European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00115.20W.0922.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 1.411,20 EUR (darin enthalten 235,20 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin hat die Rechtsvorgänger der beklagten Anwalts‑GmbH mit der Anfechtung von Beschlüssen der Eigentümerversammlung des Wohnhauses, in dem ihre Eigentumswohnung gelegen ist, beauftragt. Den Anfechtungen wurde nicht Folge gegeben.
Die Klägerin erachtet sich durch die ihr erteilten anwaltlichen Beratungs‑ und Vertretungshandlungen geschädigt und nimmt die Beklagte auf Schadenersatz in der im Urteilskopf ersichtlichen Höhe in Anspruch.
Die Beklagte wendete ein, sie treffe keinerlei Sorgfaltswidrigkeit; auch seien allfällige Vertretungsfehler bereits verglichen worden.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es bejahte das Vorliegen eines Generalvergleichs zwischen den Streitteilen.
Das Berufungsgericht sprach der Klägerin 823,92 EUR zu und wies das Mehrbegehren ab. Der Generalvergleich habe sich nur auf die Vorgänge im Verfahren erster Instanz bezogen. Hinsichtlich der anwaltlichen Leistungen im Rekursverfahren (Rekurskosten samt Beratungsleistungen) wäre aber nur von einer Bemessungsgrundlage von 2.500 EUR und nicht – wie verrechnet – von 7.500 EUR auszugehen gewesen. Die Klägerin habe daher Anspruch auf Rückzahlung der zu viel gezahlten 823,92 EUR. Die Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage der Erstreckung der Bereinigungswirkung eines zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten abgeschlossenen Vergleichs auf die Höhe der Bemessungsgrundlage der gegnerischen Kosten zu.
Die von der Klägerin im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens erhobene (und von der Beklagten beantwortete) Revision ist – ungeachtet des berufungsgerichtlichen Zulassungsausspruchs – in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und somit zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Ein Vergleich ist nach den §§ 914 f ABGB im Sinne der Vertrauenstheorie zu verstehen und so auszulegen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (vgl RS0017943, RS0014696).
1.2. Ein Vergleich kann novierende Wirkung haben (RS0108086), für die es darauf ankommt, ob aufgrund der festgestellten Umstände davon auszugehen ist, dass bei objektiver Betrachtung nach dem übereinstimmenden Parteiwillen bei Abschluss des Vergleichs aufgrund strittiger Rechtspositionen von der Schaffung eines neuen Rechtsgrundes auszugehen ist (vgl RS0108086 [T2]).
1.3. Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Sofern keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss, entziehen sie sich zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit im Allgemeinen generellen Aussagen. Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, sofern nicht eine krasse Fehlbeurteilung zu erkennen ist (RS0044298 [insb T39, T46], RS0112106 [insb T3], RS0042936 [insb T17] uva). Dass ein völlig gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, begründet noch keine erhebliche Rechtsfrage (RS0107773).
2. Die Revisionswerberin argumentiert zunächst, die Bereinigungswirkung des Vergleichs umfasse nicht auch die der Kostenersatzpflicht zugrunde liegende Bemessungsgrundlage. Dem hat schon das Berufungsgericht entgegengehalten, dass die Parteien zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses diese Thematik nicht ansprachen, obwohl sie daran hätten denken können. Im Zweifel erstreckt sich die Bereinigungswirkung nämlich auf alle aus dem Rechtsverhältnis entspringenden oder damit zusammenhängenden gegenseitigen Forderungen, an die die Parteien denken konnten (vgl 9 ObA 138/02p mwN). Dass der Umstand der zu hoch angesetzten Bemessungsgrundlage erst nachträglich zum Thema zwischen den Parteien wurde, kann daran nichts ändern (vgl RS0032661). Das Berufungsgericht hat daher vertretbar die Bemessungsgrundlage der Kosten als eine von der Bereinigungswirkung des abgeschlossenen Vergleichs umfasste Thematik beurteilt.
3. Die Vorinstanzen sind vertretbar vom Zustandekommen des Vergleichs ausgegangen. Auch diese Beurteilung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Konkreten sind daher – wie schon von den Vorinstanzen festgehalten – die zwischen den Parteien geführten Gespräche miteinzubeziehen. Insbesondere ist es unzweifelhaft, dass das E‑Mail der Beklagten vom 30. 6. 2017 weiterhin den Verzicht auf den Honoraranspruch enthielt („Nur für den Fall, dass darüber hinaus [gemeint: eine allfällige Kulanzleistung der Versicherung] etwas übrig bleibt, erhalte ich dies als mein Honorar. Damit ist die Sache bereinigt.“).
4. Soweit sich die Klägerin (teilweise mit unzulässigem Verweis auf den Inhalt früherer Schriftsätze, vgl RS0043616) auf ihren Irrtum in Bezug auf die Bemessungsgrundlage beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass nur ein Irrtum über von den Parteien als feststehend angenommene Umstände, also über die Vergleichsgrundlage, – unter den Voraussetzungen der §§ 870 ff ABGB – eine Vergleichsanfechtung rechtfertigen kann (RS0032529). Solche Umstände werden hier nicht berührt. Ein Irrtum über die von der Bereinigungswirkung erfassten Streitpunkte berechtigt nur bei listiger Irreführung durch den Gegner zur Anfechtung (RS0032529 [T2]). Davon ist im vorliegenden Fall keine Rede. Das Berufungsgericht hat daher die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung vertretbar verneint.
5. Ein neuerliches Aufgreifen von angeblichen sonstigen Beratungs‑ und Vertretungsfehlern der Beklagten verbietet sich schon angesichts der oben ausgeführten Bereinigungswirkung des abgeschlossenen Vergleichs.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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