OGH 10ObS5/18k

OGH10ObS5/18k17.4.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter‑Straße 65–67, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. November 2017, GZ 23 Rs 59/17y‑15, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00005.18K.0417.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger erlitt am 29. 6. 2016 einen Unfall. Strittig ist im Revisionsverfahren, ob es sich dabei um einen Arbeitsunfall im Sinn des § 175 ASVG handelte.

Zum Unfallszeitpunkt war der Kläger Dienstnehmer eines im Bereich der mobilen Hauskrankenpflege tätigen Unternehmens. Zuletzt – vor dem Unfall am 29. 6. 2016 – war der Kläger für den logistischen Bereich, insbesondere für die Besorgung von Medizinprodukten und Rezepten bzw für die Besorgung der Medikamente für Klienten zuständig, daneben wurde der Kläger auch für Bürotätigkeiten eingesetzt (unangefochtene Feststellung, Ersturteil S 8). Am Vormittag eines üblichen Arbeitstags besorgte der Kläger Rezepte, Verordnungen, Medikamente und Heilbehelfe für die von seinem Dienstgeber betreuten Klienten. Der Kläger, der über einen Führerschein verfügt, verwendete dazu einen ihm von seinem Dienstgeber zur Verfügung gestellten Pkw. Am Nachmittag erledigte der Kläger Büroarbeiten. Abgesehen von dieser groben Arbeitseinteilung war der Kläger bei der Einteilung seiner Arbeiten weitgehend frei.

Der 29. 6. 2016 war für den Kläger ein „normaler“ Arbeitstag mit üblichem Ablauf. Nach Erledigung der auswärtigen Besorgungen und der Büroarbeit kehrte der Kläger von seinem Arbeitsplatz in die Garage des Dienstgebers zurück, weil er mit seinem Dienstwagen in die Apotheke fahren wollte. In der Garage traf er auf einen Arbeitskollegen, der nicht sein Vorgesetzter war. Von diesem erfuhr der Kläger erstmals, dass sein Dienstgeber zwei E‑Bikes angeschafft hatte. Über Vorschlag seines Arbeitskollegen willigte der Kläger, der zuvor noch nie mit einem E‑Bike gefahren war, in eine Probefahrt ein. Im Zug der nun unternommenen Fahrt mit dem E‑Bike, kam der Kläger zu Sturz und zog sich dabei eine Trümmerfraktur am Oberarm rechts mit Schaftbeteiligung und einen Eminentia‑Ausriss am rechten Knie zu.

Die E‑Bikes wurden vom Dienstgeber des Klägers im Juni 2016 angeschafft und waren für den Einsatz im Bereich der Hauskrankenpflege und im Bereich der Heim‑ und Haushaltshilfen vorgesehen, und zwar insbesondere für Dienstnehmer, die über keinen Führerschein für das Lenken eines Kraftfahrzeugs verfügten. Der Dienstgeber des Klägers beschloss im Rahmen einer Abteilungsleitersitzung am 6. 6. 2016, dass die neu angeschafften E‑Bikes von den Dienstnehmern nur mit Helm und nach einer entsprechenden betrieblichen Einschulung und Unterweisung, die durch die unmittelbaren Dienstvorgesetzten erfolgen sollte, benützt werden dürfen. Am Tag des Unfalls waren die E‑Bikes noch nicht zur Benützung durch die Dienstnehmer freigegeben.

Der Kläger hatte keine dienstliche Weisung und keinen dienstlichen Auftrag, am 29. 6. 2016 ein E‑Bike zur Probe zu fahren oder eine Proberunde damit zu unternehmen. Der Kläger musste die E‑Bikes auch nicht auf ihre Tauglichkeit oder Eignung für den dienstlichen Einsatz testen. Der Kläger befand sich nicht auf einer Dienstfahrt mit dem E‑Bike.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Auch unter Berücksichtigung einer vom Kläger behaupteten subjektiven Intention, im Interesse des Dienstgebers tätig geworden zu sein, sowie des Umstands, dass der Kläger nicht auf explizit von seinen Vorgesetzten erteilten Weisungen angewiesen gewesen sei, und des weiteren Umstands, dass der Kläger – jedenfalls zum Teil – auch als Heim‑ bzw Haushaltshilfe und im Bereich der Hauskrankenpflege angestellt war, fehle es für die Bejahung eines Unfallversicherungsschutzes am Vorliegen objektiver Verhältnisse, die einer subjektiven Meinung des Klägers, mit der Probefahrt betrieblich tätig geworden zu sein, eine ausreichende Stütze geboten hätten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung des Klagebegehrens begehrt.

Rechtliche Beurteilung

In seiner Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

1.1 Nach § 175 Abs 1 ASVG müssen sich Arbeitsunfälle im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen.

1.2 Die Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG erfasst den Dienstnehmer in seiner Rolle als abhängig Beschäftigter und sichert ihn daher gegen Risken, denen er sich bei der und durch die versicherte Beschäftigung ausgesetzt sieht. Entscheidend ist, dass die unfallverursachende Handlung mit dem die Versicherungspflicht auslösenden Dienstverhältnis in einem inneren Zusammenhang steht ( Müller in SV‑Komm [161. Lfg] § 175 ASVG Rz 13; 10 ObS 114/95, SSV‑NF 9/94 = RIS‑Justiz RS0089386).

1.3 Die Beurteilung einer sachlichen Verknüpfung zwischen einem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn eine zu korrigierende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt (10 ObS 111/17x ua; RIS‑Justiz RS0084229 [T17]), was hier nicht der Fall ist.

2.1 Der Kläger macht geltend, dass die Gesamtumstände, die zu seinem Unfall geführt hätten, zu berücksichtigen seien. Er sei – auch – in einem Bereich (Heimkrankenpflege) tätig gewesen, in dem die E‑Bikes Verwendung finden hätten sollen. Der Kläger sei in seiner Arbeitseinteilung weitgehend frei und nicht explizit auf die Erteilung von Dienstanweisungen durch seine Vorgesetzten angewiesen gewesen. Er habe die Intention gehabt, die E‑Bikes auf ihre Eignung für den beruflichen Einsatz zu testen. Dass die E‑Bikes durch die Dienstnehmer erst nach Einweisung und Einschulung benützt hätten werden dürfen und zur Benützung noch nicht freigegeben waren, habe der Dienstgeber ebenso wenig mitgeteilt wie den weiteren Umstand, dass eine Verwendung der E‑Bikes erst nach Anbringung der Logos des Dienstgebers auf den Fahrradhelmen und der Sicherheitsschlösser gestattet gewesen sei.

2.2 Dass das „Probefahren“ von E‑Bikes zu seinen dienstvertraglichen Verpflichtungen gehört hätte, behauptet der Kläger nicht. Eine nicht zu den dienstvertraglichen Pflichten zählende Tätigkeit ist auch ohne Weisung des Dienstgebers versichert, wenn der Dienstnehmer in vertretbarer Weise annehmen konnte, dass sie im Interesse des Dienstgebers liegt und er sie nachweislich in der Intention entfaltet hat, dem Interesse des Dienstgebers zu dienen. Wesentlich dabei ist, dass es sich noch um eine Ausübungshandlung der versicherten Beschäftigung handeln muss. Der selbständig an das Unternehmensinteresse denkende und danach handelnde Dienstnehmer ist daher auch dann versichert, wenn er damit seine Weisungsschranken überschreitet. Die Tätigkeit muss aber einem vernünftigen Menschen objektiv noch als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinen und sie muss vor allem vom Handelnden subjektiv in dieser Intention entfaltet werden (ständige Rechtsprechung, RIS‑Justiz RS0084368 mwH; Müller in SV‑Komm § 175 ASVG Rz 18).

2.3 Das Berufungsgericht beachtete in seiner Entscheidung diese Rechtsprechung. Der Kläger wusste bis zu dem Moment, als ihm sein Arbeitskollege eine Probefahrt mit den E‑Bikes vorschlug, gar nichts von deren Existenz und unterbrach für diese Probefahrt seine eigentliche Arbeitstätigkeit, die Besorgung von Medikamenten in einer Apotheke. Während eine vom Kläger zu einem früheren Zeitpunkt über Ersuchen eines Fuhrparkleiters des Dienstgebers des Klägers durchgeführte Probefahrt von Elektro‑Fahrzeugen zur Erleichterung der Entscheidung diente, ob solche vom Dienstgeber des Klägers angeschafft werden sollten, waren die in der Garage befindlichen E‑Bikes bereits angeschafft. Letztlich hatte der Kläger – wie er in diesem Zusammenhang auch selbst argumentiert – im Zeitpunkt des Antritts der Probefahrt gar keine Informationen über die mit den E‑Bikes verbundenen Absichten seines Dienstgebers. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Kläger im konkreten Fall in den objektiv gegebenen Verhältnissen keine ausreichende Stütze fand, um berechtigt der Überzeugung zu sein, betriebliche Belange zu fördern (RIS‑Justiz RS0084388), keineswegs unvertretbar.

Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision des Klägers daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf die Zurückweisung gemäß § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO nicht.

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