European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128520
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Der Kläger entdeckte im April 2018 auf der Website der Beklagten, die einen KfZ‑Handel betreibt, einen Gebrauchtwagen der Marke Mercedes Benz, Typ C 200d AMG (Zustandsklasse 2). Diese Website ist so gestaltet, dass es eine eigene Rubrik für „Gebrauchtwagen" gibt, wobei unter den jeweiligen Inseraten Telefonnummern, eine Faxnummer und die E-Mail-Adresse der Beklagten angegeben sind. Neben dieser Rubrik auf der eigenen Website sind auch auf anderen auf den Autoverkauf spezialisierten Internetseiten Inseratrubriken der Beklagten platziert; auch dort sind bereits Preis und Fahrzeugbeschreibung der jeweiligen Pkw ersichtlich.
Im April 2018 telefonierte ein Onkel des Klägers, der sich gut mit Autos auskennt, mit einem Verkäufer der Beklagten, um nachzufragen, ob der Gebrauchtwagen noch zu haben sei, wobei in diesem Gespräch auch kurz über die Finanzierung geredet wurde, weshalb in weiterer Folge der Kläger eine Kopie seines Reisepasses und eines Lohnzettels an die Beklagte übersandte. Die weiteren Korrespondenzen zwischen dem Kläger und dem Verkäufer erfolgten per Telefon und E‑Mail. Da laut Mitteilung des Verkäufers der Gebrauchtwagen sehr gefragt war, fragte der Kläger an, ob eine Reservierung möglich wäre. Dies verneinte der Verkäufer, schlug dem Kläger aber vor, diesem einen unterzeichneten Kaufvertrag per E‑Mail zu übersenden, den der Kläger dann ebenso per E‑Mail wieder retournieren sollte. Er stellte in diesem Zusammenhang klar, dass dann vom Kaufvertrag kein Rücktritt mehr möglich sein würde, weil der Gebrauchtwagen eben so gefragt sei; der Wagen würde dann aber auch dem Kläger gehören. Telefonisch war nie die Rede davon, dass der Kaufvertrag vorbehaltlich einer Besichtigung gelten sollte (Es kommt tatsächlich öfters vor, dass potentiellen Käufern ein Kaufvertrag bereits vor Übergabe eines Fahrzeugs geschickt und dieser dann unterfertigt retourniert wird, damit das jeweilige Fahrzeug angemeldet werden kann; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Käufer – wie auch im vorliegenden Fall der Kläger – weiter weg wohnen.).
Die Streitteile einigten sich auf Barzahlung und Übergabe des Gebrauchtwagens am 7. 5. 2018 am Firmensitz der Beklagten, die daraufhin dem Kläger am 30. 4. 2018 den ihrerseits bereits unterfertigten Kaufvertrag übersandte, der unter dem Punkt „Sonstige Vereinbarungen (z.B.: Zubehör, Garantie)“ die Wortfolge „Vorbehaltlich Besichtigung“ enthielt. Diesen unterschrieb der Kläger noch am selben Tag (bei sich zu Hause) und retournierte ihn per E‑Mail an die Beklagte. Der Kaufvertrag wies einen Kaufpreis von 31.000 EUR aus. Bis zum Abschluss des Kaufvertrags hatten die Streitteile ausschließlich über Telefon und E‑Mail kommuniziert.
Am Tag der Übergabe fuhr der Kläger zunächst zur Zulassungsstelle seiner Autohaftpflichtversicherung in seinem Heimatort und sodann mit seinem Onkel zum Firmensitz der Beklagten zwecks Übergabe des Gebrauchtwagens. Nachdem der Kläger diesen kurz besichtigt hatte, begab er sich – fasziniert vom Wagen – zur Kassiererin der Beklagten, um das Geld bar zu übergeben; er erhielt auch einen Kassabeleg. Während der Kläger zur Bezahlung in das Firmengebäude der Beklagten gegangen war, inspizierte sein Onkel den Wagen, wobei er einen Kratzer und Mängel bei den Bremsklötzen entdeckte. Aus diesem Grund einigten sich die Streitteile schließlich, den Kaufpreis um 200 EUR herabzusetzen; in der Werkstatt gab es gerade keine Kapazitäten für eine Behebung des Kratzers und einer Reparatur der Bremsklötze; außerdem hatte der Kläger einen langen Anreiseweg.
Eine Probefahrt führte der Kläger zwar nicht durch. Im Hinblick auf die Änderung des Kaufpreises unterfertigte der Kläger allerdings in den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten einen weiteren Kaufvertrag sowie Garantieunterlagen, wobei er nicht davon ausging, einen weiteren Kaufvertrag zu unterfertigen, sondern meinte, der zweite Kaufvertrag habe lediglich etwas mit der Garantie zu tun. Dieser zweite Kaufvertrag, der dem Kläger nicht ausgehändigt wurde, war mit dem ersten Kaufvertrag vom 30. 4. 2018 bis auf den nunmehr ausgewiesenen Kaufpreis von 30.800 EUR und den (nunmehr) gestrichenen Passus „Vorbehaltlich Besichtigung" deckungsgleich. Nach der Barzahlung übernahm der Kläger den Wagen und fuhr nach Hause; er war zu keinem Zeitpunkt von der Beklagten über das Bestehen eines Rücktrittsrechts oder die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung dieses Rechts unter Zurverfügungstellung eines Muster‑Widerrufsformulars belehrt worden.
Ende März/Anfang April 2019 wurde der Wagen wegen eines Schadens am Turbolader von der Beklagten im Rahmen der vereinbarten Garantie repariert; dem Kläger wurde am 12. 4. 2019 mitgeteilt, der Wagen sei abholbereit. Bereits zuvor, nämlich am 2. 4. 2019, hatte der Kläger jedoch mit Anwaltsschreiben seinen auf § 12 FAGG gestützten Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Diesen akzeptierte die Beklagte mit Schreiben vom 10. 4. 2019 nicht.
Die Vorinstanzen gaben dem Begehren des Klägers auf Aufhebung des Kaufvertrags vom 30. 4. 2018 und auf Zahlung von 30.800 EUR statt. Maßgeblich sei nicht der in den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten unterfertigte zweite Kaufvertrag, sondern jener vom 30. 4. 2018, der im Fernabsatz zustande gekommen sei; da der Kläger nicht über sein Rücktrittsrecht gemäß § 11 FAGG informiert worden sei, habe sich die Rücktrittsfrist gemäß § 12 Abs 1 FAGG um zwölf Monate verlängert. Der Rücktritt vom 12. 4. 2019 sei somit rechtzeitig erfolgt.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Beklagte meint in ihrer außerordentlichen Revision, maßgeblich sei nicht der Kaufvertrag vom 30. 4. 2018, sondern jener vom 7. 5. 2018, sei ersterer doch „Vorbehaltlich Besichtigung“ zustande gekommen; eine solche sei jedoch nicht erfolgt.
Nach ständiger Rechtsprechung gehört zwar die rechtliche Würdigung von Willenserklärungen, Verträgen und Vergleichen zur rechtlichen Beurteilung; werden aber zur Auslegung der einer Urkunde zugrundeliegenden Absicht der Parteien von den Vorinstanzen andere Beweismittel herangezogen, so werden damit tatsächliche Feststellungen getroffen (RS0043369). Nun ist es zwar richtig, dass sich im schriftlichen Vertrag vom 30. 4. 2018 (Beilage ./3) auf S 3 unter dem Punkt „Sonstige Vereinbarungen (z.B.: Zubehör, Garantie)“ die Wortfolge „Vorbehaltlich Besichtigung“ befindet. Allerdings ist das Erstgericht mehrfach der Aussage des Klägers gefolgt, dass im Zuge des telefonischen Gesprächs mit dem Verkäufer der Beklagten nie davon die Rede gewesen war, dass der Kaufvertrag vorbehaltlich einer Besichtigung gelten sollte; der Verkäufer habe ihm vielmehr erklärt, es sei kein Rücktritt möglich. Dieser (natürliche) Konsens der Parteien geht dem objektiven Erklärungswert, also auch dem allfälligen Urkundeninhalt, vor (9 Ob 65/16y immolex 2017/67 [Verweijen] = ÖBA 2017, 567/2365 [Holzner]; RS0017811). Der objektive Erklärungswert verliert seine Bedeutung, wenn sich die Parteien in der Sache einig sind; es gilt dann ihr übereinstimmender Wille unabhängig davon, ob die Ausdrucksmittel diesen Willen nach objektiven Kriterien zutreffend wiedergeben (RS0014005).
2. Die Beklagte wendet sich weiters gegen die Auffassung der Vorinstanzen, wonach der Kaufvertrag vom 30. 4. 2018 im Fernabsatz erfolgt sei, und meint – unter Hinweis auf eine Entscheidung des deutschen Landgerichts Osnabrück vom 16. 9. 2019 (2 O 683/19) –, ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem im Sinn des § 3 Z 2 FAGG setze ein organisiertes Versandsystem voraus.
2.1. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren ging es im Wesentlichen um die Frage, ob dann, wenn ein Fahrzeughändler seine Fahrzeuge im Internet zum Verkauf anbietet und (ausnahmsweise) Kaufverträge per Internet und Telefon abschließt, bereits ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem im Sinn der Verbraucherrechte‑RL vorliegt. Das Landgericht Osnabrück verneinte das Vorliegen eines solchen Systems mit der Begründung, Voraussetzung hiefür sei, dass auch ein organisiertes System zum Versand der Waren bestehen müsse; da das Fahrzeug am Firmensitz des Autohauses abgeholt wurde, liege kein solches System und damit auch kein Fernabsatzgeschäft vor.
2.2. Die Definition des Fernabsatzvertrags wurde durch den österreichischen Gesetzgeber von der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Verbraucherrechte‑RL) übernommen und gibt im Wesentlichen die Definition des durch das Verbraucherrechte-Richtlinie-Umsetzungsgesetz 2014 (VRUG) aufgehobenen § 5a Abs 1 KSchG wieder. Nach ErwG 20 der Verbraucherrechte‑RL sollten von der Definition alle Fälle erfasst sein, „in denen ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher im Rahmen eines für die Lieferung im Fernvertrieb organisierten Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden“. Als Beispiel werden die postalische Bestellung, Webshops, telefonische Bestellungen oder Telefax genannt. Nach den Erwägungen des Richtliniengesetzgebers soll das wesentliche Element die Vertragsverhandlung darstellen. Ausdrücklich von der Einordnung als Fernabsatzvertrag ausgeschlossen wurden hingegen Verträge, welche in den Geschäftsräumen des Unternehmers verhandelt, aber über ein Fernkommunikationsmittel geschlossen wurden, und Verträge, welche über ein Fernkommunikationsmittel angebahnt, aber in den Geschäftsräumen des Unternehmers abgeschlossen wurden (ErwG 20 Verbraucherrechte‑RL; Illibauer in Keiler/Klauser, Österreichisches und Europäisches Verbraucherrecht [2019] zu § 3 FAGG Rz 16).
2.3. Der Begriff eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems soll nach ErwG 20 der Verbraucherrechte‑RL von einem Dritten angebotene Fernabsatz- oder Dienstleistungssysteme erfassen, die von Unternehmern verwendet werden, wie etwa eine Online-Plattform. Dies alleine deckt das infrage kommende Spektrum nach zutreffender Auffassung von Dehn (in Schwimann/Kodek, ABGB4 Bd 5a [2015] § 3 FAGG Rz 12) jedoch nicht ab. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Unternehmer seinen Vertrieb organisatorisch – zumindest auch – auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet hat, wofür auch ein von ihm selbst eingerichtetes derartiges System ausreichen kann. Erfasst werden etwa Websites mit Bestellmöglichkeit, Onlineshops, telefonische oder sonst automatisierte Bestellmöglichkeiten und Warenrücknahmen, Callcenter, Warenkataloge mit Bestellkarten, Teleshopping und anderes. Auch Bestellungen an Online-Terminals in den Geschäftsräumen des Unternehmers können darunter fallen, wenn mit ihnen keine Möglichkeit zur persönlichen Beratung und/oder Hilfestellung einhergeht. Es genügt, wenn der Vertrieb zumindest zum Teil im Fernabsatz erfolgen kann (bspw Geschäftslokal und Online-Verkauf). Nicht ausreichend sind zwar Websites, der die Daten und der Leistungsumfang des Unternehmers zu entnehmen sind, wenn sie nur der Information des Verbrauchers und der Möglichkeit einer Kontaktaufnahme dienen, darüber hinaus aber für den Geschäftsabschluss eine persönliche Kontaktaufnahme und ein Ausverhandeln des konkreten Vertragsgegenstands und der Vertragskonditionen erforderlich sind (so meist die Homepages von Dienstleistern; Dehn aaO). Hingegen reichen nach der Rechtsprechung Homepages für Warenvertrieb mit Produktpräsentation aus (7 Ob 54/08d).
2.4. Ob die Kommunikation nach dem Vertragsabschluss oder die Erfüllung des Vertrags ebenfalls in Distanz oder – wie oft bei Lieferung der Ware durch den Unternehmer oder Selbstabholung durch den Verbraucher – unter persönlichem Kontakt der Vertragsparteien erfolgt, spielt keine Rolle, weil nach der gesetzgeberischen Vorstellung das Gefahrenpotenzial des Fernabsatzes (Entscheidung über physisch nicht zu begutachtende Ware, fehlende oder eingeschränkte Beratung) nach dem Vertragsabschluss nicht mehr gegeben ist (Dehn aaO Rz 14; vgl auch 1 Ob 110/05s). In der deutschen Sprachfassung des ErwG 20 der Verbraucherrechte‑RL wird zwar „ein für die Lieferung“ im Fernvertrieb organisiertes Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystem genannt. Auf die „Lieferung“ wird allerdings in der englischen Sprachfassung kein Bezug genommen („The definition of distance contract should cover all cases where a contract is concluded between the trader and the consumer under an organised distance sales or service-provision scheme, with the exclusive use of one or more means of distance communication (such as mail order, Internet, telephone or fax up to and including the time at which the contract is concluded."); dies gilt auch für die französische Fassung.
Weichen nun die sprachlichen Fassungen einer Unionsvorschrift voneinander ab, so muss die Vorschrift anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden (Huber‑Kowald in Jaeger/Stöger, EUV/AEUV Art 55 EUV Rz 5 [Stand 1. 5. 2018, rdb.at]; Heinrich, Die Auslegung von europäischen Richtlinien und Verordnungen, ÖJZ 2011/113, 1068 [1072]). Nach dem Zweck der Verbraucherrechte‑RL soll ein europaweit einheitliches Verbraucherschutzniveau bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz sowie bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen geschaffen werden (ErwG 2 ff der Verbraucherrechte‑RL). Durch die Verbraucherrechte‑RL soll das innerstaatliche Vertragsrecht unberührt bleiben; nationale Regelungen, die etwa den Vertragsabschluss regeln, werden nicht geändert (ErwG 14 der Verbraucherrechte‑RL). Demnach besteht der Schutzzweck der Verbraucherrechte‑RL im Schutz der Verbraucher bei Vertragsabschluss im Fernabsatz. Damit geht einher, dass durch die in der Verbraucherrechte‑RL statuierten Informationspflichten und das Widerrufsrecht das Informationsgefälle bei Vertragsabschluss ausgeglichen und dem Verbraucher eine Korrektur von Fehlentscheidungen aufgrund eines Überraschungsmoments oder aufgrund sonstiger „Verdünnungen“ seiner Willensfreiheit ermöglicht werden soll (vgl ErläutRV 89 BlgNR XXV. GP , 33). Da nach österreichischem nationalem Recht die Lieferung der Vertragserfüllung zuzurechnen ist, ist davon auszugehen, dass es sich bei der Anführung der „Lieferung“ in ErwG 20 um eine sprachliche Unschärfe handelt, ist doch das typische Gefahrenpotenzial des Fernabsatzvertrags nach Vertragsabschluss typischerweise nicht mehr gegeben. Auch Dehn (aaO Rz 14) argumentiert in diesem Zusammenhang zutreffend, dass es nicht darauf ankommt, wie der Vertrag erfüllt wird, weshalb im Umkehrschluss die Lieferung auch kein Tatbestandsmerkmal sein kann, um von einem Fernabsatzvertrag zu sprechen. Ebenso wird bei der Definition des Fernabsatzvertrags in Art 2 Z 7 Verbraucherrechte‑RL nicht auf „die Lieferung im Fernvertrieb“ Bezug genommen.
2.5. Den von der Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision zitierten Ausführungen der Entscheidung des Landgerichts Osnabrück zu 2 O 683/19 vermag sich der Oberste Gerichtshof deshalb nicht anzuschließen.
3. Das Erstgericht vertrat unter Hinweis auf § 15 Abs 4 FAGG die Auffassung, für einen Wertverlust des Wagens habe der Kläger nicht einzustehen, weil er von der Beklagten nicht über sein Rücktrittsrecht belehrt worden sei; auch ein allfälliges Benützungsentgelt gewähre das FAGG nicht (Apathy, Rücktritt nach § 11 FAGG trotz Unmöglichkeit der Rückstellung der Ware, ÖJZ 2014, 720; Cap, Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie, ÖJZ 2014, 717). In der außerordentlichen Revision meint die Beklagte nunmehr, der Kläger sei im Zeitraum 7. 5. 2018 bis 26. 3. 2019 insgesamt 22.164 km gefahren und habe damit den Wagen „extensiv“ genutzt, womit ihr zum einen ein Benutzungsentgelt zustehe und zum anderen – jedenfalls bei Nichtberücksichtigung des Wertverlusts bzw Verneinung eines Benutzungsentgelts – die vom Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz vorgesehenen „Sanktionen“ unverhältnismäßig seien; durch diese Bestimmungen werde in Art 1 1. ZProtEMRK, Art 16, 17, 52 Abs 2 und 3 GRC eingegriffen.
Die Beklagte hat in ihrer Berufung zwar den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht, sich hiebei jedoch ausschließlich auf die (Nicht‑)Anwendbarkeit des Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetzes und auf den (Zeitpunkt des) Vertragsabschlusses gestützt; sekundäre Feststellungsmängel wurden nicht aufgezeigt. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine im Berufungsverfahren unterbliebene (oder nicht gehörig ausgeführte) Rechtsrüge im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 503 Rz 23; RS0043573); dies gilt auch, wenn sich die Rechtsrüge in der Berufung auf bestimmte selbständige Streitpunkte beschränkt hat (RS0043352 [T26, T27, T33, T34]; RS0043338 [T10, T11, T13, T20, T27]), und für Feststellungsmängel, die nur mit dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO geltend gemacht werden können (RS0043304).
3.1. Lediglich der Vollständigkeit halber wird in diesem Zusammenhang zunächst darauf verwiesen, dass sich § 15 Abs 4 letzter Satz FAGG wesentlich von dem der von der Beklagten erwähnten Entscheidung 1 Ob 110/05s zugrundeliegenden § 5g KSchG unterscheidet. Während diese Bestimmungen nämlich anordnete, dass dann, wenn der Verbraucher nach § 5e KSchG vom Vertrag zurücktritt, er nach § 5g Abs 1 Z 2 KSchG die empfangenen Leistungen zurückzustellen und dem Unternehmer ein angemessenes Entgelt für die Benützung einschließlich einer Entschädigung für eine damit verbundene Minderung des gemeinen Werts der Leistung zu zahlen hat, stipuliert § 15 Abs 4 zweiter Satz FAGG, dass der Verbraucher in keinem Fall für einen Wertverlust der Ware haftet, wenn er vom Unternehmer nicht gemäß § 4 Abs 1 Z 8 FAGG über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde.
3.2. Die Unverhältnismäßigkeit der Sanktionen argumentiert die Beklagte unter Hinweis auf §§ 11 Abs 1, 12 Abs 1, 15 Abs 4 letzter Satz und Abs 5, 17 erster und zweiter Satz sowie § 19 Z 1 FAGG. Sie übersieht dabei aber, dass diese Bestimmungen zum einen nicht anzuwenden (§§ 17 erster und zweiter Satz, 19 Z 1 FAGG) und zum anderen nicht mehr revisibel (§§ 11, 12, 15 Abs 4 letzter Satz und Abs 5 FAGG) sind.
3.2.1. Die Verbraucherrechte‑RL enthält im Hinblick auf das Widerrufsrecht vollharmonisiertes Unionsrecht (vgl Art 4 iVm Art 9 und 10 der RL; VfGH G 52/2016 ErwG 49). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf Gemeinschaftsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des primären Gemeinschaftsrechts zu beurteilen (EuGH C‑205/07 [Lodewijk Gysbrechts/Santurel Inter BVBA] EU:C:2008:730). Im Zeitpunkt dieser Entscheidung war zwar die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000/C 364/01; GRC) noch nicht in Kraft, jedoch führt Jarass (Zum Verhältnis von Grundrechtecharta und sonstigem Recht, EuR 1/2013, 35) aus, dass eine abschließende Regelung im Sekundärrecht im Bereich der Grundrechte nur höchst selten der Fall sein werde und im Übrigen der EuGH auch abschließendes Sekundärrecht wegen eines Grundrechtsverstoßes verwerfen könne. In der österreichischen Literatur wird im Zusammenhang mit dem Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz die Auffassung vertreten, das Sekundärrecht sei am Maßstab des Primärrechts, insbesondere der GRC zu messen (Eberhard/Spitzer, Verbraucherschutz und Verfassungsrecht, ÖJZ 2017/46, 308).
3.2.2. Der EuGH hat im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren zu anderen Bestimmungen der Verbraucherrechte‑RL in Bezug auf das Widerrufsrecht bereits ausgeführt:
a) Wie aus Art 1 der Richtlinie 2011/83 im Licht ihrer Erwägungsgründe 3, 4 und 7 hervorgeht, bezweckt sie, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen. Zudem ist in der Politik der Union der Schutz der Verbraucher – die sich im Vergleich zu Gewerbetreibenden in einer unterlegenen Position befinden, da sie als schlechter informiert, wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren als ihre Vertragspartner angesehen werden müssen – in Art 169 AEUV und Art 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen, in der er keine konkrete Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis zu nehmen. Es soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren. Insoweit ist Art 16 lit e der Richtlinie 2011/83 , der eine Ausnahme vom Widerrufsrecht darstellt, als unionsrechtliche Vorschrift, die die zu Schutzzwecken gewährten Rechte beschränkt, eng auszulegen (EuGH C‑681/17 [slewo‑schlafen leben wohnen GmbH/Sascha Ledowski] Rz 32 ff).
b) Die Informationspflicht nach Art 8 Abs 1 und 4 der Richtlinie 2011/83 ermöglicht dem Verbraucher nämlich, vor Abschluss des Fernabsatzvertrags in angemessener Form die erforderlichen Informationen zu erhalten, anhand deren er entscheiden kann, den Vertrag abzuschließen oder nicht, und so dem im Allgemeininteresse liegenden legitimen Ziel des Schutzes der Verbraucher gemäß Art 169 AEUV, auf das im dritten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hingewiesen wird, zu genügen, ohne jedoch den Wesensgehalt der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die unternehmerische Freiheit des Unternehmers, wie sie in den Art 11 und 16 der Charta gewährleistet werden, zu beeinträchtigen.
Insoweit ist Art 8 Abs 1 und 4 der Richtlinie 2011/83 zum einen weit davon entfernt, den Gebrauch bestimmter Kommunikationsmittel zu verbieten, sondern begrenzt lediglich in einem klar abgegrenzten Rahmen den Inhalt der Werbebotschaft, die auf den Abschluss eines Fernabsatzvertrags mit einem Verbraucher gerichtet ist. Zum anderen betrifft die Pflicht, unter allen Umständen die in Art 8 Abs 4 Satz 1 dieser Richtlinie genannten Informationen zu erteilen, nur bestimmte der Informationen, deren Mitteilung an den Verbraucher vor Abschluss des Fernabsatzvertrags gemäß Art 6 Abs 1 dieser Richtlinie verpflichtend ist. [...]
Zu diesen Informationen, die dem Verbraucher in jedem Fall erteilt werden müssen, gehört diejenige zum Widerrufsrecht, in der in Art 6 Abs 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83 genannten Form.
Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher nämlich in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen, in der er keine konkrete Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis zu nehmen. Das Widerrufsrecht soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren […].
Angesichts der Bedeutung des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz ist die vorvertragliche Information über dieses Recht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt ihm, die Entscheidung, ob er den Fernabsatzvertrag mit dem Unternehmer abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen. Um von dieser Information vollumfänglich profitieren zu können, muss der Verbraucher im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen (EuGH C‑430/17 [Walbusch Walter Busch]).
Aus diesen Entscheidungen ergibt sich nicht nur, dass der EuGH dem Widerrufsrecht einen besonderen Stellenwert beimisst, sondern ist auch erkennbar, dass der EuGH das Widerrufsrecht gerade nicht für unionsrechtswidrig erachtet.
3.2.3. In Zusammenhang mit der Fluggastrechte‑VO (VO [EG] 261/2004) äußerte sich der EuGH zum unionsrechtlich verbürgten Verbraucherschutz im Zusammenhang mit der unternehmerischen Freiheit und dem Eigentumsrecht:
Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht nicht absolut gewährleistet werden, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen sind (vgl in diesem Sinne Urteil vom 6. 9. 2012, Deutsches Weintor, C‑544/10 , Randnr 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ferner lässt Art 52 Abs 1 der Grundrechtecharta Einschränkungen der Ausübung der in der Grundrechtecharta verankerten Rechte zu, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Bei dieser Beurteilung ist schließlich, wenn sich mehrere durch die Unionsrechtsordnung geschützte Rechte gegenüber stehen, darauf zu achten, dass die Erfordernisse des Schutzes dieser verschiedenen Rechte miteinander in Einklang gebracht werden müssen und dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen besteht (vgl in diesem Sinne Urteile vom 29. 1. 2008, Promusicae, C‑275/06 , Slg 2008, I‑271, Randnrn 65 und 66, und Deutsches Weintor, Randnr 47).
Hier nimmt das vorlegende Gericht auf die Art 16 und 17 der Grundrechtecharta Bezug. Es ist jedoch auch deren Art 38 zu berücksichtigen, der wie Art 169 AEUV darauf abzielt, dass in der Politik der Union ein hohes Niveau des Schutzes der Verbraucher, zu denen die Fluggäste gehören, gewährleistet ist. Der Schutz dieser Fluggäste gehört nämlich, wie oben in Randnr. 31 ausgeführt, zu den grundlegenden Zielen der Verordnung Nr 261/2004 .
Aus den vorstehenden Randnrn 45 bis 49, die Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthalten, ergibt sich aber, dass die Art 5 Abs 1 Buchst b und 9 der Verordnung Nr 261/2004 , wie sie oben in Randnr 43 ausgelegt worden sind, dem Erfordernis entsprechen, die einzelnen betroffenen Grundrechte miteinander in Einklang zu bringen und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen herzustellen.
Die genannten Bestimmungen verstoßen daher nicht gegen die Art 16 und 17 der Grundrechtecharta (EuGH C‑12/11 [Denise McDonagh/Ryanair Ltd]).
Überträgt man diese Ausführungen auf den gegenständlichen Fall, so ist § 11 Abs 1 FAGG, der auf Art 9 Abs 1 der Verbraucherrechte‑RL basiert, als unionsrechtskonform anzusehen.
3.2.4. In Bezug auf § 12 Abs 1 FAGG, der Art 10 Abs 1 der Verbraucherrechte‑RL in innerstaatliches Recht umsetzt, ist es angezeigt, auch die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 85/577/EWG (Haustürgeschäfte‑RL), die durch die Verbraucherrechte‑RL aufgehoben wurde, in die Betrachtung miteinzubeziehen. Anlässlich eines Vorabentscheidungsverfahrens in Bezug auf die Haustürgeschäfte‑RL urteilte der EuGH, dass der nationale Gesetzgeber durch die Haustürgeschäfte‑RL daran gehindert sei, das Widerrufsrecht nach Art 5 der Haustürgeschäfte‑RL für den Fall, dass der Verbraucher nicht gemäß Art 4 der RL belehrt wurde, auf ein Jahr nach Vertragsabschluss zu befristen. Der EuGH teilte die von einigen Mitgliedstaaten (darunter auch Österreich) geäußerte Rechtsansicht, eine Befristung des Widerrufsrechts sei aus Gründen der Rechtssicherheit unerlässlich, nicht (EuGH C‑481/99 [Georg und Helga Heininger/Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG]). Dadurch bestand letztlich ein unbefristetes Widerrufsrecht des Verbrauchers, wenn die Belehrung nach dieser Bestimmung unterblieben war (vgl Wendehorst, Verlängerte Rücktrittsmöglichkeit. Fortschritte und Verzerrungen durch das VRUG, VbR 2014/110, 176).
Legt man die Wertungen dieser Entscheidung dem vorliegenden Fall zugrunde, so kann eine Unionsrechtswidrigkeit in § 12 Abs 1 FAGG nicht erblickt werden. Durch die Verlängerung der Rücktrittsfrist um zwölf Monate wurde einerseits im Vergleich zur Bestimmung in der Haustürgeschäfte‑RL Rechtssicherheit geschaffen, andererseits führt anders als noch nach Art 6 Abs 1 der Fernabsatz‑RL 97/7/EG nur noch eine Verletzung der Informationspflicht hinsichtlich des Rücktrittsrechts zur Verlängerung der Rücktrittsfrist. Im Übrigen kann der Unternehmer die Information hinsichtlich des Rücktrittsrechts nach § 12 Abs 2 FAGG auch noch nachholen, wodurch die Frist bereits 14 Tage nach dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher diese Information erhält, endet.
3.2.5. Unter Heranziehung der vom EuGH in den zitierten Entscheidungen aufgestellten Grundsätze und vorgenommenen Wertungen kann auch vorliegendenfalls ein Verstoß gegen Art 1 1. ZPEMRK, Art 16, 17 und 52 GRC nicht erkannt werden. Vielmehr hat der europäische Gesetzgeber gerade dadurch, dass er in Art 12 Abs 2 der Verbraucherrechte‑RL dem Unternehmer die Möglichkeit eröffnet hat, die Information im Hinblick auf das Rücktrittsrecht „nachzuschieben“, wodurch es nachträglich zu einer Fristverkürzung auf 14 Tage kommt, die Erfordernisse des durch Art 38 GRC und Art 169 AEUV verbürgten Verbraucherschutzes mit jenen der zuvor genannten Rechte in Einklang gebracht; es besteht zwischen ihnen ein angemessenes Gleichgewicht.
3.2.6. Auch der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits mehrfach (G 164/2014; G 14/2016; G 52/2016) mit dem Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz und der Frage der Grundrechts- bzw Europarechtswidrigkeit einzelner Bestimmungen befasst. In dem zuletzt genannten Erkenntnis G 52/2016 war ein Verstoß gegen Art 1 1. ZPEMRK geltend gemacht und überdies angeregt worden, dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit der Verbraucherrechte‑RL mit den Art 16, 17 und 20 GRC vorzulegen. Der Verfassungsgerichtshof führte allerdings aus, dass die Bestimmungen des Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetzes den Vorschriften der Verbraucherrechte‑RL entsprächen, welche den Mitgliedstaaten keinen Spielraum bei der Umsetzung einräumten; er habe keine Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen (G 52/2016 [ErwG 69 f]). Auch von einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH sah der Verfassungsgerichtshof ab (ErwG 74).
Darüber hinaus setzte sich der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis mit Art 14 Abs 2 der Verbraucherrechte‑RL, der durch § 15 Abs 4 FAGG umgesetzt wurde, auseinander und äußerte keine Zweifel an der Gültigkeit des Art 14 Abs 2 letzter Satz (entspricht § 15 Abs 4 letzter Satz FAGG):
Der Verfassungsgerichtshof hat keine Zweifel an der Gültigkeit des Art 14 Abs 2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass nicht die Grenzen dessen überschritten werden dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei zu beachten ist, dass dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (vgl EuGH 22. 1. 2013, Rs C‑283/11 [Sky Österreich]).
Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Einhaltung dieser Voraussetzungen betrifft, billigt der Gerichtshof der Europäischen Union dem Unionsrechtsgesetzgeber im Rahmen der Ausübung der ihm übertragenen Zuständigkeiten ein weites Ermessen in Bereichen zu, in denen seine Tätigkeit sowohl politische als auch wirtschaftliche oder soziale Entscheidungen verlangt und in denen er komplexe Prüfungen und Beurteilungen vornehmen muss. Der Verfassungsgerichtshof kann nun nicht erkennen, dass die Regelung des Art 14 Abs 2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL diesen von der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union aufgestellten Kriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Unionsrechtsakts widerspricht: Die Bestimmungen der Verbraucherrechte‑RL verfolgen das Ziel eines umfassenden Verbraucherschutzes bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Eine zentrale Stellung zur Verfolgung dieses Ziels nimmt dabei die Belehrung ein, welche der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher gemäß Art 6 Abs 1 lit h der Verbraucherrechte-RL („im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B“) vor Vertragsabschluss vornehmen muss.
Der Verfassungsgerichtshof hat keine Zweifel, dass die in Art 14 Abs 2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL normierte Rechtsfolge für den Unternehmer bei mangelnder Belehrung über das Widerrufsrecht geeignet ist, das Ziel des umfassenden Verbraucherschutzes bei Fernabsatzverträgen und bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zu erreichen. Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht erkennen, dass die Regelung des Art 14 Abs 2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL über das hinausgeht, was zur Verfolgung des mit der Regelung verfolgten Ziels des umfassenden Verbraucherschutzes erforderlich ist. Das von der Verbraucherrechte‑RL verfolgte Ziel eines umfassenden Verbraucherschutzes ist derart gewichtig, dass es die in Art 14 Abs 2 letzter Satz der Verbraucherrechte‑RL statuierte Rechtsfolge bei fehlender Belehrung durch den Unternehmer über das Widerrufsrecht des Verbrauchers rechtfertigt. Die zu Art 14 Abs 2 der Verbraucherrechte‑RL dargelegten Erwägungen können sinngemäß auf Art 14 Abs 3 und Art 14 Abs 4 der Verbraucherrechte‑RL übertragen werden. Der Verfassungsgerichtshof hat sohin keine Zweifel an deren Gültigkeit.
3.2.7. Damit ist aber die von der Beklagten behauptete Unionswidrigkeit der anzuwendenden Bestimmungen des Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetzes auch nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs nicht gegeben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)