OGH 5Ob161/19s

OGH5Ob161/19s20.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eigentümergemeinschaft der EZ * KG *, vertreten durch DDr. Heinz-Dietmar Schimanko, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. R*, vertreten durch die Engin-Deniz Reimitz Hafner Rechtsanwälte KG, Wien, wegen 16.764,43 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Juni 2019, GZ 13 R 78/19i‑18, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. März 2019, GZ 3 Cg 50/18x-14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127839

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.177,62 EUR (darin enthalten 196,27 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Das Erstgericht gab der auf Leistung eines Betrags von 16.764,43 EUR als Sonderzahlung in die Reparaturrücklage zur Finanzierung der „notwendigen Stiegenhaussanierung nach Leitungserneuerung“ gerichteten Klage der Eigentümergemeinschaft statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Wesentlichen mit der Begründung, dass auch die Vorschreibung einer einmaligen Sonderumlage eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung sei, die vom Verwalter autonom durchgeführt werden könne und für die beklagte Wohnungseigentümerin sofort verbindlich und fällig sei.

Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof die in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Frage, ob ein Verwalter grundsätzlich und jederzeit befugt sei, Vorschreibungen auf „Betriebskosten“ und Rücklage im laufenden Jahr der Höhe nach ohne neue Vorausschau zu ändern, bislang nicht beantwortet habe.

Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508 Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich die von der klagenden Eigentümergemeinschaft geforderte Zahlung in die Rücklage. Sonstige Aufwendungen für die Liegenschaft (§ 32 Abs 1 WEG) – vom Berufungsgericht als „Betriebskosten“ bezeichnet – waren hingegen nie strittig. Im Übrigen bestehen zu der vom Berufungsgericht angesprochenen Frage ausreichende Rechtsprechungsgrundsätze:

2.1 Die Wohnungseigentümer haben nach § 31 Abs 1 WEG eine angemessene Rücklage zur Vorsorge für künftige Aufwendungen (§ 32 WEG) zu bilden. Durch – im Sinn eines Zwangs-Ansparsystems (vgl 5 Ob 185/07b; E. M. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 31 WEG Rz 16) in der Regel laufende – Einhebung von Beiträgen soll ein Haftungsfonds oder eine Liquiditätsreserve mit ausreichenden Mitteln geschaffen werden, um nicht nur alltägliche Auslagen, sondern größere (unvorhergesehene oder vorhersehbare) Investitionen finanzieren zu können (5 Ob 144/15k; 5 Ob 206/15b ua; Würth/Zingher/Kovanyi 23 § 31 WEG Rz 2; vgl auch Spruzina in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht II § 31 WEG Rz 11). Die Verwendung der Rücklage ist für alle Arten von Liegenschaftsaufwendungen gedeckt (RIS‑Justiz RS0108664).

2.2 Obwohl der primäre Zweck der Rücklage nach dem Gesetzeswortlaut (§ 31 Abs 1 Satz 1 WEG) die Vorsorge für künftige Aufwendungen ist, liegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine Leistung in die Rücklage auch bei Bevorschussung eines bestimmten Erhaltungsaufwands vor (5 Ob 367/97z; 5 Ob 56/15v; 5 Ob 144/15k; 5 Ob 175/16w ua). Die vom Verwalter namens der Eigentümergemeinschaft von der Beklagten als Sondervorschreibung zur Finanzierung der von der Mehrheit beschlossenen Sanierungsmaßnahmen geforderte Einmalzahlung ist ein solcher Beitrag zur Rücklage.

2.3 Die Bildung einer angemessenen Rücklage zählt zu den Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung (§ 28 Abs 1 Z 2 WEG; RS0083184). Solange kein Beschluss der Wohnungseigentümer oder keine Entscheidung des Außerstreitrichters vorliegt, ist es daher Sache des Verwalters, die Höhe der einzuhebenden Beiträge festzusetzen (RS0103218 [T2; T4]; RS0083550; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 31 WEG 2002 Rz 5; EMHausmann aaO § 31 WEG Rz 23). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Kompetenz des Verwalters zur Festsetzung der Höhe einer Einmalzahlung in die Rücklage ebenfalls solange besteht, als ihm nicht durch Beschluss eine gegenteilige Weisung erteilt wird (5 Ob 175/16w; 5 Ob 126/19v je mwN). Auch die Modalitäten der Einhebung gehören zum Aufgabenbereich des Verwalters (RS0083581 [T7]; 5 Ob 367/97z).

3. Nach dem maßgeblichen Sachverhalt steht fest, dass keine ausreichende Rücklage (mehr) vorhanden ist und eine Weisung an den Verwalter, keine Sondervorschreibung zur Rücklagenbildung vorzuschreiben, nicht vorliegt. Im Gegenteil: Die Vorgangsweise des Verwalters ist sowohl hinsichtlich der Höhe der Vorschreibung als auch der Modalitäten der Einhebung durch einen Beschluss der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer gedeckt. In einem solchen Fall kann der einzelne Mit- und Wohnungseigentümer zwar den Außerstreitrichter anrufen, doch bleibt der Mehrheitsbeschluss über die Sonderzahlung in die Rücklage bis zu einer ihn abändernden oder aufhebenden Entscheidung des Gerichts wirksam (5 Ob 367/97z) und ist ungeachtet der Anfechtung sofort vollziehbar (5 Ob 29/15y). Die Lösung der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage ergibt sich somit zwanglos aus der Anwendung bereits bestehender Rechtsprechungsgrundsätze (vgl RS0118640; RS0042742 [T13]). Ausgehend davon beruht das von ihm gewonnene Ergebnis, dass die vom Verwalter vorgeschriebene Sonderzahlung für die beklagte Mit- und Wohnungseigentümerin bindend war (vgl RS0083581; zuletzt 5 Ob 126/19v), auf gesicherter Rechtsprechung. Die den Wohnungseigentümern spätestens bis zum Ende der Abrechnungsperiode zu legende Vorausschau (§ 20 Abs 2 WEG) ist Grundlage für die im darauf folgenden Jahr einzuhebenden Beiträge und kann schon deshalb keine Voraussetzung für die Fälligkeit oder Zulässigkeit einer Sondervorschreibung sein (vgl EMHausmann aaO § 32 WEG Rz 62a).

4. Fest steht, dass eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die von der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer beschlossenen Sanierungsmaßnahmen noch nicht vorliegt. Die Beklagte bezweifelt auch nicht, dass der Mehrheitsbeschluss über diese Maßnahmen formell wirksam im Sinn des § 24 Abs 1 WEG zustande gekommen ist. Im Übrigen sind die über ihre Beschlussanfechtung zu klärenden Fragen aber grundsätzlich dem Verfahren außer Streitsachen vorbehalten (RS0122765), sodass die Vorinstanzen auf die von ihr in ihrem Rechtsmittel zentral aufgeworfene Frage nach der Einordnung der von der Mehrheit beschlossenen Sanierungsmaßnahmen als solche der ordentlichen oder außerordentlichen Verwaltung zu Recht nicht eingegangen sind. Ob der Verwalter vor dessen Umsetzung die endgültige Bestandskraft des Mehrheitsbeschlusses über die Sanierungsmaßnahmen abwarten muss (vgl 5 Ob 265/04p; Würth in Rummel 3 Rz 6 zu § 29 WEG 2002; siehe aber Löcker aaO § 24 WEG Rz 99), ist in diesem Verfahren nicht zu klären.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es daher nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel der Beklagten nicht zulässig ist.

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