OGH 8ObA58/18i

OGH8ObA58/18i24.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Mag. Andrea Komar als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Prof. Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Tinhofer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 173.902,95 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 142.706,30 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Mai 2018, GZ 9 Ra 104/17f‑60, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00058.18I.1024.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0106298), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen. Auch die Frage, ob eine Entlassung rechtzeitig oder verspätet vorgenommen wurde, lässt sich nur nach den Umständen des einzelnen Falls beurteilen (RIS-Justiz RS0031571).

2. Bekannt geworden ist der Entlassungsgrund dem Dienstgeber, sobald ihm die für die Beurteilung des Vorliegens eines Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten zur Kenntnis gelangt sind, wobei der Dienstgeber verpflichtet ist, die zur Feststellung des Sachverhalts erforderlichen und ihm zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen. Unterlässt er dies, kann ein solches Versäumnis zum Untergang des Entlassungsrechts durch Verzicht oder Verwirkung führen. Die Verpflichtung des Dienstgebers zur Nachforschung nach einem Entlassungsgrund besteht aber nur dann, wenn ihm konkrete Umstände zur Kenntnis gelangen, welche die Annahme rechtfertigen, dass das Verhalten des Dienstnehmers eine Entlassung rechtfertigen könnte (RIS-Justiz RS0029348).

3. Der Kläger vertritt in seiner Revision, dass der Entlassungsgrund aufgrund seiner jährlich erfolgten Entlastung als Geschäftsführer durch den Gesellschafter/die Gesellschafterin der Beklagten nicht mehr geltend gemacht werden kann.

Unter der Entlastung iSd § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG ist die einseitige Erklärung der GmbH zu verstehen, mit der sie ihre Geschäftsführer von allen Ansprüchen befreit, die aus Verstößen der Geschäftsführer erwachsen könnten (RIS-Justiz RS0060000). Sie hat in der Regel eine ähnliche Wirkung wie ein Verzicht auf oder ein Anerkenntnis des Nichtbestehens erkennbarer Ansprüche (vgl RIS-Justiz RS0060007). Durch die Entlastungserklärung der Gesellschaft wird der Geschäftsführer daher nur von solchen Ansprüchen frei, die der Gesellschaft bei sorgfältiger Prüfung aller Unterlagen als aus Verstößen des Geschäftsführers erwachsend erkennbar waren. Wenn die Verstöße aus den vorgelegten Unterlagen nicht erkennbar waren oder diese unvollständig waren, führt die Entlastung nicht zur Haftungsbefreiung (vgl RIS-Justiz RS0060019). Die Präklusionswirkung der Entlastung bezieht sich daher auf alle Tatsachen, die aus den von den Geschäftsführern vorgelegten Urkunden erkennbar sind, über die berichtet wurde oder die den Gesellschaftern auf andere Weise bekannt geworden sind (9 ObA 58/15t).

4. Nach den Feststellungen wurde dem Gesellschafter der Beklagten erst unmittelbar vor der Entlassung und nicht in Zusammenhang mit früheren Entlastungen durch Einsicht in den Personalakt bekannt, dass sich der Kläger entgegen einer ausdrücklichen Anweisung bestimmte Provisionen (weiter) ausbezahlen ließ.

Wenn das Berufungsgericht die Rechtsmeinung vertritt, dass auch bei einer sorgfältigen Prüfung im Zusammenhang mit der Entlastungserklärung keine Einsicht in den Personalakt des Klägers hätte genommen werden müssen, weshalb sein Fehlverhalten im Sinn der zitierten Judikatur früher auch nicht erkennbar war, ist dies jedenfalls vertretbar. Der Kläger kann sich daher hinsichtlich der zu Unrecht bezogenen Provisionen nicht auf die Präklusionswirkung der Entlastung berufen.

5. Soweit die Vorinstanzen, ausgehend vom Zeitpunkt, zu dem nach den Feststellungen der Provisionsbezug dem Gesellschafter der Beklagten bekannt wurde, die Entlassung als rechtzeitig beurteilen, ist dies nicht korrekturbedürftig. Die dazu getroffenen Feststellungen sind entgegen der Revision für eine solche Beurteilung auch ausreichend. Inwieweit einzelne Beweisergebnisse gegen diese Feststellungen sprechen, ist vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht zu prüfen.

6. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.

Stichworte