OGH 2Ob96/18h

OGH2Ob96/18h29.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G***** R*****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ärztekammer für Wien, *****, vertreten durch Backhausen Rechtsanwalts GmbH in Wien, sowie die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei Wiener Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 57.484,08 EUR sA und Feststellung (Streitwert insgesamt 17.200 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Februar 2018, GZ 13 R 123/17d‑52, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Mai 2017, GZ 28 Cg 3/14p‑41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00096.18H.0429.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin deren jeweils mit 2.287,80 EUR (darin enthalten 381,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger ist seit 1. 10. 2007 Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Im Zeitraum 1. 10. 2007 bis 30. 9. 2008 war er als angestellter Arzt tätig. Ab 1. 10. 2008 führte er eine Wahlarztordination in Wien. Seit 1. 1. 2009 verfügt er zudem über eine Stelle als Vertragsarzt der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse und der „kleinen Kassen“ in *****.

Ab 1. 6. 2010 bewarb er sich insgesamt zwölf Mal auf ausgeschriebene Kassenplanstellen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Wien. Darunter befand sich auch die hier strittige Bewerbung vom 30. 12. 2013.

Nach § 6 des zwischen der Beklagten und (ua) der Nebenintervenientin geschlossenen Gesamtvertrags erfolgt die Auswahl der Vertragsärzte nach Richtlinien, die eine Anlage zum Gesamtvertrag bilden. Diese Richtlinien sehen ein Punkteschema vor, die sogenannten Reihungskriterien.

Der Niederlassungsausschuss der beklagten Partei bewertete die Bewerber nach den zum Zeitpunkt der Ausschreibung der Kassenplanstelle gültigen Reihungskriterien, hier nach dem Stand vom 19. 3. 2013. Aus dieser Bewertung ging der Kläger als Viertgereihter hervor; dabei wurden ihm keine Punkte für Wartezeit zuerkannt. Per 19. 5. 2014 wurde die Kassenplanstelle an den Erstgereihten vergeben. In der Regel wird der Bewerber mit den meisten Punkten angeschrieben und zum Vertragsabschluss eingeladen.

Wäre dem Kläger die Wartezeit ab seiner ersten Bewerbung nach Abschluss seines Kassenvertrags in Oberösterreich angerechnet worden, wäre er nach den Reihungskriterien 2013 Erstgereihter gewesen. Dass der Kläger auch im hypothetischen Fall des Widerrufs und der Neuausschreibung der Planstelle auf Grundlage neuer sachlicher Reihungskriterien erstgereiht gewesen wäre, konnte nicht festgestellt werden.

Das Erstgericht wies – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – das auf den Ersatz des Nichterfüllungsschadens gerichtete Leistungsbegehren, das schadenersatzrechtliche Feststellungsbegehren sowie ein weiteres Feststellungsbegehren des Klägers ab.

Es vertrat die Ansicht, die für die Bewertung herangezogenen Richtlinien und Reihungskriterien würden unsachlich zwischen Wahl- und Vertragsärzten differenzieren und seien auch hinsichtlich der Punktevergabe für die Wartezeit unsachlich. Richtigerweise hätte die Ausschreibung widerrufen und die Planstelle nach Korrektur der Kriterien neu ausgeschrieben werden müssen. Für diesen Fall sei dem Kläger der Nachweis der Kausalität des rechtswidrigen Verhaltens für die geltend gemachten Schäden nicht gelungen. Für das weitere Feststellungsbegehren fehle es dem Kläger am rechtlichen Interesse.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es folgte der Rechtsansicht des Erstgerichts und fügte hinzu, auch bei hypothetischer Annahme einer von vornherein fehlerfreien Ausschreibung wäre dem Kläger der Beweis, dass er Erstgereihter gewesen wäre, nicht gelungen. Es fehle schon an konkretem Vorbringen, welche Regelungen sachlich gerechtfertigt gewesen wären und wie sie sich bei den Mitbewerbern ausgewirkt hätten.

Das Berufungsgericht begründete die Zulassung der ordentliche Revision mit fehlender Rechtsprechung zu den Fragen der Unerlässlichkeit des Widerrufs der Ausschreibung bei zugrundeliegenden unsachlichen Kriterien sowie zur Beweislast bei Geltendmachung des Erfüllungsinteresses.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

I. In der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung wird keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan. Zu beiden angesprochenen Themen liegt bereits Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor:

1. Nach § 7 Abs 4 der erwähnten Richtlinien kann bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Gründe die Ausschreibung im Einvernehmen zwischen der Kasse und der Kammer widerrufen werden. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 174/09h unter Bezugnahme auf diese Regelung ausgeführt hat, ist der Widerruf der Ausschreibung bei einem Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot schon deshalb „unausweichlich“, weil bei einer neuen Ausschreibung auch jenen Interessenten die Möglichkeit einer Beteiligung gegeben werden muss, die sich vorher durch das unzulässige Vergabekriterium abschrecken ließen. In der – eine andere Bewerbung des Klägers betreffenden – Entscheidung 1 Ob 102/18h billigte der Oberste Gerichtshof mit Hinweis auf diese Rechtsprechung daher auch die Beurteilung der Vorinstanz, dass der wegen der Nichtberücksichtigung der Wartezeit erfolgte Widerruf der Ausschreibung sachlich gerechtfertigt gewesen sei.

2. Bei Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten ist zwar grundsätzlich nur der Vertrauensschaden (negatives Vertragsinteresse) zu ersetzen. Ausnahmsweise gebührt aber der Ersatz des Erfüllungsinteresses, wenn ohne die Pflichtverletzung der Vertrag zustande gekommen wäre (zu Ausschreibungen RS0013936 [T3]; allgemein RS0016374 [T4]). Dieser allgemeine Rechtssatz findet auch auf die Vergabe von Kassenverträgen Anwendung (4 Ob 198/05d; 4 Ob 5/11f; 6 Ob 221/13p; vgl auch RS0030354). Auch im Fall des Widerrufs einer Ausschreibung ist grundsätzlich nur der Vertrauensschaden zu ersetzen. Nur wenn der übergangene Bewerber den Kassenvertrag im Fall des Widerrufs der Ausschreibung erlangt hätte, steht ihm das Erfüllungsinteresse zu. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Beweislast für diese Voraussetzung den übergangenen Bewerber trifft (4 Ob 198/05d mwN).

II. Der Kläger wirft in seiner Revision keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage auf:

1. Unstrittig ergibt sich bereits aus der Entscheidung 1 Ob 176/15m, dass die Vergabe der Kassenplanstelle auch im vorliegenden Fall auf unsachlichen Kriterien beruhte, weil die Wartezeit des Kläger keine Berücksichtigung fand (vgl ferner 1 Ob 35/15a zur Unsachlichkeit der Regeln über die Berufserfahrung). Die Auffassung des Klägers, dass die Ausschreibung aus diesem Grund nicht widerrufen hätte werden können, steht im Widerspruch zu der bereits zitierten Entscheidung 1 Ob 102/18h. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte hätte die auf unsachlichen Kriterien beruhende Ausschreibung widerrufen müssen, weil keine Möglichkeit zu einer den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung entsprechenden Vergabe des Kassenvertrags bestanden habe, entspricht hingegen der Rechtslage (vgl auch 4 Ob 98/08b) und ist deshalb unbedenklich.

2. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Kausalität des rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten auf dieser Grundlage prüfte. Bestand das pflichtgemäße Verhalten nach erfolgter Ausschreibung im Widerruf derselben und der Neuausschreibung nach Änderung der unsachlichen Kriterien, hatte der den Ersatz seines Nichterfüllungsschadens begehrende Kläger nach der in Punkt I.2. bereits wiedergegebenen Rechtsprechung den Beweis zu erbringen, dass er im Falle der gebotenen Vorgangsweise Erstgereihter gewesen wäre. Diesen Beweis hat er aufgrund der dazu getroffenen Negativfeststellung nicht erbracht.

3. Schließlich geht der Kläger mit keinem Wort auf die (hilfsweise) Begründung des Berufungsgerichts ein, er habe nach den Feststellungen auch den Beweis nicht erbracht, dass er im hypothetischen Fall einer von vornherein fehlerfreien Ausschreibung Erstgereihter gewesen wäre. Damit werfen aber auch seine überdies nicht näher präzisierten Überlegungen zu Teilnichtigkeit und geltungserhaltender Reduktion keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

4. Der Kläger nennt auch in der Revision keine zivilrechtliche Grundlage für eine „Ergreiferprämie“ nach öffentlich-rechtlichem Vorbild (vgl 1 Ob 256/12x), die in einer – dem Gleichheitsgebot widersprechenden – Bevorzugung seiner Person gegenüber den Mitbewerbern bestehen soll.

5. Das Revisionsvorbringen des Klägers zum Einschreiten eines unzuständigen Gremiums der Nebenintervenientin, der Befangenheit eines Funktionärs der Beklagten und der Verletzung von Treu und Glauben verstößt gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO und ist daher unbeachtlich.

6. Auf das vom Berufungsgericht in Ansehung des verbliebenen weiteren (nicht schadenersatzrechtlichen) Feststellungsbegehrens verneinte rechtliche Interesse kommt der Kläger in der Revision nicht mehr zurück.

7. Die Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Da die Beklagte und die Nebenintervenientin auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, ist der Kläger zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortungen verpflichtet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte