OGH 14Os35/19g

OGH14Os35/19g9.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. April 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Georg H***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 7. November 2018, GZ 35 Hv 151/18g‑44, sowie seine Beschwerden gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und den Beschluss des Vorsitzenden dieses Schöffengerichts vom 27. Februar 2019 (ON 50) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00035.19G.0409.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Strafverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Georg H***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (I) und mehrerer Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in H*****

I/ mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Rechten zu schädigen, Beamte wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem er Schreiben zu (im angefochtenen Urteil näher bezeichneten) Verfahren übermittelte, in welchen er unter Androhung der Erstattung von Anzeigen beim US‑amerikanischen Internal Revenue Service (IRS), der Veranlassung strafrechtlicher Schritte oder der mutwilligen Geltendmachung von Schadenersatzforderungen dazu aufforderte, diese Verfahren nicht weiterzuführen oder einzustellen, und zwar

A/ am 13. Juni 2018 Ursula Ho***** als zuständige Sachbearbeiterin der Bezirkshauptmannschaft A***** in einem Verwaltungsstrafverfahren, wobei sich sein Vorsatz auf das Recht des Staates „auf gesetzmäßige Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens“ und auf Strafverfolgung von Verwaltungsübertretungen bezog;

B/ in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zur Überprüfung und allfälligen Entziehung einer Gewerbeberechtigung, wobei sich sein Vorsatz auf das Recht des Staates „auf gesetzmäßige Führung eines Verfahrens zur Entziehung der Gewerbeberechtigung“ bezog,

1/ am 30. Mai und am 4. Juni 2018 Bezirkshauptfrau Mag. Martina G*****,

2/ am 19. Juni 2018 Gerlinde Z***** als zuständige Sachbearbeiterin;

C/ in einem weiteren verwaltungsbehördlichen Verfahren zur Entziehung einer Gewerbeberechtigung, wobei sich sein Vorsatz abermals auf das Recht des Staates „auf gesetzmäßige Führung eines Verfahrens zur Entziehung der Gewerbeberechtigung“ bezog,

1/ am 19. Juni 2018 Z***** als zuständige Sachbearbeiterin,

2/ am 27. Juli 2018 Evelyn B***** als zuständige Sachbearbeiterin,

3/ am 2. September 2018 Bezirkshauptfrau Mag. G*****;

D/ am 4. Juli 2018 Gertrude Be***** als Rechtspflegerin in einem gerichtlichen Exekutionsverfahren, wobei sich sein Vorsatz auf das Recht des Staates „auf gesetzmäßige Führung eines Exekutionsverfahrens“ bezog;

II/ durch die zu I angeführten Tathandlungen Ho*****, Z*****, B*****, Mag. G***** und Be***** durch gefährliche Drohungen mit „zumindest“ einer Verletzung am Vermögen durch Kosten verursachende Abwehrmaßnahmen gegen die in Aussicht gestellten, mutwilligen Rechtsverfolgungshandlungen „und/oder an der Ehre durch die Beeinträchtigung der Kreditwürdigkeit, des beruflichen Fortkommens und des Ansehens zufolge mutwilliger Geltendmachung und Anzeigeerstattung vorgeblicher Steuer- und Straftatbestände sowie Schadenersatzforderungen nach internationalen Rechtsvorschriften“ zu den zu I genannten Handlungen oder Unterlassungen zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, und 5 sowie 9 lit a und b StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Der aus Z 3 vorgetragene Einwand, das Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) enthalte zum Punkt I keine Aussage dazu, dass die (dort ohnehin erwähnte) Wissentlichkeit des Beschwerdeführers zumindest vorsätzlichen Befugnisfehlgebrauch der Beamtinnen umfasst habe (vgl RIS‑Justiz RS0103984), trifft nicht zu. Denn die Wissentlichkeit bezog sich nach der kritisierten Formulierung im Urteilstenor darauf, dass die Beamtinnen bei bestimmungsgemäßem Verhalten ihre Befugnis „missbrauchen“ würden, womit nach – vom Erstgericht ausdrücklich klargestelltem (US 40) – Begriffsverständnis im Sinn der ständigen Rechtsprechung nichts anderes als vorsätzlicher Fehlgebrauch der Befugnis gemeint ist (RIS‑Justiz RS0108964 [T2]; zur Ausdeutung des Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO mit Blick auf die Entscheidungsgründe vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 278).

Die weitere Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Nichtzulassung von Fragen der Verteidigung in der Hauptverhandlung (vgl § 249 Abs 2 StPO). Sie scheitert schon daran, dass der Beschwerdeführer nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 43 S 22, 23, 26, 27, 29 und 30) – an dessen Richtigkeit keine Zweifel bestehen (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 312) – dazu keinen Antrag auf Senatsentscheidung, die allein Anfechtungsgegenstand der Verfahrensrüge sein könnte, stellte (RIS‑Justiz RS0097971 [T10, T11]).

Die zum Schuldspruch I ausgeführte Mängelrüge sieht die Feststellung zur auf Befugnismissbrauch der Beamtinnen bezogenen Wissentlichkeit des Beschwerdeführers (US 28) offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall). Sie nimmt dabei prozessordnungswidrig nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS‑Justiz RS0119370). Die Tatrichter stützen die Konstatierung – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit unbedenklich – unter anderem auf die „Überlegtheit und Berechnung“ der vom Beschwerdeführer nach seiner einschlägigen früheren Verurteilung adaptierten Vorgehensweise, auf (im Urteil wiedergegebene) Handlungsanleitungen „staatsfeindlicher Verbindungen“, mit denen der Beschwerdeführer nach Ansicht des Schöffensenats sympathisierte, und den auf Basis ausführlicher Analyse des Wortlauts festgestellten Bedeutungsinhalt der inkriminierten Schreiben (US 31 f, 34, 36 und 38).

Soweit auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch I Feststellungen zu einer auf (zumindest) bedingt vorsätzlichen Befugnisfehlgebrauch der Beamtinnen bezogenen Wissentlichkeit des Beschwerdeführers vermisst, dabei jedoch die – bereits in der Antwort auf die Verfahrensrüge (Z 3) hervorgehobene – Klarstellung des verwendeten Begriffs „Missbrauch“ durch das Erstgericht (US 40) übergeht, verfehlt sie die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit des Urteilssachverhalts (RIS‑Justiz RS0099810).

Gleiches gilt für die Rechtsrüge zum Schuldspruch II (Z 9 lit b), die isoliert herausgegriffene Urteilspassagen (US 31 f und 38) dahin interpretiert, dass der Beschwerdeführer überzeugt gewesen sei, berechtigten Ansprüchen zum Durchbruch zu verhelfen, und auf dieser Basis die Nichtannahme des Rechtfertigungsgrundes nach § 105 Abs 2 StGB kritisiert. Sie vernachlässigt dabei jedoch die weiteren, unmissverständlich das Gegenteil zum Ausdruck bringenden Konstatierungen (US 29 iVm 32, 36, 37 und 38).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Schöffensenats vom 27. Februar 2019, mit welchem der Antrag des Angeklagten auf Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls (mangels Klarstellung des Berichtigungsbegehrens) zurückgewiesen wurde (ON 50), bezieht sich bloß auf die Nichtzustellung mehrerer Beilagen zum Hauptverhandlungsprotokoll, die keinen Gegenstand des Vorbringens der Nichtigkeitsbeschwerde bilden. Die Beschwerde ist damit, ohne einer inhaltlichen Erwiderung zu bedürfen, erledigt (RIS‑Justiz RS0126057 [T2]).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO ist festzuhalten: Die im Rahmen der Feststellungen zum Schädigungsvorsatz verwendete Formulierung, Georg H***** habe den Staat an dessen Rechten „auf gesetzmäßige Durchführung von Verfahren zur Entziehung der Gewerbeberechtigung“ oder „auf gesetzmäßige Führung eines Exekutionsverfahrens“ schädigen wollen (US 28), wäre– isoliert betrachtet – als Sachverhaltsgrundlage für die Subsumtion nach § 302 Abs 1 StGB nicht ausreichend. Denn damit wird bloß der staatliche Anspruch gegenüber Beamten, ihre Befugnis den (Verfahrens‑)Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen, zum Ausdruck gebracht. Das ist seit Jahren ständige Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0096270 [T12 ua]). Ein amtswegig wahrzunehmender Subsumtionsfehler (Z 10 [wegen der jeweils in Idealkonkurrenz begründeten Vergehen der Nötigung]) liegt hier dennoch nicht vor, weil das Erstgericht weiters konstatierte, der Angeklagte habe mit den inkriminierten Handlungen die Absicht verfolgt, in den hier gegenständlichen Verfahren „jegliches verwaltungsbehördliche und gerichtliche Handeln gegen ihn zu unterbinden“, also den in objektiver Hinsicht dargestellten und nach Überzeugung der Tatrichter vom Angeklagten erkannten Zweck dieser Verfahren (eine Verwaltungsübertretung zu ahnden [I/A], Gewerbeberechtigungen zu überprüfen und allenfalls zu entziehen [I/B und C] sowie Kosten eines Strafverfahrens [im Exekutionsweg] hereinzubringen [I/D]) zu vereiteln (US 7, 12, 20, 25 und 28). Damit wird hinreichend deutlich ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 19) zum Ausdruck gebracht, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf Schädigung des Staates an dessen (für die Tatbestandserfüllung ausreichenden) Rechten auf Verfolgung von Verwaltungsübertretungen (RIS‑Justiz RS0096270 [T7 und T8]), darauf, dass nur im Sinn der Gewerbeordnung geeignete Personen eine Gewerbeberechtigung haben, sowie auf Ersatz der Kosten eines Strafverfahrens, bezog.

Soweit das Erstgericht (zu II) mehrfach auch eine Drohung mit einer Verletzung an der Ehre angenommen hat, enthalten die Entscheidungsgründe keine Feststellungen dazu, wie sich die angekündigte „Anzeigeerstattung“ oder die „Geltendmachung von Schadenersatzforderungen“ bei US‑amerikanischen Behörden und sonstigen Einrichtungen (ohne weitere Maßnahmen zur Herstellung entsprechender Publizität) auf das Ansehen und die Achtung der Opfer in den Augen der für sie maßgeblichen Umwelt hätte auswirken sollen (RIS‑Justiz RS0092529). Solcherart fehlt es an ausreichender Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme der Eignung dieser Äußerungen, bei den Opfern unter Anwendung des gebotenen objektiv‑individuellen Maßstabs begründete Besorgnis möglicher Verwirklichung (auch) dieses Übels zu wecken (vgl Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 74 Rz 31 f und 33 f; Schwaighofer ebd § 105 Rz 59/2; vgl auch [zu angekündigter Beeinträchtigung der Kreditwürdigkeit] RIS‑Justiz RS0132158). Da jedoch jeweils auch (auf Basis des Urteilssachverhalts zutreffend) die Androhung einer Verletzung am Vermögen angenommen wurde, liegt insoweit ebenfalls kein amtswegig wahrzunehmender Subsumtionsfehler vor.

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