OGH 9ObA75/19y

OGH9ObA75/19y30.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zentralbetriebsrat der Ö***** GmbH, *****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2019, GZ 9 Ra 1/19m-13, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 20. September 2018, GZ 28 Cga 81/18p-8, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00075.19Y.1030.000

 

Spruch:

 

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die (Rechtsvorgänger der) Streitteile schlossen am 23. 9. 2014 eine Rahmenbetriebsvereinbarung (idF: BV) zur Einführung von Gleitzeitmodellen ab, deren § 6 lautet:

„Gleitzeitsaldo und Ausmaß von Übertragungsmöglichkeiten

Der Gleitzeitsaldo darf am Ende der Gleitzeitperiode maximal +/- 24 Stunden betragen. Das Ausmaß des Gleitzeitsaldos ist für den einzelnen Betrieb festzulegen, wobei das mögliche Ausmaß von Zeitguthaben und Zeitschulden jeweils gleich hoch sein soll.

Der Gleitzeitsaldo wird bis zum festgelegten Höchstausmaß in die nächste Gleitzeitperiode im Verhältnis 1:1 übertragen. Der Mitarbeiter ist verpflichtet, während der Gleitzeitperiode dafür Sorge zu tragen, dass er dieses Höchstausmaß an Übertragungsmöglichkeiten weder in Bezug auf Zeitguthaben noch in Bezug auf Zeitschulden überschreitet. Für den Fall, dass der Mitarbeiter dieser Verpflichtung nicht nachkommt, verfallen die über das festgelegte Höchstausmaß hinausgehenden Zeitguthaben am Ende der nächsten Gleitzeitperiode, sofern deren rechtzeitiger Verbrauch möglich und dem Mitarbeiter zumutbar gewesen wäre. Zeitschulden über das festgelegte Höchstausmaß, deren Ausgleich möglich und dem Mitarbeiter zumutbar gewesen wäre, werden am Ende der nächsten Gleitzeitperiode vom Entgelt des Mitarbeiters abgezogen.“

Weiter definiert § 8 BV Überstunden als „außerhalb der Kernzeit erbrachte Arbeitsleistungen, die vom Vorgesetzten ausdrücklich angeordnet wurden und das Ausmaß der für Vollbeschäftigte geltenden, fiktiven Normalarbeitszeit des Kalendertags zuzüglich allfälliger angeordneter Mehrarbeit überschreiten. Angeordnete Dienstleistungen außerhalb des Gleitzeitrahmens sind jedenfalls Überstunden.“

Der Kläger, Zentralbetriebsrat der Beklagten, begehrt die Feststellung, dass der (vorstehend in Fettschrift hervorgehobene) dritte Satz des zweiten Absatzes des § 6 der BV rechtsunwirksam sei. Die Regelung verstoße gegen § 19f AZG, der zumindest analog anzuwenden sei. Sowohl bei durchgerechneter Arbeitszeit als auch bei Gleitzeit handle es sich um eine flexiblere Verteilung der Normalarbeitszeit. Beide Regelungsmodelle erforderten Bestimmungen über den Abbau bzw die Auszahlung eines Überhangs am Ende des Durchrechnungszeitraums/der Gleitzeitperiode. Würden vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistungen nicht entlohnt, führe dies zu einer einseitigen Entgeltreduktion. Es sei Sache der Beklagten als Arbeitgeberin, die Arbeitszeit und damit auch den Aufbau von Zeitguthaben zu kontrollieren und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen, insbesondere durch Weisung auf den Abbau überhöhter Zeitguthaben hinzuwirken. Dieser Verpflichtung könne sich die Beklagte nicht durch die strittige Verfallsregelung entziehen. Unter Berufung auf Rechtsprechung des Berufungsgerichts (OLG Wien 10 Ra 47/05p) sah die Klägerin auch einen Verstoß gegen § 10 AZG, der die Bestimmung in ihrer Generalität rechtswidrig mache.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte – soweit revisionsgegenständlich – ein, die BV verstoße nicht gegen zwingendes Arbeitszeitrecht. Ein Verstoß gegen § 19f AZG liege nicht vor, weil sich diese Bestimmung nur auf den Abbau von Zeitguthaben bei Durchrechnung der Normalarbeitszeit nach § 4 Abs 4 und 6 AZG beziehe. Der wesentliche Unterschied zwischen Durchrechnungs- und Gleitzeitmodellen bestehe darin, dass im Fall der Gleitzeit der Arbeitgeber keinerlei Einfluss auf den Aufbau von Zeitguthaben habe. Dies verlange nach einem Korrektiv, das hier im vereinbarten Verfall der 24 Stunden überschreitenden Zeitguthaben am Ende der nächsten Gleitzeitperiode liege. Zum Schutz der Arbeitnehmer trete der Verfall aber nur dann ein, wenn dem Arbeitnehmer der rechtzeitige Verbrauch des Zeitguthabens möglich und zumutbar gewesen wäre. Die BV verpflichte den Arbeitnehmer ausdrücklich, das Höchstausmaß der Übertragung von Zeitguthaben und -schulden nicht zu überschreiten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging zusammengefasst davon aus, dass § 19f AZG auf Gleitzeitvereinbarungen nicht anwendbar sei. Die Regelung bedeute keinen Verstoß gegen zwingendes Arbeitszeitrecht. Die BV sehe eine Art Ampelkontoregelung vor, bei der die Ampel ab einem bestimmten Zeitguthaben „auf rot springe“ und den Arbeitnehmer anweise, angespartes Zeitguthaben wieder abzubauen. Derartige Ampelkonten seien zulässig, weil das zeitliche Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers nicht unbegrenzt sei. Die strittige Klausel beinhalte eine Weisung zum rechtzeitigen Abbau von Zeitguthaben. Sie verneine zudem eine Entgeltpflicht nur dann, wenn der Arbeitnehmer seiner Abbaupflicht trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit nicht nachkomme. § 6 Abs 2 Satz 3 der BV führe daher im Ergebnis nur dazu, dass aufgedrängte Arbeitsleistungen nicht entgolten würden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und stellte die Rechtsunwirksamkeit des bekämpften Satzes fest. Ausgangspunkt sei, dass am Ende der Gleitzeitperiode bestehende nicht übertragbare Zeitguthaben als Überstunden gälten, die gemäß § 10 AZG abzugelten seien. Der Bestimmung komme zwingende Wirkung zu. Die Betriebsvereinbarung verstoße dagegen, es liege daher keine zulässige Ansparbegrenzung vor. Es liege auch keine Ampelkontoregelung vor. Ein Ampelkonto bewirke bei Erreichen eines bestimmten Zeitguthabens schon während der Gleitzeitperiode einen Ansparstopp, sodass der Arbeitnehmer ab diesem Zeitpunkt sein Zeitguthaben nicht weiter erhöhen könne. Daraus resultiere allerdings kein Wegfall von Zeitguthaben, weil dennoch notwendige Plusstunden dann zwar nicht mehr das Gleitzeitguthaben erhöhten, jedoch als Überstunden abzugelten seien.

Grundsätzlich bestünden gegen eine Regelung, die bei einem Überschreiten des Gleitzeitsaldos eine Verschiebung des Beobachtungszeitpunkts auf das Ende der nächsten Gleitzeitperiode vorsehe, keine Bedenken, weil das Gesetz keine maximale Dauer der Gleitzeitperiode vorsehe. Das ändere allerdings nichts daran, dass das Ende der „ersten“ Gleitzeitperiode hinsichtlich nicht übertragbarer Zeitguthaben Überstundenentgeltansprüche entstehen lasse. Diese Qualität bleibe auch dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer danach in der „zweiten“ Gleitzeitperiode eine allenfalls bestehende Abbaupflicht verletzt haben sollte. Daraus folge, dass ein 24 Stunden übersteigendes Zeitguthaben auch am Ende der nächsten Gleitzeitperiode nicht wegfalle, sondern die entsprechenden Arbeitszeiten als Überstunden zu behandeln seien.

Sei die Erbringung der Überstundenleistung im Sinn der Lehre und Rechtsprechung notwendig gewesen, gebühre dem Arbeitnehmer zwingend eine Überstundenabgeltung im Sinn des § 10 AZG. Kein Anspruch auf Abgeltung bestehe, wenn die Erbringung der Überstundenleistung zur Bewältigung der auferlegten Arbeitsmenge nicht notwendig (und auch nicht angeordnet) worden sei. Die aus der Überschreitung des periodenbezogenen Durchschnitts von 40 Wochenstunden zuzüglich der Übertragungsmöglichkeit am Ende der Gleitzeitperiode resultierenden Überstunden würden zwar „kein Mascherl tragen“, also keinem bestimmten Leistungszeitpunkt oder -zeitraum zugeordnet werden können. Es liege hier aber ohnehin kein Ampelkonto vor.

Dem Argument, eine Gleitzeitvereinbarung gebe dem Arbeitnehmer nur das Recht, seine Normalarbeitszeit zu verteilen, aber nicht das Recht, „das Anfallen von Überstunden selbst zu bestimmen“, hielt das Berufungsgericht entgegen, im Fall „aufgedrängter“ Arbeitsleistungen entstehe zwar kein Anspruch auf Abgeltung als Überstunden. Dass „aufgedrängte“ Arbeitsleistungen vorlägen, könne aber nur angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer (eine) konkrete und aufgrund der übertragenen Arbeitsmenge auch umsetzbare Weisung(en) des Vorgesetzten zur Arbeitszeit unbeachtet lasse. Eine Pflicht der Beklagten zu (einer) solchen vorgängigen Weisung(en) sowie zur Setzung geeigneter Maßnahmen normiere § 6 der BV nicht. Die von Schrank angesprochene Warnfunktion einer Verfallsklausel trage deren Rechtswirksamkeit ebenfalls nicht, weil dafür ein bloßer Ansparstopp im Rahmen eines Ampelkontos genüge. Die Revision sei zulässig, weil die Auslegung der Betriebsvereinbarung eine Vielzahl von Arbeitnehmern erfasse.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (vgl RS0109942 ua), jedoch nicht berechtigt.

Die Beklagte hält der Beurteilung des Berufungsgerichts im Wesentlichen entgegen, dass die Betriebsvereinbarung nicht die Entlohnung von entstandenen Überstunden betreffe, die selbstverständlich abgegolten würden, sondern den Verfall von vom Arbeitnehmer im Rahmen seines Selbsteinteilungsrechts erbrachten Arbeitsstunden, die ohne ausdrücklichen oder impliziten Willen des Arbeitgebers über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus geleistet worden seien. Kern der Rechtsfrage seien die Rahmenbedingungen der Beschränkung des freien Zeiteinteilungsrechts auf die zu leistende Normalarbeitszeit.

Folgendes war vom Senat zu erwägen:

1. § 4b Abs 1 AZG normiert für gleitende Arbeitszeit das Selbsteinteilungsprinzip. Es ist durch das grundsätzliche Recht des Arbeitnehmers gekennzeichnet, im vereinbarten Rahmen die Einteilung der Normalarbeitszeit unter Beachtung auch der jeweiligen Gleitzeitperiode samt Übertragbarkeitsstunden selbst vornehmen zu können, ohne Kommen und Gehen und damit das jeweilige Normalarbeitszeitausmaß im Anlassfall vereinbaren zu müssen oder auf Genehmigungen im Anlassfall angewiesen zu sein (Schrank, Arbeitszeit5 § 4b Rz 4; s auch Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 4b Rz 2 f; Klein in Heilegger/Klein AZG4 § 4b Rz 7). Dafür ist grundsätzlich der Abschluss einer Betriebsvereinbarung (Gleitzeitvereinbarung) erforderlich, die gemäß § 4b Abs 3 AZG zu enthalten hat:

1. die Dauer der Gleitzeitperiode,

2. den Gleitzeitrahmen,

3. das Höchstausmaß allfälliger Übertragungsmöglichkeiten von Zeitguthaben und Zeitschulden in die nächste Gleitzeitperiode und

4. Dauer und Lage der fiktiven Normalarbeitszeit.

Die vorliegende BV erfüllt diese Anforderungen. Das Höchstausmaß der übertragbaren Zeitguthaben und -schulden wurde mit +/- 24 Stunden begrenzt. Nach dem klaren Wortlaut des § 6 Abs 2 S 1 BV („Der Gleitzeitsaldo wird bis zum festgelegten Höchstausmaß in die nächste Gleitzeitperiode im Verhältnis 1:1 übertragen.“) sollen über 24 Stunden hinausgehende Zeitguthaben nicht als solche in die nächste Periode übertragen werden.

2. Die Beklagte befürchtet bei der Auslegung des Berufungsgerichts eine „Lizenz der Arbeitnehmer zu selbstbestimmten Überstunden“, der mit der bekämpften Verfallsklausel in § 6 Abs 2 S 3 BVvorgebeugt werden soll.

Richtig ist, dass auch der Arbeitnehmer Gleitzeitgrenzen zu beachten hat, weil ihm das Selbsteinteilungsrecht nur nach Maßgabe der Gleitzeitvereinbarung – hier mit einer Beschränkung des Gleitzeitsaldos auf maximal +/- 24 Stunden – eingeräumt wurde (s Schrank, aaO § 4b Rz 22). Der Arbeitnehmer wird auch verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass er den Saldo nicht überschreitet. Ein „Recht“ des Arbeitnehmers zum unbeschränkten Aufbau sehr hoher Zeitsalden ist der Gleitzeitvereinbarung daher nicht zu entnehmen.

3. Der Gefahr, dass es dennoch zu einem „Überstand“ eines Zeitguthabens kommt, wird häufig mit Frühwarnsystemen wie mit dem schon vom Berufungsgericht skizzierten „Ampelkontomodell“ vorgebeugt (s dazu zB Gärtner in Gärtner/Klein/Lutz, Arbeitszeitmodelle4 [2017] 59; Jöst in Risak/Jöst/David/Patka, Praxishandbuch Gleitzeit2 [2014], 101), wovon die Beklagte hier aber keinen Gebrauch macht. Zur Wahrung des Interesses der Beklagten, (uU teuren) Überhängen vorzubeugen, sieht die Gleitzeitvereinbarung in § 6 Abs 2 S 3 BV vielmehr im Sinn einer Sanktion eine „Kappungsklausel“ vor, nach der auch innerhalb der nächsten Gleitzeitperiode trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit nicht abgebaute Zeitguthaben verfallen sollen. Dass eine solche Bestimmung grundsätzlich Gegenstand einer Gleitzeitvereinbarung sein kann, wurde von den Streitteilen nicht bezweifelt. Darauf wird in der Folge nicht Bezug genommen.

4. Ausgangspunkt für die Prüfung der Wirksamkeit der angeordneten Rechtsfolge ist, dass hinter jedem Zeitguthaben eine bereits geleistete Arbeitsstunde steht, die grundsätzlich auch entlohnungspflichtig ist. Denn es entspricht dem Grundkonzept des Arbeitsvertrags, dass die vom Arbeitnehmer erbrachte und vom Arbeitgeber entgegengenommene Leistung, sofern nicht Unentgeltlichkeit vereinbart wurde, der Entgeltpflicht unterliegt. Soll eine Arbeitsstunde „verfallen“, so würde sie weder als geleistet gelten noch einen Entlohnungsanspruch begründen.

5. Die BV verpflichtet die Arbeitnehmer hier, selbst dafür Sorge zu tragen, dass das Höchstausmaß des Gleitzeitsaldos nicht überschritten wird, trifft aber sonst keine Vorkehrungen dafür, dass es nicht doch zur Entgegennahme darüber hinausgehender Arbeitsleistungen kommt. Diese generalisierende Rechtsgestaltung lässt aber außer Acht, dass sich die Erbringung von Arbeitsleistungen in der jeweils konkreten Situation verwirklicht und ihre zeitliche Lage auch bei einem Gleitzeitmodell auf (ausdrückliche oder konkludente) Anordnungen des Arbeitgebers zurückgehen kann. Dass es andere Kontrollmaßnahmen dafür gäbe, behauptet die Beklagte nicht.

6. In der Literatur wird daher – überwiegend unabhängig von der Frage, ob Zeitguthaben über dem Gleitzeitsaldo am Ende des Durchrechnungszeitraums als Überstunden zu qualifizieren sind – entsprechend differenziert:

Schrank,aaO Rz 30, unterscheidet hinsichtlich der Erlaubtheit besonderer Verfalls- oder Kappungsklauseln. Soweit Zeitguthaben auf vertragswidriger Eigenmacht und nicht auf Anordnungen, sonstigen Eingriffen oder (auch bloß impliziten) Genehmigungen durch den Arbeitgeber (oder zuständige Führungskräfte) beruhten, dienten sie dem Missbrauchsschutz. Solche Klauseln könnten nur arbeitnehmer-selbstverursachte Zeitüberhänge erfassen, die auch durch besondere Dienstgeberinteressen nicht aufgewogen bzw überwogen würden. Beruhten indessen Zeitüberhänge auf dienstgeber- bzw führungskräfteseitiger Verursachung, so seien sie rechtlich dem Arbeitgeber zurechenbare Mehr- bzw Überstunden und damit entsprechend zu behandeln (Auszahlung oder Vereinbarung von aufgewertetem Zeitausgleich). Gleiches werde bei hohem objektivem Dienstgeberinteresse an Überhängen gelten (die also auch durch andere Dispositionen nicht vermeidbar gewesen wären) oder wenn das Ausgleiten erwartbar und zeitlich noch möglich gewesen wäre, die Überhänge aber durch Dienstverhinderungen und die gesetzlich zwingende Zurechnung fiktiver Normalarbeitszeit rechtlich unvermeidlich entstanden seien.

Körber-Risak in Reissner/Neumayr, ZellHB BV Besonderer Teil, 41. BV Rz 41.45, hält zur Beschränkung des Erwerbs von Zeitguthaben fest, dass eine Klausel, die eine absolute Beschränkung (zB auf das Ausmaß der übertragbaren Zeitguthaben) vorsehe, in der Praxis im Einzelfall an den realen Gegebenheiten scheitern könne, wenn dem Arbeitnehmer so viel Arbeit zugewiesen werde, dass sich ein Einhalten der Grenzen als unmöglich erweise, sodass dann real existierende Zeitguthaben wohl nicht gekappt werden könnten.

Nach Klein, aaO § 4b Rz 60, sei eine Vereinbarung, wonach Zeitüberschüsse am Ende der Gleitzeitperiode unabgegolten verfielen, wegen des zwingenden Charakters von § 10 AZG unwirksam. Arbeitsleistungen, die der Arbeitgeber entgegennehme, habe er auch zu bezahlen; durch sein Weisungsrecht und die dadurch gegebene Befugnis, die Arbeit zu lenken und zu organisieren, habe der Arbeitgeber die Möglichkeit, nicht gewünschte Arbeitsleistungen zu unterbinden und könne dementsprechend die Weisung erteilen, Zeitguthaben abzubauen. Nur wenn der Arbeitnehmer sich nicht an solche Weisungen halte und die erbrachte Mehrarbeitsleistung auch nicht aufgrund der dem Arbeitnehmer aufgetragenen Arbeitsmenge erforderlich gewesen sei, der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Anwesenheit am Arbeitsplatz also quasi aufgedrängt habe, werde eine entgeltpflichtige Arbeitsleistung zu verneinen sein.

Grundsätzlich gegen einen Verfall sprechen sich auch Jöst in Risak/Jöst/David/Patka aaO 108 und Marhold-Weinmeier, Die Gleitzeitvereinbarung (§ 4b AZG), ASoK 1998, 218) aus.

7. In diesem Sinn erachtet auch der erkennende Senat eine Unterscheidung danach, ob ein über dem Gleitzeitsaldo bestehendes Zeitguthaben arbeitgeberseitig veranlasst oder zumindest entgegengenommen wurde oder ob das nicht der Fall war, für erforderlich. Die vorliegende Gleitzeitvereinbarung nimmt keine solche Differenzierung vor. Damit kann aber gerade nicht gesagt werden, dass sie – losgelöst von den Gegebenheiten des Falles – bei Arbeitsleistungen, die bei Erreichung des Übertragungshöchstmaßes zu einem weiteren Aufbau von Zeitguthaben führen, nur „aufgedrängte“ Arbeit erfassen würde. Insbesondere kann dabei eine bloß vorweg formulierte allgemeine Verpflichtung der Arbeitnehmer, das Übertragungshöchstausmaß nicht zu überschreiten und selbst darauf zu achten, nicht zu der von der Beklagten gewünschten Auslegung führen, weil damit in der konkreten Situation nicht ausgeschlossen ist, dass es dennoch in einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Weise (zB aufgrund der aufgetragenen zu erledigenden Arbeitsmenge) zu über dem zulässigen Gleitzeitsaldo liegenden Leistungen kommt. Entstehen derart vom Verfall laut BV bedrohte Überhänge, widerspricht es im Ergebnis dem dargelegten arbeitsvertraglichen Grundverständnis, dass Arbeitsleistungen entgeltlich erbracht werden. Sofern es sich – insbesondere bei Vollzeitkräften – um Überstunden handelt, die nicht abgebaut werden und idF zu einem Entfall des Entgeltanspruchs führen, verstößt die Bestimmung auch gegen die gesetzliche Pflicht zur Überstundenvergütung nach § 10 AZG.

8. Die Beklagte hält dem im Wesentlichen entgegen, dass sich die Bestimmung nicht auf Überstunden beziehe, die ohnedies entlohnt würden. Darin ist ihr aber nicht zu folgen, weil zum einen der Begriff der Überstunde in § 8 BV zu eng gewählt ist (s sogleich) und zum anderen aus dem bekämpften Satz keine entsprechende Differenzierung hervorgeht.

9. Nach ständiger Rechtsprechung besteht ein Anspruch auf Bezahlung von Überstunden nicht nur dann, wenn diese vom Dienstgeber ausdrücklich (oder konkludent) angeordnet werden, sondern auch dann, wenn vom Dienstgeber Arbeitsleistungen verlangt werden, die in der normalen Arbeitszeit nicht erledigt werden können (s RS0051338; RS0051431 ua). Letztlich kommt es auf ein Einverständnis mit dem Arbeitgeber an, das durch ausdrückliche Anordnung oder Genehmigung, aber auch konkludent dadurch gegeben sein kann, dass der Arbeitgeber zusätzliche Arbeitsleistung duldet und entgegen nimmt (s zB 8 ObA 21/17x; Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 10 AZG Rz 5 mwN). Bloße Aufforderungen des Arbeitgebers, die Überstunden abzubauen oder sie nicht zu machen, ohne dass er gleichzeitig entlastende organisatorische Maßnahmen ergreift, befreien diesen nicht von der Leistung von Überstundenentgelten (Pfeil aaO Rz 5). Selbst wenn der Arbeitgeber Überstundenarbeit ausdrücklich untersagt hat, wird dadurch die nachträgliche stillschweigende Vereinbarung ebensolcher Überstundenarbeit nicht verhindert (Klein in Heilegger/Klein, AZG4 § 10 Rz 2). Die Qualifikation einer Arbeitsleistung als Überstundenarbeit ist danach nicht auf den in § 8 BV geregelten Fall beschränkt, dass der Arbeitsleistung eine ausdrückliche Anordnung zugrunde liegt. Es ist folglich auch nicht ausgeschlossen, dass ein über dem Gleitzeitsaldo liegendes Zeitguthaben weitere Überstunden enthält.

10. Wenn die Erbringung der Überstundenleistung nach den aufgezeigten Grundsätzen erfolgt ist, gebührt dem Arbeitnehmer, wie dargelegt, auch zwingend eine Überstundenabgeltung nach § 10 AZG. Auch eine (kollektivvertragliche) Bestimmung, die nur „ausdrücklich“ angeordnete Arbeitsstunden als Überstunden vorsieht, könnte nichts daran ändern, dass solche Stunden als Überstunden zu bezahlen sind, zumal eine derart enge Auslegung solcher Bestimmungen deren Sittenwidrigkeit zur Folge hätte (8 ObA 29/10p; 8 ObA 12/13t; s auch RS0064125). Ein Anspruch auf Abgeltung besteht nur dann nicht, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung zur Bewältigung der auferlegten Arbeitsmenge nicht notwendig, nicht (ausdrücklich oder konkludent) angeordnet und auch nicht vom Arbeitgeber im Sinn der Rechtsprechung als zusätzliche Arbeitsleistung geduldet und entgegengenommen wurde. Der Verweis der Beklagten darauf, dass ohnedies eine Entlohnung der auch von der BV bedachten Überstunden erfolge, greift insofern zu kurz.

In diesem Sinn hat auch das Berufungsgericht (OLG Wien, 10 Ra 47/05p, ARD 5668/9/2006) zu am Ende der Gleitzeitperiode nicht übertragbaren Zeitguthaben entschieden, dass eine Regelung in einer BV, wonach am Ende der Gleitzeitperiode nicht übertragbare Zeitguthaben verfallen, in dieser Allgemeinheit wegen des zwingenden Charakters des § 10 AZG unwirksam ist. Nur wenn der Arbeitnehmer einer Weisung, Zeitguthaben rechtzeitig vor Ende der Gleitzeitperiode durch Zeitausgleich abzubauen, nicht nachkommt und die erbrachten Gutstunden auch nicht aufgrund der dem Arbeitnehmer aufgetragenen Arbeitsmenge erforderlich war, ist eine gesonderte Entgeltpflicht zu verneinen.

11. Nichts anderes würde gelten, wenn man § 6 BV als Anordnung dahin versteht, dass die Nachfrist für den Abbau eines 24 Stunden übersteigenden Zeitguthabens in der Folge-Gleitzeitperiode zumindest der Sache nach eine weitere Übertragungsmöglichkeit eröffnet (s Schrank aaO § 4 Rz 119). Nach § 6 Abs 1a AZG gelten in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragbare Zeitguthaben zwar nicht als Überstunden. Die genannten Erwägungen treffen aber auch dann zu, wenn diese Stunden selbst am Ende der Folge-Gleitzeitperiode zu einem über der Höchstgrenze liegenden „Überstand“ führen.

12. Zusammenfassend ist die bekämpfte Klausel unzulässig, weil der undifferenzierte Verfall eines Zeitguthabens auch dann zu einem Entfall des Entlohnungsanspruchs führen kann, wenn ihm keine „aufgedrängten“ Arbeitsleistungen zugrunde liegen. Sofern davon auch Überstunden erfasst werden, verstößt die Bestimmung überdies gegen § 10 AZG.

Da die Revision der Beklagten daher nicht berechtigt ist, ist ihr keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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