OGH 7Ob137/15w

OGH7Ob137/15w19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI R***** S*****, vertreten durch Dr. Philipp Metlich, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2015, GZ 1 R 9/15y‑16, womit das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 12. November 2014, GZ 51 Cg 27/14y‑10, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00137.15W.1119.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.821,24 EUR (darin enthalten 303,54 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von 1. 1. 2001 bis 31. 12. 2010 Mitglied des Vorstands der B***** AG (in der Folge: Versicherungsnehmerin). Mit 1. 1. 2011 wechselte er in den Vorstand der B**********Aktiengesellschaft (in der Folge: „B*****AG“). Die Versicherungsnehmerin verschmolz am 21. 6. 2012 als übertragende Gesellschaft mit der B*****AG als übernehmende Gesellschaft, die nunmehr als E***** AG firmiert.

Am 5. 6. 2012 wurde der Kläger von der B*****AG mit sofortiger Wirkung wegen Vertrauensunwürdigkeit aus dem Anstellungsverhältnis entlassen. Er bekämpft diese Entlassung vor dem Landesgericht Eisenstadt zu 17 Cga 104/12b; dieses Verfahren, in dem die B*****AG am 9. 10. 2012 einen Kompensationseinwand erhob, ist noch nicht abgeschlossen.

Die B*****AG schloss sich am 30. 7. 2012 mit einer bei der Staatsanwaltschaft Eisenstadt abgegebenen Erklärung dem von dieser zu 7 St 43/12f geführten Ermittlungsverfahren als Privatbeteiligte an; die Geltendmachung eines entsprechenden Schadenersatzbetrags behielt sie sich bis zur Hauptverhandlung vor. Als Beschuldigten führte sie „U.T. im Zusammenhang mit B*****“ (= Versicherungsnehmerin) an. Der Kläger wurde in diesem Ermittlungsverfahren am 20. 9. 2012 als Beschuldigter zu verschiedenen Vorwürfen in Richtung § 153 StGB, § 255 AktG im Zusammenhang mit seiner Funktion als seinerzeitiges Vorstandsmitglied der Versicherungsnehmerin befragt. Die Vorwürfe wegen Untreue liegen dem Kompensationseinwand der B*****AG im Arbeitsgerichtsverfahren zugrunde.

Die Versicherungsnehmerin schloss mit der Beklagten einen Directors & Officers‑Versicherungsvertrag (in der Folge: „D&O‑Versicherung“) mit einer Versicherungsdauer von einem Jahr ab, der sich mangels Kündigung oder Beendigung jeweils um ein Jahr verlängerte. Das Versicherungsjahr begann jeweils am 1. 10. eines Jahres. Dem Versicherungsvertrag lagen die „D***** OLA 2008 *****, Versicherung für Organmitglieder und Leitende Angestellte“ (in der Folge: „OLA 2008“) zugrunde; deren Inhalt lautet auszugsweise:

1 Versicherungsfälle, Rechtsübergang bei Unternehmensenthaftung, Versicherte Personen

1.1 Versicherungsfälle, Versicherungsgegen‑ stand

1.1.1 Manager-Haftpflichtschutz bei Schaden-ersatzansprüchen, Vermögensschaden

Den versicherten Personen wird Versicherungsschutz gewährt, wenn sie wegen einer Pflichtverletzung in Ausübung einer Tätigkeit als versicherte Person (Pflichtverletzung) erstmals schriftlich für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden (Haftpflicht-Versicherungsfall).

Der Versicherungsschutz besteht in der Prüfung der Haftpflicht, der Übernahme der Kosten der Verteidigung gegen unbegründete Schadenersatzansprüche und der Freistellung von begründeten Schadenersatzansprüchen.

1.1.2 Zusätzlicher Verfahrensrechtsschutz für Manager

Den versicherten Personen wird Versicherungsschutz gewährt, wenn wegen einer Pflichtverletzung erstmals

a) Strafrechtsschutz

ein Verfahren wegen eines Vergehens oder einer Ordnungswidrigkeit, welche(s) einen Vermögensschaden verursachen kann,

...

gegen sie eingeleitet wird (Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall).

Der Versicherungsschutz besteht in der Übernahme der Kosten der Verteidigung.

1.3 Versicherte Personen

Versicherte Personen sind alle natürlichen Personen, die

a) bei der Versicherungsnehmerin oder einem ihrer Tochterunternehmen entweder

i. Mitglied des Vorstands oder …

waren, sind oder vor Ende der Vertragslaufzeit sein werden, in Ausübung dieser jeweiligen Tätigkeit. …

2 Versicherter Zeitraum, zeitliche Wirkung von Kontrollwechseln, Versicherung unter einer Nachmeldefrist oder Run Off-Frist, Vorsorgliche Anzeige von Umständen

2.1 Versicherter Zeitraum, Anspruchs‑ erhebungsprinzip, Rückwärtsversicherung, betroffene Versicherungsperiode

Versichert sind Versicherungsfälle, die während der Vertragslaufzeit gemäß 11.1 (Vertragslaufzeit), einer Nachmeldefrist oder einer Run Off-Frist eintreten, gleich, ob die Pflichtverletzung vor oder nach Beginn der Vertragslaufzeit begangen wurde. Versicherungsfälle werden der Versicherungsperiode zugerechnet, in der sie erstmals eintreten.

2.2 Zeitliche Wirkung von Kontrollwechseln

...

2.2.2 Verschmelzung

Wird die Versicherungsnehmerin während einer Versicherungsperiode nach den Vorschriften des Aktiengesetzes, des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, des Umwandlungsgesetzes oder Vorschriften einer ausländischen Rechtsordnung auf einen oder unter Verlust der eigenen Rechtspersönlichkeit mit einem anderen Rechtsträger verschmolzen, wird Versicherungsschutz nur für Versicherungsfälle wegen vor dem jeweiligen Ereignis begangener Pflichtverletzungen gewährt.

2.3 Versicherung unter einer Nachmeldefrist, Run Off-Frist

2.3.1 Nachmeldefrist

Die Nachmeldefrist entsteht, wenn die Vertragslaufzeit durch Kündigung oder, vorbehaltlich 2.3.2, automatischen Ablauf endet und in diesem Zeitpunkt kein Prämienverzug besteht. Sie beträgt

a) sechs Jahre für versicherte Personen, die während der Vertragslaufzeit ordentlich oder aus gesundheitlichen Gründen aus jedweder Funktion gemäß 1.3 a bis c ausscheiden und

b) drei Jahre für alle anderen versicherten Personen

ab dem Ende der Vertragslaufzeit.

2.3.2 Erwerb einer Run Off-Frist bei Kontrollwechsel

Eine Nachmeldefrist entsteht nicht, wenn die Vertragslaufzeit durch automatischen Ablauf wegen Wechsels in der Kontrolle der Versicherungsnehmerin gemäß 2.2 endet. In diesem Falle kann eine Run Off-Frist von bis zu sechs Jahren ab dem automatischen Ablauf der Vertragslaufzeit gemäß 11.2 a gegen Zusatzprämie gesondert vereinbart werden. Der Antrag kann innerhalb eines Monats ab Kontrollwechsel beim Versicherer gestellt werden.

2.3.3 Versicherungsschutz unter Nachmelde-frist und Run Off-Frist

Während der Nachmeldefrist oder einer Run Off‑Frist eintretende Versicherungsfälle sind versichert, soweit sie auf einer Pflichtverletzung vor Ende der Vertragslaufzeit, im Falle eines Wechsels in der Kontrolle der Versicherungsnehmerin durch Verschmelzung gemäß 2.2.2 jedoch spätestens vor diesem, beruhen. Versicherungsschutz besteht im Umfang der unverbrauchten Versicherungssumme und der Vertragsbedingungen der Versicherungsperiode, die der Nachmeldefrist oder Run Off-Frist unmittelbar vorhergeht.

4 Deckungserweiterungen und Zusatzlimits

4.4 Aufrechnung und Bereicherung

4.4.1 Aktivprozess bei Aufrechnung

Im Haftpflicht-Versicherungsfall gilt als Verteidigung im Sinne von 6.2 auch der von der versicherten Person geführte Rechtsstreit zur Durchsetzung ihrer Vergütungs- oder anderen Ansprüche aus dem Organ- oder Anstellungsverhältnis, wenn die Versicherungsnehmerin oder ein Tochterunternehmen mit einem Schadenersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung gegen solche Ansprüche aufrechnet.

7 Ausschlüsse

7.1 Wissentlichkeits- oder Vorsatzausschluss, vorläufige Verteidigungskosten

7.1.1 Ausschluss wissentliche Pflichtverletzung (betreffend Versicherungsfall 1.1.1)

Vom Versicherungsschutz unter 1.1.1 ausgeschlossen sind Haftpflicht-Versicherungsfälle wegen Inanspruchnahmen für Schadenersatzansprüche, die auf einer wissentlichen Pflichtverletzung der in Anspruch genommenen versicherten Person beruhen.

7.1.3 Vorläufige Verteidigungskosten, Rückerstattungspflicht

Im Zweifel über das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach 7.1.1 oder 7.1.2 wird der Versicherer vorläufige Verteidigungskosten bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung oder einem endgültigen Vergleich über den Schadenersatzanspruch oder das Verfahren gewähren. Dies gilt auch, wenn der Anspruch auf Schadenersatz auf eine Anspruchsgrundlage gestützt wird, die nur bei Vorsatz gegeben sein kann.

Steht das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes fest, entfällt der Versicherungsschutz. Vom Versicherer bereits geleistete Verteidigungskosten sind zurückzuerstatten. Als Feststellung gilt eine rechtskräftige oder vollstreckbare gerichtliche Entscheidung, ein Vergleich oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die zum Ausschluss führenden Tatsachen ergeben. Ein Verfahrensabschluss durch Strafbefehl führt nicht zur Rückerstattungspflicht der strafrechtlichen Verteidigungs‑ kosten.

...

8 Jahreshöchstleistung, Sublimite, Selbst‑ behalte, Serienschadenklausel, andere Versicherung und Kumulklausel

8.4 Serienschadenklausel

8.4.1 Einheitlicher Versicherungsfall

Alle Versicherungsfälle, denen dieselbe Pflichtverletzung zugrunde liegt, gelten unabhängig von der Anzahl der Inanspruchnahmen und Verfahren als derselbe Versicherungsfall.

Dies gilt auch für Versicherungsfälle, denen mehrere, von einer oder mehreren versicherten Personen begangene Pflichtverletzungen zugrunde liegen, wenn diese für denselben Vermögensschaden ursächlich oder Gegenstand desselben Verfahrens oder sachlich und zeitlich eng miteinander verbunden sind.

8.4.2 Zuordnung des Versicherungsfalls

Ein Versicherungsfall nach 8.4.1 gilt als alleine in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem

a) die erste Inanspruchnahme erfolgt, das erste Verfahren eingeleitet wird oder nach 4.2 (Vorbeugende Rechtskosten vor Haftpflicht-Versicherungsfall) oder 4.3 (Zusatzdeckungen Verfahrensrechtsschutz) Versicherungs-schutz auslösende Ereignisse erstmals eintreten oder

...

je nachdem, welcher der früheste dieser Zeitpunkte ist.

8.5 Anderweitige Versicherung

Soweit unter diesem Versicherungsvertrag zu erbringende Leistungen auch unter einem anderen Versicherungsvertrag gleich welchen Versicherungsnehmers zugunsten einer unter vorliegendem Versicherungsvertrag versicherten Person versichert sind, wird, mit Ausnahme von 4.8 (Vorleistung bei Doppelversicherung), Deckung unter vorliegendem Versicherungsvertrag nur im Anschluss an Leistungen unter der anderen Versicherung gewährt (Subsidiarität).

Eine Subsidiarität gilt nicht, sofern der andere Versicherungsvertrag als Exzedentenversicherung vorliegenden Versicherungsvertrages abgeschlossen ist.

...

9 Anzeigepflichten, Verhalten im Versicherungsfall und Obliegenheitsverletzungen

9.1 Anzeigepflichten

...

9.1.2 Anzeigepflichtige Gefahrerhöhungen während der Versicherungsperiode

Allein folgende während einer Versicherungsperiode eintretende Umstände gelten als Gefahrerhöhung und sind dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen:

a) Wechsel der Kontrolle über die Versicherungsnehmerin im Sinne von 2.2,

...

9.3 Rechtsfolgen bei Obliegenheitsverletzung

Wird eine vertragliche oder gesetzliche Obliegenheit vorsätzlich verletzt, ist der Versicherer gegenüber den vorsätzlich handelnden versicherten Personen nicht zur Leistung verpflichtet. Bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung gegenüber den so handelnden versicherten Personen in einem jeweils der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weist die eine Obliegenheit verletzende versicherte Person oder wen sonst die Obliegenheit trifft nach, dass die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt wurde, bleibt der Versicherungsschutz uneingeschränkt bestehen.

Der Versicherer ist auch zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Das gilt nicht, wenn die versicherte Person oder wen sonst die Obliegenheit trifft die Obliegenheit arglistig verletzt hat.

Die vorstehenden Bestimmungen gelten unabhängig davon, ob der Versicherer ein ihm zustehendes Kündigungsrecht ausübt. ...

11 Vertragslaufzeit

11.1 Versicherungsperiode, Kündigung, Ablauf, Verlängerung, Vertragslaufzeit

Der Versicherungsvertrag ist zunächst für die im Versicherungsschein bezeichnete Versicherungsperiode abgeschlossen. Wird der Versicherungsvertrag nicht bis drei Monate vor dem Ende der Versicherungsperiode gekündigt und tritt kein Umstand ein, der zum automatischen Versicherungsvertragsablauf führt, verlängert er sich jeweils um eine weitere Versicherungsperiode von einem Jahr. Die Vertragslaufzeit ist der Zeitraum vom Beginn der ersten Versicherungsperiode bis zum Ende der letzten sich lückenlos anschließenden Versicherungsperiode.

11.2 Automatischer Ablauf

Der Versicherungsvertrag endet automatisch und ohne dass es einer Kündigung bedarf, wenn

a) ein Wechsel in der Kontrolle der Versicherungsnehmerin im Sinne von 2.2 eintritt,

...

mit dem Ende der Versicherungsperiode, in welche das jeweilige Ereignis fällt. Dies gilt auch, wenn das Ereignis später als drei Monate vor Ende der Versicherungsperiode eintritt.

Mit Schreiben vom 31. 8. 2012 teilte die Beklagte der Versicherungsnehmerin mit, dass der Versicherungsvertrag aufgrund eines Kontrollwechsels in Form einer Verschmelzung mit der B*****AG gemäß Art 11.2 OLA 2008 automatisch mit dem Ende der Versicherungsperiode endet; hilfsweise erklärte sie aufgrund der Verschmelzung die ordentliche Kündigung zum 1. 10. 2012.

Mit Schreiben vom 12. 4. 2013 gewährte die Beklagte dem Kläger Versicherungsdeckung für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren (Verfahrensrechtsschutz gemäß Art 1.1.2 OLA 2008).

Der Kläger verfügt über eine Rechtsschutzversicherung bei der A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft; diese gewährt Rechtsschutzdeckung für das oben angeführte Arbeitsgerichtsverfahren. Die in dieser Angelegenheit zur Verfügung stehende Versicherungssumme beträgt 122.000 EUR.

Der Kläger begehrte ‑ neben der Feststellung der Freistellungspflicht der Beklagten von Schadenersatz‑ ansprüchen der E***** AG gegen den Kläger, worüber das Erstgericht bislang noch nicht entschieden hat ‑ soweit noch relevant die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für das Arbeitsgerichtsverfahren bis zu dessen rechtskräftigen Erledigung in jenem Ausmaß, in dem seine Rechtsschutzversicherung im Rahmen der von dieser gewährten Rechtsschutzdeckung keine Deckung gewährt. Auf Grundlage der Vorwürfe im Ermittlungsverfahren habe die E***** AG im Arbeitsgerichtsverfahren Schadenersatzforderungen von insgesamt 951.000 EUR gegen die vom Kläger geltend gemachten Forderungen aufrechnungsweise eingewendet. Daher bestehe gemäß Art 1.1.1 iVm Art 4.4.1 OLA 2008 Versicherungsschutz für das gesamte Arbeitsgerichtsverfahren. Als erste schriftliche Inanspruchnahme im Sinn des Art 1.1.1 OLA 2008 sei der Privatbeteiligtenanschluss der E***** AG anzusehen. Zudem sei die Serienschadenklausel anzuwenden; aufgrund identer Vorwürfe liege ein einheitlicher Versicherungsfall im Sinn des Art 8.4.1 OLA 2008 vor, der gemäß Art 8.4.2 OLA 2008 vor dem 1. 10. 2012 eingetreten sei, weil auf die davor gelegene Einleitung des Ermittlungsverfahrens abzustellen sei. Laut OLA 2008 sei eine Verschmelzung ein gefahrenerhöhender Umstand; bezüglich solcher Umstände sei in §§ 24 Abs 1, 34a VersVG einseitig zwingend vorgesehen, dass sie dem Versicherer lediglich ein Kündigungsrecht einräumten. Diese Kündigung habe die Beklagte „hilfsweise“ erklärt, sodass der Vertrag zum 1. 10. 2012 durch Kündigung beendet worden sei. In diesem Fall stehe aber gemäß Art 2.3.1 OLA 2008 eine Nachmeldefrist von sechs Jahren offen. Die Nichtmeldung der Verschmelzung sei keinesfalls grob fahrlässig erfolgt. Auch sei diese weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten ursächlich, weshalb die Beklagte gemäß Art 9.3 OLA 2008 leistungspflichtig sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die Vertragslaufzeit sei zufolge Verschmelzung gemäß Art 11.2 OLA 2008 zum 1. 10. 2012 (gemäß Art 2.3.1 und 2.3.2 OLA 2008 ohne Nachmeldefrist und ‑ mangels Nachkaufs ‑ ohne Run Off‑Frist) automatisch abgelaufen. Die Kündigung sei nur hilfsweise erklärt worden. Der Kläger genieße daher nur im Strafverfahren Verfahrensrechtsschutz nach Art 1.1.2 OLA 2008, nicht jedoch Haftpflichtrechtsschutz nach Art 1.1.1 OLA 2008, weil hier der Versicherungsfall gemäß dem Anspruchserhebungsprinzip erst mit der Erhebung des Kompensationseinwands am 9. 10. 2012 ‑ und damit nach Vertragsbeendigung ‑ eingetreten sei. Daher liege vor Vertragsablauf kein Versicherungsfall vor, weshalb auch die Serienschadenklausel nicht zum Tragen komme. Der Privatbeteiligtenanschluss vom 30. 7. 2012 sei mangels betraglicher Schadenersatz‑ anspruchstellung kein Versicherungsfall. Die Leistungsfreiheit folge auch aus der Verletzung der Obliegenheit der Versicherungsnehmerin und des Klägers zur Meldung der Verschmelzung.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Begehren ab. Aufgrund der Deckungszusage und Deckungsgewährung durch den Rechtsschutzversicherer des Klägers sei die Beklagte gemäß Art 8.5 OLA 2008 derzeit nicht zur Deckung verpflichtet.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es dem Begehren mit der Maßgabe stattgab, dass die Beklagte nur vorläufig und vorbehaltlich der Rückerstattung nach Art 7.1.3 OLA 2008 im Anschluss an die Leistungen der Rechtsschutzversicherung des Klägers Deckungsschutz zu gewähren habe. Der hier maßgebliche „Haftpflicht‑Versicherungsfall“ nach Art 1.1.1 OLA 2008 stelle einen Fall des Anspruchserhebungsprinzips (Claims-made-Prinzip) dar, bei welchem der Versicherungsfall mit der schriftlichen Anspruchserhebung eintrete, wenn diese während des versicherten Zeitraums erfolge. Die Verschmelzung habe nach Art 2.2.2 OLA 2008 ‑ ohne Kündigung ‑ zum automatischen Ablauf der Versicherung geführt. Dies habe wiederum nach Art 2.3.2 OLA 2008 zum Fehlen einer Nachfrist und ‑ mangels gesonderter Vereinbarung ‑ einer Run Off‑Frist zur nachträglichen Geltendmachung von Versicherungsfällen geführt. Dadurch werde aber die zu Lasten der Versicherung einseitig zwingende Bestimmung des § 25 Abs 3 VersVG faktisch ausgehebelt, der das „Alles‑oder‑Nichts‑Prinzip“ zugunsten der Versichertenseite lockere. Lasse man diese Bestimmungen unbeachtet, gelange man zur von der Beklagten selbst hilfsweise gewählten Kündigung des Versicherungsvertrags und den daraus abzuleitenden Rechtsfolgen, die jedoch zum Bestehen einer Nachmeldefrist nach Art 2.3.1 OLA 2008 führen würden. Der Kläger habe ein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren, weil die Beklagte das Bestehen eines Versicherungsfalls abstreite. Es sei jedoch die unstrittige Subsidiarität entsprechend der Formulierung der Klausel in Art 8.5 OLA 2008 und der von der Beklagten im Hinblick auf den Ausschlusstatbestand des Art 7.1.1 OLA 2008 nur vorläufig und vorbehaltlich der Rückerstattung nach Art 7.1.3 OLA 2008 zu gewährende Deckungsschutz zu verdeutlichen.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Allgemeinen Versicherungsbedingungen betreffend D&O‑Versicherungen vorläge.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die in der Revision behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

2. Da es hier auf die Auslegung mehrerer Bestimmungen Allgemeiner Versicherungsbedingungen (OLA 2008) entscheidend ankommt, sind vorweg die allgemeinen Auslegungsgrundsätze darzustellen:

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063, RS0112256). Bei Unklarheiten findet § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]).

Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901).

Gegenüber der Auslegungsregel des § 915 ABGB kommt den Auslegungsgrundsätzen des § 914 ABGB Anwendungsvorrang zu. Kann mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB das Auslangen gefunden werden, liegt der Fall des § 915 2. Halbsatz ABGB (undeutliche Äußerung) nicht vor (RIS‑Justiz RS0017752). Es ist daher zu prüfen, ob sich nach den Auslegungsregeln des § 914 ABGB ein eindeutiger Sinn der Vertragserklärungen ergibt.

3. Der beklagte Versicherer stützt sich primär darauf, dass der Kompensationseinwand erst nach Ablauf des Versicherungsvertrags nach Art 11.2 OLA 2008 erhoben wurde und damit kein zu deckender Versicherungsfall vorliegt, weil keine Nachmeldefrist besteht und die entsprechenden Bestimmungen der OLA 2008 gesetzmäßig seien.

3.1. Durch das Gesetz ist der Begriff „Versicherungsfall“ nicht definiert. Zur Prüfung der Frage, ob und wann ein Versicherungsfall eingetreten ist, ist daher auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zurückzugreifen (7 Ob 70/14s mwN).

3.2. Art 1.1 OLA 2008 sieht zwei Versicherungsfälle vor, und zwar den „Haftpflicht-Versicherungsfall“ in Art 1.1.1 und den „Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall“ in Art 1.1.2.

3.3.1. Der „Haftpflicht-Versicherungsfall“ nach Art 1.1.1 OLA 2008 besteht darin, dass der Versicherte wegen einer Pflichtverletzung in Ausübung einer Tätigkeit als versicherte Person (Pflichtverletzung) erstmals schriftlich für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Damit tritt der Versicherungsfall mit der schriftlichen Anspruchserhebung ein („Claims‑made‑Prinzip“; Gruber/Mitterlechner/Wax , Das Claims-made-Prinzip in der D&O‑Versicherung, wbl 2012, 16 f; Lenz in van Bühren , Handbuch Versicherungsrecht 5 , § 26 Rn 89 und 130; vgl auch Lange , Der Versicherungsfall der D&O‑Versicherung, r+s 2006, 177 f; Voit in Prölls/Martin , VVG 29 , Ziff 2 AVB‑AVG Rn 1; Schimmer in Patzina/Bank/Schimmer/Simon-Widmann , Haftung von Unternehmensorganen Kap 18 Rn 44 f; Muschner in Münchener Kommentar zum VVG, § 2 Rn 25 f ua). Demgegenüber knüpft der „Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall“ des Art 1.1.2 OLA 2008 an die erstmalige Verfahrenseinleitung gegen den Versicherten an; dabei tritt der Versicherungsfall in der Unterkategorie des Strafrechtsschutzes ein, wenn wegen der Pflichtverletzung erstmals unter anderem ein Verfahren wegen eines Vergehens, welches einen Vermögensschaden verursachen kann, gegen den Versicherten eingeleitet wird.

Der Kläger strebt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für Verteidigungskosten in einem anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren an. Im Haftpflicht-Versicherungsfall gilt nach Art 4.4.1 OLA 2008 als Verteidigung auch der von der versicherten Person geführte Rechtsstreit zur Durchsetzung ihrer Vergütungs‑ oder anderen Ansprüche aus dem Organverhältnis, wenn die Versicherungsnehmerin mit einem Schadenersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung gegen solche Ansprüche aufrechnet. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, hat doch die B*****AG als Gesamtrechtsnachfolgerin der Versicherungsnehmerin deren auf Pflichtverletzungen des Klägers beruhenden Schadenersatzansprüche gegen ihn im arbeitsgerichtlichen Verfahren aufrechnungsweise eingewendet.

3.3.2. Art 8.4 OLA 2008 enthält eine sogenannte „Serienschadenklausel“. Diese fasst ‑ wie andere gängige Serienschadenklauseln ‑ mehrere Versicherungsfälle zu einem Versicherungsfall zusammen und bestimmt den Zeitpunkt seines Eintritts (vgl Lange , Die Serienschadenklausel in der D&O-Versicherung, VersR 2004, 565; Voit in Prölls/Martin , VVG 29 Ziff 4.5 AVB-AVG Rn 17; Lange in Veith/Gräfe , Versicherungsprozess², § 16 D&O-Versicherung Rn 93 ua). Die Verknüpfung von mehreren Versicherungsfällen zu einem Versicherungsfall ist mit wechselseitigen Vor‑ und Nachteilen verbunden. Der Vorteil des Versicherers liegt in der Begrenzung der Versicherungsleistung auf die Versicherungssumme für eine Versicherungsperiode; der Vorteil für den Versicherten liegt darin, dass er nur einmal den Selbstbehalt schuldet, und in einem möglichen „Periodenvorteil“ ( Langheid/Grote , Deckungsfragen der D&O‑Versicherung, VersR 2005, 1174; Lange aaO 567 ff; Lenz aaO § 26 Rn 127).

Nach Art 8.4.1 erster Satz OLA 2008 gelten alle Versicherungsfälle, denen dieselbe Pflichtverletzung zugrunde liegt, unabhängig von der Anzahl der Inanspruchnahmen und Verfahren als derselbe Versicherungsfall. Nach Art 8.4.2.a 1. und 2. Fall OLA 2008 gilt ein Versicherungsfall als alleine in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem die erste Inanspruchnahme erfolgt oder das erste Verfahren eingeleitet wird, und zwar je nachdem, welcher der früheste dieser Zeitpunkte ist. Angesichts dieser inhaltlich klaren Regelungen kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese Bestimmungen nur dahin verstehen, dass - bei Vorliegen identer Pflichtverletzungen - sowohl Haftpflicht-Versicherungsfälle als auch Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfälle zu einem einheitlichen Versicherungsfall verknüpft werden und dass alle zu einem einheitlichen Versicherungsfall verknüpften Versicherungsfälle gleichzeitig im Zeitpunkt des zeitlich ersten Ereignisses als eintreten gelten. Das hat im Ergebnis zur Folge, dass für Bestand und Umfang des Versicherungsschutzes ausschließlich das zeitlich erste Ereignis maßgeblich ist (so auch Lange in Veith/Gräfe aaO § 16 D&O-Versicherung Rn 95 zu einer vergleichbaren Klausel).

3.3.3. Im vorliegenden Fall wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger unstrittig vor dem 1. 10. 2012 eingeleitet, sodass der Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall jedenfalls innerhalb der Wirksamkeit des Versicherungsvertrags eingetreten ist. So hat die Beklagte insofern auch zu Recht Versicherungsschutz gewährt.

Der Aufrechnungseinrede im Arbeitsgerichtsverfahren liegen gegen den Kläger im Ermittlungsverfahren erhobene Vorwürfe zugrunde. Demnach sind alle Pflichtverletzungen, die zur Begründung der Aufrechnungseinrede im Arbeitsgerichtsverfahren herangezogen werden, auch Gegenstand des Ermittlungsverfahrens. Aufgrund dieser Identität der den beiden Versicherungsfällen zugrundeliegenden Pflichtverletzungen gelten sie nach Art 8.4.1 OLA 2008 als ein Schadenfall, der nach Art 8.4.2.a OLA 2008 mit dem ersten, also während der Dauer des Versicherungsvertrags als eingetreten. Damit stellen sich aber Fragen der Vertragsbeendigung, Nachfrist und Run Off-Frist nicht. Die Subsidiarität nach Art 8.5 OLA 2008 wurde vom Berufungsgericht berücksichtigt.

4. Die Beklagte beruft sich in ihrer Revision zudem auf ihre Leistungsfreiheit nach den §§ 25, 28 VersVG infolge einer nach Vertragsabschluss durch die Verschmelzung eingetretenen Gefahrenerhöhung, weil diese weder von der Versicherungsnehmerin noch vom Kläger angezeigt worden sei. Dem ist entgegen zu halten, dass im Fall einer Verschmelzung nach Art 2.2.2 OLA 2008 Versicherungsschutz nur für Versicherungsfälle wegen vor der Verschmelzung begangener Pflichtverletzungen gewährt wird. Der hier vorliegende Versicherungsfall ist daher grundsätzlich gedeckt; Pflichtverletzungen nach der Verschmelzung sind nicht verfahrensgegenständlich. Die Anzeige hat nur den Sinn der Verständigung von der Verschmelzung; von der Verschmelzung erlangte die Beklagte aber ohnedies noch im August 2012 Kenntnis. Demnach hat die unterbliebene Anzeige keinen Einfluss auf die Leistung des Versicherers, weshalb sie keine Leistungsfreiheit der Beklagten bewirken kann. Eine arglistige Obliegenheitsverletzung wurde ohnehin nicht behauptet.

5. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Für eine Rechtsmittelschrift gebührt ein ERV‑Zuschlag lediglich in Höhe von 1,80 EUR (RIS‑Justiz RS0126594 [T1]).

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