European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00081.19A.0731.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten als Trägerin einer Krankenanstalt unter anderem 40.000 EUR Schmerzengeld. Ihre auf einer Entzündung beruhenden Unterleibsbeschwerden seien nicht lege artis behandelt worden. Auch die Entlassung am 11. 7. 2014 sei nicht fachgerecht erfolgt, weil davor keine Abschlussuntersuchung stattgefunden habe, die Entzündung noch nicht unter Kontrolle gewesen und ihr bloß ein ärztlicher Kurzbrief ausgehändigt worden sei. Dadurch seien Dauerschäden in Form des Verlustes des rechten Eierstocks und Eileiters sowie ausgedehnte Verwachsungen im Bauchraum eingetreten; weitere Spätfolgen seien nicht ausgeschlossen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Teilzwischenurteil des Erstgerichts, mit dem dieses die Schmerzengeldforderung der Klägerin dem Grunde nach als zu Recht bestehend feststellte, weil die bei der Klägerin bestehende Entzündung nicht mittels ausreichend dosierter Antibiose behandelt und die Klägerin unter Angabe einer unvollständigen Diagnose und nicht ausreichender Therapieempfehlung zur Weiterbehandlung im niedergelassenen Bereich entlassen worden sei. Die Vorwürfe, die Klägerin hätte nach ihrer Entlassung die vorgeschriebene Medikation nicht beachtet und sich trotz der neuerlich auftretenden Schmerzen nicht unverzüglich in ein Krankenhaus begeben, beträfen als mögliche Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit nicht den Grund, sondern die Höhe des Anspruchs und seien im Verfahren über den Grund des Anspruchs nicht zu prüfen.
Rechtliche Beurteilung
Das gegen das Urteil des Berufungsgerichts erhobene
außerordentliche Rechtsmittel der Beklagten ist zurückzuweisen:
1.
Mit dem Umstand, dass das Erstgericht Anträgen der Klägerin auf (teilweise ergänzende) Einvernahme weiterer Zeugen nicht stattgegeben hat, setzte sich das Berufungsgericht in Erledigung der behaupteten Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens auseinander. Die von ihm verneinte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens kann nicht mehr zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht werden (RIS‑Justiz RS0106371 ua). Die Zurückweisung eines Vorbringens durch das Erstgericht wegen offenbarer Verschleppungsabsicht kann in dritter Instanz nicht überprüft werden (RS0036890; vgl auch RS0036897 [T3]).
2.1
Nach ständiger Rechtsprechung ist der ärztliche Behandlungsvertrag ein im Gesetz nicht näher typisiertes Vertragsverhältnis, aufgrund dessen der Arzt dem Patienten eine fachgerechte Behandlung
nach den Regeln der ärztlichen Kunst schuldet, wofür der aktuell anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich ist (RS0021335 [T2]). Ganz allgemein haftet ein Schädiger für alle, auch für zufällige Folgen, mit deren Möglichkeit abstrakt zu rechnen gewesen ist, aber nicht für einen atypischen Erfolg (RS0022906; RS0022914 ua). Auch wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu tritt, ist die Adäquanz zu bejahen, wenn nach den allgemeinen Erkenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RS0022918). Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Klägerin entgegen der ärztlichen Kunst ein Antibiotikum nicht mehr intravenös, sondern oral und in zu geringer Dosierung verabreicht wurde. Bereits deswegen hatte die Klägerin nach den Feststellungen zusätzliche Schmerzen zu erleiden, die bei ausreichender diagnostischer Abklärung und fachgerechter Behandlung vermieden werden hätten können. Warum bei dieser Sachlage keine adäquate Verursachung anzunehmen sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Auf die Entscheidung zu 1 Ob 258/12s kann sich die Beklagte schon deswegen nicht berufen, weil nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt dem medizinischen Personal ein Diagnose- oder Behandlungsfehler nicht zum Vorwurf gemacht werden konnte.
2.2 Wird ein Mitverschulden des Klägers eingewendet, so kann ein Zwischenurteil nur dann gefällt werden, wenn gleichzeitig über die Frage des Mitverschuldens und über das Ausmaß der Schadensteilung entschieden wird (RS0106185). Davon zu unterscheiden ist die Obliegenheit des Geschädigten, den (ohne sein Zutun) eingetretenen Schaden möglichst gering zu halten, wenn und soweit ihm ein entsprechendes Verhalten möglich und zumutbar ist (RS0027043; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1304 Rz 37 f; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1304 Rz 11; Karner in KBB5 § 1304 ABGB Rz 9 je mwN). Der Einwand der Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit gehört nicht zum Anspruchsgrund, sondern betrifft die Schadenshöhe und steht daher der Fällung eines Zwischenurteils nicht entgegen (RS0040783; RS0106185 [T4]).
2.3 Indem die Beklagte davon ausgeht, die Abszessbildung wäre unterblieben, wenn die Klägerin nach Konsultierung eines niedergelassenen Arztes unverzüglich (wieder) ein Krankenhaus aufgesucht hätte, legt sie ihren Ausführungen einen Wunschsachverhalt zugrunde. Damit gelingt es ihr ebenso wenig, wie mit ihren weitläufigen Verweisen auf Beweisergebnisse eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, die vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre, aufzuzeigen. Zum Einen bilden Ausführungen zur Beweiskraft von Verfahrensergebnissen oder zur Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Sachverhalts eine in dritter Instanz unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung (RS0043131; RS0043143 uva). Zum Anderen steht fest, dass die Ausbildung des Abszesses bei der Klägerin ohne den Diagnose- und/oder Behandlungsfehler der Beklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit unterblieben wäre. Damit bedarf es aber keiner Korrektur, wenn das Berufungsgericht die Einwände der Beklagten, die Klägerin habe nach ihrer Entlassung die vorgeschriebene Medikation nicht befolgt und sich trotz neuerlicher Schmerzen nicht unverzüglich ins Krankenhaus begeben, nicht dem Mitverschulden und daher dem Grund des Anspruchs, sondern der Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit zuordnete. Dass die Frage der Verletzung dieser Obliegenheit nicht den Grund des Anspruchs, sondern dessen Höhe betrifft, räumt die Revisionswerberin ohnedies auch selbst ein.
3. Beim Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens geht es darum, dass der Schädiger (vgl RS0111706) auch bei rechtmäßigem Verhalten denselben Schaden (bzw einen Schaden in gleicher Höhe) verursacht hätte (dazu ausführlich 6 Ob 234/17f). Darauf beruft sich die Beklagte der Sache nach, wenn sie geltend macht, am Krankheitsverlauf der Klägerin hätte sich nichts geändert, auch wenn ihre Ärzte anstelle der falschen eine richtige Dosierung des Antibiotikums verordnet hätten, weil diese nach der Entlassung aus dem Krankenhaus das Medikament nicht wie verordnet eingenommen hat. Abgesehen davon, dass die Beklagte damit völlig übergeht, dass die Entlassung verfrüht war und Anhaltspunkte dafür fehlen, dass sie ihren diesbezüglichen Wunsch entgegen dem Rat der Ärzte und ungeachtet einer ordnungsgemäßen Aufklärung äußerte, hat sie im Verfahren erster Instanz einen solchen Einwand gar nicht erhoben. Der von ihr erstmals in der Revision (der Sache nach) erhobene Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist daher im Sinn des Neuerungsverbots unzulässig und unbeachtlich (RS0042025 [T10]).
4. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass die von der Beklagten in der Berufung thematisierte Frage der Dokumentationspflichtverletzung angesichts der festgestellten Sorgfaltsverstöße keiner Prüfung bedarf. Unverständlich ist daher deren Standpunkt, das Gericht zweiter Instanz habe ihre Haftung alleine damit begründet, ihre Ärzte hätten gegen die Dokumentationspflicht verstoßen. Mit ihren darauf abzielenden Ausführungen spricht die Beklagte daher ebenfalls keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts an.
5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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