OGH 1Ob70/20f

OGH1Ob70/20f25.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Mag. Manfred Kantner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei C*****, vertreten durch Dr. Martin Leys, Rechtsanwalt in Imst, wegen Widerrufs (Streitwert 8.720 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. September 2019, GZ 1 R 79/19b‑15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 19. Februar 2019, GZ 7 C 470/18b‑11, aus Anlass der Berufung der klagenden Partei als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00070.20F.0525.000

 

Spruch:

Dem

Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt vom Beklagten – gestützt auf § 1330 ABGB – den Widerruf der von ihm als Gemeinderat in der Gemeinderatssitzung vom 15. 3. 2018 getätigten Behauptungen, der Kläger sei „7 Jahre weg ein Querulant“ bzw „ein Querulant der die Blumentröge nicht wegmacht“. Diesen Behauptungen seien jahrelange Meinungsdifferenzen zwischen der Gemeinde und dem Kläger vorangegangen, insbesondere Konflikte zwischen diesem und dem Bürgermeister, dessen Fraktion auch der Beklagte angehöre.

Der Beklagte entgegnete unter anderem, dass der Kläger seit Jahren behördliche Eingaben im Zusammenhang mit von ihm auf öffentlichem Gut aufgestellten Blumentrögen sowie mit der Übernahme einer Wegfläche durch die Gemeinde als Gemeindestraße einbringe. Letztgenanntes Thema sei auch in der Gemeinderatssitzung vom 15. 3. 2018 behandelt worden. Da der Gemeinderat dazu bereits mehrere Beschlüsse gefasst gehabt habe, die jeweils vom Kläger bekämpft worden seien, habe der Beklagte den Kläger in diesem Zusammenhang – also vor dem Hintergrund seiner dauerhaften „Beschwerden“ – als „Querulant“ bezeichnet.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging auf Tatsachenebene – was der Kläger unbekämpft ließ – davon aus, dass in der Gemeinderatssitzung vom 15. 3. 2018 auch der Tagesordnungspunkt der Übernahme einer bestimmten Wegfläche als Gemeindestraße diskutiert und dazu auf Antrag des Bürgermeisters gemäß § 13 Abs 1 Tiroler Straßengesetz eine Verordnung zur Erklärung dieser Wegfläche zur Gemeindestraße beschlossen wurde. Beschlussfassungen zu diesem Thema waren zuvor bereits in mehreren Gemeinderatssitzungen erfolgt; aufgrund von Verfahrensfehlern waren die Beschlüsse aber jeweils aufgehoben worden. Bei der Behandlung des genannten Tagesordnungspunkts kam es zu Diskussionen unter den Gemeinderatsmitgliedern, wobei der Vizebürgermeister eine Frage an den Bürgermeister stellte, auf die der Beklagte entgegnete, dass „das Ganze jetzt schon fünfmal einstimmig beschlossen worden sei und was es da jetzt noch zu fragen gäbe“. In diesem Zusammenhang bezeichnete er den Kläger als „Querulanten“. Diese Aussage qualifizierte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht als ein keinem Wahrheitsbeweis zugängliches Werturteil, auf dessen Widerruf kein Anspruch bestehe.

Das Berufungsgericht hob das Urteil sowie das diesem vorangegangene Verfahren anlässlich der vom Kläger erhobenen Berufung als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Es ging davon aus, dass der Beklagte (in seiner Eigenschaft als Mitglied des Gemeinderats) ein Organ sei und die von ihm getätigte Äußerung über den Kläger, dessen Widerruf dieser begehrt, im Rahmen einer Debatte über die Erlassung einer Gemeindeverordnung erfolgt sei. Die inkriminierte Bemerkung sei daher in einem hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit einer hoheitlichen Aufgabe gestanden, sodass für die (auf deren Widerruf gerichtete) Klage der Rechtsweg im Sinn des § 9 Abs 5 AHG unzulässig sei, was in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs des Klägers, der sich überwiegend nicht mit der Frage der (Un‑)Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern mit der meritorischen Entscheidung des Erstgerichts befasst, ist jedenfalls zulässig (RS0116348), jedoch nicht berechtigt.

1. Organe im Sinn des § 1 Abs 2 AHG sind alle Personen, wenn sie in Vollziehung der Gesetze handeln (vgl RS0049876). Der Beklagte fällt in seiner Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied zweifellos unter diese Organdefinition (vgl 1 Ob 92/99g; 1 Ob 127/99d; siehe auch 6 Ob 33/95). Es kann auch nicht fraglich sein, dass der Gemeinderat bei Erlassung der auf auf § 13 Abs 1 Tiroler Straßengesetz gestützten Verordnung in Vollziehung der Gesetze im Sinn des § 1 Abs 1 AHG und damit hoheitlich gehandelt hat (vgl RS0050058 [insb T5]; Mader in Schwimann / Kodek 4 § 1 AHG Rz 32).

2. Ist eine (einheitliche) Aufgabe – wie hier die Erlassung einer Gemeindeverordnung und die der Beschlussfassung vorangehende Debatte im Gemeinderat – ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sind auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RS0049948; vgl auch RS0049897; RS0050075). Der Tätigkeitsbereich, der die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben zum Gegenstand hat, ist auch dann als einheitlich hoheitlich anzusehen, wenn einzelne Teilaufgaben so erfüllt werden, wie sie für sich genommen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von jedermann vorgenommen werden könnten (RS0049930 [T3, T4]). Auch die Ausübung hoheitlicher Gewalt bloß vorbereitende oder diese abschließende Handlungen sind dem einheitlichen Hoheitsbereich zuzuordnen (vgl RS0049930). An einem Handeln in Vollziehung der Gesetze fehlt es hingegen, wenn eine schädigende Handlung nur „bei Gelegenheit“ bzw „aus Anlass“ der Ausübung öffentlicher Gewalt begangen wurde (vgl RS0050075 [T3]). Die dargestellten Grundsätze gelten auch bei „Rufschädigung durch hoheitlich handelnde Organe“, wofür es ebenfalls auf einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang der behaupteten falschen Tatsachenmitteilung mit der hoheitlichen Aufgabe des Organs ankommt, nicht hingegen darauf, ob diese Teil eines hoheitlichen Aktes im engeren Sinn ist (vgl 1 Ob 18/06p mwN).

3. Ausgehend von dieser – der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten – Rechtsprechung stand die dem Beklagten vorgeworfene Aussage in einem engen inneren sowie äußeren Zusammenhang mit dessen hoheitlicher Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Wortmeldung im Zuge der Diskussion zur beabsichtigten Erlassung einer Verordnung erfolgte und an den Vizebürgermeister gerichtet war, der dazu eine Frage gestellt hatte. Die Debatte, in welcher der Beklagte den Kläger als „Querulant“ bezeichnet hatte, diente zweifellos der Vorbereitung der Beschlussfassung des Gemeinderats über die Erlassung einer Verordnung und ist daher dessen Hoheitsbereich zuzuordnen. Davon, dass die Äußerung vom Beklagten als Privatperson nur „aus Anlass“ bzw „bei Gelegenheit“ der Gemeinderatssitzung getätigt worden wäre, kann keine Rede sein.

4. Der Kläger geht auch selbst – sowohl in seiner Berufung, als auch in seinem Rekurs – davon aus, dass die Äußerung des Beklagten im Zusammenhang mit der Beschlussfassung über die Erlassung der Gemeindeverordnung stand und (nur) vor dem Hintergrund getätigt wurde, dass der Kläger deren frühere (wirksame) Erlassung verhindert habe. Der Beklagte habe den Kläger dafür verantwortlich machen wollen, dass frühere Gemeinderatsbeschlüsse mehrfach wiederholt werden mussten. Damit gibt der Kläger aber selbst zu erkennen, dass die inkriminierten Behauptungen des Beklagten in einem hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit seiner hoheitlichen Aufgabe standen.

5. Dass die Beklagte die Unzulässigkeit des Rechtswegs nicht eingewendet habe, sondern das Berufungsgericht dieses Prozesshindernis von Amts wegen aufgriff, ist entgegen der Ansicht des Rekurswerbers irrelevant (vgl RS0046249). Warum sich aus dem Protokoll über die Gemeinderatssitzung ergeben sollte, dass die bekämpfte Äußerung des Beklagten „auf keinem hoheitlichen Handeln gefußt habe“, ist ebensowenig nachvollziehbar, wie das Argument, die inkriminierte Äußerung könne nur dann im Rahmen des organschaftlichen Handelns erfolgt sein, wenn sie in diesem Protokoll wiedergegeben worden wäre.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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