OGH 6Ob184/20g

OGH6Ob184/20g18.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.‑Pof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart‑Loinig, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. A*****, vertreten durch Dr. Klaus Krebs, Rechtsanwalt in Wien, wegen 28.671,77 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2020, GZ 12 R 20/20d‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 10. Dezember  2019, GZ 27 Cg 11/19h‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00184.20G.0218.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.806,90 EUR (darin 301,15 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

[2] 2. Gegenstand des Verfahrens sind Schadenersatzansprüche des Revisionswerbers für Verfahrensaufwand, die ihm im Pflegschaftsverfahren betreffend seinen minderjährigen Sohn aufgrund eines dort von der Beklagten erstatteten, mangelhaften Gutachtens, das den Entscheidungen über die Obsorge und das Kontaktrecht vom Gericht nicht zugrunde gelegt wurde, erwachsen sei.

[3] 3.1. Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich mit der Begründung zu, es sei nicht auszuschließen, dass der Oberste Gerichtshof einen – in der außerordentlichen Revision gerügten – Mangel des Berufungsverfahrens darin erkennen werde, dass das Berufungsgericht die in der Berufung erhobene Verfahrensrüge, das Erstgericht habe den Pflegschaftsakt zu Unrecht nicht beigeschafft, nicht erledigt habe.

[4] 3.2. Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RS0043049). Der Rechtsmittelwerber muss die abstrakte Eignung des Verfahrensmangels dartun, sofern sie nicht offenkundig ist (RS0116273 [T1]; RS0043027 [T10, T13]; RS0043049 [T6]). Er muss daher in der Berufung grundsätzlich behaupten, welche für die Entscheidung des Rechtsfalls relevanten Ergebnisse ohne den Mangel hätten erzielt werden können ( Pimmer in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze³ § 496 ZPO Rz 37; Lovrek in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze³ § 503 ZPO Rz 55; RS0043039). Andernfalls ist der Rechtsmittelgrund nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043039 [T4]).

[5] Ob das Berufungsvorbringen den Anforderungen an die Darstellung der Wesentlichkeit des Verfahrensmangels genügt, kann jeweils nur nach den Umständen des einzelnen Falls beurteilt werden. Eine erhebliche Rechtsfrage läge daher nur dann vor, wenn dem Berufungsgericht eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

[6] 3.3. Das Berufungsgericht erachtete die Verfahrensrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil der Berufungswerber nicht konkret dargetan habe, welche Tatsachen sich über die bereits festgestellten hinaus aus dem Pflegschaftsakt ergeben hätten. Aus diesem Grund könne dahinstehen, ob das Erstgericht die unterbliebene Beischaffung des Pflegschaftsakts zu Recht auf § 141 AußStrG gestützt habe.

[7] 3.4. Der Revisionswerber tritt der Beurteilung, er habe die Relevanz des gerügten Verfahrensmangels nicht dargetan, nicht entgegen. Er behauptet gar nicht, in der Berufung ausreichend konkretes Vorbringen zu den bei Einholung des Pflegschaftsakts zu erzielenden Feststellungen erstattet zu haben, sondern wendet sich neuerlich (bloß) gegen die unterbliebene Einholung des Akts durch das Erstgericht.

[8] 3.5. Ein Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens, welcher in der Berufung nicht beanstandet wurde, kann in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0043111). Das gilt auch in jenen Fällen, in denen die Verfahrensrüge in der Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführt wurde.

[9] Ein allfälliger Mangel des Verfahrens erster Instanz deshalb, weil das Erstgericht den Pflegschaftsakt nicht beischaffte, kann daher vom Obersten Gerichtshof nicht aufgegriffen werden. Weder das Berufungsgericht noch der Revisionswerber zeigen in diesem Zusammenhang daher eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[10] 4.1. Der Revisionswerber macht als weitere erhebliche Rechtsfrage geltend, das Berufungsgericht sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Haftung von Sachverständigen abgewichen.

[11] 4.2. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, haftet den Prozessparteien gegenüber für die Folgen dieses Versehens (RS0026360). Dies betrifft einerseits Fälle, in denen ein unrichtiges Gutachten Grundlage einer Entscheidung wurde (vgl RS0026360). Der Sachverständige haftet aber auch für alle den Parteien verursachten Schäden, die durch ein der Entscheidung des Gerichts letztlich nicht zugrunde gelegtes unrichtiges oder mangelhaftes Gutachten verursacht wurden (RS0124312; RS0026360 [T11]).

[12] 4.3. Ausgehend davon, dass hier nicht festgestellt werden konnte, ob das Gutachten der Beklagten bei fachgerechter Erstellung ein anderes Ergebnis erbracht hätte, führte das Berufungsgericht aus, dem Kläger sei jedenfalls kein Schaden durch einen auf ein unrichtiges Gutachten gegründeten ungünstigen Verfahrensausgang entstanden. Dass es auf die Möglichkeit eines Ersatzanspruchs für Schäden aus Gutachten, die der Entscheidung nicht zugrunde gelegt wurden, nicht gesondert einging, begründet kein Abweichen von der dargestellten Rechtsprechung, weil der Revisionswerber kein ausreichend konkretes Vorbringen zu derartigen Schäden erstattete und sich solche Schäden aus dem festgestellten Sachverhalt auch nicht ableiten lassen.

[13] 4.4. Hier hat der Revisionswerber nämlich bereits in einem gegen die Beklagte geführten Vorprozess (unter anderem) den Ersatz der von ihm getragenen anteiligen Kosten des von der Beklagten erstatteten Gutachtens sowie den Ersatz von Vertretungskosten erlangt, die ihm im Pflegschaftsverfahren zur Widerlegung ihres Gutachtens erwachsen waren. Sein im vorliegenden Verfahren eingenommener Rechtsstandpunkt, sein gesamter, zeitlich nach Erstattung des Gutachtens der Beklagten angefallener Verfahrensaufwand sei ihm zu ersetzen, vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil es dadurch offenkundig zu einem doppelten Ersatz einzelner Aufwendungen käme.

[14] 4.5. Darüber hinaus ergibt sich aus dem festgestellten Gang des Pflegschaftsverfahrens, dass der Kläger seine – letztlich erfolgreichen – Anträge auf Betrauung mit der Alleinobsorge und auf Aussetzung des persönlichen Kontakts der Mutter mit dem Kind erst aufgrund eines Gutachtens aus einem anderen Fachgebiet als jenem der Beklagten – nämlich betreffend eine psychische Erkrankung der Mutter – und in einem späteren Verfahrensstadium stellte.

[15] Trotz Erörterung durch das Erstgericht in der mündlichen Streitverhandlung am 29. 5. 2019, dass die Vorlage von Honorarnoten nicht ausreiche, um die Kausalität des Gutachtens der Beklagten für den Verfahrensaufwand des Revisionswerbers darzutun, konkretisierte dieser sein Vorbringen zu Leistungen seiner Vertreterin im Pflegschaftsverfahren nicht. Mangels konkreten Vorbringens waren die Vorinstanzen daher auch nicht gehalten, Feststellungen zum Inhalt dieser Leistungen und zur allfälligen Kausalität des Gutachtens der Beklagten für die jeweilige Vertretungshandlung zu treffen (vgl RS0053317).

[16] 5. Da die Revision insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, war sie zurückzuweisen.

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