European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0260DS00009.18Z.1210.000
Spruch:
Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und über den Beschuldigten eine Geldbuße von 750 Euro verhängt.
Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *****, Rechtsanwalt in *****, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes schuldig erkannt.
Demnach hat er
1. in der von ihm verfassten Berufung vom 8. September 2014 zu AZ ***** des Landesgerichts ***** formuliert:
a. … sich die Erstrichterin in ihrer Beweiswürdigung persönlich für den Kläger „ins Zeug wirft“ …,
b. „Die Richterin wirft in ihrer völligen Gedankenlosigkeit bei gänzlichem Fehlen von Empathie für die Familie der Beklagten …“;
2. im Rekurs vom 17. Juni 2015 zu AZ ***** des Landesgerichts ***** formuliert:
„… sind nur mit einer tendenziösen, einseitigen, jegliche Objektivität vermissen lassenden gegen die Beklagte gerichteten Vorurteil behafteten Einstellung des Senates erklärbar.“
und dadurch die Erstrichterin der Abteilung ***** des Bezirksgerichts ***** und den betreffenden Senat des Oberlandesgerichts Wien in einer die zulässigen Grenzen des § 9 RAO schuldhaft übertretenden Weise angegriffen.
Hiefür wurde der Beschuldigte gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von 1.000 Euro sowie zum Kostenersatz verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen [hier § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO] in deren Rahmen RIS‑Justiz RS0128656) und Strafe (§ 49 letzter Satz DSt).
Nur der Berufung wegen Strafe war Folge zu geben.
In seiner Berufung (Z 9 lit a) vertritt der Beschuldigte den Standpunkt, dass es sich bei den inkriminierten Ausführungen um zulässige und die Grenzen des § 9 Abs 1 RAO nicht überschreitende Kritik gehandelt habe. Damit zeigt er jedoch keine rechtliche Fehlbeurteilung des festgestellten Sachverhalts auf. Der Rechtsanwalt ist gemäß § 9 Abs 1 zweiter Satz RAO zwar befugt, „alles, war er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten“. Die Grenzen des im Sinn des § 9 Abs 1 RAO und des Art 10 MRK zulässigen Vorbringens werden nach ständiger Rechtsprechung (26 Os 4/16g uva) aber dann überschritten, wenn sich der Rechtsanwalt unsachlicher und/oder erkennbar beleidigender Äußerungen bedient (VfSlg 15.586).
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung fordert zwar besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen (RIS‑Justiz RS0056168). Von einem Rechtsanwalt wird aber – einerseits wegen seiner hohen Bildung und andererseits wegen seiner Tätigkeit im Rahmen der Rechtspflege – verlangt, sich gegenüber Behörden und Gerichten einer sachlichen und korrekten Ausdrucksweise zu bedienen, sodass ausfällige und beleidigende Eingaben Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigen (24 Os 6/15k; Feil/Wennig, AnwR8 § 9 RAO Rz 16). Gemessen an dieser ständigen Judikatur ist die rechtliche Beurteilung des Disziplinarrats nicht zu beanstanden, wonach die inkriminierten Passagen in der Berufungsschrift (Schuldspruch Punkt 1.) und in der Rekursschrift (Schuldspruch Punkt 2.) einen persönlichen, unsachlichen und beleidigenden Angriff auf die im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts ***** zuständige Richterin (im Spruch des Erkenntnisses irrtümlich „Erstrichterin der Abteilung ***** des BG *****“) sowie die Mitglieder des mit dem Rekurs befassten Senats des Oberlandesgerichts Wien im Sinn einer unsachlichen, der Verteidigung der Parteien (in dieser Form) nicht dienlichen pauschalen Verunglimpfung darstellen. Dies umso mehr, als die Wortwahl des Beschuldigten nicht etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung im Zug einer situationsbedingt emotionalen Unmutsäußerung („mit einem möglichen Wortüberschwang“, VfSlg 19.117) erfolgt ist, sondern sich der Beschuldigte dieser Formulierungen in zwei ausführlichen Schriftsätzen bedient hat, also wohlüberlegt und mit ausreichender Bedenkzeit für eine distanzierte Kontrolle und Überprüfung, etwa im Rahmen der Korrektur der Schriftsätze nach deren Diktat und vor endgültiger Einbringung (RIS‑Justiz RS0055208).
Die dem Beschuldigten zur Last gelegten Formulierungen waren in Rechtsmittelschriften (Berufung und Rekurs) enthalten und gelangten daher naturgemäß einer Mehrzahl weiterer Personen (Richter, Kanzleibedienstete bei Gericht, Prozessgegner etc) zur Kenntnis, weshalb auch die Beurteilung der Tat nicht nur als Berufspflichtenverletzung, sondern zudem als Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nicht zu beanstanden ist. Der Hinweis des Berufungswerbers auf die Entscheidung des EGMR vom 12. Jänner 2016, 48074/10, geht insofern fehl, als diese eine strafrechtliche Beurteilung eines spanischen Rechtsanwalts (wegen beleidigender Äußerungen über eine Richterin im Rahmen des Rechtsmittelvorbringens) betraf und der EGMR die Verletzung von Art 10 MRK in der Unverhältnismäßigkeit der strafgerichtlichen Sanktionierung erblickte, gerade weil auch eine disziplinäre Behandlung hätte erfolgen können.
Der Berufung wegen Strafe (§ 49 letzter Satz DSt) war jedoch Erfolg beschieden.
Zwar ist an der Strafzumessung durch den Disziplinarrat nichts zu beanstanden. Zugunsten des Beschuldigten ist aber als weiterer Milderungsgrund die überlange Verfahrensdauer zu berücksichtigen, begründet durch die Dauer des Zeitraums von der Verkündung des erstinstanzlichen Erkenntnisses am 3. Oktober 2016 bis zur Zustellung der schriftlichen Ausfertigung am 12. Februar 2018. Die Ausfertigungsdauer von rund einem Jahr und vier Monaten ist unangemessen und ergab eine überlange Verfahrensdauer.
Dieser dem Beschuldigten zugute kommende weitere Milderungsgrund führte zur Reduzierung der vom Disziplinarrat verhängten Geldbuße um 250 Euro auf nunmehr 750 Euro.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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