OGH 7Ob127/20g

OGH7Ob127/20g25.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R* P*, vertreten durch Burgstaller & Preyer Rechtsanwälte GmbH in Wien und deren Nebenintervenientin i* ag iA, *, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A* S.A., *, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 738.457,56 EUR sA und Feststellung, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Mai 2020, GZ 30 R 91/20b‑28, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Jänner 2019, GZ 21 Cg 37/19f‑17, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130236

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

I. Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil als Teilurteil bestätigt, sodass es lautet:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei EUR 738.457,96 samt 4 % Zinsen seit 25. 6. 2019 binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu zahlen.

2. Es wird im Verhältnis zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei als Versicherer verpflichtet ist, der klagenden Partei als versicherter Person aufgrund und im Umfang der von der Ö*-Aktiengesellschaft (FN * Handelsgericht Wien) bei der A* S.A., *, unter Polizzen-Nummer * abgeschlossenen Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung für Unternehmensleiter (D&O) Deckungsschutz zur gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr von Schadenersatzansprüchen einschließlich der Übernahme der Kosten der Verteidigung gegen Schadenersatzansprüche, und zwar auch dann, wenn sich der Schadenersatzanspruch als unbegründet erweist, und zur Befriedigung begründeter Schadenersatzansprüche, soweit es sich nicht um solche aus vorsätzlichen Pflichtverletzungen der klagenden Partei handelt, samt Anhang zu gewähren, die von der K* AG gegen die klagende Partei aufgrund von behaupteten oder tatsächlichen Pflichtverletzungen in der Eigenschaft der klagenden Partei als Mitglied des Vorstandes bzw Vorstandsvorsitzender der Ko* AG entstanden sind oder noch entstehen werden – ausgenommen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Tatsachenkomplex 'R*' –, insbesondere im Umfang der Inanspruchnahme der klagenden Partei durch die K* AG zu 21 Cg 55/13v des Handelsgerichtes Wien.

3. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

II. Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang des Feststellungsbegehrens im Zusammenhang mit dem Tatsachenkomplex „R*“ aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von 1. 1. 1990 bis 7. 11. 2008 Mitglied des Vorstands und seit 20. 4. 2001 auch Vorstandsvorsitzender der * Ko* Aktiengesellschaft, deren Firma seit 28. 11. 2009 K* AG lautet (im Folgenden „Ko*“). Diese stand zu 50,78 % im Eigentum der Nebenintervenientin, vormals unter der Firma Ö*‑AG (im Folgenden „Ö*“).

Die Ö* schloss als Versicherungsnehmerin mit der Beklagten einen Vermögensschadenhaft-pflicht‑Versicherungsvertrag für Unternehmensleiter (D&O), unter anderem für den Kläger als versicherte Person ab. Versicherungsbeginn war der 1. 1. 2008. Der Versicherungszeitraum war von 1. 1. 2008 bis 1. 1. 2009. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Vermögensschaden‑Haftpflicht-versicherung von Unternehmensleitern von Kreditinstituten (B* D&O 2003, Stand 04/2003) der A* (in Hinkunft AVB), im Vertrag angeführte Besondere Bedingungen sowie der firmenmäßig unterfertigte D&O Fragebogen zugrunde. Der Inhalt des Versicherungsvertrags lautet auszugsweise:

„[...]

Vertragsdauer für die Zeit vom 1. 1. 2008 bis 1. 1. 2009 jeweils 00:00 Uhr [...].

Der Versicherungsschutz gilt frei von bis zum 1. 1. 2008 bekannten Pflichtverletzungen.

Versicherungssumme:

In Worten – Euro fünfundzwanzig Millionen 25.000.000 EUR

Die Versicherungssumme versteht sich pro Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle einer Versicherungsperiode zusammen.

[...]

Besondere Bedingungen

Besondere Bedingung 1: Schadensnach-meldefrist

[...]

Wird das Versicherungsverhältnis nach Ablauf mindestens eines vollen Versicherungsjahres nicht über den im Versicherungsschein jeweils genannten Zeitpunkt hinaus verlängert, so gilt eine prämienfreie Nachmeldefrist von zwölf Monaten als versichert.

[...]

Während dieser Nachmeldefrist sind auch solche Schadenersatzansprüche versichert, die nach Beendigung des Versicherungsvertrags geltend gemacht und dem Versicherer angezeigt werden und auf Pflichtverletzungen beruhen, die vor Beendigung des Vertrags begangen worden sind.

[...]

Für die Anwendung der Jahresdeckungssumme gilt die Nachmeldefrist als Teil des letzten Versicherungsjahres.

[...]“

Die Allgemeinen Bedingungen für die Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung von Unter-nehmensleitern von Kreditinstituten (D&O) lauten auszugsweise:

I. Allgemeine Bestimmungen

1. Gegenstand der Versicherung

Der Versicherer gewährt weltweit Versicherungsschutz für den Fall, dass eine der versicherten Personen während der Dauer der Versicherung wegen einer Pflichtverletzung, die sie in ihrer Eigenschaft gemäß nachfolgender Ziffer 2 begangen hat, aufgrund gesetzlicher Haftpflicht-Bestimmungen für einen Vermögensschaden erstmals schriftlich in Anspruch genommen wird, sofern die versicherten Personen von den Pflichtverletzungen bis zum Abschluss der Versicherung keine Kenntnis hatten (Versicherungsfall).

[...]

2. Versicherte Personen

Versicherungsschutz besteht für gegenwärtige, ehemalige oder zukünftige Mitglieder der geschäftsführenden Organe (zB Vorstand oder Geschäftsführer) und der Kontrollorgane (zB Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder Beirat) der Versicherungsnehmerin oder ihrer Tochterunternehmen im Sinne von Ziffer 1.3. und 4. (im Folgenden mitversicherte Tochterunternehmen).

[...]

II. Umfang der Versicherung

1. Abwehr‑ und Entschädigungsfunktion

Der Versicherungsschutz umfasst die gerichtliche und außergerichtliche Abwehr von Schadenersatzansprüchen und die Befriedigung begründeter Schadenersatzansprüche.

[...]

5. Deckungssumme, Kosten, Serienschaden

Die Leistungspflicht des Versicherers innerhalb eines Versicherungsjahres ist pro Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle zusammen auf die im Versicherungsschein genannte Deckungssumme begrenzt. Darin enthalten sind sämtliche Nebenkosten, wie zB Aufwendungen zur Abwehr, Minderung oder Ermittlung des Schadens, sowie Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten. Dabei gelten mehrere, während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrags geltend gemachte Schadenersatzansprüche eines oder mehrerer Anspruchsteller

a) auf Grund eines aus mehreren Pflichtverletzungen fließenden einheitlichen Vermögensschadens und

b) bezüglich sämtlicher Folgen einer Pflichtverletzung

als ein Versicherungsfall, der als in dem Zeitpunkt eingetreten gilt, in dem der erste Schadenersatzanspruch geltend gemacht wurde und zwar unabhängig davon, wie viele versicherte Personen die Pflichtverletzungen begangen haben. Mehrfaches, auf gleicher oder gleichartiger Fehlerquelle beruhendes Tun oder Unterlassen gilt als einheitliche Pflichtverletzung, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.

[...]

V. Schadenanzeige

1. Die Versicherungsnehmerin ist verpflichtet, dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn gegen eine versicherte Person Schadenersatzansprüche erhoben oder angekündigt werden. Wird gegen eine versicherte Person ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder ein Strafbefehl erlassen, so hat die Versicherungsnehmerin dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu erstatten, sofern hierfür Rechtsschutz gemäß Ziffer II. Nr. 3 gewährt werden soll.

Wird eine der vorgenannten Obliegenheiten verletzt, ist der Versicherer zur Leistung frei, es sei denn, dass die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht [...]“.

Der Kläger erhob gegen die K* zu AZ 16 Cga 110/09a des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien Ansprüche unter anderem auf Kündigungsentschädigung, Krankenversicherung, Urlaubsersatzleistung und Pensionsgewährung. Die K* bestritt diese Ansprüche mit Schriftsatz vom 9. 9. 2009 und erklärte nicht nur, mit ihren Schadenersatzforderungen gegen die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche aufzurechnen, sondern wandte auch „diese Schadenersatzansprüche compensando ein“ und erhob zugleich Widerklage für behauptete Vermögensschäden im Sinn der Versicherungsbedingungen wegen behaupteter Pflichtverletzungen des Klägers in Höhe von „zumindest 72 Mio EUR“. Als Pflichtverletzungen wurden unter anderem „Malversationen und Sorgfaltspflichtverletzungen“, Aufbau eines „riesigen Wertpapier‑ und CDS-Portfolios, ohne dass die entsprechenden infrastrukturellen Voraussetzungen für die Verwaltung und das Management dieses Portfolios eingerichtet wurden“, Verstecken von Verlusten durch Spezialtransaktionen, Ignorieren der Zeichen der Bankenkrise und eine Verletzung von Berichts-, Genehmigungs- und Sorgfaltspflichten angeführt.

Die K* verwies zusätzlich auf einen umfangreichen Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft D* GmbH vom 17. 8. 2009 und unterteilte den „Schaden von rund 72 Mio EUR“ wie folgt:

R*: 14,67 Mio EUR

C*: 45,02 Mio EUR

T*: 11,74 Mio EUR.

Dabei habe es sich, so die Behauptungen der K*, jeweils um sinnlose und teure Spezialtransaktionen mit dem Ziel gehandelt, „die bei den Spezialtransaktionen 'übertragenen' Wertpapiere ohne Verlust aus der Bilanz zu entfernen und Wertberichtigungen zu vermeiden“. Im Ergebnis habe jedoch kein Risikotransfer stattgefunden, vielmehr hätten die Spezialtransaktionen immense Kosten und Verluste verursacht, worauf der Kläger keine Rücksicht genommen habe.

Die K* begehrte als Widerklägerin im Verfahren AZ 16 Cga 110/09a des Arbeits‑und Sozialgerichts Wien vom Kläger die Zahlung von 3.013.304,73 EUR brutto sA. In der Widerklage ist kein Ausdehnungsvorbehalt enthalten; sie wurde in weiterer Folge auch nicht ausgedehnt.

Die W* Rechtsanwälte GmbH richtete namens der K* am 18. 11. 2008ein Schreiben an die Beklagte mit dem Betreff „Schadensmeldung zur Polizze Nummer * VN: Ö*Aktiengesellschaft“. In diesem Schreiben wurde mitgeteilt, dass die W* Rechtsanwälte GmbH „derzeit Schadenersatzansprüche gegen die ehemaligen Mitglieder des Vorstands […] (L* F* und Dr. R* P* [Kläger])“ prüfen. „Es ist in der Ko* AG zu Vorfällen gekommen, die bei meiner Mandantin möglicherweise einen Schaden hervorgerufen haben, auf den die gegenständliche Vermögensschadenshaftpflichtversicherung zur Anwendung kommt.“

Am 1. 7. 2009 richtete die W* Rechtsanwälte GmbH neuerlich ein Schreiben an die Beklagte mit dem Betreff „Schadensmeldung zur Polizze Nummer * VN: Ö* Aktiengesellschaft, Bearbeitungsnummer *“ und bezog sich hierin auf die Schadensmeldung vom 18. 11. 2008 im Namen der K*. Es stehe nunmehr fest, dass bei der K* durch die Handlungen der ehemaligen Vorstände L* F* und Dr. R* P* (Kläger) Schäden (Aufwendungen und Kosten) entstanden seien. Die Höhe werde „derzeit noch geprüft und möglichst bald substantiiert“. Es werde sich aber „voraussichtlich um einen Schaden in Höhe von zumindest mehreren zehn Millionen Euro handeln. Herr L* F* habe bereits Klage beim Arbeits‑ und Sozialgericht Wien eingebracht, die Klage von Dr. R* P* (Kläger) sei erst am 29. 6. 2009 bei meiner Mandantin eingelangt. Meine Mandantin wird voraussichtlich Widerklage erheben, die wir Ihnen dann sofort übermitteln“.

Mit Schreiben vom 24. 7. 2009 ersuchte die Beklagte durch D* Rechtsanwälte GmbH um Substantiierung der dem Kläger gemachten Vorwürfe sowie Übersendung von Unterlagen.

Am 2. 9. 2009 informierte die K* die Beklagte über den eingebrachten Schriftsatz samt Widerklage der K*. Das Schreiben lautet auszugsweise wie folgt: „Wir haben für unsere Mandantin einen vorbereitenden Schriftsatz sowie eine Widerklage beim Arbeits‑ und Sozialgericht eingebracht. In diesem Dokument substantiieren wir die Vorwürfe gegen Herrn Dr. P* (Kläger) und Herrn F*. Ich darf Ihnen den vorbereitenden Schriftsatz samt Widerklage ebenso wie die Klagen der ehemaligen Vorstandsmitglieder hiermit zur Verfügung stellen. Der Sachverhalt ist vor allem von der D* GmbH ermittelt worden. Das Gutachten von D* ist, wie Sie sehen, erst am Tag der Überreichung des vorbereitenden Schriftsatzes fertig geworden.“

Am 25. 9. 2009 erstattete die K* Rechtsanwälte OG namens des Klägers eine ausführliche Schadensanzeige an die Beklagte, legte den damals bekannten Sachverhalt vollständig offen und übersandte den Schriftsatz samt Widerklage der K*.

Am 25. 11. 2009 gewährte die Beklagte gegenüber dem Kläger rückwirkend mit Zustellung der Widerklage vorläufige Deckung für die Abwehr der in der Widerklage geltend gemachten Ansprüche.

Am 31. 10. 2013 erhob die K* zu AZ 21 Cg 55/13v des Handelsgerichts Wien Klage gegen den Kläger sowie zwei weitere ehemalige Mitglieder des Vorstands der K* auf Zahlung von 30.000.000 EUR, später ausgedehnt auf 35.000.000 EUR sA und Feststellung der Schadenshaftung. Zum Themenkomplex „R*“ lautet der Vorwurf der K* im Wesentlichen, der Kläger und die übrigen Mitglieder des Vorstands hätten versucht, zu verhindern, bestimmte Marktwertverluste, die im Wesentlichen in den Subprime‑Positionen vorgelegen seien, in der Bilanz 2007 auszuweisen, obwohl das gesamte tatsächliche Risiko aus den ausfallgefährdeten Wertpapieren weiterhin bei der K* gelegen sei und zusätzlich für die Transaktion auch noch weiteres Geld habe investiert werden müssen. Eine Ausbuchung aus der Bilanz sei nach IFRS Regeln unzulässig gewesen. Die K* behauptet, die Information an den Aufsichtsrat sei unzutreffend gewesen.

In diesem Verfahren erging am 8. 8. 2018 ein inzwischen rechtskräftiges Teil‑ und Zwischenurteil mit folgendem Spruch:

„1. Das Klagebegehren, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin 5.000.000 EUR sA als Teilforderung des Ersatzanspruchs aus dem Tatsachenkomplex des C*-Portfolios 2008 zu zahlen, wird abgewiesen.

2. Das Klagebegehren, die Beklagten seien weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin 30.000.000 EUR samt 7,88 % Zinsen pa seit 3. 11. 2011 zu zahlen, ist, soweit es den Ersatzanspruch aus dem Tatsachenkomplex der K*-Struktur, sowie eventualiter aus dem Tatsachenkomplex R* und aus dem Tatsachenkomplex T* betrifft, nicht verjährt.

3. Das Begehren, es möge zwischen den Streitteilen festgestellt werden, dass die Beklagten der Klägerin für sämtliche Schäden

(i) aus dem S*-Portfolio der Klägerin;

(ii) aus dem mangelhaften Risiko‑ und Liquiditätsmanagement sowie

(iii) aus der Einzeltransaktion B* H*

zur ungeteilten Hand haften, ist nicht verjährt.“

Am 28. 11. 2013 war die Beklagte von den Vertretern des Klägers informiert worden, dass die K* ua eine Klage gegen den Kläger auf Leistung von 30 Mio EUR eingebracht hat.

Am 4. 12. 2013 lehnte die Beklagte die Deckung für die im Verfahren AZ 21 Cg 55/13v des Handelsgerichts Wien seitens der K* erhobenen Ansprüche gegen den Kläger ab.

Dem Kläger entstanden in Zusammenhang mit der am 31. 10. 2013 von der K* erhobenen Klage zu AZ 21 Cg 55/13v des Handelsgerichts Wien wegen der behaupteten Pflichtverletzungen des Klägers Vertretungskosten in Höhe von 738.457,96 EUR.

Der Kläger begehrte Zahlung von 738.457,96 EUR für die im Verfahren AZ 21 Cg 55/13v des Handelsgerichts Wien entstandenen Vertretungskosten und die Feststellung, wie im Spruch ersichtlich. Die Schadensmeldung sei rechtzeitig, nämlich innerhalb der Nachmeldefrist vor Ablauf des 31. 12. 2009 erfolgt und begründe eine Inanspruchnahme im Sinn des Versicherungsvertrags für alle denkbaren Schadenersatzansprüche der K* gegen den Kläger wegen dessen Organfunktion bei der K*. Die Widerklage vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht Wien sei geeignet, eine Bestimmung des haftungsbegründenden Sachverhalts vorzunehmen. Die Aufrechnungseinrede umfasse die gesamte Forderung, mit welcher aufgerechnet werde. Überdies sei die Beschränkung der Nachhaftung auf zwölf Monate gröblich benachteiligend. Hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Spezialtransaktion „R* 2007“ geltend gemachten Ansprüche seien angebliche Pflichtverletzungen des Klägers zum 1. 1. 2008 nicht bekannt gewesen.

Die Nebenintervenientin schloss sich im Wesentlichen dem Vorbringen des Klägers an. Sowohl sie selbst als auch die K* seien der Verpflichtung, dem Versicherer die Erhebung von Ansprüchen durch einen geschädigten Dritten anzuzeigen, vollständig und rechtzeitig nachgekommen. Der anspruchsbegründende Sachverhalt für die am 31. 10. 2013 vor dem Handelsgericht Wien gegen den Kläger eingebrachte Klage auf Leistung von 30.000.000 EUR sei von der Schadensanzeige erfasst, die innerhalb der Nachmeldefrist erstattet worden sei.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Innerhalb der Nachmeldefrist sei mit der Widerklage der K* im Verfahren vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht Wien zu AZ 16 Cga 110/09a am 25. 9. 2009 lediglich ein Betrag in Höhe von 3.000.000 EUR ohne Ausdehnungsvorbehalt eingeklagt worden. Die mit 20. 12. 2013 übermittelte Meldung der Klage gegen den Kläger vor dem Handelsgericht Wien zu AZ 21 Cg 55/13v sei nicht rechtzeitig gewesen. Die Nachmeldefrist von einem Jahr sei nicht gröblich benachteiligend, weil sie zu einer (prämienfreien) Verdoppelung der Versicherungsdauer führe. Das Claims‑made‑Prinzip sei im Rahmen einer D&O Versicherung marktüblich. Es liege auch kein einheitlicher Versicherungsfall im Sinne der Serienschadenklausel vor. Jedenfalls bestehe kein Versicherungsschutz betreffend die im Zusammenhang mit der Spezialtransaktion „R* 2007“ geltend gemachten Ansprüche, weil es sich um bis zum 1. 1. 2008 bereits bekannte Pflichtverletzungen handle.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren zur Gänze statt, dem Feststellungsbegehren mit der Maßgabe, dass es die Wortfolge „diese Deckungs‑ und Schadenersatzansprüche bestehen bis zur insgesamten Höhe von 25.000.000 EUR“ einfügte. Rechtlich führte es aus, bei der D&O-Versicherung bewirke die Nachmeldefrist eine Erweiterung des Meldezeitraums über das Ende des Versicherungsvertrags hinaus. Sie sei weder unüblich nach § 864a ABGB noch gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Die mit Widerklage im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien geltend gemachten Schadenersatzansprüche seien dem Versicherer innerhalb der Nachmeldefrist angezeigt worden. Der Versicherungsschutz sei zwar frei von bis zum 1. 1. 2008 bekannten Pflichtverletzungen vereinbart worden. Zum Themenkreis R* sei eine Handlung des Klägers, die eine behauptete Pflichtverletzung überhaupt beinhalten könne, 2007 und somit vor Beginn des versicherten Zeitraums gesetzt worden. Vor Beginn des Jahres 2008 sei der Aufsichtsrat über die wesentlichen Sachverhaltselemente nicht aufgeklärt gewesen. Ihm seien damit aber die Pflichtverletzungen des Klägers vor Beginn der Versicherungsperiode somit nicht „bekannt“ im Sinne der Versicherungsbedingungen gewesen.

Es liege kein Serienschaden vor, weil der Kläger bereits mit der Schadensmeldung im Zuge der Widerklage alle gegen ihn geltend gemachten Schadenersatzansprüche angezeigt habe. Die Versicherungssumme betrage nach den Bedingungen 25.000.000 EUR und verstehe sich pro Versicherungsfall und für alle Versicherungsfälle einer Versicherungsperiode zusammen. Nach dieser Formulierung sei die Ersatzpflicht der Beklagten mit einmal 25.000.000 EUR begrenzt; nur mit der Maßgabe dieser Begrenzung sei daher die Haftung der Beklagten auszusprechen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und korrigierte die vom Erstgericht vorgenommene Einschränkung des Zuspruchs im Rahmen der Feststellungsbegehren. Das Klagebegehren des Klägers sei nicht offenbar so gemeint gewesen, dass er die allfällige Beschränkung einer späteren Leistungspflicht der Beklagten jetzt festgestellt haben wollte. Im Gegenteil, ob und in welcher Art und Weise (in Bezug auf die Berücksichtigung von Kosten und Zinsen) die Versicherungssumme allfällige in der Zukunft erst entstehende Ansprüche des Klägers begrenzen werde, sei keine im Deckungsprozess zu klärende Frage.

Der Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht keine Folge. In der D&O‑Versicherung trete der Versicherungsfall grundsätzlich mit dem Zeitpunkt der erstmaligen Erhebung eines Anspruchs gegen eine versicherte Person ein. Die Geltendmachung der Kompensandoforderung im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erfülle diese Voraussetzungen. In diesem Schriftsatz sei auch bereits die Schadenssumme vom 72.000.000 EUR angesprochen worden. Die allfälligen Pflichtverletzungen des Klägers im Zusammenhang mit dem Themenkomplex „R*“ seien vor Beginn des versicherten Zeitraums gesetzt worden. Da der Kläger damit schon 2007 in Kenntnis der ihm später zum Vorwurf gemachten – möglichen – Pflichtverletzungen gewesen sei, führe der hier vereinbarte Vorkenntnisausschluss dazu, dass kein Versicherungsschutz für den Themenbereich „R*“ bestehe.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen des Klägers und der Beklagten, jeweils mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen begehren der Kläger und die Nebenintervenientin, die Revision der Beklagten, zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision des Kläger nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig, die Revision des Klägers ist berechtigt, jene der Beklagten ist nicht berechtigt.

Allgemeines:

1.1 Die D&O‑Versicherung (Directors’ and Officers’ Liability Insurance) dient der Absicherung von Leitungsorganen gegen persönliche Inanspruchnahme durch die Gesellschaft (Innenhaftung) oder Dritter (Außenhaftung). Sie ist eine Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung für fremde Rechnung (Hafner/Perner, D&O‑Versicherung: Struktur und Inhalt1, ZFR 2018/185 [369]; vgl auch Ramharter, D&O‑Versicherung [2018] Rz 2/13).

1.2 Die D&O‑Versicherung beruht auf dem Anspruchserhebungsprinzip (Claims-made-Prinzip). Anders als in der Haftpflichtversicherung, die das Entstehen der Leistungspflicht des Versicherers vom Eintritt eines Schadenereignisses abhängig macht oder sich auf den Verstoß des Versicherungsnehmers stützt, ist die Leistungspflicht der D&O‑Versicherung an die Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs gegenüber der versicherten Person geknüpft (Gruber/Mitterlechner/Wax, Das Claims‑made‑Prinzip in der D&O‑Versicherung, wbl 2012/16; Ramharter aaO 5/89 ff; Hafner/Perner, aaO [380]; Mitterlechner/Wax/Witsch, D&O‑Versicherung mit internationalen Bezügen2 [2019] § 6 Rz 115 f; Lange in Veith/Gräfe/Gebert,Der Versicherungsprozess4 § 21 D&O‑Versicherung Rn 50; Voit inPrölss/Martin VVG30 AVB‑AVG Z 2 Rn 1).

1.3 In beinahe allen D&O‑Versicherungsverträgen – auch hier – wird eine Rückwärtsdeckung durch den Versicherer gewährt. Darunter ist ein Versicherungsschutz zu verstehen, der nach Versicherungsbeginn eintretende Versicherungsfälle, die auch auf vor Versicherungsbeginn gesetzten Pflichtverletzungen beruhen, erfasst (Rückwärtsdeckung) Ramharter, aaO 5/90; Mitterlechner/Wax/Witsch, aaO § 6 Rz 117; Beckmann in Beckmann/Matusche‑Beckmann Versicherungsrechts‑Handbuch3 § 28 D&O‑Versicherung Rn 106 f).

2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

Zur Revision der Beklagten:

Die Revision wendet sich gegen den Zuspruch nur dem Grunde nach.

1.1 Der Versicherungsfall nach Art 1.1 AVB besteht darin, dass der Versicherte wegen einer Pflichtverletzung in Ausübung einer Tätigkeit als versicherte Person erstmals schriftlich für einen Vermögensschaden in Anspruch genommen wird, sofern die versicherten Personen von der Pflichtverletzung bis zum Abschluss der Versicherung keine Kenntnis hatten. Damit tritt der Versicherungsfall mit der schriftlichen Anspruchserhebung ein („Claims-made-Prinzip“ oder „Anspruchserhebungsprinzip“).

1.2  In den Besonderen Bedingungen 1 wird eine Schadensnachmeldefrist von zwölf Monaten vereinbart. Während dieser Nachmeldefrist sind auch solche Schadenersatzansprüche versichert, die nach Beendigung des Versicherungsvertrags geltend gemacht und dem Versicherer angezeigt werden und auf Pflichtverletzungen beruhen, die vor Beendigung des Vertrags begangen worden sind.

1.2.1 Durch derartige Regelungen über diese sogenannte Nachhaftung werden die Auswirkungen des reinen Inanspruchnahmeprinzips zugunsten der versicherten Person abgeschwächt und Deckungslücken beim Wechsel des Versicherers vermieden. Der Versicherungsschutz wird auf die Inanspruchnahme nach Ende des Versicherungsvertrags ausgedehnt, sofern die begründende Pflichtverletzung vor dem formellen Vertragsende lag. Die Musterbedingungen sehen zum einen eine automatische (auch „prämienfreie“) Nachmeldefrist vor, deren Dauer offengelassen wurde. Zudem kann unter gewissen Voraussetzungen eine darüber hinausgehende Nachmeldefrist gegen Beitragsleistung erworben werden (Hafner/Perner, aaO [381]).

1.3.1 Der durchschnittlich verständige Angehörige des hier angesprochenen Adressatenkreises der Leitungsorgane versteht die Wortfolgen „für einen Vermögensschaden in Anspruch genommen“ und „Schadenersatzansprüche, die […] geltend gemacht werden“ gleichermaßen als Erhebung vonHaftpflichtansprüchen. Insoweit kommt den Wortfolgen – entgegen der Ansicht der Beklagten – keine unterschiedliche Bedeutung zu. Inwieweit allfällige unterschiedliche Anforderungen an die Schadensanzeige an den Versicherer während aufrechtem Versicherungsfall und während der Nachmeldefrist zu einem unterschiedlichen Auslegungsergebnis führen sollen, ist nicht nachvollziehbar.

1.3.2 Eine Anspruchserhebung oder Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen liegt vor, wenn der tatsächlich oder vermeintlich geschädigte Dritte seinen Entschluss in einer Art und Weise zu erkennen gibt, die als ernstliche Erklärung auf Verlangen nach Schadenersatz verstanden werden kann. Eine Bezifferung des Anspruchs wird zwar nicht verlangt, der Vortrag des Anspruchsstellers muss aber geeignet sein, eine Bestimmung des angeblich haftungsbegründenden Sachverhalts vorzunehmen. Eine überhaupt nur mögliche oder wahrscheinliche Inanspruchnahme/Geltendmachung löst den Deckungsanspruch hingegen nicht aus. Ebenso wenig reicht es, dass der Gläubiger erkennbar eine Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen lediglich erwägt oder für möglich erachtet (Ramharter, aaO 5/102, Hafner/Perner aaO [380]; Mitterlechner/Wax/Witsch, aaO § 6 Rz 132 f). Eine Streitverkündung oder Aufrechnungserklärung ist der Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gleichzuhalten (Ramharter, aaO 5/104; vgl auch 7 Ob 137/15w).

1.4.1 Richtig ist, dass Inhalt der prozessualen Aufrechnungseinrede die Einwendung einer Gegenforderung des Beklagten gegen den Kläger mit dem Ziel ist, die Aufrechnung mit der Klagsforderung im Wege einer Gerichtsentscheidung über Bestand und Aufrechenbarkeit der Gegenforderung herbeizuführen (RS0033911). Die Aufrechnungseinrede im Prozess ist demnach eine bedingte Erklärung, die erst und nur für den Fall wirksam wird, dass eine gerichtliche Entscheidung den Bestand der Hauptforderung bejaht (RS0034013).

1.4.2 Besondere Bedingungen 1 sieht keine Geltendmachung der Schadenersatzforderung innerhalb eines Gerichtsverfahrens vor; das heißt, selbst eine in einem „einfachen“ Schreiben enthaltene Anspruchserhebung ist grundsätzlich ausreichend. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es damit aber für die Beurteilung, ob der Versicherungsfall nach dieser Bedingung eingetreten ist, nicht auf die eben ausgeführten verfahrensrechtlichenWirkungen einerAufrechnungseinrede an. Entscheidend ist vielmehr, ob derSchriftsatz vom 9. 8. 2009 im arbeitsgerichtlichen Verfahren das ernstliche Verlangen nach Schadenersatz enthält.

1.4.3 Dies wurde von den Vorinstanzen zutreffend bejaht. Der Schriftsatz beinhaltet die Darstellung der rechtlichen und faktischen Umstände, auf die die K* die Haftung des Klägers für ihre konkret mit 72 Mio EUR bezifferte Schadenersatzforderungen stützt. Aus diesemSchriftsatzfolgt die ernsthafte Haftbarmachung des Klägers; die Ernsthaftigkeit der Erklärung folgt zusätzlich aus dem Einbringen des Schriftsatzes im arbeitsgerichtlichen Verfahren und somit der Inanspruchnahme des Klägers imAußenverhältnis.

1.5 Damit wurde die Schadenersatzforderung gegenüber dem Kläger nicht nur innerhalb der Nachmeldefrist geltend gemacht, sondern dieser Umstand der Beklagten auch durch die Schadensanzeige vom 25. 9. 2009, der der Schriftsatz samt Widerklage beigefügt war, mitgeteilt. Der Versicherungsfall ist somit innerhalb der Nachmeldefrist eingetreten und die Deckungspflicht der Beklagten grundsätzlich zu bejahen.

1.6 Der Frage, ob sich die Versicherungsnehmerin eines Versicherungsmaklers bediente, kommt im vorliegenden Fall keine Bedeutung zu. Ein Eingehen auf den in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmangel des Berufungsgerichts erübrigt sich ebenso wie auf die Frage, ob die Nachmeldefrist von zwölf Monaten der Geltungs‑ und Inhaltskontrolle standhielte.

2. Insgesamt ist der Revision der Beklagten der Erfolg zu versagen.

Zur Revision des Klägers:

1.1 Der Versicherungsfall nach Art 1.1 AVB besteht – wie ausgeführt – darin, dass eine der versicherten Personen während der Dauer der Versicherung wegen einer Pflichtverletzung, die sie in Ausübung der versicherten Tätigkeit begangen hat, für einen Vermögensschaden in Anspruch genommen wird, sofern die versicherten Personen von den Pflichtverletzungen bis zum Abschluss der Versicherung keine Kenntnis hatten.

1.2 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welches Risiko versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und nicht kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166, RS0080068).

1.3.1 Von der – bereits dargestellten Rückwärtsdeckung – werden Versicherungsfälle, die den versicherten Personen bekannt waren, vom an sich übernommenen Versicherungsschutz wieder ausgeschlossen („Vorkenntnisausschluss“) (Beckmann, aaO Rn 108; Mitterlechner/Wax/Witsch, aaO § 7 Rn 108, Ramharter,aaO 7/15 f; Ihlas in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG2, 320. Directors and Officers Versicherung Rn 728 f; Lange, D&O‑Versicherung & Managerhaftung § 10 Rn 28 f; Lanner in Gisch/Koban/Ratka,HaftpflichtversicherungD&O Versicherung und Manager‑Rechtsschutz 85).Der Zweck des Vorkenntnisausschlusses liegt im berechtigten Interesse des Versicherers daran, keine Risiken (vorvertraglich bekannte Pflichtverletzungen) zu decken, deren Verwirklichung mit großer Wahrscheinlichkeit stattfinden wird (Lange, aaO Rn 29).

1.3.2 Die Beweislast für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand trägt der Versicherer (RS0107031). Somit trägt der Versicherer auch die Darlegungs‑ und Beweislast für die Vorkenntnis eines Versicherten (Lange, aaO Rn 34. Lanner aaO 86; Beckmann aaO Rn 110; Staudinger/Friesen in Staudinger/Halm/Wendt Versicherungsrecht2, 1389).

1.4 Die Bedingung stellt auf die Kenntnis der Pflichtverletzung ab. Dabei kommt es nicht nur auf die Kenntnis des tatsächlichen Verhaltens (Tun und Unterlassen), sondern darüber hinaus, auch auf die Kenntnis der Pflichtwidrigkeit dieses Verhaltens an (Beckmann, aaO Rn 108). Es reicht nicht aus, wenn dem Versicherungsnehmer lediglich Tatsachen bekannt sind, die zwar den möglichen Schluss zulassen oder sogar nahelegen, ein Versicherungsfall könne bereits eingetreten sein. Solange der Versicherungsnehmer einen solchen Schluss nicht zieht, weil er andere Ursachen für ein ihm bekanntes Schadensbild vermutet oder er keine ausreichenden Überlegungen über die Schadensursache anstellt, hatte er noch keine positive Kenntnis vom Versicherungsfall. Ein gegen ihn gerichteter Vorwurf erschöpft sich dann allenfalls darin, den sich aufdrängenden Schluss auf die Ursache fahrlässig – oder sogar grob fahrlässig – nicht gezogen und deshalb das Vorliegen eines Versicherungsfalls nicht erkannt zu haben (Lücke, Für positive Kenntnis des Versicherungsfalls reicht ein Kennenmüssen nicht aus, Versicherung und Recht vk.iww.de 01-2015; vgl Ihlas,aaO Rn 728; Lange,aaO § 10 Rn 28 f). Entscheidend ist, dass der Versichertedie Handlungen als Pflichtverletzung identifiziert hat, die schlichte Kenntnis von der Handlung reicht nach der Formulierung des beschriebenen Vorerkenntnisausschlusses eindeutig nicht aus (Ramharter aaO 7/17).

1.5 Das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts, es komme auf die Kenntnis der versicherten Person an, die für die in Rede stehende Pflichtverletzung verantwortlich gemacht wird, sodass hier der Kläger die nach der Klausel geforderte Vorkenntnis gehabt haben muss, ist im Revisionsverfahren unstrittig.

2.1 Es herrscht das Trennungsprinzip. Die Frage der zivilrechtlichen Haftpflicht des Versicherungsnehmers/des Versicherten ist im Haftpflichtprozess zwischen ihm und dem Geschädigten zu klären, während der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers/Versicherten, wenn er strittig ist, zwischen ihm und dem Versicherer im Deckungsprozess geprüft werden muss. Die Frage, ob der Versicherer Versicherungsschutz zu gewähren hat, ist also von jener zu trennen, ob der Versicherungsnehmer/Versicherte dem Dritten Schadenersatz schuldet. Im Deckungsprozess sind deshalb Feststellungen über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen wurden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich. Im Deckungsprozess kommt eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses bei Beurteilung der Erfolgsaussichten grundsätzlich nicht in Betracht (7 Ob 142/18k; RS0081927).

2.2 Einen Sonderfall bilden Tatsachen, die für die Beurteilung sowohl der Berechtigung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers als auch dessen Haftung entscheidungsrelevant sind. Zu entscheidungsrelevanten Tatsachen sind im jeweiligen Prozess Feststellungen zu treffen. Im Deckungsprozess ist das Bestehen des Deckungsanspruchs zu prüfen und es bedarf der dafür notwendigen Feststellungen (7 Ob 142/18k), so etwa zum Vorliegen eines Ausschlusstatbestands.

2.3 Das (tatsächliche) Vorliegen der Pflichtverletzung, auf die die Beklagte den Vorkenntnisausschluss gründet, ist somit für die Beurteilung des behaupteten Ausschlusstatbestands entscheidungsrelevant. Im Deckungsprozess sind daher Feststellungen zum Vorliegen der Pflichtverletzung und darüber hinaus auch zur positiven Kenntnis des Klägers – was bisher überhaupt unterblieb – zu treffen.

2.4 Im Sinn der obigen Ausführungen hat die Beklagte die Pflichtverletzung und die (positive) Vorkenntnis des Klägers zu behaupten und zu beweisen. Die Frage der Behauptungs- und Beweislast war aber bislang nicht Gegenstand des Verfahrens und wurde mit den Parteien nicht erörtert. Im fortgesetzten Verfahren ist daher der Beklagten die Möglichkeit zu geben, entsprechendes Vorbringen zu erstatten.

3. Ein Eingehen auf die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel des Berufungsverfahrens erübrigt sich.

4. Der Revision des Klägers war daher im Sinn des Aufhebungsantrags Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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