OGH 2Ob201/17y

OGH2Ob201/17y30.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J* N*, vertreten durch SRG Stock Rafaseder Gruszkiewicz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. V* G*, und 2. B* D*, beide vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 213.452,31 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse: 172.994,50 EUR sA) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. Juli 2017, GZ 15 R 82/17i‑21, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 27. März 2017, GZ 60 Cg 46/16v‑16, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122375

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass es einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Aussprüche des Erstgerichts insgesamt zu lauten hat:

„Die beklagten Parteien sind je zur Hälfte schuldig, der klagenden Partei 3.780,35 EUR samt 4 % Zinsen seit 23. 1. 2017 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien schuldig, der klagenden Partei je zur Hälfte weitere 188.067,28 EUR samt 4 % Zinsen aus 213.452,31 EUR vom 4. 4. 2014 bis 22. 1. 2017 und aus 188.067,28 EUR seit 23. 1. 2017 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz bleibt dem Endurteil vorbehalten.“

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 12.268,93 EUR (darin 470,54 EUR USt und 9.445,70 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war mit dem Erblasser vom 30. 9. 2010 bis zu seinem Tod am 3. 4. 2014 verheiratet. Der Ehe entstammt ein Sohn. Die Beklagten sind Töchter des Erblassers aus seiner ersten Ehe.

Die erste Ehe wurde am 10. 7. 2007 geschieden. Im gerichtlichen Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Erblasser ua dazu, den Beklagten je zur Hälfte eine ihm gehörende Liegenschaft auf den Todesfall zu schenken. Bei dieser Vereinbarung handelte es sich um einen Kompromiss, weil der Erblasser nicht bereit war, neben einem weiteren Liegenschaftsanteil (auch) die besagte Liegenschaft direkt an seine damalige Ehefrau zu übertragen. Er wollte außerdem weiterhin die Mieteinnahmen aus der Liegenschaft lukrieren. Damit sollten auch Streitigkeiten betreffend die Zugehörigkeit weiterer Liegenschaften zur ehelichen Aufteilungsmasse vermieden werden.

Mit Notariatsakt vom 25. 7. 2007 schenkte der Erblasser den Beklagten die Liegenschaft je zur Hälfte auf den Todesfall, wobei er auf das Widerrufsrecht verzichtete. Die Liegenschaft hatte im Zeitpunkt des Todes des Erblassers einen Verkehrswert von 1.037.967 EUR.

Nach dem Tod des Erblassers wurde der Nachlass aufgrund seines Testaments vom 9. 1. 2009 den drei Kindern zu je einem Drittel eingeantwortet. Aufgrund des Erbteilungsübereinkommens vom 21. 12. 2015 haften die Beklagten für die Pflichtteilsansprüche der Klägerin je zur Hälfte.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten je zur Hälfte einen Nachlasspflichtteil von 213.452,31 EUR sA. Sie habe Anspruch auf ein Sechstel des Nachlassvermögens, wovon der Wert der ihr ausgesetzten Legate und eine Teilzahlung der Beklagten in Abzug zu bringen seien. Die den Beklagten auf den Todesfall geschenkte Liegenschaft sei als Vermächtnis zu behandeln und zum reinen Nachlass hinzuzuzählen.

Die Beklagten hielten dem entgegen, der Wert der Liegenschaft sei in die Berechnung des Pflichtteils nicht einzubeziehen. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise handle es sich überdies um keine Schenkung, es fehle an der Freigiebigkeit. Der Erblasser habe nur eine gegenüber seiner ersten Ehefrau übernommene Verpflichtung erfüllt. Im Übrigen stehe der Klägerin auch nach § 785 Abs 2 ABGB aF, der nicht zwischen Schenkungen unter Lebenden und solchen auf den Todesfall unterscheide, kein Pflichtteilsanspruch aus der Schenkung zu. Schließlich schulde die Klägerin den Beklagten ein Entgelt von 21.604,68 EUR für die titellose Benützung einer Wohnung. Sie hätten mit dieser Gegenforderung bereits aufgerechnet.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagten, der Klägerin je zur Hälfte 198.379,53 EUR sA zu bezahlen und wies das Mehrbegehren von 15.072,78 EUR sA ab. Der Berechnung des Pflichtteils legte es auch den Wert der auf den Todesfall geschenkten Liegenschaft zugrunde. Hingegen ließ es die Gegenforderung unberücksichtigt.

Dieses Urteil blieb im Umfang eines Zuspruchs von 3.780,35 EUR sA und in seinem abweisenden Teil unbekämpft und erwuchs insoweit in Rechtskraft.

Das nur von den Beklagten in Ansehung eines Zuspruchs von 194.599,18 EUR sA angerufene Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es die Beklagten mit Teilurteil zur Zahlung von (insgesamt) 176.774,85 EUR sA je zur Hälfte verpflichtete. Hinsichtlich des weiteren Zuspruchs von 21.604,68 EUR sA (Benützungsentgelt) hob es das Urteil auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, Schenkungen auf den Todesfall seien wie Vermächtnisse zu behandeln. Das auf den Todesfall Geschenkte sei zum Todeszeitpunkt noch Vermögen des Geschenkgebers und der Ausmessung des Pflichtteils zugrundezulegen. Dass sich der Erblasser im Scheidungsvergleich zur Schenkung der Liegenschaft an die Beklagten verpflichtet habe, ändere am Charakter der Schenkung auf den Todesfall nichts. Eine Schenkung aus sittlicher Pflicht sei nicht zu erkennen.

Die ordentliche Revision gegen das Teilurteil wurde zugelassen, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob die Einschränkung der Anrechnung nach § 785 Abs 2 zweiter Halbsatz ABGB aF auf (unter Widerrufsverzicht) vereinbarte Schenkungen auf den Todesfall anzuwenden sei.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revision die Abänderung des Teilurteils im Sinne einer Abweisung des weiteren Teilbegehrens von 172.994,50 EUR sA und stellen hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Sie stehen weiterhin auf dem Standpunkt, dass der Berücksichtigung der auf den Todesfall geschenkten Liegenschaft bei der Berechnung des Pflichtteils § 785 Abs 2 ABGB aF entgegenstehe bzw eine der Entscheidung 1 Ob 652/92 vergleichbare Konstellation gegeben sei. Bei wirtschaftlicher Betrachtung liege aber ohnedies keine unentgeltliche und freigiebige Zuwendung des Erblassers an die Beklagten vor, sondern eine Leistung aufgrund der Verpflichtung aus dem mit seiner ersten Ehefrau geschlossenen Scheidungsvergleich. Selbst wenn diesen Argumenten nicht zu folgen sein sollte, sei jedenfalls von einer „Pflichtschenkung“ iSd § 785 Abs 3 Satz 1 ABGB auszugehen.

Die Klägerin strebt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision an und beantragt hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht in der Frage der Berücksichtigung der auf den Todesfall geschenkten Liegenschaft von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; sie ist auch berechtigt:

1. Alleiniger Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Prüfung der Frage, ob die den Beklagten auf den Todesfall geschenkte Liegenschaft in die Berechnung des Pflichtteils der Klägerin einzubeziehen ist. Der strittige Betrag von 172.994,50 EUR entspricht einem Sechstel des mit 1.037.967 EUR festgestellten Verkehrswerts der Liegenschaft zum Todestag des Erblassers.

2. Nach der hier noch maßgeblichen Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 ist der auf den Todesfall Beschenkte jedenfalls im Verhältnis zu Pflichtteilsberechtigten einem Vermächtnisnehmer gleichzuhalten (4 Ob 2029/96b SZ 69/108; 2 Ob 148/10v SZ 2011/10; RIS‑Justiz RS0012966 [T1]; RS0103393; RS0012517; RS0012916 [T1]). Das auf den Todesfall Geschenkte bleibt bis zum Todeszeitpunkt Vermögen des Geschenkgebers; die Schenkung entfaltet ihre eigentliche Wirkung erst bei dessen Ableben (1 Ob 133/02v mwN). Deshalb handelt es sich bei Schenkungen auf den Todesfall nicht um „Schenkungen“ iSd § 785 ABGB aF (RIS‑Justiz RS0012970; RS0107683). Die geschenkte Sache ist im Nachlass vorhanden, sodass sie, ohne dass es einer Anrechnung bedürfte, der Ausmessung des Pflichtteils zugrundezulegen ist (vgl RIS‑Justiz RS0007843; RS0107683; Welser in Rummel/Lukas 4 § 785 Rz 9). Diese oberstgerichtliche Rechtsprechung ist nunmehr völlig einheitlich; gegenteilige frühere Judikate sind überholt.

3. Gemäß § 785 Abs 2 ABGB aF steht das Recht, bei der Berechnung des Nachlasses die Anrechnung von Schenkungen zu verlangen, also der Schenkungspflichtteil, dem Ehegatten nur hinsichtlich solcher Schenkungen zu, die während seiner Ehe mit dem Erblasser gemacht worden sind.

Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob die Wertungen dieser Bestimmung trotz der oben wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung auch auf die Schenkung auf den Todesfall übertragbar sind, bedarf jedoch keiner näheren Prüfung. Denn die gebotene wirtschaftliche Betrachtung der getroffenen Vereinbarungen (vgl 9 Ob 48/10i) führt zu dem Ergebnis, dass – ungeachtet der im Notariatsakt vom 25. 7. 2007 verwendeten Terminologie – in Wahrheit gar keine Schenkung vorliegt, wie noch näher zu erörtern sein wird. Die Rechtsprechung, wonach die Schenkung auf den Todesfall als Vermächtnis zu behandeln ist, ist daher nicht anwendbar.

4. Schenkungsabsicht ist für die Schenkung begriffswesentlich. Sie besteht in der Absicht einer unentgeltlichen, dh auf keine Gegenleistung bezogenen und freigiebigen Leistung (RIS‑Justiz RS0018833). Dies gilt selbstverständlich auch für die Schenkung auf den Todesfall (vgl 4 Ob 246/99a). Wird in Erfüllung einer Verbindlichkeit geleistet, fehlt es jedenfalls an der Unentgeltlichkeit (RIS‑Justiz RS0018843, RS0018852). Ein Vergleich ist schon seinem Wesen nach entgeltlich (RIS‑Justiz RS0032527).

5. Grundlage für die Zuwendung an die Beklagten war nicht die Freigiebigkeit des Erblassers, sondern die Erfüllung einer Verbindlichkeit aus dem mit seiner vormaligen Ehefrau geschlossenen gerichtlichen Scheidungsvergleich. Diese Vereinbarung erfolgte im Verhältnis zwischen den geschiedenen Ehegatten (im Deckungsverhältnis) nicht unentgeltlich und unterlag auch keinem Formgebot (vgl 6 Ob 686/89; 2 Ob 104/97a). Im Verhältnis zu den durch die Vereinbarung hauptsächlich begünstigten Beklagten lag hingegen ein Vertrag zugunsten Dritter vor. Dabei ist hier nicht von Bedeutung, ob es sich nach dem Parteiwillen um einen echten (§ 881 Abs 2 ABGB) oder einen unechten (§ 881 Abs 1 ABGB) Vertrag zugunsten Dritter handeln sollte, und ob die Zuwendung im Valutaverhältnis zwischen der geschiedenen Ehefrau und den Beklagten als Schenkung zu beurteilen ist. Entscheidend ist nur der Umstand, dass im Einlösungsverhältnis zwischen dem Erblasser und den Beklagten keine Schenkungsabsicht bestand.

6. Gestützt wird dieses Ergebnis durch folgende Überlegung: Hätten die geschiedenen Ehegatten im Scheidungsvergleich (also entgeltlich) vereinbart, dass die Liegenschaft an die Frau fallen, ihr Anspruch aber erst mit dem Tod des Mannes fällig werden solle, hätte die Frau diesen Anspruch an die Beklagten abtreten und dadurch dasselbe Ergebnis erzielen können, wie bei der tatsächlich gewählten Konstruktion. Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung kann der Pflichtteilsberechtigte aber nicht bloß deswegen besser stehen, weil die geschiedenen Ehegatten im Zuge der Vermögensauseinandersetzung nicht die „Abtretungskonstruktion“, sondern eine Verpflichtung zur „Schenkung“ wählten.

7. Auch wenn daher die Liegenschaft im Todeszeitpunkt noch im Vermögen des Erblassers vorhanden war, so steht ihrem Wert der in gleicher Höhe zu bewertende Übereignungsanspruch der Beklagten gegenüber. Dies hat zur Folge, dass die Liegenschaft bei der Berechnung des Nachlasspflichtteils unberücksichtigt zu bleiben hat.

8. Die Revision erweist sich somit als berechtigt. Das Teilurteil ist wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern, wobei auch die bereits in Rechtskraft erwachsenen Aussprüche des Erstgerichts berücksichtigt sind.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO (RIS‑Justiz RS0035972).

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