen, bestätigt wurde, als Teilurteil bestätigt.

Im Übrigen, somit hinsichtlich der Behauptung, der Kläger betreibe illegale Glücksspiele oder habe solche betrieben, wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben und dem Berufungsgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist Inhaber eines Wettbüros und hat serbische Wurzeln. Der Beklagte ist Krankenpfleger, seit Jahren lokalpolitisch sehr aktiv und Kammerrat der Arbeiterkammer *; der Beklagte stammt aus Bosnien. Der Beklagte kennt den Kläger und dessen Lokal, welches er früher auch aufgesucht hat. In einem Vorverfahren begehrte der Kläger die Unterlassung jeder Verbreitung (insbesondere über Facebook) von wahrheitswidrigen Behauptungen des Beklagten, er würde von seinen Mitarbeitern oder sonstigen Weisungsunterworfenen Sex verlangen und er würde den Beklagten bedrohen; dieses Verfahren endete im Jahr 2018 mit Anerkenntnisurteil. Ungeachtet dessen postete der Beklagte in den Folgemonaten via Facebook Äußerungen und Beiträge, in denen er regelmäßig und eindeutig Bezug auf den Kläger nahm, diesen bezichtigte, illegale Glücksspielautomaten zu betreiben bzw betrieben zu haben, und ausführte, dass der Kläger deshalb als Trainer einer bestimmten Fußballakademie gekündigt worden sei. Unter anderem nimmt der Beklagte Bezug auf zwei Artikel, in denen er mit den Worten zitiert wurde: „So ein Trainer hat bei [der Fußballakademie] nichts verloren; da ist auch das Land * gefordert. Er hat zehn Jahre illegale Automaten gehabt, muss bis zur Aufklärung suspendiert werden.“ Die vom Beklagten geposteten Äußerungen sind einer enormen Anzahl von Menschen zugänglich, rufschädigend und beleidigend und insgesamt geeignet, sowohl das Privatleben des Klägers als auch dessen berufliches Fortkommen zu gefährden, worauf es dem Beklagten gezielt auch ankommt. Der Beklagte wurde auch nach Klagseinbringung nicht müde, ähnliche Inhalte weiter zu posten, kündigte sogar weitere Veröffentlichungen in anderen Medien an, dies offensichtlich getragen vom (stolzen) Gedanken, er müsse derartige Ungerechtigkeiten aufdecken, während sich sein „Gegner“ frei beweisen müsse.

[2] Die Vorinstanzen verboten – gestützt auf § 1330 Abs 2 ABGB – dem Beklagten ab sofort jede Verbreitung (insbesondere über Facebook) von Behauptungen, der Kläger würde illegale Glücksspielautomaten betreiben oder habe solche betrieben, das Arbeitsverhältnis des Klägers als Jugendfußballtrainer sei vom * beendet worden, weil er illegale Glücksspielautomaten betrieben habe, der Kläger bedrohe oder verängstige den Kläger oder dessen Familie mittelbar oder unmittelbar sowie der Kläger habe eine serbisch-nationalistische Gesinnung. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass der Beklagte illegale Glücksspielautomaten betrieben habe bzw betreibe. Das Berufungsgericht verwarf eine gegen diese Feststellung gerichtete Beweisrüge und verneinte insoweit das Vorliegen eines Mangels des erstgerichtlichen Verfahrens. Die Vorinstanzen gingen übereinstimmend davon aus, dass die Äußerungen des Beklagten nicht bloß kreditschädigend, sondern auch ehrenbeleidigend seien und diesen deshalb der Wahrheitsbeweis treffe, wobei das Berufungsgericht die Auffassung vertrat, der Beklagte habe sich auf vom Erstgericht nicht einvernommene Zeugen bloß zum Beweis dafür berufen, „dass der Kläger illegales Glücksspiel betrieben“ habe, es sich dabei jedoch um einen Erkundungsbeweis gehandelt habe und der Beklagte bereits im Verfahren erster Instanz die Begriffe „illegales Glücksspiel“ bzw „illegale Automatenstandorte“ auf Tatsachenebene näher hätte konkretisieren müssen. Die Revision erklärte das Berufungsgericht mit der Begründung für zulässig, es fehle Rechtsprechung zur Frage der Beweislastverteilung in einem Verfahren nach § 1330 ABGB, wenn es um den Vorwurf geht, der Kläger habe ein bestimmtes Verhalten illegal gesetzt, wenn insofern auch legale Handlungsweisen in Betracht kämen.

[3] Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Das Erstgericht ging davon aus, dass (auch) die – allein im Revisionsverfahren noch gegenständliche; zu den übrigen Äußerungen enthält die Revision des Beklagten keine inhaltlichen Ausführungen – Äußerung des Beklagten, der Kläger betreibe illegale Glücksspiele oder habe solche betrieben, kreditschädigend iSd § 1330 Abs 2 ABGB sei, was vom Beklagten mangels einer Rechtsrüge weder in der Berufung noch in der Revision bekämpft wurde. Darüber hinaus stellt der Vorwurf illegalen Verhaltens eine Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB dar (vgl 6 Ob 88/00k [illegaler Drogenhandel]; ebenso 6 Ob 2381/96g [illegale Deponie]). Ist aber die Rufschädigung (§ 1330 Abs 2 ABGB) gleichzeitig Ehrenbeleidigung, so trifft den Beklagten die Beweislast für die Wahrheit der beanstandeten Behauptung (RS0031798; RS0031822 [T10]), wobei der Wahrheitsbeweis dann als erbracht anzusehen ist, wenn er den Inhalt der Mitteilung im Wesentlichen bestätigt (RS0079693); es genügt der Beweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns, auf unwesentliche Details kommt es nicht an (RS0079693 [T2, T3, T6]; RS0115694).

[5] 2. Der Beklagte hat sich im Verfahren erster Instanz im Zusammenhang mit der im Revisionsverfahren noch maßgeblichen Äußerung darauf berufen, es sei richtig, „dass der Kläger im Rahmen des von ihm betriebenen Unternehmens illegales Glücksspiel betrieben hat“ (AS 77); zum Beweis dafür, „dass der Kläger tatsächlich illegales Glücksspiel betrieben hat“, berief sich der Beklagte auf mehrere Zeugen, darunter auch einen Mitarbeiter des Stadtpolizeikommandos * und den regionalen Leiter der Finanzpolizei * (AS 92). In seiner Parteieneinvernahme vom 15. 2. 2019 erklärte der Kläger auf die Frage, ob er wegen illegalen Glücksspiels Probleme gehabt habe oder jetzt habe: „Nein. Richtig ist, dass Automaten beschlagnahmt worden sind wegen angeblichen illegalen Glücksspiels.“ Die (einzig vernommene) Zeugin, die von 2010 bis Juni 2018 beim Kläger gearbeitet hatte, führte aus, der Kläger habe ein Wettbüro betrieben, wobei sie sich „nicht vorstellen [könne], dass das legal war, zumal mehrmals die Finanzpolizei gekommen ist und Automaten beschlagnahmt hat; ein- bis zweimal im Jahr [sei das] passiert [AS 162]. Es [habe] jeder im Lokal geredet darüber, dass die Automaten illegal sind, auch die Polizei [habe] damals direkt gesagt, dass es illegale Automaten seien. Das könnte am besten der Polizist 'H*' [jener Mitarbeiter des Stadtpolizeikommandos *, den der Beklagte als Zeugen geführt hatte] sagen“ (AS 163).

[6] 3. Der erkennende Senat hat erst jüngst (6 Ob 246/19y) unter Hinweis auf ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausgeführt, eine in zweiter Instanz verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz könne zwar nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden; dies gelte allerdings (unter anderem) dann nicht, wenn sich das Berufungsgericht mit einem geltend gemachten Mangel zu Unrecht nicht befasst hat (RS0043144), weil in diesem Fall das Berufungsverfahren selbst mangelhaft sei (RS0043086). Dies hat auch für den Fall zu gelten, dass das Berufungsgericht – wie im vorliegenden Fall – eine Mängelrüge mit der Begründung verneinte, das Vorbringen einer Partei sei zu wenig konkretisiert gewesen, um überhaupt eine zielgerichtete Beweisaufnahme zu ermöglichen; tatsächlich habe es sich bei den angebotenen Beweismitteln um einen Erkundungsbeweis gehandelt. In concreto meinte das Berufungsgericht, man müsse dem Beklagten zwar zubilligen, nicht über alle Details informiert zu sein und insbesondere auch keinen Zugang zu den den Kläger betreffenden Behördenakten zu haben; es wäre ihm „[je]doch zweifellos möglich [gewesen], jedenfalls ein Mindestmaß an Tatsachen dazu vorzubringen, um welches Glücksspiel bzw um welche Art von Automaten es sich handeln und wann dies gewesen sein soll“.

[7] Wie das Berufungsgericht allerdings in seinem Zulassungsausspruch nach § 502 Abs 1, § 500 Abs 2 Z 3 ZPO selbst ausgeführt hat, erachtete die Entscheidung 6 Ob 88/00k die Behauptung, „dass die Heime der [dort] Zweitklägerin Heimstätte illegalen Drogenhandels seien, in einem derartigen Heim Suchtgift in näher bezeichnetem Wert sichergestellt worden sei und durch die [dort] Kläger Drogenhändler gedeckt würden“, als offensichtlich ausreichend, auch wenn die Tatinstanzen dies nicht feststellen konnten und der Oberste Gerichtshof deshalb den den (dort) Beklagten obliegenden Wahrheitsbeweis als nicht gelungen erachtete. Dem schließt sich auch der erkennende Senat an.

[8] Es ist zwar richtig, dass Erkundungsbeweise nicht zulässig sind. Von einem solchen ist aber nur dann zu sprechen, wenn der Beweisantrag auf die Aufklärung eines rechtserzeugenden oder rechtsvernichtenden Sachverhalts gerichtet ist, dessen Tatbestandselemente der Partei selbst nicht klar waren und die von ihr weder vorgetragen noch konkretisiert wurden. Hingegen wird der Beweis dann nicht als unzulässiger Ausforschungsbeweis anzusehen sein, wenn die antragstellende Partei einen konkreten rechtserheblichen Sachverhalt als Beweisthema vorträgt (RS0039973). Vor diesem Hintergrund wurde etwa die „substratlose Frage nach der 'kostengünstigsten' Sanierungsmethode“ als Erkundungsbeweis (Sachverständiger) angesehen (8 Ob 9/17g), ebenso ein Beweisantrag „in Gestalt eines kraftfahrzeugtechnischen Gutachtens 'zur Ablesung des nunmehrigen Kilometerstandes'“ (7 Ob 251/02s), die Ermittlung des Schadens durch den Sachverständigen (8 Ob 341/97y) oder „der Antrag, bei einer Gemeinde zu erheben, 'ob die außereheliche Mutter in der empfängniskritischen Zeit mit anderen Männern zu tun hatte'“ (2 Ob 790/51). Mit diesen Fällen ist jedoch der hier zu beurteilende Beweisantrag des Beklagten nicht vergleichbar, dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass sowohl eine Zeugin als auch der Kläger selbst bestätigten, dass Glücksspielautomaten im Wettbüro des Klägers beschlagnahmt worden waren, abgesehen davon, dass der Oberste Gerichtshof auch schon die Auffassung vertreten hat, selbst ein Erkundungsbeweis könne „im Fall eines offenbaren Behauptungs- und Beweisnotstands [einer Partei] zugelassen werden, wenn trotz Fehlens genauer Tatsachenbehauptungen eine verlässliche Entscheidung aufgrund der vo[n der Partei] angebotenen Beweise möglich ist“ (s bloß 5 Ob 267/62; 1 Ob 92/70).

[9] 4. Damit war aber die angefochtene Berufungsentscheidung hinsichtlich der übrigen Äußerungen des Beklagten, zu denen die Revision keinerlei Ausführungen enthält, als Teilurteil zu bestätigen. Hinsichtlich der Äußerung, der Kläger betreibe illegale Glücksspiele oder habe solche betrieben, wird sich das Berufungsgericht allerdings mit der Mängelrüge der Berufung des Beklagten inhaltlich auseinanderzusetzen haben.

[10] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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