OGH 3Ob138/18t

OGH3Ob138/18t21.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* GmbH, *, vertreten durch Dr. Christian Kurz, Rechtsanwalt in Innsbruck, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei U*, vertreten durch Pflaum Karlberger Wiener Opetnik Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei I*, vertreten durch Dr. Walter Waizer, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen Einwilligung in die Einverleibung einer Dienstbarkeit, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 28. Mai 2018, GZ 3 R 40/18h‑16, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 19. März 2018, GZ 6 Cg 116/17w‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E123148

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Liegenschaften.

Zu einem Grundstück der Klägerin gelangt man (nur) über einen 3,10 m bis 3,80 m breiten, rund 25 m langen Weg, über den auch Versorgungsleitungen (Wasser, Strom, Telefon, Kanal uä) verlaufen; dieser Weg befindet sich auf Grundstücken des Beklagten. Die Rechtsvorgänger der Streitteile räumten für die Benützung des klägerischen Grundstücks eine Wegeservitut ein. Der Umfang dieser– nicht verbücherten – Servitut des Zugangs und der Zufahrt sowie der Versorgung über diesen Weg bildet den Gegenstand dieses Rechtsstreits.

Die Klägerin begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, in die Einverleibung der Dienstbarkeit des unbeschränkten Geh- und Fahrrechts, der Führung und Erhaltung eines Abwasserkanals und von Versorgungsleitungen aller Art zugunsten der in ihrem Eigentum stehenden (näher bezeichneten) Liegenschaft und zu Lasten der Liegenschaft des Beklagten auf einer Breite von 3,10 m bis 3,80 m, so, wie sich die Dienstbarkeitstraße auf dem beigelegten Plan darstelle und derart, wie sie bei einer Bebauung des Grundstücks mit 16 Wohneinheiten und 22 Kfz‑Abstellplätzen in einer Tiefgarage notwendig sei, einzuwilligen. Sie plane, eine Wohnanlage mit rund 16 Wohneinheiten und 22 Kfz-Abstellplätzen in einer Tiefgarage zu errichten; die im Jahr 1961 eingeräumte Dienstbarkeit sei nicht eingeschränkt.

Der Beklagte wendete – soweit für das Revisionsrekursverfahren relevant – ein, seit Februar 2017 sei ein Rechtsstreit anhängig, in dem er selbst als Kläger gegen den Nebenintervenienten (als Rechtsvorgänger der nunmehrigen Klägerin) das Feststellungsbegehren erhoben habe, dass dieser („und seine Rechtsnachfolger“ im Eigentum der bezeichneten Grundstücke) nicht berechtigt sei(en), die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens sowie der Verlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen dadurch zu erweitern, dass auf der (näher genannten) Liegenschaft eine Wohnhausanlage mit mehr als drei Wohnungen errichtet wird. Das Verfahren über diese Klage sei noch nicht abgeschlossen; im Wesentlichen gehe es um denselben Anspruch, weshalb die nun erhobene Klage unzulässig sei.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Streitanhängigkeit zurück.

Mit der nun eingebrachten Klage werde im Ergebnis das begriffliche Gegenteil des ersten Begehrens erhoben; allenfalls sei die bezirksgerichtliche Klage noch betreffend die 16 Wohneinheiten (statt der bisher genannten drei Wohnungen) zu modifizieren.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung.

Die von der Klägerin erhobene Klage sei das begriffliche Gegenteil des vom Beklagten erhobenen negativen Feststellungsbegehrens; durch eine mögliche Abweisung des Feststellungsbegehrens stünde rechtskräftig fest, dass die strittige Dienstbarkeit über das eingeräumte Benutzungsmaß von drei Wohneinheiten hinaus bestehe. Davon abgesehen ergebe sich aus den von der Klägerin selbst behaupteten Umständen (insbesondere der bisherigen Nutzung der Servitut für drei Einfamilienhäuser), dass es keinesfalls zu einer Verpflichtung des Beklagten zu einer umfangreicheren Duldung der Servitut kommen könne, als sie dieser bereits zugestanden habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Zurückweisungsbeschluss aufzuheben; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1.1 Nach § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, „dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gerichte ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf“. Derselbe („nämliche“) Anspruch liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn nicht nur die Parteien ident sind, sondern der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0039347).

1.2 Der prozessuale Begriff des Streitgegenstands wird durch das Klagebegehren und den rechtserzeugenden Sachverhalt bestimmt (RIS‑Justiz RS0037419 [T5]). Streitanhängigkeit besteht nach der Rechtsprechung allerdings auch dann, wenn die Begehren zwar nicht ident sind, aber– regelmäßig bei vertauschten Parteirollen – eines das begriffliche Gegenteil des anderen ist (RIS‑Justiz RS0039246; vgl dazu auch Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht9 Rz 773 mwN).

1.3 Die Streitanhängigkeit ist die Vorläuferin der Einmaligkeitswirkung und deckt sich in ihren Auswirkungen vollständig mit dieser (RIS‑Justiz RS0109015). Wenn nach Abschluss des ersten Verfahrens ein bestimmtes weiteres Verfahren wegen der Einmaligkeitswirkung der ersten Entscheidung nicht geführt werden dürfte, gibt es keinen Grund, dieses weitere Verfahren während der Anhängigkeit des ersten Verfahrens zuzulassen. Streitanhängigkeit liegt daher vor, wenn der später geltend gemachte (prozessuale) Anspruch durch die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses ebenfalls abschließend rechtskräftig erledigt wird (RIS‑Justiz RS0039196 [T10]).

1.4 Die bloße Feststellung eines Rechts ist keine Grundlage für eine Exekution nach § 350 EO (RIS‑Justiz RS0004550 [T6]). In der vom Rekursgericht genannten Entscheidung 1 Ob 158/17t hat die Klägerin, deren (Teil-)Feststellungsbegehren mit Hinweis auf die Rechtskraft einer früheren (abweisenden) Entscheidung über ein negatives Feststellungsbegehren zum selben Geh- und Zufahrtrecht zurückgewiesen wurde, kein – dem vorliegenden Klagebegehren auf Einwilligung in die Einverleibung des behaupteten Rechts – vergleichbares Begehren erhoben. Den weiteren vom Rekursgericht in seiner Begründung zitierten Entscheidungen lagen ebenfalls Rechtsstreitigkeiten über– ihrem Umfang nach identische – Dienstbarkeiten zugrunde, deren Bestand strittig war.

2. Im vorliegenden Fall sind die Vorinstanzen daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Begehren der Klägerin das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit entgegenstehe. Das vorliegende Klagebegehren ist auf Einwilligung in die Einverleibung der Dienstbarkeit des unbeschränkten Geh- und Fahrrechts und Erhaltung eines Abwasserkanals und von Versorgungsleitungen aller Art gerichtet. Durch eine abweisende Entscheidung im bereits anhängigen Verfahren über die zuvor vom Beklagten erhobene negative Feststellungsklage (Feststellung, dass die Klägerin bzw ihr Rechtsvorgänger nicht berechtigt ist, die Dienstbarkeit dadurch zu erweitern, dass auf der Liegenschaft eine Wohnanlage mit mehr als drei Wohnungen errichtet wird) erhielt die Klägerin für die von ihr angestrebte Einverleibung der – ihrer Ansicht nach unbeschränkten – Servitut keinen Exekutionstitel.

3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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