OGH 11Os120/15d

OGH11Os120/15d27.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Oktober 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ortner als Schriftführer in der Strafsache gegen Idowu E***** wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 82 Hv 11/14h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 5. März 2014, GZ 82 Hv 11/14h‑46, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, und des Verteidigers Mag. Kregcjk zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00120.15D.1027.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gründe:

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde bringt die Generalprokuratur vor:

I./ Mit gekürzt ausgefertigtem, auch Freisprüche enthaltenden Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. März 2014, Gz 82 Hv 11/14h‑46, wurde der Angeklagte Idowu E***** des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (I./A./) und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (richtig zu I./B./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien vorschriftwidrig Suchtgift, und zwar Cannabiskraut

A./ in einer insgesamt die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit einem durchschnittlichen Reinsubstanzgehalt von zumindest 0,22 % Delta‑9‑THC und 2,94 % THCA Nachgenannten durch gewinnbringenden Verkauf oder auf Kommissionsbasis überlassen, wobei er an Suchmittel gewöhnt war und die Tat vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen eigenen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel für deren Erwerb zu verschaffen, und zwar

1./ dem abgesondert verfolgten Mustafa S*****

a./ am 27. September 2013 eine Menge von 50 Gramm;

b./ am 28. September 2013 eine Menge von „etwa“ 500 Gramm;

c./ am 12. Oktober 2013 eine Menge von „etwa“ 50 Gramm;

d./ am 15. Oktober 2013 eine Menge von 495 Gramm, darin enthaltend zumindest 1,11 Gramm Delta‑9‑THC und 14,56 Gramm THCA;

2./ weiteren unbekannten Abnehmern im Zeitraum von Juli 2013 bis zum 14. Jänner 2014 eine insgesamt nicht mehr festzustellende Menge, zumindest jedoch 120 Gramm zum Grammpreis von 4 Euro bis 5 Euro;

B./ „in einem noch festzustellenden Zeitraum“ bis 14. Jänner 2014 149 Gramm brutto, erworben und durch Aufbewahrung in seiner Wohnung in *****, besessen.

Weitere als erwiesen angenommene Tatsachen enthält die schriftliche Urteilsausführung nicht.

Das Urteil erwuchs unangefochten am 11. März 2014 in Rechtskraft (ON 45 S 5, ON 49).

Rechtliche Beurteilung

II./ Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. März 2014, GZ 82 Hv 11/14h‑46, verletzt das Gesetz:

Nach der auch für die Verhandlung vor dem Landesgericht als Einzelrichter geltenden (§ 488 Abs 1 StPO) Bestimmung des § 270 Abs 4 StPO hat eine ‑ unter den in dieser Vorschrift genannten, hier vorgelegenen Voraussetzungen zulässige ‑ gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe, also auch die Inhaltserfordernisse nach § 260 StPO (§ 270 Abs 4 Z 1 StPO), sowie im Fall einer Verurteilung (unter anderem) die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsache in gedrängter Darstellung (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) zu enthalten. Im Urteilstenor, der bei gekürzter Urteilsausfertigung die fehlende Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiellrechtliche Beurteilung ersetzt, ist auszusprechen, welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände, worunter nichts anderes zu verstehen ist, als die für die Subsumtion entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; RIS‑Justiz RS0125764). Aus der gekürzten Urteilausfertigung müssen daher die einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände ausdrücklich hervorgehen (RIS‑Justiz RS0101786; Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6).

Ist beim Überlassen mehrerer, die Grenzmenge (§ 28b SMG) zwar nicht für sich allein, wohl aber in Summe erreichenden Teilmengen von vornherein die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt vom Willen des Angeklagten (§ 5 Abs 1 StGB) mitumfasst, fällt diesem das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG (bzw hier: das Vergehen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 und Abs 3 SMG) als tatbestandliche Handlungseinheit im Sinne fortlaufender Verwirklichung zur Last (RIS‑Justiz RS0124018; RS0112225). Wird ein solcher Täterwille aber nicht als erwiesen angenommen, können derartige Einzelakte jeweils nur das Vergehen nach § 27 Abs 1 achter Fall SMG begründen.

Zwar deuten fallgegenständlich der Tatzeitraum und die Mehrzahl von Abnehmern auf eine kontinuierliche Tatbestandsverwirklichung durch verschiedene Teilakte hin. Die Zusammenrechnung bedürfte aber der Feststellung des den ‑ an die kontinuierliche Begehung geknüpften -Additionseffekt umfassenden Vorsatzes des Täters. Eine solche ist der Urteilsausfertigung aber nicht zu entnehmen, sodass die getroffenen Feststellungen die Unterstellung der Taten als das Vergehen des Suchgifthandeln nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG nicht zu tragen vermögen.

Ein Nachteil des Verurteilten ist angesichts dieses Rechtsfehlers mangels Feststellungen nicht auszuschließen.

Im Hinblick auf die erforderliche Aufhebung des Schuldspruchs wegen des Vergehens des Suchgifthandelns nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (I./A./) wäre auch in Betreff des Schuldspruchs I./B./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG mit Urteilsaufhebung und Anordnung neuer Verhandlung und Entscheidung vorzugehen, weil dessen Zulässigkeit davon abhängt, ob dem Angeklagten im zweiten Rechtsgang neuerlich eine weitere, über § 27 Abs 1 SMG hinausgehende Straftat nach dem Suchtmittelgesetz, aus der der Angeklagte einen Vorteil gezogen hat, zu Last fällt (vgl RIS‑Justiz RS0119278 [T7]).

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Zutreffend referiert die Generalprokuratur die ständige Rechtsprechung sowohl zu den Anforderungen an eine gekürzte Urteilsausfertigung als auch an einen Schuldspruch nach § 28a Abs 1 SMG, sofern diesem eine fortlaufende Begehung hinsichtlich die Grenzmenge allein nicht überschreitender Quanten verpönter Stoffe in tatbestandlicher Handlungseinheit zu Grunde liegt.

Allerdings judiziert der Oberste Gerichtshof in seit Jahren gefestigter Rechtsprechung auch, dass ein Rechtsfehler mangels Feststellungen dann nicht vorliegt, wenn eine Analyse des Urteils trotz einer für Dritte bestehenden Unklarheit in Hinsicht auf die Feststellung entscheidender Tatsachen bei näherem Hinsehen aus der Sicht des Rechtsmittelgerichts die Beurteilung zulässt, dass die Tatrichter die entscheidenden Tatsachen feststellen wollten (RIS‑Justiz RS0117228; eingehend Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19, zur hier nicht relevanten Undeutlichkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO Rz 418 f).

Was für die Entscheidungsgründe eines vollständig ausgefertigten Urteils (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) gilt, kann (und soll mit Blick auf den verfahrensökonomischen Zweck der Norm) bei einer Ausfertigung in gekürzter Form (§ 270 Abs 4 StPO) nicht anders gesehen werden.

Im Gegenstand weist selbst die Generalprokuratur auf die mehrfache Tatwiederholung über einen längeren Zeitraum als Indiz für eine kontinuierliche Tatbegehung durch Teilakte hin.

Dazu tritt die einschlägige Vorstrafenbelastung des Angeklagten (ON 17 S 117 f) und dass sich dieser zum wegen § 28a Abs 1 SMG erhobenen (einen Additionsvorsatz voraussetzenden) Anklagevorwurf (ON 23) schuldig bekannte (ON 34 S 5), wobei er laufenden Suchtgiftverkauf zugestand (ON 17 S 23).

Hält man sich noch das eine Verklammerung ausdrückende Wort „insgesamt“ im Schuldspruch (ON 46 S 3) vor Augen, bestehen für den Obersten Gerichtshof keine Zweifel, dass der Einzelrichter nach Lage des Falls den für die Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit notwendigen Additionsvorsatz des Angeklagten ‑ als rechtlich erforderliche Grundlage des ergangenen Schuldspruchs -feststellen wollte.

So gelesen liegt eine Gesetzesverletzung nicht vor und war daher der Nichtigkeitsbeschwerde kein Erfolg zuzumessen.

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