European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00144.15K.0825.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.173 EUR (darin enthalten 195,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagten sind Miteigentümer einer Liegenschaft. Mit ihren Anteilen ist Wohnungseigentum an einer Wohnung verbunden. Im Jahr 2005 beschloss die Eigentümergemeinschaft die Sanierung des Hauses. Diese sollte in zwei Sanierungsabschnitten stattfinden. Die Mittel der Rücklage reichten für die mit 515.000 EUR veranschlagten Baukosten des zweiten Sanierungsabschnitts nicht aus. Die damals tätige Hausverwaltung teilte allen Wohnungseigentümern im November 2005 mit, dass ein Teil dieser Kosten (430.000 EUR) durch Aufnahme eines Darlehens finanziert werden müsste. Als Alternative wurde einzelnen Wohnungseigentümern angeboten, die anteilig auf sie entfallenden Kosten der zweiten Sanierungsphase durch einen einmaligen Eigenmittelerlag zu bezahlen.
Mit Beschluss der Eigentümergemeinschaft wurde die Hausverwaltung beauftragt und bevollmächtigt, im Namen der Eigentümergemeinschaft ein Darlehen bis zur Höhe von 430.000 EUR mit einer Laufzeit von 10 Jahren aufzunehmen. Die einzelnen Wohnungseigentümer konnten wählen, ob sie den auf sie entfallenden Anteil an den Sanierungskosten auf einmal zahlen oder an der Darlehensfinanzierung teilnehmen wollten. Für diese Aufteilung in zwei Gruppen gab es keinen Beschluss der Eigentümergemeinschaft.
Die Beklagten entschieden sich für die Einmalzahlung, die sie im Jänner 2006 auf das von der Hausverwaltung bekannt gegebene Konto leisteten. Für sie war damit ihr Beitrag zur Sanierung erledigt. Nach Aufnahme des Darlehens wurden nur jenen Wohnungseigentümern, die sich nicht für eine Einmalzahlung entschieden hatten, monatliche Beiträge aus dem Titel Darlehensrückzahlung vorgeschrieben.
Als eine neue Hausverwaltung 2009 das Objekt übernahm, wurde sie mit ‑ im Zusammenhang mit der Sanierung stehenden ‑ Forderungen von insgesamt über 560.000 EUR (einschließlich Zinsen und Kosten) konfrontiert, für die rechtskräftige Exekutionstitel gegen die Eigentümergemeinschaft bestanden. Die Hausverwaltung rief eine Eigentümerversammlung ein und informierte die einzelnen Wohnungseigentümer über die Situation und die Summe der Außenstände. Angekündigt wurde, den Betrag durch Sondervorschreibungen einbringlich zu machen. Einzelne Wohnungseigentümer verwiesen auf die bereits aus dem Titel Darlehensrückzahlung geleisteten Beiträge, was die neue Hausverwaltung aufgrund fehlender Unterlagen der Vorverwaltung nicht nachvollziehen konnte. 562.000 EUR wurden den einzelnen Wohnungseigentümern anteilig nach § 32 WEG vorgeschrieben, auf die beiden Beklagten entfielen von dieser Sondervorschreibung 13.704,55 EUR. Sie zahlten nur 2.638,95 EUR.
Die klagende Partei begehrte den aus der Sondervorschreibung aushaftenden Betrag. Die neue Hausverwaltung habe von den Vorverwaltungen keine Mittel übernommen, welche die Abdeckung der mit der beschlossenen Sanierung des Hauses zusammenhängenden Forderungen ermöglicht hätten. Die dafür notwendigen Kosten seien iSd § 32 WEG aufzuteilen. Die Wohnungseigentümer seien zur Zahlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Vorschreibung verpflichtet. Nach Übernahme der Verwaltung sei bekannt geworden, dass die Vorverwaltung die Aufteilung der Sanierungskosten berechnet und als Variante eine Einmalzahlung oder eine Darlehensaufnahme angeboten habe. Formgültige Beschlüsse oder eine Vereinbarung sämtlicher Eigentümer gäbe es nicht, die Berechnungen seien für die nunmehrige Sondervorschreibung unerheblich. Sollten die Beklagten eine Zahlung geleistet haben, könne mit der nunmehrigen Sondervorschreibung nicht aufgerechnet werden. Allfällige Schadenersatzansprüche seien gegen die Vorverwaltung geltend zu machen.
Die Beklagten wendeten ‑ soweit im Revisionsverfahren noch relevant ‑ die im Jahr 2006 geleistete Einmalzahlung als Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung ein. Der Betrag sei irrtümlich geleistet worden. Sie seien zur Rückforderung gemäß den §§ 1431, 1435 ABGB berechtigt. Hilfsweise stützten sie die Gegenforderung auf Schadenersatz. Die klagende Partei habe sich der früheren Hausverwaltung als Erfüllungsgehilfin bedient, deren Verhalten ihr zuzurechnen sei.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung mit 10.901,87 EUR zu Recht, die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von 10.901,87 EUR sA. Rechtlich folgerte es, dass die Forderungen einschließlich der Kosten der verlorenen Prozesse der Eigentümergemeinschaft Aufwendungen iSd § 32 Abs 1 WEG seien, die Verwalterin auch zur Vorschreibung einer einmal notwendigen Sonderrücklage berechtigt und diese von den Eigentümern zu zahlen sei. Der Einwand der Erfüllung gehe ins Leere, weil die Zahlung im Jahr 2006 aufgrund einer Vorschreibung aus diesem Jahr erfolgt sei und mit der nunmehrigen Vorschreibung nicht ident sei. Zu prüfen bleibe die Auswirkung der von den Beklagten im Jahr 2006 geleisteten Zahlung auf den im Namen der Eigentümergemeinschaft aufgenommenen Kredit. Rückzahlungen auf diesen Kredit seien nach § 32 Abs 1 WEG anteilig zu tragen. Eine abweichende Regelung bedürfe der Schriftform und eines einstimmigen Beschlusses der Eigentümergemeinschaft. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Ein abweichender Aufteilungsschlüssel sei nicht vereinbart worden. Die § 32 Abs 1 WEG widersprechende Vorschreibung der Einmalzahlung im Jahr 2006 sei zumindest teilweise rechtsgrundlos erfolgt. Den Beklagten stehe daher nach § 1431 ABGB eine Forderung gegen die Eigentümergemeinschaft zu. Eine Aufrechnung widerspreche jedoch dem Zweck des Wohnungseigentumsvertrags, der einen schlüssigen Verzicht auf die Aufrechnung gegen Akontovorschreibungen enthalte, weil dies zur Einschränkung der für die Abdeckung laufender Verbindlichkeiten notwendigen Liquidität der Eigentümergemeinschaft führte. Im konkreten Fall gehe es nicht um die Rücklagenbildung, sondern um eine Sondervorschreibung zur Abdeckung dringend notwendiger, für die Liquidität der Eigentümergemeinschaft unumgänglicher Aufwendungen. Die Hausverwaltung sei offenbar aufgrund massiver Verfehlungen der früheren Verwalterin mit gravierenden Außenständen der Eigentümergemeinschaft konfrontiert gewesen. Die Einhebung der Sondervorschreibung sei zur Begleichung der Außenstände und zur Herstellung der Liquidität der Gemeinschaft notwendig gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es die Gegenforderung als bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht bestehend feststellte und daher das Klagebegehren abwies. In seiner rechtlichen Beurteilung bejahte es die ‑ im Revisionsverfahren umstrittene ‑ Aufrechenbarkeit. Der Oberste Gerichtshof habe im Zusammenhang mit der Rücklagenbildung zur Kompensation mit Beitragsleistungen ausgesprochen, dass das Argument des Vorrangs der Gemeinschaftsinteressen auf die Rücklagenbildung nicht ohne weiteres übertragbar sei. Im Vordergrund stehe vielmehr die Herstellung der vom Gesetz geforderten gleichen (anteiligen) Belastung der Liegenschaftseigentümer bei der finanziellen Vorsorge zur Deckung des Instandhaltungsaufwands. Einem Wohnungseigentümer, der überproportionale und damit dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechende Beitragsleistungen zur Rücklage behaupte, könne eine Aufrechnung mit dem Argument eines schlüssigen Aufrechnungsverzichts nicht generell versagt werden.
Über Antrag der klagenden Partei ließ das Berufungsgericht nachträglich die ordentliche Revision zu, weil eine gesicherte Rechtsprechung zur Aufrechenbarkeit mit Forderungen eines Wohnungseigentümers aus einer rechtsgrundlosen Zahlung gegen eine Sondervorschreibung, der ein von der Eigentümergemeinschaft aufgenommenes Darlehen, in Auftrag gegebene Sanierungsarbeiten sowie daraus resultierende verlorene Prozesse zugrunde liegen, fehle.
Die ‑ beantwortete ‑ Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Verpflichtung zur Leistung der vorgeschriebenen Akontozahlungen besteht unabhängig davon, ob der Verwalter seiner Rechnungslegungspflicht nachgekommen ist. Fällige Akontozahlungen können auch noch dann eingehoben werden, wenn die Aufwendungen, für die sie vorgeschrieben wurden, bereits abgerechnet sind oder Streit darüber besteht, ob die Abrechnung ordnungsgemäß, vollständig oder richtig ist (RIS‑Justiz RS0083521; RS0112884). Solange die Mehrheit der Miteigentümer dem Verwalter keine entsprechende bindende Weisung erteilt hatte, sind die vom Verwalter vorgeschriebenen Akontozahlungen für den Miteigentümer bindend (5 Ob 12/93; 5 Ob 171/02m; 5 Ob 187/12d). Der Grund für diese Bindung liegt darin, die Finanzierung der gesamten Wohnungseigentumsanlage zu gewährleisten und im Interesse aller Wohnungseigentümer Liquiditätsengpässe bei der Bestreitung der Liegenschaftsaufwendungen zu vermeiden (5 Ob 111/97b; 5 Ob 328/99t ua).
2. Dieser Bedeutung der Liquiditätssicherung zur laufenden Bewirtschaftung trägt die ständige Rechtsprechung dadurch Rechnung, dass sie die Aufrechnung gegen Bewirtschaftungskostenvorschreibungen in der Regel nicht zulässt. Aus dem Zwecke des Wohungseigentumsvertrags wird ein schlüssiger Verzicht der Wohnungseigentümer auf eine Aufrechnung mit eigenen Ansprüchen gegen Akontovorschreibungen abgeleitet (RIS‑Justiz RS0109647; differenzierend zwischen konnexen und nicht konnexen Forderungen: E. M. Hausmann in Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht³ § 32 WEG Rz 62).
3. Dieses Argument eines Vorrangs der Gemeinschaftsinteressen sah der Oberste Gerichtshof erstmals in der Entscheidung 5 Ob 135/04w (RIS‑Justiz RS0119211) auf die Rücklagenbildungen als nicht ohne weiteres übertragbar. Bei dieser gehe es nicht um die Vermeidung von Liquiditätsproblemen der Gemeinschaft. Es stehe vielmehr die Herstellung der vom Gesetz geforderten gleichen (anteiligen) Belastung der Wohnungseigentümer bei der finanziellen Vorsorge zur Deckung des Instandhaltungsaufwands im Vordergrund. Die Gleichbehandlung mit den übrigen Wohnungseigentümern könne nicht mit dem Argument eines schlüssigen, generellen Aufrechnungsverzichts versagt werden, weil einem Wohnungseigentümer eine so weit reichende Verzichtserklärung nicht zu unterstellen sei.
4. Das Berufungsgericht geht von einer überproportionalen Belastung der beklagten Wohnungseigentümer als Folge ihrer Beiträge zu den Kosten der im Jahr 2005 von der Eigentümergemeinschaft mehrheitlich beschlossenen Sanierung des Hauses aus. Die damalige Hausverwaltung hatte den einzelnen Wohnungseigentümern angeboten, sich entweder mit einer Einmalzahlung oder mit monatlichen Rückzahlungen an der Kreditfinanzierung an den Sanierungskosten zu beteiligen. Die Beklagten hatten sich im Jänner 2006 für die Einmalzahlung des auf sie entfallenden Anteils der Sanierungskosten entschieden. Obwohl der primäre Zweck der Rücklage nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 31 Abs 1 WEG 2002) in der Vorsorge für künftige Aufwendungen liegt, nimmt der Oberste Gerichtshof eine Leistung in die Rücklage auch bei Bevorschussung eines bereits bestimmten Erhaltungsaufwands an (5 Ob 10/78; 5 Ob 187/12d; vgl E . M. Hausmann aaO § 31 WEG Rz 17). In diesem Sinn handelte es sich (auch) bei der Einmalzahlung der beklagten Wohnungseigentümer um Beiträge zur Rücklage.
5. Im Vergleich zu jenen Wohnungseigentümern, die ab 2006 anteilig monatliche Rückzahlungen auf ein Darlehen leisteten, wären die Beklagten (so wie die anderen „Einmalzahler“) ungleich belastet gewesen, wenn sie einen höheren Beitrag geleistet hätten als jenen, zu dem sie nach den Verteilungsgrundsätzen des § 32 Abs 1 WEG 2002 verpflichtet waren. Ob dies zutrifft, ist nach den Negativfeststellungen des Erstgerichts nicht geklärt. Dieses konnte nämlich weder die Höhe des aufgenommenen Kredits noch der Vorschreibungen an die Wohnungseigentümer, die mit Darlehensrückzahlungen belastet wurden, feststellen. Die nunmehrige Sondervorschreibung erfolgte nach dem gesetzmäßigen Verteilungsschlüssel, worin gerade keine überproportionale Belastung einzelner Wohnungseigentümer liegt. Als Konsequenz der Argumentation der Beklagten, aufgrund der damals gesetzwidrigen Aufteilung der Beiträge zur Rücklage seien die Zahlungen rechtsgrundlos erfolgt, müsste im Übrigen allen Wohnungseigentümern ein Rückforderungsanspruch nach § 1431 ABGB zustehen, um eine ungleiche Behandlung innerhalb der Gemeinschaft zu vermeiden. Dieses Ergebnis steht mit der Vorstellung, die Liquidität der Gemeinschaft aufrecht zu erhalten und deshalb eine Aufrechnung zu versagen, nicht im Einklang.
6. Ungeachtet dieser Überlegungen zu einer allenfalls gar nicht verwirklichten Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes innerhalb der Gemeinschaft bleibt den beklagten Wohnungseigentümern die Aufrechnung mit Forderungen aus einer rechtsgrundlosen Zahlung verwehrt:
7. Nach Judikatur und Schrifttum soll die in § 31 Abs 1 WEG 2000 vorgeschriebene Bildung der Rücklage ‑ in der Regel durch laufende Einhebung von Beiträgen im Sinn eines Zwangs-Ansparsystems (vgl 5 Ob 185/07b; Dirnbacher WEG [2010] 371) ‑ einen Haftungsfonds oder eine Liquiditätsreserve mit ausreichenden Mitteln schaffen, um nicht nur alltägliche Auslagen, sondern vornehmlich größere (unvorhergesehene oder vorhersehbare) Investitionen finanzieren zu können (5 Ob 171/09x; 5 Ob 49/10g; E . M. Hausmann aaO § 31 WEG Rz 16 f; Würth/Zingher/Kovanyi 23 § 31 WEG Rz 2).
8. Hier handelte es sich um eine Sondervorschreibung zur Überbrückung eines akuten Liquiditätsengpasses als Folge rechtskräftiger Exekutionstitel gegen die Gemeinschaft. Mit den Beitragsleistungen der Wohnungseigentümer wird der benötigte Haftungsfonds, der bei Bestehen einer ausreichenden Rücklage bereits existieren würde, erst geschaffen. Zu dieser Sondervorschreibung war die (neue) Hausverwaltung nach entsprechender Information der Wohnungseigentümer auch während der laufenden Abrechunungsperiode berechtigt (5 Ob 255/06w, RIS‑Justiz RS0122020; E. M. Hausmann aaO § 32 WEG Rz 62a). In diesem Fall drohender Illiquidität der Gemeinschaft greift aufgrund des Vorrangs der Gemeinschaftsinteressen der schlüssige Aufrechnungsverzicht, wie auch das Erstgericht zutreffend erkannt hat.
9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Für die Revision wurden keine Kosten verzeichnet.
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