OGH 14Os49/20t

OGH14Os49/20t29.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart der Schriftführerin Dr. Ondreasova in der Strafsache gegen ***** P***** wegen Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 25. Februar 2020, GZ 24 Hv 6/20v-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00049.20T.0929.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** P***** zweier Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (I./) und eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach (richtig:) §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB eingewiesen.

Danach hat er in S*****

I./ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper in nachgenannten, an das Bezirksgericht D***** zu AZ ***** gerichteten, per Fax übermittelten Schreiben mit nachfolgenden Inhalten, die (US 4) zuständige Rechtspflegerin zu einer Handlung, nämlich zur „EO-widrigen Beendigung bzw Rückabwicklung“ der von der Republik Österreich gegen ihn zum angeführten Aktenzeichen betriebenen Forderungs- und Fahrnisexekution, zu nötigen versucht, welche die Republik Österreich mit 256,36 Euro am Vermögen schädigen sollte, und zwar

A./ am 25. August 2019 durch das als „Einspruch gegen AZ: *****“ bezeichnete Schreiben, in dem er unter anderem ausführte: „Ich erbitte daher aufgrund meines begründeten Einspruchs bis Ende August eine Bestätigung per email, dass dieser Einspruch zur Kenntnis genommen wurde und auch keine Pfändung stattfindet! Wenn dies nicht beachtet wird und trotzdem Geld gepfändet wird, sehe ich mich zum Schritt der Selbstjustiz gezwungen!“,

B./ am 14. November 2019 durch das als „Beschwerde gegen Beschluss *****“ bezeichnete Schreiben mit dem sinngemäßen Inhalt, dass ein Beschluss im genannten Verfahren nicht rechtmäßig sei, weil er nicht an die bekannt gegebene E-Mail-Adresse, sondern per Post übermittelt wurde, verbunden mit der Forderung: „Daher ist mir nun das gepfändete Geld [gemeint, das im genannten Exekutionsverfahren per Gehaltsexekution exequierte Geld] bis spätestens 01. 12. 19 zurückzuzahlen, ansonsten werde ich zur Selbstjustiz schreiten, da ich mich in einer Demokratie befinde und nicht in einem Nazistaat! […] ENTWEDER IST BIS 01. 12. 19 DAS GELD ZURÜCKBEZAHLT ODER ICH GEHE DAGEGEN VOR, DA ICH MIR DIESES NAZI- UND SS-TUN NICHT MEHR GEFALLEN LASSE!“;

II./ durch die zu I./ beschriebenen Handlungen mit dem Vorsatz, die Republik Österreich „in ihrem Recht auf Eigentum und auf gerichtliche Durchsetzung und Einbringlichmachung ihrer Forderungen“ (ersichtlich gemeint [US 4]: an ihrem Vermögen) zu schädigen, eine Beamtin, nämlich (US 4 f) die für dieses Exekutionsverfahren des Bezirksgerichts D***** zuständige Rechtspflegerin, (US 4 f) wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet eine Verletzung des § 252 Abs 1 StPO durch die Verlesung (ON 48 S 10) der „Krankengeschichte“ des Angeklagten (ON 41), weil darin auch „Angaben bzw Äußerungen von Mitinsassen und behandelnden Ärzten“ enthalten seien und die Verlesung gegen den „Widerspruch“ des Angeklagten (also ohne dessen Einverständnis iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO) und ohne Vorliegen von Erlaubnistatbeständen der Z 1 bis 3 der genannten Norm erfolgt sei. Dem Beschwerdevorbringen zuwider handelt es sich bei der in den Unterlagen der Justizanstalt (ON 41) – neben medizinischen Befunden und einem anstaltsärztlichen Bericht – enthaltenen „Krankengeschichte“ des Angeklagten in Form von fachlichen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und einer (ihnen oder Justizwachebeamten gegenüber gemachten) Mitteilung eines Mithäftlings, um keine Protokolle, Amtsvermerke oder anderen amtlichen Schriftstücke, die – vom Gericht, von der Staatsanwaltschaft oder von der Kriminalpolizei – mit dem Ziel errichtet wurden, Aussagen von Zeugen festzuhalten (vgl RIS-Justiz RS0117259, RS0132011; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 228). Vielmehr stellen diese Unterlagen Schriftstücke iSd § 252 Abs 2 StPO dar, welche, wenn sie – wie hier – für die Sache von Bedeutung sind, verlesen werden müssen (vgl Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 124; RIS-Justiz RS0099246).

Der von der Mängelrüge erhobene Einwand der Undeutlichkeit der Begründung (Z 5 erster Fall) in Ansehung des festgestellten „Simulationsverhaltens“ des Angeklagten und dessen Zurechnungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten (US 6) trifft nicht zu. Das Erstgericht stützte diese Konstatierungen unmissverständlich und mängelfrei (vgl RIS‑Justiz RS0117995, RS0099508) auf das als schlüssig und nachvollziehbar bezeichnete Gutachten des Sachverständigen Univ.‑Prof. Dr. W***** (US 7; ON 29 S 2 f, 11 f; ON 48 S 4 ff). Soweit die Beschwerde die Feststellungen anhand eigenständiger Beweiswürdigung bestreitet, zeigt sie keinen Begründungsmangel auf, sondern bekämpft bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Der gegen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite gerichteten Tatsachenrüge (Z 5a) gelingt es nicht, mit ihrer – großteils ohne Aktenbezug vorgetragenen – Kritik an einzelnen beweiswürdigenden Erwägungen des Schöffengerichts (vgl jedoch US 8 f) und eigener, teils spekulativer Beweiswürdigung sowie der Wiederholung der von den Tatrichtern als unglaubwürdig verworfenen Verantwortung des Angeklagten (US 8), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der kritisierten Feststellungen zu wecken (vgl RIS-Justiz RS0118780, RS0117961, RS0099674).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet pauschal die Strafbarkeit des festgestellten Verhaltens des Beschwerdeführers mit der Begründung, dass das von den Schuldsprüchen zu I./A./ und II./ (iVm I./A./) umfasste Schreiben vom 25. August 2019 „keine gefährliche Drohung darstellte“ und in Ansehung des Schreibens vom 14. November 2019 (I./B./ und II./ [iVm I./B./]) „mangels abstrakter Zuständigkeit und Möglichkeit der Gerichtsbeamtin zur 'Rücküberweisung' der gepfändeten Beträge“ ein absolut untauglicher Versuch vorliege.

Zunächst macht dieses Vorbringen (unter dem Aspekt der Z 9 lit a [statt Z 10]) nicht klar, aus welchem Grund die Äußerung einer gefährlichen Drohung iSd § 74 Z 5 StGB Voraussetzung für die Beurteilung des Täterverhaltens als (idealkonkurrierend zum Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB [Schuldspruch zu I./A./] begangenes) Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (II./ iVm I./A./) sein und das Fehlen einer der Bedrohten zukommenden (abstrakten) Befugnis (iSd § 302 StGB), die abgenötigte Handlung vorzunehmen, Untauglichkeit des (insoweit idealkonkurrierend zum Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB [Schuldspruch zu II./ iVm I./B./] begangenen) Versuchs einer Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB (I./B./) bewirken sollte (RIS-Justiz RS0116569).

Zu I./A./ argumentiert die Rüge nicht auf Basis der erstgerichtlichen Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt und zur Ernstlichkeit der inkriminierten schriftlichen Äußerungen (US 4, 8), indem sie die Eignung der Drohung, der Bedrohten begründete Besorgnis (hier: vor einer Verletzung am Körper) einzuflößen (vgl dazu Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 74 Rz 33 f), unter Berufung auf den Wortlaut der Eingabe vom 25. August 2019 (vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0092088) in Frage stellt, dazu auf „vielfach erhöhte Emotionen“ in Exekutionsverfahren, auf die Angaben der Zeugin K*****, „immer wieder in Schreiben ein bisschen attackiert [zu] werden“ und das gegenständliche „nicht so ernst genommen“ zu haben (vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0092102), sowie darauf verweist, dass „keine konkreten Maßnahmen“ getroffen worden seien. Solcherart verfehlt sie den gesetzlichen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, das Erstgericht habe – trotz einer entsprechenden Aussage der Zeugin K***** – keine Feststellungen dazu getroffen, dass der Angeklagte dieser nicht (persönlich) bekannt war, leitet nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116569), inwieferne ein derartiger Umstand von rechtlicher Relevanz sein sollte.

Die Behauptung absolut untauglichen Versuchs zum Schuldspruch II./ (iVm I./B./) stützt die Beschwerde unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung, nach der ein Bestimmungsversuch iSd § 15 Abs 3 StGB untauglich ist, wenn einem Beamten eine Befugnis, zu deren Fehlgebrauch er bestimmt werden soll, nicht einmal abstrakt zukommt (vgl RIS-Justiz RS0132756, RS0096134; Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 23, 40 und 177 mwN; Marek/Jerabek , Korruption und Amtsmissbrauch 12 § 302 Rz 15, 60), auf die Überlegung, dass „ein Gericht oder ein Gerichtsbeamter … im Rahmen der Forderungsexekution nicht befugt [sei], Gelder einzubehalten, vom Lohn abzuziehen oder auszubezahlen“ und „zwischen Schuldner und Exekutionsgericht … keine Zahlungsvorgänge“ stattfänden, womit es an „abstrakter Zuständigkeit und Möglichkeit der Gerichtsbeamtin zur 'Rücküberweisung' gepfändeter Beträge“ mangle.

Vorliegend bringen die – vom Beschwerdeführer ohnehin zitierten – Feststellungen des Erstgerichts mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass es dem Beschwerdeführer darauf ankam, die für das gegen ihn geführte Exekutionsverfahren zuständige Rechtspflegerin – im Wissen um deren dadurch begangenen vorsätzlichen Fehlgebrauch ihrer Befugnisse und mit Schädigungsvorsatz – dazu zu bestimmen, die rechtsgrundlose Zahlung eines Betrags in Höhe der exequierten Summe (aus Amtsgeldern) an ihn zu veranlassen (US 4 f).

Aus welchem Grund es mit Blick auf diesen – insoweit maßgeblichen (RIS-Justiz RS0115363) – Tatplan für die Tatbestandserfüllung auf eine konkrete Befugnis der Bestimmten zur „Rücküberweisung“ im Rahmen einer Forderungsexekution gepfändeter Beträge an den Verpflichteten und nicht bloß darauf ankommen soll, dass die Anordnung von Zahlungen (aus Amtsgeldern) an Dritte grundsätzlich (also „abstrakt“) in deren Amtsbereich fällt (vgl zum Ganzen erneut Nordmeyer in WK² StGB § 302 Rz 23 ff; RIS-Justiz RS0096112 [va T7]), erklärt die Rüge nicht (erneut RIS-Justiz RS0116569).

Mit Blick auf § 290 StPO bleibt anzumerken:

Adressat der Bestimmungshandlung des Beschwerdeführers war nach den Feststellungen eine Gerichtsbeamtin, die im Tatzeitraum für das Arbeitsgebiet Exekutionssachen beim Bezirksgericht D***** zur Rechtspflegerin (zum Begriff vgl Art 87a B-VG, § 1 RpflG) bestellt war (§ 2 Z 1 RpflG; US 4). Als solche kam ihr die (abstrakte) Befugnis zur Besorgung von Geschäften der Gerichtsbarkeit innerhalb dieses Arbeitsgebiets zu ( Nordmeyer in WK² § 302 Rz 40, 41). Ihr Wirkungskreis umfasste die in § 16 Abs 1 und § 17 Abs 2 RpflG genannten Tätigkeiten. Innerhalb dieses Wirkungskreises fiel (als Rechtsprechungsangelegenheit) auch die Bestimmung von Sachverständigen- und Dolmetschgebühren (§§ 39 Abs 1 und 53 Abs 1 GebAG; Feil , Gebührenanspruchsgesetz 7 § 39 Rz 1; Danzl , Geo 8 § 263 Anm 9; EBRV 1336 BlgNR 13. GP  31) sowie die Anweisung deren Zahlung durch den Rechnungsführer ( Danzl , Geo 8 § 261 Anm 12) – auch aus Amtsgeldern (§ 2 Abs 1 GEG iVm § 1 Z 5 lit c GEG) – in ihren Zuständigkeitsbereich (vgl zudem zu den gleichfalls taxativ der Rechtsprechung vorbehaltenen Angelegenheiten der Bestimmung und Anweisung von Zeugengebühren: Danzl , Geo 8 § 263 Anm 4, 6).

Weil demzufolge (abstrakte) Befugnis der Bestimmten, in Zusammenhang mit den ihr übertragenen Aufgaben, die Auszahlung von Geldbeträgen durch den Rechnungsführer (oder die bargeldlose Zahlung durch die Buchhaltungsagentur des Bundes) an Dritte anzuordnen, zu bejahen ist, gingen die Tatrichter auf Basis der oben dargestellten Grundsätze zutreffend nicht davon aus, dass eine dem Tatbestand entsprechende Sachverhaltsverwirklichung bei generalisierender Betrachtung, also losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls, geradezu denkunmöglich, sohin unter keinen Umständen zu erwarten war (vgl dazu Hager/Massauer in WK 2 StGB §§ 15, 16 Rz 70; RIS-Justiz RS0115363, RS0098852).

Indem die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall, nominell iVm Z 5a), „erhebliche Bedenken gegen die Begründung des Erstgerichts zur subjektiven Tatseite“ behauptend, das Vorliegen von Anlasstaten bestreitet, übersieht sie, dass Bezugspunkt dieses Nichtigkeitsgrundes nur der Ausspruch nach Z 3, nicht aber jener der Z 2 des § 260 Abs 1 (hier iVm § 435 Abs 1) StPO sein kann (13 Os 150/18k, 14 Os 60/19h; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 8 f).

Auf die handschriftlich verfasste, als „Ergänzung“ zur Nichtigkeitsbeschwerde zu wertende Eingabe des Angeklagten vom 1. Juni 2020 war nicht einzugehen, weil die Strafprozessordnung nur eine einzige Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zulässt (§ 285 Abs 1 erster Satz StPO; RIS-Justiz RS0100175).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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