OGH 10Ob79/18t

OGH10Ob79/18t23.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Mag. Ziegelbauer und Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. E*****, und 2. G*****, beide vertreten durch Gabler Ortner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 250.000 EUR), Herausgabe oder Löschung (Streitwert 50.000 EUR) sowie Erlassung einer einstweiligen Verfügung (hier: wegen Aufhebung der einstweiligen Verfügung), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 21. August 2018, GZ 11 R 36/18x‑48, womit infolge Rekurses der beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. Februar 2018, GZ 2 Cg 51/17k‑31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00079.18T.1023.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Aufhebung einer zur Sicherung eines Unterlassungsanspruchs erlassenen einstweiligen Verfügung im Hinblick auf nachträglich (mehrfach) erklärte Vertragsrücktritte.

Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden: „Klägerin“) ist eine „Projektentwicklungs-GmbH“. Die Beklagten und Gegner der gefährdeten Parteien (im Folgenden: „Beklagten“) sind je zur Hälfte Eigentümer von sechs Liegenschaften im 11. Wiener Gemeindebezirk. Am 17. 12. 2015 schloss die Klägerin als Käuferin mit den beiden Beklagten als Verkäufer einen Kaufvertrag über Anteile an diesen Liegenschaften. Geplant war die Errichtung einer Wohnhausanlage durch eine von den Parteien gemeinsam zu beauftragende Bauträger‑GmbH und in weiterer Folge die Begründung von Wohnungseigentum. Neben diesem Kaufvertrag wurde am selben Tag ein Bauträger-Vertrag („Generalübernehmerwerkvertrag“) zwischen den drei Parteien des gegenständlichen Verfahrens (als Auftraggeber) einerseits und einer Bauträger‑GmbH (als Auftragnehmerin) andererseits abgeschlossen.

Neben diesem unstrittigen Sachverhalt ist folgender weiterer Sachverhalt bescheinigt:

Gemäß Punkt 6 des Kaufvertrags ist der Kaufvertrag aufschiebend bedingt bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung oder einer schriftlichen Erklärung der Klägerin, auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Baubewilligung zu verzichten. Punkt 5.1 des Kaufvertrags sieht vor, dass die Beklagten zum Rücktritt berechtigt sind, wenn mit der Ausführung des von der Klägerin geplanten Bauvorhabens nicht binnen 48 Monaten nach Rechtswirksamkeit des Kaufvertrags begonnen wird. Punkt 5.4 schließt einen Rücktritt aus anderen Gründen als dem unter Punkt 5.1 genannten Grund aus. Nach Punkt 4.9 wird die Zahlung des Kaufpreises durch eine binnen vier Wochen ab der Unterfertigung des Kaufvertrags bei den Beklagten zu erlegende nicht abstrakte Bankgarantie besichert.

Punkt 6.2 des Generalübernehmerwerkvertrags („Termine“) lautet wie folgt:

Der Hauptfertigstellungstermin (Termin für die Schlussabnahme) ist gemäß Bauzeitplan ab dem Ausgangszeitpunkt einer rechtskräftigen und unangefochtenen Baugenehmigung (die ihrerseits gemäß Kaufvertrag binnen 24 Monaten bei sonstigem Rücktrittsrecht vorliegen soll) definiert.

Die Beklagten beantragten unter Berufung auf den Kaufvertrag, den Generalübernehmerwerkvertrag und weitere Urkunden die Aufhebung der vom Erstgericht am 28. 9. 2017 erlassenen und vom Rekursgericht am 8. 11. 2017 abgeänderten einstweiligen Verfügung zur Sicherung des klageweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs mit der Begründung, sie seien nach Erlassung der einstweiligen Verfügung von dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Kaufvertrag, auf dem die einstweilige Verfügung basiere, mittlerweile drei Mal (am 13. 10. 2017, am 19. 10. 2017 sowie am 18. 12. 2017) rechtswirksam zurückgetreten. Der Kaufvertrag als Grundlage des Sicherungsanspruchs sei daher aufgehoben und der allenfalls zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung bestehende Anspruch nachträglich materiell erloschen. Der am 13. 10. 2017 erklärte Rücktritt liege darin begründet, dass die Punkte 5 und 6 des Kaufvertrags einen Schwebezustand schafften, der eine unbestimmte Zeit hindurch andauere und daher sittenwidrig gemäß § 6 Abs 1 Z 1 KSchG als auch gemäß § 879 ABGB sei. Da die Klägerin innerhalb einer angemessenen Frist von 18 Monaten keine Baubewilligung erwirkt habe, seien die Beklagten zur Vertragsauflösung berechtigt. Der Vertragsrücktritt vom 19. 10. 2017 sei erklärt worden, weil die Klägerin trotz der mit einer Nachfristsetzung verbundenen Aufforderung die in Punkt 4.9 des Kaufvertrags vereinbarte Bankgarantie nicht beigebracht habe. Zum Vertragsrücktritt vom 18. 12. 2017 wurde vorgebracht, Punkt 6.2 des Generalübernehmerwerkvertrags ergänze den Kaufvertrag insoweit, als die Baubewilligung binnen 24 Monaten ab Abschluss des Kaufvertrags vorliegen müsse. Es entspreche jedenfalls der redlichen Parteiabsicht, dass für den (unabsehbaren) Bedingungseintritt eine Frist und ein Rücktrittsrecht vorgesehen worden seien. Da die Baubewilligung nicht innerhalb dieser Frist erlangt worden sei, sei auch die Rücktrittserklärung vom 18. 12. 2017 wirksam.

Die Beklagten sprachen sich gegen den Aufhebungsantrag aus.

Das Erstgericht wies den Aufhebungsantrag (nach mündlicher Verhandlung) ab. Rechtlich ging es davon aus, das geltend gemachte Erlöschen des Anspruchs setze das Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über das Erlöschen des gesicherten Unterlassungsanspruchs voraus; eine solche Entscheidung liege nicht vor. Im Übrigen schließe Punkt 5.4 des Kaufvertrags einen Rückritt aus einem anderen Grund als dem unter Punkt 5.1 genannten aus.

Das Rekursgericht gab im zweiten Rechtsgang dem Rekurs nicht Folge (zum ersten Rechtsgang siehe 10 Ob 48/18h vom 17. 7. 2018). Das Rekursgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu. Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, nach der neueren Rechtsprechung könne auch das nicht rechtskräftig festgestellte Erlöschen des gesicherten Anspruchs in einem Aufhebungsantrag nach § 399 Abs 1 Z 2 EO mit Erfolg releviert werden. Ausgehend von dem als bescheinigt angesehenen Sachverhalt seien alle drei Vertragsrücktritte unwirksam. Der Vertragsrücktritt vom 13. 10. 2017 sei nicht wirksam, weil nach der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung 10 Ob 48/18h die Beklagten nicht als Verbraucher im Sinne des KSchG anzusehen seien und sie sich daher nicht wirksam auf § 6 Abs 1 Z 1 KSchG berufen könnten. Auch aus § 879 ABGB lasse sich für die Beklagten nichts gewinnen, weil der Umstand, dass die Rechtswirksamkeit des Kaufvertrags aufschiebend bedingt sei, ohne dass diese Bedingung zeitlich genau determiniert wäre, für sich allein keine Sittenwidrigkeit begründe. Die Rechte der Beklagten seien in ausreichendem Maße dadurch geschützt, dass die Bedingung als eingetreten gelte, wenn die Klägerin den Bedingungseintritt wider Treu und Glauben verhindere. Dass dies der Fall sei, hätten die Beklagten im Aufhebungsverfahren nicht behauptet. Die Argumentation der Beklagten zu ihrem Vertragsrücktritt vom 19. 10. 2017 sei schon deshalb nicht stichhältig, weil die Beklagten damit einen durch Punkt 5.4 des Kaufvertrags ausdrücklich ausgeschlossenen Rücktrittsgrund ins Treffen führten. Zum Vertragsrücktritt vom 18. 12. 2017 sei festzuhalten, dass die in Punkt 6.2 des Generalübernehmerwerkvertrags enthaltene Formulierung ihrem Wortlaut nach bloß deklarativ auf den Kaufvertrag verweise, der eine derartige Bestimmung nicht enthalte. Dass die drei Parteien des gegenständlichen Prozesses, die im Generalübernehmerwerkvertrag gemeinsam als Auftraggeber fungierten, bei Abschluss dieses Vertrags die Absicht gehabt hätten, gleichzeitig auch untereinander eine konstitutive, den Kaufvertrag ergänzende Regelung zu treffen, werde von den Beklagten im Aufhebungsverfahren nicht mit hinreichender Deutlichkeit behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Der Gegner der gefährdeten Partei kann in seinem Aufhebungsantrag geltend machen, dass der bei Erlassung der einstweiligen Verfügung bestehende Anspruch durch eine nach diesem Zeitpunkt eingetretene Änderung der Sachverhaltsgrundlage (nicht bloß der Bescheinigungslage) materiell erloschen sei (RIS‑Justiz RS0123517). Darüber ist– wie schon bei Erlassung der einstweiligen Verfügung – im Bescheinigungsverfahren zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0111139).

2. Die Beklagten haben in ihrem Aufhebungsantrag als Bescheinigungsmittel Urkunden (ua Vertragsurkunden und Rücktrittsschreiben) vorgelegt, nicht aber die Parteieneinvernahme zur Bescheinigung einer angeblich abweichenden „wahren“ Parteiabsicht beantragt. Das Rekursgericht hat die Urkunden berücksichtigt und deren Inhalt dahin gewürdigt, dass gemäß Vertragspunkt 5.4 des Kaufvertrags ein Rücktritt aus anderen Gründen als den unter Punkt 5.1 genannten ausgeschlossen sei und daran auch Punkt 6.2 des Generalübernehmerwerkvertrags nichts ändere. Das Rekursgericht hat dabei die Grundsätze der Vertragsauslegung nicht verletzt, nach denen zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung ausgegangen werden muss und ausgehend von diesem Wortsinn der Wille der Parteien – das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden – zu erforschen ist. Letztendlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RIS‑Justiz RS0017797; RS0017915).

3. Entspricht der Wortsinn dem Zweck der Vereinbarung und will einer der Vertragsparteien dennoch einen abweichenden Parteiwillen oder eine andere Verkehrssitte geltend machen, muss sie dies behaupten und beweisen bzw im vorliegenden Aufhebungsverfahren bescheinigen (RIS‑Justiz RS0017915 [T7]). Die Ansicht des Rekursgerichts, die Beklagten hätten nicht ausreichend behauptet bzw bescheinigt, bei Abschluss des Generalübernehmerwerkvertrags gleichzeitig auch untereinander eine konstitutive, den Kaufvertrag ergänzende Rücktrittsregelung zu treffen, stellt schon im Hinblick darauf keine Fehlbeurteilung dar, dass die Beklagten in ihrem Aufhebungsantrag die Durchführung der Parteieneinvernahme zur Bescheinigung des von ihnen behaupteten abweichenden Parteiwillens nicht beantragt haben. Der vom Rekursgericht aufgrund der Urkunden als bescheinigt angenommene Vertragsinhalt vermag aber die Annahme eines gemeinsamen Willens der Kaufvertragsparteien – wie er von den Revisionswerbern behauptet wird – nicht zu tragen. Dass die Vertragsparteien darüber einig gewesen wären, in Punkt 5.4 das ihnen gesetzlich zustehende Rücktrittsrecht nach § 918 ABGB (doch) beibehalten zu wollen, ergibt sich nicht aus dem Aufhebungsantrag.

4. Das Rekursgericht hat auch mit seiner Ansicht, die Beklagten seien vor den Folgen der mangelnden zeitlichen Determinierung der aufschiebenden Bedingung in ausreichendem Maße dadurch geschützt, dass die Bedingung bei Verhinderung wider Treu und Glauben als eingetreten gilt, (RIS‑Justiz RS0012728), die Grenzen des ihm bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eingeräumten Ermessens nicht überschritten (RIS‑Justiz RS0042881 [T5]).

5. Die Frage, ob eine vorzeitige Vertragsauflösung gerechtfertigt ist, ist ebenso wie die Vertragsauslegung selbst eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Rechtsfrage, der keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (RIS‑Justiz RS0111817 [T1]). Nur wenn die Vorinstanzen infolge wesentlicher Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt hätten, läge eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor (RIS‑Justiz RS0042936). Ein solches unvertretbares Auslegungsergebnis zeigen die Revisionsrekurswerber nicht auf.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung als unzulässig zurückzuweisen.

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