European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00066.19V.0528.000
Spruch:
Das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 19. September 2018, GZ 15 U 161/18g‑8, verletzt in seinem Strafausspruch
I. § 19 Abs 2 erster Satz StGB und
II. § 19 Abs 3 StGB.
Das genannte Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch über die Ersatzfreiheitsstrafe aufgehoben und diese mit 15 Tagen festgesetzt.
Gründe:
Mit dem in gekürzter Form ausgefertigten Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 19. September 2018, GZ 15 U 161/18g‑8, wurde Halil T***** des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 4 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen verurteilt (vgl auch ON 7 S 2; Endverfügung [angeheftet]).
Überflüssig (vgl Lässig in WK2 StGB § 19 Rz 3 mwN; RIS‑Justiz RS0089940) und überdies rechnerisch falsch führte die Bezirksrichterin – ohne damit eine Bindung für den Strafvollzug herbeizuführen – einen sich aus der Anzahl der Tagessätze und ihrer Höhe ergebenden Gesamtbetrag („sohin EUR 240“) im Urteilsspruch an.
Als für die Bemessung des Tagessatzes maßgebliche Umstände stellte das Erstgericht fest, der Angeklagte „verfügt über monatlich EUR 1.669“, hat kein Vermögen, jedoch Schulden in Höhe von 13.000 Euro und keine Sorgepflichten (US 2).
Dieses Urteil steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Rechtliche Beurteilung
I. Deutlich genug macht die Generalprokuratur geltend, dass das Bezirksgericht bei der Ermittlung des für die Bestimmung der Höhe des Tagessatzes maßgeblichen Sachverhaltssubstrats (§ 19 Abs 2 erster Satz StGB) sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausübte:
1. Vorangestellt sei, dass Entscheidungen rechtlich stets nur im Verhältnis zu dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhalt richtig oder falsch sein können. Demnach ist es unzulässig, bei der Bekämpfung von Entscheidungen davon abzusehen und als Bezugspunkt der Anfechtung direkt auf Aktenbestandteile zurückzugreifen (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6; RIS‑Justiz RS0122466).
Gar wohl auf den Akteninhalt zurückgegriffen werden kann jedoch bei der – im Fall der Ausfertigung des mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) angefochtenen Urteils in gekürzter Form (§ 270 Abs 4 StPO) oft gar nicht anders möglichen – Ausdeutung des (den Bezugspunkt der Anfechtung bildenden) Inhalts der Entscheidung (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6 iVm § 281 Rz 19; vgl RIS-Justiz RS0116759 [T1]; vgl auch 11 Os 120/15d).
2. Nach § 19 Abs 2 StGB ist der Tagessatz entsprechend den persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Rechtsbrechers im Zeitpunkt des Urteils erster Instanz zu bemessen. Dabei hat das Gericht zunächst aufgrund vorliegender Beweisergebnisse die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Täters objektiv festzustellen und sodann in einer Ermessensentscheidung das Nettoeinkommen im Sinn des sogenannten Einbußeprinzips bis auf jenen Betrag abzuschöpfen, den der Täter für eine bescheidene Lebensführung unbedingt benötigt (Lässig in WK² StGB § 19 Rz 8 ff; 14 Os 100/05w).
Die Höhe des der (Ermessens‑)Entscheidung über die Höhe des Tagessatzes zugrunde zu legenden Einkommens ist eine Tatfrage (abermals 14 Os 100/05w), deren Lösung somit (ebenfalls) eine Ermessensentscheidung darstellt. Sie ist der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) demnach insoweit zugänglich, als das eingeräumte Ermessen willkürlich (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) gebraucht wurde (Fabrizy, StPO13 § 23 Rz 3; Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6 f [auch zur Abgrenzung zu dem von § 362 StPO eröffneten Anfechtungsrahmen]; RIS‑Justiz RS0096557 [insbesondere T17]).
3. Vorliegend war – nach dem Akteninhalt – einziges Beweisergebnis zur Höhe des Einkommens des Angeklagten dessen Angabe, wonach dieses (monatlich) „€ 1.211 (inkl € 458 Pflegegeld)“ betrage (ON 2 S 12 iVm ON 7 S 2). Im (gekürzt ausgefertigten) Urteil wird als für die Bemessung des Tagessatzes maßgebender Umstand (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 19 Abs 2 StGB) ein Betrag von 1.669 Euro genannt, über den der Angeklagte „monatlich“ „verfügt“ (US 2). Dieser Betrag entspricht (nicht der Differenz aus 1.211 und 458, sondern) der Summe jener beiden Zahlen.
Daran wird deutlich (vgl Punkt 1.), dass das Bezirksgericht das Pflegegeld (durch die erwähnte Addition) zweifach in Rechnung stellte. Insoweit hat es – wie die Beschwerde (der Sache nach) zutreffend vorbringt – (bei der Lösung der Tatfrage nach dem für die Bestimmung der Höhe des Tagessatzes maßgeblichen Einkommen) sein Ermessen willkürlich ausgeübt.
Da die Bezirksrichterin den Tagessatz aber ohnehin im gesetzlichen Mindestmaß (§ 19 Abs 2 zweiter Satz StGB) von vier Euro bemessen hat (US 2), blieb die aufgezeigte Gesetzesverletzung für Halil T***** ohne Nachteil. Es hat daher mit ihrer bloßen Feststellung sein Bewenden.
Hinzugefügt sei, dass unter den (eigenständigen) strafrechtlichen Einkommensbegriff alle Einkünfte des Täters unabhängig von ihrer steuerrechtlichen Natur fallen (Lässig in WK2 StGB § 19 Rz 9; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 19 Rz 14). Zwar orientiert sich die Rechtsprechung bei der Feststellung des für eine bescheidene Lebensführung unbedingt Benötigten an den durch die Existenzminimum-Tabellen determinierten Freibeträgen des § 291a EO (11 Os 33/07y). Sonstige Beschränkungen der Pfändbarkeit, die im Exekutionsverfahren zu berücksichtigen sind, spielen bei der Tagessatzbemessung nach § 19 Abs 2 erster Satz StGB aber keine Rolle (Salimi SbgK § 19 Rz 71). Der Umstand, dass Pflegegeld nicht der Einkommensteuer unterliegt (§ 21 Abs 1 BPGG), spricht daher ebenso wenig gegen seine Berücksichtigung bei der Ermittlung des für die Bemessung der Höhe des Tagessatzes maßgeblichen Nettoeinkommens wie seine grundsätzliche Unpfändbarkeit (§ 290 Abs 1 Z 2 EO). Bei der Bestimmung der (abschöpfbaren) Differenz zwischen Nettoeinkommen und dem für eine bescheidene Lebensführung unbedingt Notwendigen (siehe Punkt 2.) ist allerdings zu beachten, dass ein allfälliger Pflegebedarf auch Letzteres erhöht, was im Ergebnis zu einer (entsprechenden) Reduktion des einzelnen Tagessatzes führt.
II. Indem die Bezirksrichterin bei einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen die Ersatzfreiheitsstrafe mit 30 Tagen festsetzte, missachtete sie den in § 19 Abs 3 StGB vorgesehenen festen Umrechnungsschlüssel (Lässig in WK2 StGB § 19 Rz 31; 12 Os 162/88).
Diese Gesetzesverletzung ist geeignet, sich zum Nachteil des Verurteilten Halil T***** auszuwirken, weshalb deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden war (§ 292 letzter Satz StPO).
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