OGH 9ObA17/18t

OGH9ObA17/18t24.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.‑Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Mag. Canan Aytekin‑Yildirim als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Y*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Mag. Taner Önal, Rechtsanwalt in Graz, wegen 3.096 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 14. Dezember 2017, GZ 6 Ra 52/17i‑43, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00017.18T.0724.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.§ 3 AVRAG ordnete an, dass dann, wenn ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber übergeht, dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt.

Diese Bestimmung ist nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs im Sinne einer richtlinienkonformen Interpretation unter Bedachtnahme auf die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. 3. 2001 und ihrer Vorgänger und unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs auszulegen (vgl RIS‑Justiz RS0102121).

2. § 3 Abs 1 AVRAG knüpft schlicht an den „Übergang auf einen anderen Inhaber“ an. Die Rechtsgrundlage des Betriebsübergangs ist nicht ausschlaggebend; es genügt der faktische Vorgang. Entscheidend ist der Inhaberwechsel (RIS‑Justiz RS0110344 [T1]). Für die Erfüllung der geforderten Merkmale sind keine Veräußerung und kein Eigentumswechsel erforderlich (RIS‑Justiz RS0119396 [T2]), sondern es wird an den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit angeknüpft (vgl RIS‑Justiz RS0110832 [T4, T12]).

Die „wirtschaftliche Einheit“ ist dabei nicht mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff ident (sie umfasst ja auch „Unternehmen“ und „Betriebsteil“), sondern orientiert sich an der organisatorischen Zusammenfassung von Betriebsmitteln zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit (8 ObA 41/10b mwN).

3. Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0082749). Dabei ist im Sinn eines beweglichen Systems eine Gesamtbewertung der einzelnen Umstände vorzunehmen, zumal der Betriebsübergang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen ist. Derartige Umstände sind beispielsweise die Übernahme der materiellen und immateriellen Betriebsmittel und des Großteils der Belegschaft, die allfällige Ähnlichkeit der vor und nach der Übernahme verrichteten Tätigkeit, der Übergang der Kundschaft und die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit (RIS‑Justiz RS0082749).

Dem Kriterium der unterschiedlichen Tätigkeiten in Betrieben bzw den unterschiedlichen Produktions- und Betriebsmethoden kommt dabei deshalb erhebliches Gewicht zu, da sich daraus ergibt, welche Bedeutung dem Übergang der materiellen und immateriellen Betriebsmittel sowie der Belegschaft jeweils zuzumessen ist. So sind bei bestimmten Arten von Betrieben,etwa im Reinigungsgewerbe, eben typischerweise nur die Belegschaft und deren Organisation wesentlich, nicht aber die materiellen Betriebsmittel oder Reinigungsmittel etc (8 ObA 122/03d; 9 ObA 154/05w; 9 ObA 22/09i). In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, wurden Betriebsübergänge teilweise auch ausschließlich aufgrund der Übernahme von Arbeitnehmern bejaht, weil auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit im Sinn der Richtlinie darstellen kann. Der Übergang kann daher auch durch die Weiterführung der Tätigkeit und die Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals bewirkt werden (8 ObA 41/10b; Rechtssache Hernández Vida SA gegen Prudencia Gòmes Pèrez ua, EuGH V 10. 12. 1998, Rs C‑127/96, C‑229/96, C‑74/97, Rz 32; Rechtssache Süzen gegen Zehnacker Gebäudereinigung GmbH Krankenhausservice, EuGH V 11. 3. 1997 Rz 21 ua)

Kein Betriebsübergang liegt vor, wenn lediglich Arbeitnehmer von einem Betrieb zum anderen wechseln, ohne dass gleichzeitig die organisatorische und wirtschaftliche Einheit in die sie arbeitsmäßig eingebunden waren, mit übergeht (RIS‑Justiz RS0082749).

Ob ein Betriebsübergang iSd § 3 Abs 1 AVRAG vorliegt, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0124074).

4. Im konkreten Fall führte der Bruder des Beklagten ein Reinigungsunternehmen. Den Mitarbeitern wurde mitgeteilt, dass sie aus finanziellen Gründen nicht weiterbeschäftigt werden könnten, weshalb sie gekündigt würden, sie könnten aber zwei Wochen später beim Beklagten, der etwa zwei Monate zuvor ein eigenes Reinigungsunternehmen gegründet hatte, anfangen. 31 dieser Mitarbeiter meldeten sich in der Folge beim Beklagten und wurden angestellt. Dabei handelt es sich selbst nach den Ausführungen in der Revision um die Hälfte der Belegschaft, daher nicht nur um einen unwesentlichen Teil der Belegschaft.

Dass der Beklagte nicht alle Arbeitnehmer übernahm, steht der Annahme eines Betriebsübergangs nicht entgegen, zumal die Übernahme der Mitarbeiter hier auf der erkennbaren Absicht beruhte, die bisherige Geschäftstätigkeit fortzuführen, und es nicht etwa nur darum ging, einen vom Übergang unabhängig gestiegenen Personalbedarf zu decken(9 ObA 193/98t mwN). Vielmehr versuchte der Beklagte, der zuvor nur 5 Arbeitnehmer hatte, nach Übernahme der Belegschaft sein Auftragsvolumen zu vergrößern, indem er sich auch um Geschäftsbeziehungen mit den Kunden seines Bruders bemühte, wobei die Kontakte teilweise vom Vater der beiden hergestellt wurden. Abgesehen von den Leasingfahrzeugen, die zurückgestellt wurden, betrug der Verkaufserlös der Fahrnisse des Unternehmens des Bruders ca 2.000 EUR, woraus ersichtlich ist, das der eigentliche Wert des Unternehmens in seinen Mitarbeitern lag.

Wenn die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund die Rechtsmeinung vertraten, dass es zu einem Betriebsübergang vom Bruder des Beklagten auf den Beklagten gekommen ist, stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.

Auf die in der Revision zusätzlich begehrten Feststellungen, die großteils ohnehin getroffen wurden, kommt es nicht an.

5. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Stichworte