European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E125636
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Die Rechtsprechung bejaht in Fällen des § 364 Abs 2 ABGB und § 364b ABGB einen vom Verschulden unabhängigen Ausgleichsanspruch, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben (RIS‑Justiz RS0010449 [T18]; RS0037182 [T1]; RS0010668 [T13, T17]).
1.2. Auch die analoge Anwendung der Haftung nach § 364a ABGB auf nicht behördlich genehmigte Anlagen ist möglich (RS0010668 [T7, T8]). Bei ohne behördliche Genehmigung durchgeführten Arbeiten wird ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch des Geschädigten bejaht, wenn der Schaden bereits eingetreten gewesen ist, ehe der von dieser Einwirkung Betroffene die Möglichkeit zur Ausübung des Untersagungsrechts faktisch nützen konnte, sodass er sich in einer Situation wie derjenige befunden hat, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt gewesen ist (RS0010668 [T7]; RS0010573; vgl RS0010659; RS0010550). In den Fällen fehlender behördlicher Genehmigung ist demnach eine Regelungslücke anzunehmen, die durch analoge Heranziehung der im § 364a ABGB enthaltenen Gefährdungshaftung geschlossen werden kann, wenn ein Immissionsschaden auftritt und einerseits der geschädigte Nachbar der Schadensgefahr ausgeliefert war und andererseits für den Haftpflichtigen der Eintritt des Schadens ein kalkulierbares bzw kalkuliertes Risiko ist, das er zu seinem Nutzen eingegangen ist (RS0111420 [T1]; RS0106324 [T4]; RS0010668 [T16]; RS0010670 [T7]).
1.3. Die analoge Anwendung des § 364a ABGB setzt voraus, dass die Immission von der schadenverursachenden Anlage ausgeht und für deren Betrieb typisch ist (RS0010670 [T1, T5]). Mit solcherart „betriebstypischen“ Schäden sind adäquat verursachte Folgen gemeint (RS0010670 [T4]; RS0010668 [T18]). Der verschuldensunabhängige Ausgleichsanspruch kommt außerdem nur bei solchen Schädigungen in Frage, die in irgendeiner Weise mit der Verfügungsmacht des Grundeigentümers zusammenhängen, sei es, dass dieser die Liegenschaft in einen Schaden hervorrufenden Zustand versetzt oder in einem solchen belässt, sei es, dass er auf seiner Liegenschaft eine schadenstiftende Tätigkeit verrichtet oder deren Verrichtung durch Dritte duldet (RS0010448).
1.4. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass § 364 Abs 2 ABGB auch im Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern ein- und desselben Hauses anwendbar ist, solange ein Wohnungseigentümer im Rahmen der Ausübung seines ausschließlichen Benützungsrechts an einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt Störungen verursacht (RS0010614 [T1]). Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch kann also auch zwischen Wohnungseigentümern ein- und desselben Hauses für eine von einem Wohnungseigentumsobjekt ausgehende Störung bestehen (RS0010603 [T1]). Dass das emittierende und das beeinträchtigte Wohnungseigentumsobjekt Teil derselben Liegenschaft sind, steht der (analogen) Anwendung des § 364a ABGB also nicht im Weg.
2.1. Im Jahr 2013 ließ die Beklagte in einem unstrittig ihrem Wohnungseigentumsobjekt zugeordneten Zugangsbereich den Bodenabfluss, der bis dahin unmittelbar vor der Eingangstür gelegen war, zu einer Stützmauer hin versetzen. Während Starkregenfällen Ende Juli/Anfang August 2016 konnten die Wassermassen von diesem Bodenabfluss nicht abfließen. Die Ursache dafür lag vermutlich darin, dass vom Starkregen angespültes Laub und Zweige den Bodenabfluss bedeckten. Das im Eingangsbereich vor der Doppelhaushälfte der – zu diesem Zeitpunkt ortsabwesenden – Beklagten aufgestaute Wasser drang durch die (nicht druckwasserdicht ausgeführte) Eingangstür in die Doppelhaushälfte der Beklagten ein und breitete sich von dort (über die nicht unterteilte und nicht eigens isolierte Fußbodenkonstruktion) auf die Doppelhaushälfte der Kläger aus. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren der Kläger auf Ersatz der durch diesen Wasserübertritt an ihrer Doppelhaushälfte entstandenen Schäden.
2.2. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dieser (hier nur zusammengefasst wiedergegebene) Sachverhalt erfülle die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 364a ABGB, weshalb die Ersatzpflicht der Beklagten für den eingetretenen Wasserschaden zu bejahen sei, folgt den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.Diese Rechtsprechung befasste sich dabei bereits wiederholt mit der Verpflichtung zum Ersatz von Schäden, die dem Nachbarn durch Eindringen von Wasser entstanden (5 Ob 82/13i [Überlaufrohr]; 8 Ob 48/07b [Privatkanal]; 7 Ob 273/08k [Hauskanal]).
2.3. Die Schäden an der Doppelhaushälfte der Kläger sind adäquate Folgen einer typischen Einwirkung, auf die der Kläger nicht durch eine Unterlassungsklage reagieren konnte. Er befand sich also in einer Situation wie derjenige, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war (vgl 7 Ob 273/08k). Bei der Versetzung eines Abflusses im Außenbereichs können Nachbarn nämlich zunächst auf die Gefahrlosigkeit dieser Maßnahme vertrauen und eine Untersagung außer Betracht lassen. Es ist vielmehr demjenigen, der diese Maßnahme setzt und den Nachbarn damit einem erhöhten Risiko aussetzt, zumutbar, dafür Sorge zu tragen, dass dem Nachbarn daraus kein Nachteil erwächst (vgl 5 Ob 82/13i). Ob eine Gefahrensituation für den, der sie herbeiführt, objektiv erkennbar ist, kann dabei nur anhand des Einzelfalls beurteilt werden (RS0010668 [T12]). Wenn das Berufungsgericht dies hier zumindest implizit bejaht, ist das keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.
2.4. Durch das Verlegen des Abflusses hat die Beklagte die bestehenden Abflussverhältnisse verändert und beim schadensbegründenden Vorfall hat sich gerade der „betriebstypische“ Zweck dieser Einrichtung, nämlich die Ableitung des Regenwasseraufkommens, nicht verwirklicht (vgl 5 Ob 82/13i). Der Schaden steht demnach in einem ausreichenden Zusammenhang mit der Sachherrschaft der Beklagten, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht aus der allgemeinen Lebenserfahrung abgeleitete Möglichkeit der Beklagten, diesen Wassereintritt durch geeignete Maßnahmen zur Förderung des Abflusses im Eingangsbereich oder durch eine druckwasserdichte Ausführung der Eingangstüre zu verhindern, ankommt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist zudem weder aus dem Wohnungseigentum in seiner gesetzlichen Ausgestaltung noch aus dem konkreten Wohnungseigentumsvertrag abzuleiten, dass der Beklagten rechtlich die geforderte Verfügungsmacht gefehlt hätte, um einen Wassereintritt zu verhindern.Vielmehr enthält der Wohnungseigentumsvertrag in Bezug auf die den jeweiligen Wohnungseigentumsobjekten zugeordneten Sachteile im Wesentlichen die ausschließliche Zuständigkeit der Wohnungseigentümer. Der Wohnungseigentumsvertrag enthält im Übrigen auch keine Regelungen im Zusammenhang mit nachbarrechtlichen Ansprüchen im Allgemeinen und Immissionsschäden wie den eingetretenen im Besonderen, die derAnwendung des gesetzlichen Nachbarrechts und damit einem verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch entgegenstehen könnten (vgl RS0010569; RS0010534 [T1]; RS0010642). Auch aus der allgemeinen Sonderrechtsbeziehung zwischen Wohnungseigentümern (vgl RS0110784) ist für die Beklagte im Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden unmittelbaren Zuleitung von Regenwasser nichts zu gewinnen.
3.1. Die Revisionswerber zeigen somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
3.2. Die von der Beklagten geltend gemachte Mangelhaftigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der behauptete Verstoß gegen das Verbot von Überraschungsentscheidungen kann nicht darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht eine nachbarrechtliche Gefährdungshaftung in Analogie zu § 364a ABGB bejaht hat, zumal die Kläger sich schon im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich darauf gestützt haben, die Beklagte hafte auch „verschuldensunabhängig aus dem Nachbarrecht“ bzw „im Rahmen des § 523 ABGB (iVm § 364 Abs 2 ABGB) […] und wegen der Gefährdung der klagenden Parteien“.
3.3. Die außerordentlichen Revisionen waren daher zurückzuweisen.
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