European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0120OS00090.13X.0123.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen B./I./1./b./ und B./II./2./ sowie in der rechtlichen Unterstellung der von den Schuldsprüchen B./I./1./a./ und B./II./1./ umfassten Straftaten unter §§ 202 Abs 1, 15 Abs 1 StGB idgF, damit auch im Strafausspruch und in der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aufgehoben und in der Sache erkannt:
Mag. Erich F***** hat durch die im Schuldspruch B./I./1./a./ genannte Straftat das Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 und durch die im Schuldspruch B./II./1./ genannte Straftat das Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 begangen.
Im Umfang der weiteren Urteilsaufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Mag. Erich F***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A./), der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 202 Abs 1, 15 Abs 1 StGB (B./), der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (C./I./), der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 erster Fall StGB (C./II./), der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 dritter Fall StGB (C./III./), der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 vierter Fall StGB (C./IV./), der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster, zweiter, dritter und vierter Fall StGB (D./), der Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach §§ 207b Abs 3, 15 Abs 1 StGB (E./), des Vergehens der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (F./), der Vergehen der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 StGB (G./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (H./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 201 Abs 1 StGB (I./I./1.), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 12 zweiter Fall StGB, 27 Abs 1 Z 1 erster und achter Fall SMG (I./I./2.), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 105 Abs 1 StGB (I./II./) und des Vergehens der Urkundenfälschung nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 223 Abs 1 StGB (I./III./) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Danach hat er in W***** und andernorts
A./ im Sommer 2009 Michael L***** durch Gewalt und Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt, indem er ihm ein Schlaf- oder Betäubungsmittel verabreichte, sodann dessen entblößten Penis in seiner Hand rieb, in seinen After einführte, in seinen Mund nahm und schließlich mit seiner Hand oder seinem Penis in den Anus des Genannten eindrang, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine 24 Tage weit übersteigende Gesundheitsstörung von Krankheitswert, und zwar eine Paraphimose, eine Verschlechterung der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit im Vordergrund stehender emotionaler Instabilität sowie dissozialen Strukturanteilen und eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten, im Wesentlichen posttraumatisch bedingt zur Folge hatte;
B./ außer den Fällen des § 201 StGB eine Person zur Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung
I./ genötigt, und zwar
1./ durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an der Ehre
a./ zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt nach dem 23. Juni 2006 Michael R*****, indem er ihm ankündigte, er werde dessen Eltern und der Polizei sagen, dass er auf den „Strich“ gehe, wenn er keinen Oral- und Analverkehr mit ihm durchführe;
b./ von Mitte März 2011 bis Anfang Mai 2011 Timo S*****, indem er ihn durch die Ankündigung, ansonsten dessen Lebensgefährten Mario D***** und Wolfgang H***** von seinen sexuellen Beziehungen zu ihm zu erzählen, wiederholt veranlasste, sich zum Zweck der Vornahme von Oral- und Analverkehr sowie Masturbationshandlungen mit ihm zu treffen;
II./ zu nötigen versucht, und zwar
1./ im Dezember 2008 Manuel Di ***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen, indem er ihm ankündigte, ihn beim Finanzamt anzuzeigen, wenn er keinen Oral- und Analverkehr sowie Masturbationshandlungen mit ihm durchführe;
2./ zwischen Frühjahr 2010 und Anfang Mai 2011 Roland P***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an der Ehre, indem er ihm wiederholt in Aussicht stellte, er werde dessen Eltern erzählen, dass er homosexuell sei, wenn er sich nicht mit ihm zur Durchführung von Oral- und Analverkehr treffe;
C./ pornographische Darstellungen minderjähriger Personen (§ 207a Abs 4 StGB)
I./ hergestellt, nämlich
1./ wirklichkeitsnahe Abbildungen von geschlechtlichen Handlungen mündiger Minderjähriger an einer anderen Person, und zwar
a./ Ende 2010/Anfang 2011, indem er den am 12. September 1994 geborenen Timo S***** filmte, während dieser an ihm Oralverkehr durchführte, und das Video auf seinem Mobiltelefon abspeicherte;
b./ zwischen 2004 und 24. Mai 2005, indem er den am 24. Mai 1987 geborenen Michael R***** mit seiner Videokamera während der Durchführung von Anal- und Oralverkehr filmte;
2./ Ende 2010/Anfang 2011 wirklichkeitsnahe Abbildungen von geschlechtlichen Handlungen einer mündigen Person an sich selbst, indem er Timo S*****filmte, während dieser onanierte;
3./ zwischen 1. Mai 2004 und 24. Mai 2005 wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien eines Minderjährigen, wobei es sich um reißerisch verzerrte und auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, indem er mit seiner Videokamera Aufnahmen vom entblößten Penis des Michael R***** machte;
II./ zwischen Jänner 2010 und Anfang Mai 2011 Wolfgang H***** angeboten, nämlich wirklichkeitsnahe Abbildungen von geschlechtlichen Handlungen unmündiger sowie mündiger minderjähriger Personen an einer anderen Person sowie der unmündigen und mündigen minderjährigen Personen an sich selbst und wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien von Minderjährigen, wobei es sich um reißerisch verzerrte und auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelte, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, indem er ihn nach zuvor erfolgter Übermittlung derartiger Aufnahmen volljähriger Personen fragte, ob er ihm auch pornographische Darstellungen mit unter 18-jährigen Personen schicken solle;
III./ anderen überlassen, und zwar
1./ zwischen Frühjahr 2009 und Anfang Mai 2011, indem er Lukas N***** ein zwei ca zehnjährige Buben bei der Durchführung von Masturbationshandlungen am entblößten Penis des jeweils anderen zeigendes Foto, sohin eine wirklichkeitsnahe Abbildung von geschlechtlichen Handlungen unmündiger Personen an einer anderen Person, schickte;
2./ zwischen Jänner 2010 und Anfang Mai 2011, indem er Wolfgang H***** ein einen 12‑jährigen Buben mit entblößtem und erigiertem Penis abbildendes Foto, somit eine wirklichkeitsnahe Abbildung der Genitalien eines Minderjährigen, wobei es sich um eine reißerisch verzerrte und auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildung handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dient, schickte;
IV./ zwischen 1. Mai 2004 und 2009 einem anderen vorgeführt, indem er Michael R***** wiederholt fotografische Aufnahmen der jeweils entblößten Penisse unmündiger und mündiger minderjähriger Burschen, somit wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien Minderjähriger, wobei es sich um reißerisch verzerrte und auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, zeigte;
D./ bis Anfang Mai 2011 pornographische Darstellungen mündiger minderjähriger und unmündiger Personen (§ 207a Abs 4 StGB) erworben und besessen, indem er sie teils aus dem Internet herunterlud, teils abfotografierte, und auf seinem Computer und weiteren Datenträgern abspeicherte, und zwar
1./ eine Vielzahl an wirklichkeitsnahen Abbildungen von geschlechtlichen Handlungen an mündigen und unmündigen Personen sowie mündiger und unmündiger Personen an sich selbst und an anderen Personen, nämlich zusätzlich zu dem unter Punkt C./I./1./a./beschriebenen Video weitere Oralverkehr und Analverkehr zeigende Bilder und Videos, sowie
2./ ab 1. Mai 2004 wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend minderjähriger Burschen und Mädchen, wobei es sich um reißerisch verzerrte und auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen;
E./ Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar durch ein Entgelt dazu, eine geschlechtliche Handlung an ihm vorzunehmen bzw. von ihm an sich vornehmen zu lassen,
I./ verleitet, indem er
1./ zwischen Ende September 2008 und Frühjahr 2009 den am 23. September 1993 geborenen Elvis T***** für die Vornahme von Analverkehr und Duldung des Oralverkehrs bezahlte;
2./ zwischen Sommer 2009 und Sommer 2010 den am 14. April 1993 geborenen Maximilian M***** für aktiven und passiven Analverkehr, Oralverkehr und Masturbationshandlungen bezahlte;
3./ am 8. März 2011 dem am 29. Mai 1996 geborenen David Fö***** 100 Euro dafür bezahlte, dass dieser zunächst vor ihm onanierte und ihm sodann gegen das Gesicht ejakulierte;
4./ im Sommer 2009 dem am 3. Februar 1992 geborenen Marco H***** 100 Euro für die Duldung von Oralverkehr übergab;
5./ zwischen 2004 und 24. Mai 2005 Michael R***** in wiederholten Angriffen durch Bezahlung von Urlaubsreisen, Kleidung und Gebrauchsgegenständen sowie Übergabe von Bargeld zur Vornahme von Oral- und Analverkehr veranlasste;
6./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 8. September 2007 in Wien dem am 8. September 1989 geborenen Markus St***** 100 Euro für die Duldung von Oralverkehr und des intensiven Berührens seines entblößten Penisses bezahlte;
II./ zu verleiten versucht, indem er
1./ im März 2011 David Fö***** Geld für die Durchführung von Oralverkehr anbot;
2./ seit Beginn des Jahres 2011 dem am 29. August 1997 geborenen Patrick A***** in wiederholten Angriffen 200 Euro für Geschlechtsverkehr mit ihm anbot;
3./ zwischen Frühjahr 2010 und Anfang Mai 2011 dem am 15. Oktober 1994 geborenen Roland P***** Geld für die Vornahme geschlechtlicher Handlungen anbot;
4./ von Sommer 2009 bis zumindest Ende November 2009 Marco H***** Geld für die Vornahme von Analverkehr, Oralverkehr und Handverkehr anbot;
5./ von Sommer 2009 bis Frühjahr 2010 Maximilian M***** in wiederholten Angriffen Geld für die Vornahme geschlechtlicher Handlungen anbot;
F./ nachstehende Personen durch eine geschlechtliche Handlung an ihnen belästigt, und zwar
I./ am 8. März 2011 David Fö*****, indem er im Anschluss an die zu E./I./3./ beschriebene Handlung dessen entblößten Penis mit seiner Zunge berührte;
II./ zwischen 2004 und 2009 Michael R*****, indem er wiederholt an ihm Oralverkehr und Analverkehr durchführte;
III./ Lukas N*****, indem er
1./ sich im Sommer 2009 über den am Bauch Liegenden hockte und seinen Penis gegen dessen After presste;
2./ im Sommer 2009 und im Sommer 2010 dessen Penis in den Mund nahm;
G./ andere widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt durch eine Vielzahl von Telefonanrufen und SMS sowie Kontaktaufnahmen via Internetplattformen im Wege einer Telekommunikation Kontakt zu ihnen herstellte, und zwar
I./ von Oktober 2010 bis Anfang Mai 2011 Manuel Ho*****, wobei er überdies dessen räumliche Nähe durch Nachstellen an seiner Wohnadresse und an anderen Orten aufsuchte und unter Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Dritte, nämlich Bernd Ra***** und weitere Personen, veranlasste, mit ihm Kontakt aufzunehmen;
II./ von März 2011 bis Anfang Mai 2011 Timo S*****;
III./ zwischen Sommer 2009 und Anfang 2010 Michael L*****;
H./ Anfang/Frühjahr 2011 Manuel Ho***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu einer Handlung zu nötigen versucht, indem er ihm wiederholt in Aussicht stellte, wenn er seine Aussage im Verfahren ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt nicht widerrufe, werde er nie Ruhe haben, er werde ihn verfolgen, bis er in psychiatrische Behandlung komme;
I./ andere zur Ausführung strafbarer Handlungen zu bestimmen versucht, und zwar
I./ im Sommer/Herbst 2010 Sascha Sc*****, der dem Manuel Ho***** eine Spritze mit Heroin verabreichen und ihn dadurch suchtmittelabhängig und widerstandsunfähig machen und ihm sodann gegen seinen Willen eine Gurke in seinen After einführen sollte,
1./ zu einer Vergewaltigung, nämlich durch Entziehung der persönlichen Freiheit (gemeint: Gewalt ‑ US 39 f) zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung;
2./ zum vorschriftswidrigen Erwerb und Überlassen von Suchtgift an einen anderen, indem er ihn dazu aufforderte und ihm 150 Euro Entlohnung zusicherte;
II./ im Sommer 2009 Michael R*****, der Manuel Ho***** durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, nämlich durch die Äußerung, Markus St***** und er wüssten immer, wo er sich aufhalte und was er mache, und durch das In-Aussichtstellen von Prügeln zu einer Handlung, nämlich zur Abänderung seiner Aussage im Verfahren ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt, nötigen sollte, indem er ihn wiederholt dazu aufforderte und ihm dafür Bargeld, ein Auto sowie Bezahlung eines Urlaubs versprach;
III./ am 2. September 2011 mit dem Vorsatz, dass die falsche Urkunde im Verfahren ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt zum Beweis einer Tatsache gebraucht werde, Maria F*****, die auf einen Zettel über die bereits darauf befindliche Blankounterschrift des Manuel Ho***** ohne dessen Einwilligung die Worte „Erklärung Jänner 2011 Ich Manuel Ho***** gebe zu, dass das nicht stimmt was ich 2006/2007 gegen Erich F***** gesagt habe“ setzen sollte, indem er ihr im Zuge eines Haftbesuchs einen Zettel mit diesem Text zusteckte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie schlägt fehl.
Zu Punkt I./1./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen ohne Bezugnahme auf das bekämpfte Urteil, sondern in Form bloß allgemein gehaltener Kritik, dass bei Prüfung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 5a StPO „erhebliche“ Bedenken zu einer stattgebenden Entscheidung erforderlich wären, während bei einer im Einzelrichterverfahren vorgesehenen Berufung wegen Schuld bereits die (bloße) Bedenklichkeit der nachteiligen Tatannahmen zum Erfolg führt. Die Einengung der Verteidigung bei schöffengerichtlichen Entscheidungen bewirke eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung (Art 7 B-VG).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 281 Abs 1 Z 5a StPO bestehen jedoch nicht (RIS-Justiz RS0053980). Dem durch Art 2 Abs 1 7. ZP EMRK garantierten Recht, Strafurteile von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen, wurde gerade durch die Einführung dieses Nichtigkeitsgrundes und die damit verbundene vermehrte Möglichkeit der Anfechtung von schöffengerichtlichen Urteilen verstärkt Rechnung getragen. Von einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes kann im Gegensatz zu der von der Beschwerde vertretenen Auffassung schon deswegen nicht die Rede sein, weil die Differenzierung der Anfechtbarkeit der Urteile der Kollegialgerichte und der Einzelrichter in Bezug auf die Beweiswürdigung angesichts der unterschiedlichen Ausgestaltung der beiden Formen des Erkenntnisgerichts sachlich begründet ist.
Im Übrigen obliegt die konkrete Ausgestaltung der zweiten Instanz den einzelnen Staaten, welche die Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen auch bloß auf Rechtsfragen beschränken können (Art 2 7. ZP EMRK; vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 § 24 Rz 154 f). Indem der Angeklagte keinen Bezug zum EU‑Recht herstellt (vgl Art 51 EU Grundrechtecharta), bleibt der Grund für die reklamierte Anwendbarkeit der EU‑Grundrechtecharta im Dunkeln. Soweit der Rechtsmittelwerber überhaupt auf das Urteil und den Akteninhalt Bezug nimmt, indem er seine Verantwortung in den Vordergrund stellt und vorbringt, das Erstgericht hätte den Inhalt der „auf ihren Wahrheitsgehalt erst zu untersuchenden Zeugenaussagen ungeprüft von vornherein als richtig“ unterstellt, gelingt es ihm nicht, beim Obersten Gerichtshof qualifizierte Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen zugrundeliegenden Tatsachen zu erwecken.
Zu Punkt I./2./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
Mit der Behauptung, ein zur Gefährlichkeitsprognose erstelltes Gutachten dürfe nicht auf der Hypothese von Bejahung der Schuldfrage aufbauen, wird eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) nicht prozessförmig geltend gemacht. Prozessförmiges Aufzeigen der Verfassungswidrigkeit von Verfahrensvorschriften bedarf nämlich entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung, um zum Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde werden zu können (Z 4). Dies folgt aus den für Verfahrensmängel zur Verfügung gestellten Nichtigkeitskategorien (und zwar auch dann, wenn das erkennende Gericht einem [allein] aus verfassungsrechtlicher Sicht berechtigten Begehren mangels Normanfechtungsbefugnis [vgl Art 89 Abs 2 B-VG idgF] gar nicht entsprechen kann; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 333-338, Rz 354 ff), auch weil sie als Gegenstand ausdrücklicher Nichtigkeit nach Z 2 und 3 ausscheidet. Trennung (nicht nur der Schlussvorträge [vgl § 255 StPO], sondern auch) des Beweisverfahrens in Betreff von Schuld- und Sanktionsfrage wurde jedoch nicht begehrt.
Der Hinweis auf Art 48 EU Grundrechtecharta geht mangels auch nur behaupteter Anwendbarkeit von EU‑Recht erneut ins Leere.
Zu Punkt II./1./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
In seiner Verfahrensrüge (Z 4) erachtet sich der Beschwerdeführer durch die Abweisung seines Antrags, an seinen Verteidiger „aus Amtsgeldern den Betrag von 2.500 Euro als Sicherstellung für die Kosten auszuzahlen, welche für seine fachkundige Prozessbegleitung durch einen von ihm zu bestellenden (Privat-)Gutachter anfallen und hiefür die Hauptverhandlung auf zunächst unbestimmte Zeit zu erstrecken“ (ON 330 S 2 iVm ON 326), in seinem durch Art 6 Abs 1 EMRK verfassungsgemäß gewährleisteten Recht auf eine wirksame Strafverteidigung verletzt. Da die Strafprozessordnung einen derartigen Kostenvorschuss jedoch nicht vorsieht, erfolgte die Abweisung (ON 330 S 5 f) zu Recht. § 249 Abs 3 StPO gestattet nur, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung eine Person mit besonderem Fachwissen zur Befragung eines Sachverständigen beizieht.
Verfassungsrechtlich geschützt und Grundlage eines fairen Verfahrens ist im Übrigen das Recht auf notwendige Verteidigung (§ 61 StPO; Art 6 Abs 3 lit c erster Satzteil EMRK), die im Falle der an den Kriterien des § 61 Abs 2 StPO zu messenden Bedürftigkeit zur Beigebung eines Verteidigers, dessen Kosten der Beschuldigte bzw Angeklagte nicht zu tragen hat, zwingt (§ 61 Abs 2 StPO; Art 6 Abs 3 lit c zweiter Satzteil EMRK). Dem Angeklagten wurde im vorliegenden Fall ein Verteidiger nach § 61 StPO beigegeben (ON 1 S 9, ON 22 und neuerlich nach zwischenzeitiger Bestellung eines Wahlverteidigers [ON 256] nach dessen Vollmachtszurücklegung [ON 285] ON 286). Eine darüber hinausgehende Verfahrenshilfe sieht auch die EMRK ‑ mit Ausnahme der gegenständlich nicht notwendigen unentgeltlichen Beiziehung eines Dolmetsch (Art 6 Abs 3 lit e EMRK) ‑ nicht vor (Art 6 Abs 3 lit c zweiter Satzteil EMRK). Dem im Rahmen der notwendigen Verteidigung bestellten Verfahrenshilfeverteidiger obliegt es, durch zweckentsprechende Fragestellung das Gutachten eines Sachverständigen nachzuvollziehen bzw bei Verbleib von Widersprüchen oder von Mängeln des Gutachtens bzw bei sonstigen ‑ durch Befragung nicht beseitigbaren ‑ Bedenken die Beiziehung eines zweiten (vom Gericht zu entlohnenden) Sachverständigen zu beantragen (§ 127 Abs 3 StPO).
Zu Punkt II./3./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
Insoweit die Nichtigkeitsbeschwerde die Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen rügt, weil Univ.‑Prof. Dr. D***** für das Fachgebiet „psychiatrische Kriminalprognostik“ nicht in der Sachverständigenliste eingetragen sei (ON 330 S 2 iVm ON 326 Seite 3 f), genügt es zu erwidern, dass vom Gegenstand der Beiziehung des Sachverständigen abgesehen, die Frage der Befähigung des Sachverständigen ‑ mit Ausnahme von Mängeln nach § 127 Abs 3 StPO ‑ Gegenstand freier Beweiswürdigung und solcherart nicht der Nichtigkeitsbeschwerde ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351).
Zu Punkt II./4./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
In seiner die Schuldsprüche A./ und G./III./ betreffenden Tatsachenrüge (Z 5a) behauptet der Rechtsmittelwerber unter Hinweis auf fehlende Daten beim Heeresspital St***** trotz zwingend erforderlicher medizinischer Sofortmaßnahmen im Falle einer Paraphimose, dass die in Rede stehende Vorhautverengung des Zeugen Michael L***** nicht in seiner Gegenwart entstanden sein könne, übersieht jedoch, dass Tathandlungen, die als Ursache der Penisverletzung dieses Zeugen in Rede stehen, infolge des ‑ ihm beim Schuldspruch A./ im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit auch zur Last liegenden ‑ Analverkehrs nicht entscheidungswesentlich sind. Weshalb die Erkrankung des Zeugen erhebliche Bedenken gegen die dem Schuldspruch G./III./ zugrunde liegenden Urteilsannahmen ermöglichen sollten, bleibt unerfindlich.
Zu Punkt II./5./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
Der Antrag auf Einholung eines „ergänzenden urologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die ... Penisverletzung auf die geschilderte Weise nicht zustande gekommen sein kann, insbesondere bei Einwirkung toxischer Mittel ... , dass die Angaben des Zeugen L***** daher nicht zutreffen können“ (ON 339 S 40), verfiel ebenfalls zu Recht der Ablehnung, zielte er doch, wie das Erstgericht zutreffend ausführte, auf eine im Hauptverfahren nicht zulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0118123). Diesbezüglich sei darauf hingewiesen, dass es bei Beurteilung der Frage, ob es sich bei einer angestrebten Beweisführung um einen Erkundungsbeweis handelt oder nicht, entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde mehrfach geäußerten Ansicht nicht bloß auf die Antragsformulierung ankommt (ON 349 S 10 „diesfalls ob“).
Zu den Punkten II./6./ und 7./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
Auch die Abweisung des Antrags auf Ausforschung und Vernehmung des Zeugen Thomas Sch***** zum Beweis dafür, „dass Michael R***** die Offenlegung seiner Homosexualität bei seinen Eltern gleichgültig war und er zu sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten nicht genötigt oder durch irgendwelche Zuwendungen bewogen wurde“, erfolgte mangels Begründung, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS-Justiz RS0118444; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327; Schroll/Schillhammer, Leitfaden für Rechtsmittel in Strafsachen Rz 134 f), zu Recht. Die vom Nichtigkeitswerber zitierte Äußerung des begehrten Zeugen, wonach es ihm nichts ausgemacht hätte, wenn seine Eltern erfahren hätten, dass er Callboy sei, weil er keinen Kontakt zu ihnen gehabt habe (ON 310 S 5), steht nämlich seiner Furcht zu einem Zeitpunkt, als sich das Verhältnis zu seinen Eltern gebessert hatte (ON 190 S 23) und dessen Äußerung, dass es, als seine Eltern hievon erfuhren, nicht so schlimm gewesen sei, „was man jedoch vorher nicht wissen“ könne (ON 190 S 25), nicht entgegen. Im Übrigen kommt es nur auf die Eignung der Drohung an, begründete Besorgnis zu erregen (vgl Kienapfel/Schroll StudB BT I3 § 105 Rz 42 mwN).
Dies gilt auch für das Beweisthema, wonach der Zeuge Michael R***** keine Zuwendungen erhalten habe, wird dies durch die zitierte Aussage des Zeugen Thomas Sch*****, Michael R***** habe ihm nicht erzählt, dass er ihm Geld für Sex gegeben habe (ON 310 S 10) und auch er sei von ihm ausgenützt worden (ON 310 S 12), doch nicht gestützt. Zutreffend hat demzufolge das Erstgericht den Antrag als bloße Erkundungsbeweisführung (RIS-Justiz RS0118123, RS0107398) gewertet.
Das den Beweisantrag ergänzende Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde als Versuch einer Antragsfundierung ist unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 325).
Auch der auf die Ausforschung und Vernehmung des Zeugen N. Ste***** abzielende Antrag (ON 322 S 2 iVm ON 319) betrifft ein für die Beurteilung des Tatverdachts offenkundig bedeutungsloses Beweisthema (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO), weil sich die vom Zeugen Manfred Pi***** zitierten Angaben des genannten Zeugen bloß auf die Belastungen im ersten gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren beziehen (vgl den Vorhalt des Verteidigers ON 312 erster Teil S 53 f).
Die Beischaffung des den Zeugen Manuel Ho***** betreffenden Strafakts zum Beweis der Unglaubwürdigkeit des Genannten wurde nur schriftlich begehrt (ON 334), jedoch nicht in der Hauptverhandlung mündlich beantragt. Unbeschadet des Umstands, dass sich das Gericht (wie hier [ON 339 S 39] demnach überflüssig) in einem Zwischenerkenntnis mit dem im Schriftsatz enthaltenden Beweisantrag auseinandergesetzt hat (RIS-Justiz RS0099099), wurden daher Verteidigungsrechte nicht verletzt. Überdies ist eine Beweisführung über die Beweiskraft von Beweisen, wie hier zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen, nur in ‑ hier nicht gegebenen ‑ Ausnahmefällen zulässig (RIS‑Justiz RS0120634, RS0098297).
Zu Punkt II./2./ der Nichtigkeitsbeschwerde:
Im Ermittlungsverfahren gegen Mag. Erich F***** bestellte die Staatsanwaltschaft am 13. Mai 2011 Univ.‑Prof. Dr. D***** zum Sachverständigen mit dem Auftrag, Befund und Gutachten über das Vorliegen einer Geisteskrankheit oder sonst eines Zustands, die den Beschuldigten unfähig machte, das Unrecht ihm angelasteter Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, über die Frage der Anstaltsunterbringung sowie über die Prognose zu erstatten, ob und mit welchen mit Strafe bedrohten Handlungen mit schweren Folgen ohne Anstaltsunterbringung zu rechnen sei sowie über den Grad einer solchen Wahrscheinlichkeit (ON 26). In Entsprechung dieses Auftrags erstattete der Experte ein Gutachten (ON 115). Nach Einbringen der Anklageschrift fand am 22. und 23. August 2012 (ON 307 Teil 1 und 2; ON 310) die Hauptverhandlung statt. Aufgrund einer Eingabe des Angeklagten, wonach Univ.‑Prof. Dr. D***** ihm gegenüber voreingenommen sei (ON 143), stellte der Verteidiger am 3. September 2012 den Antrag, diesen wegen Befangenheit nicht als Sachverständigen beizuziehen (ON 311 Teil 1 S 8) und ergänzte den Antrag dahingehend, der Sachverständige hätte „… sich weitere Schritte [gegen den Angeklagten] vorbehalten ...“, sodass er auch aus diesem Grund als befangen anzusehen sei (ON 311 Teil 2 S 1). Der Schöffensenat fasste sodann den Beschluss, dass der Sachverständige weiter beigezogen werde, weil keine Befangenheit vorliege (ON 311 Teil 2 S 2).
In der Hauptverhandlung am 4. September 2012 erklärte der Vorsitzende neuerlich, Univ.‑Prof. Dr. D***** beizuziehen, weil „er mit dem Fall bereits befasst ist“, wogegen der Verteidiger neuerlich den Einwand der Befangenheit erhob (ON 312 Teil 2 S 21, 22).
Mit am 30. Oktober 2012 bei Gericht eingelangtem Schriftsatz brachte der Verteidiger vor, der Sachverständige sei bereits über Auftrag der Staatsanwaltschaft als seiner Verfahrensgegnerin tätig geworden, das Gutachten ON 115 daher „funktionell als Privatgutachten einer Prozesspartei“ einzustufen, weswegen er den Antrag stelle, einen anderen Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie und Neurologie beizuziehen (ON 319 S 7). Am nächstfolgenden Hauptverhandlungstag erhob der Verteidiger diesen Antrag zum mündlichen Vorbringen (ON 322 S 2). Der Schöffensenat wies den Antrag auf Beiziehung eines anderen Sachverständigen ab, weil „durch die Ladung zur Hauptverhandlung der Gutachter zum gerichtlich bestellten Sachverständigen“ würde und sein Gutachten weder unschlüssig noch widersprüchlich sei (ON 322 S 4, 5). In der (im Einverständnis der Beteiligten nicht gemäß § 276a StPO neu durchgeführten, sondern fortgesetzten) Hauptverhandlung am 18. Februar 2013 erstattete und erörterte Univ.‑Prof. Dr. D***** sein Gutachten, wobei er auch jenes im Ermittlungsverfahren für die Staatsanwaltschaft erstattete aufrechterhielt (ON 322 S 9). In der Hauptverhandlung am 15. April 2013 erläuterte der Sachverständige das zuvor auch schriftlich (ON 242) eingelangte Gutachten (ON 339), am selben Tag erging das Urteil (ON 340), gegen das der Angeklagte sogleich Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung anmeldete (ON 340 S 8).
In der Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO; ON 349, der Sache nach Z 11 erster Fall iVm Z 4) macht der Angeklagte eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte geltend, weil das Schöffengericht den eingangs genannten (deutlich erkennbar § 126 Abs 4 letzter Satz StPO tangierenden ‑ vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 334) Antrag auf Abstandnahme von der Bestellung des Univ.‑Prof. Dr. D***** zum (gerichtlichen) Sachverständigen gemäß § 238 Abs 1 und 3 StPO abgewiesen hat, obwohl der genannte Experte bereits im Ermittlungsverfahren gemäß § 126 Abs 3 erster Halbsatz StPO von der Staatsanwaltschaft bestellt worden war und für diese Behörde ein Gutachten erstattet hatte.
Der Oberste Gerichtshof hätte aufgrund dieser (den formellen Anfechtungskriterien des § 281 Abs 1 Z 4 StPO entsprechenden) Einwände die angefochtene Bestimmung des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO idF BGBl I 2004/19 anzuwenden. Danach kann im Hauptverfahren die Befangenheit eines Sachverständigen oder Dolmetschers nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden, dass er bereits im Ermittlungsverfahren tätig geworden ist. In Bezug auf den Sachverständigen (nicht jedoch den Dolmetscher) ist die erwähnte Vorschrift für den Obersten Gerichtshof nicht nur bei Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde, sondern auch bei einer Verlesung der Gutachten im Gerichtstag und der Entscheidung über die ‑ auch das unter § 281 Abs 1 Z 11 StPO Vorgebrachte umfassende ‑ Berufung präjudiziell.
Bleibt insoweit anzumerken, dass Normadressat des Art 89 Abs 2 zweiter Satz B-VG das zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof befugte Gericht und nicht jenes erster Instanz ist. Ob letzteres die in Zweifel gezogene Bestimmung angewendet hat oder nicht, ist schon deshalb bedeutungslos, weil der Oberste Gerichtshof bei Prüfung eines aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Einwands stets die Berechtigung eines Antrags ‑ auf den Antragszeitpunkt bezogen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325 mwN) ‑ nach Maßgabe eigener Rechtsauffassung zu überprüfen hat. Schon aus diesem Grund steht auch die Begründung eines Beschlusses gemäß § 238 StPO nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS-Justiz RS0121628, RS0116749, RS0112985).
Ausgangspunkt der daran anschließenden Überlegungen ist die Frage, ob § 126 Abs 4 letzter Satz StPO deswegen verfassungswidrig ist, weil der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eine beherrschende Position bei der Bestimmung eines Auftrags für eine Befundung und Gutachtenserstellung zukommt und aufbauend auf dieser Stellung eines Ermittlungsorgan iSd § 98 Abs 1 StPO im Vorverfahrensstadium einem von ihm bestellten Sachverständigen zulässigerweise auch mit der Durchführung von Erkundungsbeweisen beauftragen kann.
Ein Beschuldigter, welcher gegebenenfalls über § 106 StPO einen von ihm gestellten Beweisantrag durchsetzen will, ist hingegen an die Beweisantragskriterien des § 55 StPO gebunden, die gerade keine Erkundungsbeweisführung zulassen. Dies schafft allenfalls ein Ungleichgewicht, welches dem Gebot der Führung eines fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK widersprechen könnte.
Wäre die Bestimmung des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO als nicht verfassungskonform anzusehen, dann käme im Fall ihrer Aufhebung durch den VfGH im Hauptverfahren dem ‑ auf keine weiteren Erwägungen gestützten ‑ Einwand einer Befangenheit einzig mit der Behauptung Berechtigung zu, dass der Sachverständige im Ermittlungsverfahren (und damit über Auftrag der Staatsanwaltschaft) tätig gewesen ist. Ein solches Ergebnis brächte es mit sich, dass jedes von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten aus dem Ermittlungsverfahren (also der weitaus überwiegende Teil dieser Beweismittel) im Hauptverfahren bei entsprechender Relevanz über einen inhaltlich nicht weiter determinierten Widerspruch des Angeklagten durch einen neuen, vom Gericht bestellten Sachverständigen zu wiederholen wäre.
Vorweg ist dazu festzuhalten, dass die Bestellung eines Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft nur unter bestimmten, im Gesetz festgelegten Prämissen unter Einräumung von Kontrollrechten durch den Beschuldigten möglich ist:
Der Sachverständige ist nach der geltenden Rechtslage zur Objektivität gegenüber den Verfahrensparteien verpflichtet und hat sowohl Befundaufnahme als auch Gutachtenserstattung nur nach den Regeln seiner Wissenschaft vorzunehmen (§§ 125 Z 1, 126 Abs 1 und Abs 2 StPO).
Der Sachverständige ist organisatorisch von der Staatsanwaltschaft getrennt.
Der Sachverständige erhält seine Gebühren ungeachtet vom Verfahrensausgang (§ 25 GebAG).
Grundsätzlich sind nicht beliebige, sondern in eine Sachverständigen-Liste eingetragene Personen (§ 2 Abs 1 SDG) zu bestellen, die schon deswegen über die erforderliche Fachkenntnis und Objektivität verfügen (RV Strafprozessreformgesetz 25 BlgNR 22. GP 176).
Gegen die Bestellung können vom Beschuldigten Einwände erhoben werden; die Entscheidung über die Ablehnung des Sachverständigen unterliegt auch im Ermittlungsverfahren der gerichtlichen Kontrolle (§§ 106 ff StPO).
Die Entlohnung des Sachverständigen erfolgt immer von der öffentlichen Hand. Erhebt der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren Einspruch gegen die von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Gebühren, bestimmt diese ein Richter nach dem GebAG.
Die Befund- und Gutachtenswahrheit wird durch Befangenheitsbestimmungen (§ 126 Abs 4 erster Satz StPO), vor allem aber auch durch die Strafnorm der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB abgesichert.
Der Beschuldigte hat auch im Ermittlungsverfahren das Recht, den Sachverständigen mit seinem Standpunkt zu befassen und sich dabei von Privatsachverständigen unterstützen zu lassen (Riffel, RZ 2013, 242).
Wird eine Anklage erhoben, kann der Beschuldigte das Anklagesubstrat, damit auch das dazu beitragende Gutachten des von der Staatsanwaltschaft bestellten Experten, gegebenenfalls unterstützt von einem Privatsachverständigen mittels Anklageeinspruchs gerichtlich prüfen lassen (Riffel, RZ 2013, 242).
Der bestellte Sachverständige muss, um den Kriterien des Art 6 EMRK zu genügen, unabhängig sein, dh im Sinne einer neutralen Beweisperson agieren können (vgl Grabenwarter in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 99). Dies wird bloß durch seine Bestellung durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nach den dargelegten Kriterien nicht in Frage gestellt (Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 56; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 370; Riffl, RZ 2013, 23; kritisch und tlw ablehnend dazu aber Todor-Kostic, AnwBl 2011, 133 f; Moringer in Miklau-FS, 353 ff und nunmehr Ratz, AnwBl 2013, 277).
Aus der Rechtsprechung des EGMR ist jedenfalls nicht abzuleiten, dass eine im Ermittlungsstadium erfolgte Bestellung des Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft ‑ wie sie in anderen Mitgliedsländern der Konvention, etwa in der Bundesrepublik Deutschland seit langem möglich ist ‑ und dessen nachfolgende abermalige, diesmal aber vom Gericht vorgenommene Bestellung im Hauptverfahren (in der Bundesrepublik Deutschland nach der dort hM zulässig; vgl Krause in Löwe/Rosenberg, StPO26 § 73 Rz 2 und § 74 Rz 9; Rogall in SK-StPO § 74 Rz 26 mwN; Meyer-Goßner, StPO56 § 74 Rz 5; Brauer in HK‑StPO5 § 74 Rz 3; BGH NStZ 2008, 50) per se konventionswidrig wäre.
Der Straßburger Judikatur (und zwar auch der Entscheidung vom 4. 4. 2013, C. B. gegen Österreich, Nr 30465/06) ist nicht zu entnehmen, dass die in Art 6 Abs 3 lit d EMRK vorgegebene Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen so auszulegen wäre, dass im Fall einer (von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen) Sachverständigenbe-stellung die zusätzliche Beweiserhebung durch einen von der Verteidigung nominierten Privatsachverständigen verpflichtend wäre.
Vielmehr muss ‑ wie der Fall Bönisch gegen Österreich (EGMR, Urteil vom 6. 5. 1985, Nr 8658/79 EuGRZ 1986, 127) dokumentiert ‑ die Sachverständigenbe-stellung dann zu hinterfragen sein, wenn „Zweifel an der Neutralität des Sachverständigen aufkommen“.
Insoweit ist der Entscheidung des EGMR im Fall Brandstetter gegen Österreich (EGMR, Urteil vom 28. 8. 1991, Nr 11170/84, 12876/87, 13468/87 ÖJZ 1992, 97) diesbezüglich die Klarstellung zu entnehmen, dass Befürchtungen vorliegen müssen, dass der Sachverständige bei der Befundung und der Gutachtenserstellung „nicht in der Lage sein werde, mit der gebotenen Neutralität vorzugehen“. In dem genannten Fall wurde selbst die enge berufliche Verflechtung des vom Gericht bestellten Sachverständigen mit der anzeigenden Stelle als für sich allein nicht ausreichend gewertet, um eine solche Befürchtung zu hegen.
Problematisch in diesem Zusammenhang erscheinen daher jene Fälle, in denen das eingangs erwähnte Ungleichgewicht bei der Beweisaufnahme durch eine inhaltliche Ermittlungstätigkeit des von der Staatsanwaltschaft bestellten Sachverständigen schlagend wird, also Verdachtsmomente erst gewonnen werden sollten und die Anklage erst auf den Ergebnissen derartiger Gutachten aufbaut, weil das solcherart zum Ausdruck kommende Naheverhältnis zu den Ermittlungsorganen der gebotenen Neutralität des Sachverständigen widerstreitet (Grabenwarter in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 101).
Wenn ein Sachverständiger bei einem sehr allgemeinen Anfangsverdacht von der Staatsanwaltschaft mit nicht weiter determinierten Erhebungen zu einer Straftat, insbesondere ohne Nennung eines konkreten Beweisthemas beauftragt wird und das vorhandene, nicht ohne weiteres aussagekräftige Beweismaterial aufarbeitet und auf ein strafrechtliches Verdachtssubstrat hin untersucht, dann mutiert er von einem unabhängig agierenden Experten, der bei bestehender konkreter Verdachtslage zu einem Problemfeld mit Fachwissen Stellung nehmen soll, zu einem verlängerten Arm der Ermittlungsbehörden und damit funktional zu einem Organ der Ermittlungsbehörde (zur vergleichbaren Ausgangslage in der Bundesrepublik Deutschland siehe Krause in Löwe/Rosenberg, StPO26 § 74 Rz 6 f; Rogall in SK‑StPO § 74 Rz 19 f; BGHSt 18, 214). Je unbestimmter daher der Anfangsverdacht, je unkonkreter der Auftrag der Staatsanwaltschaft an den beigezogenen Experten, also je weniger der Beweiserhebungsauftrag den Kriterien des § 55 StPO entspricht, desto eher muss die darauf aufbauende Befundaufnahme als inhaltlich als Ermittlungstätigkeit des beauftragten Gutachters gewertet werden.
Insoweit wäre der solcherart eingesetzte Sachverständige mit einem „Anzeigegutachter“ (iSd Entscheidungen des VfGH VfSlg 10701/1985 und des EGMR im Fall Bönisch gegen Österreich) vergleichbar. Dass auch die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei zur Objektivität verpflichtet sind (§ 3 StPO), vermag daran nichts zu ändern, weil die vorangegangene funktionale Ermittlungstätigkeit für eine Verfahrensbeteiligte im nachfolgenden Hauptverfahren (§ 210 Abs 2 StPO) mit der Aufgabe, in der Hauptverhandlung als neutrale Beweisperson zu agieren, nicht in Einklang zu bringen ist (vgl Rogall in SK-StPO § 74 Rz 18).
Dies wird im § 126 Abs 4 erster Satz StPO durch die dort angeordnete sinngemäße Heranziehung des § 47 Abs 1 Z 2 StPO verdeutlicht. Wer in derselben Strafsache als Kriminalbeamter tätig war, darf nicht später als Staatsanwalt agieren und umgekehrt. Wer daher inhaltlich als Ermittlungsorgan gewirkt hat, darf nicht später als Sachverständiger einschreiten; vielmehr bewirkt eine solche funktional als Ermittlungsorgan erfolgte Vorbefassung als Befangenheitsgrund. Auf dieser Basis besteht für das erkennende Gericht eine Pflicht, das im Ermittlungsverfahren durch einen von der Staatsanwaltschaft bestellten, nicht an die Grundsätze des § 55 StPO gebundenen, einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt erst ermittelnden Experten hervorgerufene prozessuale Ungleichgewicht durch die Bestellung eines neuen Sachverständigen für das Hauptverfahren auszutarieren und damit ein faires Verfahren zu sichern. Solcherart bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken gegen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO.
Dieses Neutralitätsgebot wird aber nicht schon durch jede Recherche des Sachverständigen in Frage gestellt, zumal jeder Gutachtensauftrag auf eine erst durch entsprechendes Fachwissen mögliche Klärung von Beweisfragen abzielt (Rogall in SK-StPO § 74 Rz 25). Die fundierte Gutachtenserstellung erfordert im Regelfall sogar eine eigenständige Erhebung im Rahmen der Befundaufnahme (etwa durch Beischaffung von Krankengeschichten oder eigene psychiatrische Untersuchung des Betroffenen), um eine fachkundige Aussage zu einem bereits bestehenden Verdacht betreffend eine entscheidende Tatsache (zB Schwere der Verletzung, Zurechnungsfähigkeit; Gefährlichkeit) oder zu einen erheblichen Umstand (zB Aussagetüchtigkeit eines Zeugen) treffen zu können (vgl Rogall in SK-StPO § 74 Rz 25).
Da der Beschwerdeführer in seinem Antrag außer dem Umstand, dass der zur Hauptverhandlung beigezogene Sachverständige in dieser Funktion bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist, keine Befangenheit und damit keinen weiteren Grund für die Beiziehung eines anderen Experten aufzeigte, musste sein Begehren erfolglos bleiben.
Weil nur eine Ausfertigung der Beschwerdegründe zulässig ist, war auf die eigene, als „Ergänzung gegen das Urteil“ bezeichnete, unmittelbar beim Obersten Gerichtshof eingelangte Eingabe des Angeklagten keine Rücksicht zu nehmen (RIS-Justiz RS0100152).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Zur amtswegigen Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war allerdings der vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachte, ihm zum Nachteil gereichende und damit von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zu den Schuldsprüchen B./I./1./b./ und B./II./2./ und jener des § 281 Abs 1 Z 10 StPO zu den Schuldspruchfakten B./I./1./a./ und B./II./1./ aufzugreifen (§ 290 Abs 1 StPO).
Im Schuldspruch B./I./1./b./ wurde das wiederholte In-Aussichtstellen einer Information der Eltern des minderjährigen Opfers über dessen homosexuelle Orientierung inkriminiert.
Die Einstellung der Gesellschaft zur Homosexualität hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Dazu ist nur schlagwortartig auf die Entwicklung von der früheren Strafbarkeit homosexueller Handlungen auch unter Erwachsenen bis zur aktuell weitgehend schon erfolgten rechtlichen Gleichstellung von homosexuellen Paaren mit Ehepaaren (Eingetragene Partnerschafts-G) zu verweisen. Der Schutz der Intimsphäre (Art 8 EMRK) erfasst daher selbstverständlich auch Homosexuelle, die sich zu Recht gegen eine Diskriminierung zur Wehr setzen und zur Wehr setzen dürfen (6 Ob 211/05f). Dies gipfelt im unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot, welches in Art 21 EU Grundrechtecharta als Grundrecht festgeschrieben ist. In diesem Sinne schützt die österreichische Rechtsordnung jede Person vor einer Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung (vgl etwa §§ 13 f B-GlBG; §§ 16 f, 43 f, 47 GlBG; § 1 OpferfürsorgeG; §§ 42 f UniversitätsG 2002).
Wären ‑ wie in zurückliegenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshof ausgedrückt ‑ bestimmte Formen der sexuelle Ausrichtung unter dem Blickwinkel eines entsprechenden Verständnisses eines Teils der Bevölkerung nach wie vor auch negativ zu verstehen und solcherart zB als „Vorwurf der Homosexualität“ als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Ehre aufzufassen (vgl 6 Ob 211/05f; 6 Ob 11/95 = MR 1995, 137; 6 Ob 3/04 und noch zur alten, sogar durch strafbare Handlungen wie § 209 StGB gekennzeichneten Rechtslage 13 Os 214/83 SSt 55/3 = EvBl 1984/143, 548), käme es zu einem partiellen Ehrverständnis, das sich nach dem (vom Vorsatz des Täters umfassten, konkret festzustellenden) persönlichen Umfeld des einer bestimmten sexuellen Ausrichtung „Geziehenen“ richten würde.
Durch eine solche Auslegung würde dieses unionsrechtliche Diskriminierungsverbot zumindest konterkariert, weil ein sich wegen seiner homosexuellen Ausrichtung gegen eine darauf gegründete Benachteiligung zur Wehr setzender Bürger sich selbst einer als mit einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung, eines unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhalten zeihen müsste.
Dass die Bekanntgabe der sexuellen Orientierung durch einen Dritten einen (ohne Einverständnis des Betroffenen idR rechtswidrigen) Eingriff in höchstpersönliche Rechte mit sich bringt, kann nicht bestritten werden. Damit ist aber andererseits ‑ wie auch bei der Offenbarung sonstiger persönlicher Lebensumstände (wie etwa eines religiösen Bekenntnisses oder des Fehlens eines solchen, wie das Eingehen oder der Abbruch einer Lebensgemeinschaft, einer eingetragenen Partnerschaft oder Ehe bzw wie einer Erkrankung oder Behinderung und auch in der Aufnahme von Nacktfotos, allenfalls verknüpft mit deren Veröffentlichung) ‑ keine Ehrverletzung verbunden. Allenfalls kann dahinter die Androhung einer Verletzung am Vermögen stehen, wenn ‑ vom Vorsatz des damit Drohenden umfasst ‑ die Veröffentlichung dieser persönlichen Lebensumstände zu beruflichen oder sonstigen Konsequenzen führt, die mit einer Vermögens- oder Einkommenseinbuße einhergehen.
Die Ankündigung der Aufdeckung einer bestimmten sexuellen Orientierung allein kann daher nicht als Drohmittel iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB fungieren (Rami in WK2 StGB Vor §§ 111‑117 Rz 7; aA Bertel/Schwaighofer BT I12 Rz 7; Lambauer, SbgK § 111 Rz 28), mag diese auch im unmittelbaren sozialen Naheverhältnis einer Person als unerwünscht eingestuft werden. Denn maßgeblich für den Ehrbegriff ist die aktuelle (gesamt-)gesellschaftliche Werthaltung (Rami in WK2 StGB § 111 Rz 4; Jerabek in WK2 § 74 Rz 31; Fabrizy, StGB11 § 111 Rz 8a), die von den Vorstellungen über die sozialen, personalen und sittlichen Pflichtanforderungen abhängt. Dazu bedarf es des Rückgriffs auf das Durchschnittsempfinden eines sozial integrierten wertbewussten Menschen des Inlands in der Gegenwart (Kienapfel/Schroll Grundriss BT I5 Vorbem §§ 111 ff Rz 3). Andernfalls wäre eine sich politisch, religiös oder sonst gesinnungsmäßig besonders rigide definierende Gruppierung in der Lage, für ihren (wie immer auch bestimmbaren) Rechtskreis ein unehrenhaftes Verhalten vorzugeben.
Daher kann eine gleichgeschlechtliche Orientierung nicht anders behandelt werden als eine heterosexuelle Ausrichtung des Lebens; in ihr liegt nichts Ehrenrühriges. Die Offenbarung der geschlechtlichen Orientierung begründet somit auch keine Gefahr der Ehrverletzung im Sinn einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung, eines unehrenhaften oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens nach § 111 Abs 1 StGB.
Im zweiten Rechtsgang wird daher zu klären sein, ob der Angeklagte in Bezug auf Schuldspruch B./II./2./ ausschließlich die dort inkriminierten Äußerungen als Nötigungsmittel einsetzte oder aber ‑ wie zu Schuldspruch B./I./1./a./ angenommen ‑ auch mit einer sonstigen Ehrverletzung durch die Ankündigung der Bekanntgabe der Tätigkeit als Prostituierter oder allenfalls mit einer hinter der Offenbarung persönlicher Lebensumstände liegenden Vermögensverletzung ‑ wie etwa einem Taschengeldentzug durch homophobe Eltern ‑ drohte.
Dazu und mit Blick auf Schuldspruch B./I./1./a./ ist noch festzuhalten:
Die Vereinbarung zwischen einer Prostituierten und ihrem Kunden ist zwar nicht generell sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB (6 Ob 124/12x; 3 Ob 45/12g). Die Ausübung der Prostitution unterliegt aber dessen ungeachtet erheblichen Einschränkungen, um „Schutzobjekte“ (§ 1 Abs 10 Wiener Prostitutionsgesetz 2011 ‑ WPG 2011; § 6 OÖ SexualdienstleistungsG) vor einem Kontakt mit Prostituierten und deren Freiern zu schützen (§§ 9 f Wiener Prostitutionsgesetz 2011 ‑ WPG 2011; § 3 Abs 4 OÖ SexualdienstleistungsG; § 13 Abs 2 Z 3 Steiermärkisches ProstitutionsG). Solcherart zeigt sich, dass diese Berufsausübung geeignet ist, die Sexualarbeit verrichtende Person in der öffentlichen Meinung herabzusetzen. Der Vorwurf einer solchen Tätigkeit ist demnach ehrenrührig (vgl Rami in WK2 StGB § 111 Rz 11) und somit taugliches Drohmittel iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB.
Hinsichtlich Schuldspruch B./I./1./b./ fehlen darüber hinaus Feststellungen, aus welchen besonderen Umständen die angedrohte Bekanntmachung eine Ehrverletzung begründen könnte. Die an den Lebensgefährten und eine weitere homosexuell orientierte Person (US 22 iVm US 26 f) gerichtete Mitteilung von zurückliegenden Sexualkontakten des Opfers mit dem Angeklagten lässt nicht erkennen, worin die Ehrenrührigkeit der Offenlegung dieser vorangegangenen sexuellen Beziehung liegen sollte (vgl Kienapfel/Schroll Grundriss BT I5 § 111 Rz 5 und Rz 23; Pallin, JBl 1972, 396).
Fehlerhaft erfolgten überdies die Schuldsprüche B./I./1./a./ und B./II./1./, je wegen der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 202 Abs 1, 15 Abs 1 StGB idgF, weil diese eine Mindeststrafdrohung von sechs Monaten vorsieht. Gemäß § 61 StGB hätte daher richtigerweise § 202 StGB idF BGBl I 2004/15 mit einer Strafdrohung bis fünf Jahren Freiheitsstrafe (ohne Mindeststrafdrohung) zur Anwendung gelangen müssen.
Das Urteil war daher in Bezug auf diese unrichtige rechtliche Unterstellung aufzuheben, insoweit in der Sache zu entscheiden und der Angeklagte im Umfang der im Schuldspruch B./I./1./a./ genannten Straftat des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 und im Umfang der im Schuldspruch B./II./1./ genannten Straftat des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 schuldig zu erkennen.
Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen zwingen überdies zur Aufhebung der Schuldsprüche B./I./1./b./ und B./II./2./ sowie des Strafausspruchs und der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und zur Verweisung der Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt zu neuer Verhandlung und Entscheidung, bei der die Strafbemessung unter Berücksichtigung der zu den Fakten B./I./1./a./ und B./II./1./ erfolgten rechtlichen Beurteilung vorzunehmen sein wird.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken, dass eine amtswegige Maßnahme hinsichtlich des Schuldspruchs F./II./, der einen Tatzeitraum auch vor 1. Mai 2004 erfasst, zu dem die Bestimmung des § 218 Abs 1 Z 1 StGB (oder eine gleichartige Vorgängerbestimmung) noch nicht in Kraft war, aufgrund der angenommenen unbestimmten Anzahl deliktischer Angriffe nicht indiziert ist.
Dies gilt ebenso für den Schuldspruch C./I./1./b./ wegen der Vergehen der pornographischen Darstellungen von Minderjährigen nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB soweit er einen Tatzeitraum vor dem 1. Mai 2004 umfasst.
Die Schuldsprüche C./I./1./b./, C./I./3./, C./III./1./ (bis 31. Mai 2009) und C./IV./ sowie D./1./ (vor 1. Juni 2009) und D./2./ (nach 31. Mai 2009) wegen § 207a Abs 1 Z 1, Z 2 dritter und vierter Fall, Abs 3 erster, zweiter, dritter und vierter Fall StGB erfolgten nach der im Urteilszeitpunkt erster Instanz geltenden Fassung, obwohl die Taten zu Zeiten begangen wurden, in denen § 207a StGB in der Fassung BGBl I 2004/15 (bis 31. Mai 2009) dem Rechtsbestand angehörte. Da die hier relevanten Bestimmungen und insbesondere auch der Ausnahmetatbestand des § 207a Abs 5 StGB mit der Novelle BGBl I 2009/40 jedoch unverändert geblieben sind, erfolgte die Verurteilung nach der im Urteilszeitpunkt geltenden, für den Angeklagten nicht ungünstigeren Fassung rechtsrichtig.
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