European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00049.19V.0625.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem freisprechenden Teil, demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ma***** (unbekämpft) des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1, Abs 2 Z 1 und 2, 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er im Zeitraum zwischen 1. Oktober 2007 und 3. November 2017 in wiederholten Fällen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und gewerbsmäßig M***** durch gefährliche Drohung, und zwar durch die angekündigte Bekanntmachung der zwischen ihm und M***** in den Jahren 2001 bis 2003 vorgefallenen sexuellen Handlungen gegenüber Arbeitgeber und Arbeitskollegen, wodurch dessen Kündigung bewirkt werden sollte, somit durch Drohung mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz, zu Handlungen, die diesen am Vermögen schädigten bzw am 3. November 2017 schädigen sollten, und zwar zur Übergabe und Überweisung von zumindest 70.948,26 Euro, nötigte und zu nötigen versuchte, wobei er die Erpressung gegen dieselbe Person eine längere Zeit hindurch fortsetzte.
Hingegen wurde Ma***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe im Zeitraum von 1. Jänner 2001 bis 31. Dezember 2003 den M***** wiederholt außer den Fällen des § 201 StGB durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung an der Ehre, und zwar durch die wiederholte Ankündigung, er würde von ihm an M***** vorgenommene geschlechtliche Handlungen dessen Eltern, Freunden und Mitschülern bekanntgeben, zur Duldung weiterer geschlechtlicher Handlungen, und zwar des Oralverkehrs an ihm, genötigt,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Gegen diesen Freispruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Rechtliche Beurteilung
Nach den Feststellungen des Schöffengerichts kam es erstmalig im Herbst 2000 und nachfolgend zwischen 2001 und 2003 in zumindest zehn Fällen zu geschlechtlichen Handlungen zwischen dem Angeklagten und dem damals 14- bis 17-jährigen M*****, bei welchen jeweils der Angeklagte diesen oral befriedigte. Schon zwischen 2001 und 2003 äußerte Ma***** die Drohung gegenüber M*****, er werde für den Fall, dass dieser die sexuelle Beziehung zu ihm beenden wolle, dessen Familie und Freunden die homosexuellen Handlungen zwischen ihnen beiden offenbaren (US 3).
Wie oft es zu solchen Äußerungen kam und inwieweit diese im Einzelfall Anlass für M***** waren, die geschlechtlichen Handlungen des Angeklagten an sich vornehmen zu lassen, vermochten die Tatrichter (explizit) nicht festzustellen (Negativfeststellung zur Kausalität der vom Angeklagten geäußerten Drohungen für die Duldung der einzelnen sexuellen Handlungen US 3 und 8).
Mit dem Einsatz des Nötigungsmittels – fallaktuell der gefährlichen Drohung – ist die strafbare Handlung nach § 202 Abs 1 StGB jedoch auf jeden Fall versucht (RIS-Justiz RS0119512; Fabrizy, StGB13 § 202 Rz 6; vgl auch 15 Os 50/06a). Fehlt es – wie gegenständlich – an der notwendigen kausalen Verknüpfung zwischen der Handlung des Täters (dem Einsatz des Nötigungsmittels) und dem eingetretenen Erfolg, weil sich das Opfer auch ohne die Drohung gleichermaßen verhalten hätte, so haftet der Täter – bei Vorliegen aller weiteren Tatbestandserfordernisse – wegen Versuchs (vgl Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 67; Kienapfel/Schroll StudB BT I4 [2016] § 105 Rz 78 sowie auch RIS-Justiz RS0121420).
Die erstgerichtlichen Feststellungen zur fehlenden Kausalität betreffen somit lediglich die Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung und damit – ebenso wie die bezughabenden Ausführungen der Mängelrüge – keine entscheidende Tatsache, weil diese Differenzierung nicht schuld- oder subsumtionsrelevant ist (RIS-Justiz RS0122138); darauf bezogene Feststellungen betreffen lediglich Strafzumessungstatsachen (vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 645).
Das Schöffengericht hat – worauf die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zutreffend hinweist – alle für die Annahme des (mit Blick auf § 61 StGB und § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 hier aktuell:) Vergehens der geschlechtlichen Nötigung in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 Abs 2 StGB) in objektiver Hinsicht erforderlichen Feststellungen getroffen.
Davon ausgehend macht die Staatsanwaltschaft zu Recht einen Feststellungsmangel (Z 9 lit a) zur subjektiven Tatseite geltend: Sie begehrt Konstatierungen zu einem sowohl auf den Einsatz einer gefährlichen Drohung als auch auf die Veranlassung zur Duldung der geschlechtlichen Handlung bei fehlendem Einverständnis des Opfers gerichteten Vorsatz (vgl Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 16) und zeigt mit dem Verweis auf die zur objektiven Tatseite geständige Verantwortung des Angeklagten (ON 26 S 9 f) und auf die (vom Erstgericht als „nicht grundsätzlich unglaubwürdig“ qualifizierte [US 7]) Zeugenaussage des Opfers (ON 2 S 31 verso; ON 9 S 23 ff; ON 26 S 12 und 15 f) auch in diese Richtung weisende Verfahrensergebnisse auf.
Als Verletzung an der Ehre iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB ist – unter dem Aspekt des angestrebten Schutzes der Willensfreiheit (vgl Anzenberger/Sprajc, ÖJZ 2014, 383; Jerabek/Reindl-Krauskopf/Ropper/Schroll in WK2 StGB § 74 Rz 31/1) – jede Verminderung des Ansehens und der Achtung einer Person in den Augen der jeweils für sie konkret maßgeblichen Umwelt zu verstehen (RIS‑Justiz RS0092487, RS0092529; Birklbauer/Oberlaber, JSt 2014, 28 f), weshalb Mitteilungen über (tatsächlich gesetzte) homosexuelle geschlechtliche Handlungen eines (eine landwirtschaftliche Fachschule besuchenden) Minderjährigen an dessen Familie und Freunde (vgl US 3) dem Ehrverletzungsbegriff des § 74 Abs 1 Z 5 StGB zu unterstellen sind.
Bloß der Vollständigkeit halber sei zusätzlich festgehalten, dass bezüglich des hier maßgeblichen Tatzeitraums zwischen 2001 und 2003 (vgl US 3) – anders als in den für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs AZ 12 Os 90/13x relevanten Jahren 2010/2011 – davon auszugehen war, dass Homosexualität generell derart negativ verstanden wurde, dass ein „Vorwurf der Homosexualität“ – unabhängig von konkreten (Tat‑)Umständen – als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Ehre aufzufassen war (so explizit 6 Ob 211/05f; ebenso dSn noch 12 Os 58/05d). Denn maßgeblich für den Ehrbegriff ist die damals aktuelle (gesamt-)gesellschaftliche Werthaltung (Rami in WK2 StGB § 111 Rz 4; Jerabek in WK2 § 74 Rz 31), die von den Vorstellungen über die sozialen, personalen und sittlichen Pflichtanforderungen abhängt.
Selbst wenn dies im Urteilszeitpunkt nicht mehr zuträfe, beseitigte das nicht die Strafbarkeit des bereits verwirklichten Sachverhalts, weil aus §§ 1, 61 StGB nicht gleichsam schematisch zugunsten des Angeklagten folgt, dass die eingetretene Änderung im Ehrbegriff als (günstigeres) „Urteilszeitrecht“ gilt. Entscheidend ist vielmehr der – mit Ausnahme der Anhebung der Strafdrohung (mit BGBl I 2004/15) – völlig unberührt belassene Straftatbestand des § 202 Abs 1 StGB (Friedrich, ÖJZ 1980, 58; RIS-Justiz RS0108565), sodass der einmal entstandene Strafanspruch nicht erlischt (11 Os 130/90).
Geschütztes Rechtsgut und damit für die Strafbarkeit maßgebender Akzent der (im Tatbestand) unverändert gebliebenen Strafnorm des § 202 Abs 1 StGB ist zudem die Willensbildungs- und Betätigungsfreiheit in Kombination mit der sexuellen Integrität einer bestimmten Person (Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 3). Das Erfordernis des individuellen Schutzes dieser Rechtsgüter besteht auch dann unverändert, wenn das angedrohte Bekanntgeben später (im Urteilszeitpunkt) keine Verletzung an der Ehre mehr darstellte (vgl etwa zu § 297 StGB Pilnacek/Swiderski in WK2 StGB § 297 Rz 28 und 14 Os 191/88; vgl auch Höpfel in WK2 StGB § 61 Rz 10 ff).
Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich.
Somit war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im freisprechenden Teil und demgemäß im Strafausspruch aufzuheben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt zu verweisen.
Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 7; RIS‑Justiz RS0101342).
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