OGH 3Ob166/17h

OGH3Ob166/17h21.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers C*****, vertreten durch Mag. Agnes Lepschy, Rechtsanwältin in Altlengbach, wider die Antragsgegnerin M*****, vertreten durch Mag. Alexandra Ehrenhöfer, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, wegen Einwendungen gegen den Unterhaltsanspruch (§ 35 EO), aus Anlass des Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 27. Juni 2017, GZ 16 R 110/17s‑20, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 10. Februar 2017, GZ 1 FAM 29/16f‑7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00166.17H.0221.000

 

Spruch:

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

M***** wurde am am 13. Juni 1998 als Tochter des Antragstellers geboren. Sie hält sich seit 15. Mai 2016 auf Kosten des Landes Niederösterreich im Wohnheim S***** und in der Tagesheimstätte Verein M***** auf. Die Vollversorgung in diesem Tages- und Wohnbereich wurde vom Land Niederösterreich bis 14. Mai 2018 bewilligt. Der Antragsteller ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Neulengbach vom 5. September 2013, GZ 1 Pu 3437/10z‑18, zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 380 EUR verpflichtet.

Mit einem Oppositionsantrag gemäß § 35 Abs 2 EO begehrte der Antragsteller , den Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin seit Mai 2016 für erloschen und die mit Beschluss vom 25. Oktober 2016 gegen ihn bewilligte Gehalts- und Fahrnisexekution für unzulässig zu erklären. Er brachte vor, nach der Schaffung des Exekutionstitels hätten sich die Verhältnisse geändert. Obwohl die Antragsgegnerin seit Jahren an psychischen Problemen (Depressionen) leide und schon von Kindheit an immer wieder in Behandlungen und Therapien gewesen sei, sei sie nicht arbeitsunfähig, sondern zumindest seit dem Eintritt der Volljährigkeit selbsterhaltungsfähig. Der Antragsteller habe im Jahr 2015 mit der Antragsgegnerin und dem behandelnden Psychiater vereinbart, dass die Antragsgegnerin zwecks Erlernens des Umgangs mit Geld zur Erreichung der Selbständigkeit 195 EUR monatlich erhalte. Die Betreuungseinrichtung, in der sich die Antragsgegnerin seit 15. Mai 2016 auf Kosten des Landes Niederösterreich befinde, ziele mit anerkannten Methoden darauf ab, psychisch beeinträchtigte Personen (wieder) in den Berufsalltag zu führen; Teil der Therapie sei es auch, dass die Betreuten keine zusätzlichen Geldbeträge erhalten.

Am 29. November 2016 erschien die Antragsgegnerin (noch vor Zustellung des Oppositionsantrags) mit einer Betreuerin beim Erstgericht und gab, nachdem ihr der Oppositionsantrag zur Kenntnis gebracht und ausgefolgt worden war, Folgendes an: In der Einrichtung erhalte sie Vollversorgung, sei aber aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt und daher nicht selbsterhaltungsfähig, sondern auf den Unterhalt ihrer Eltern angewiesen. Eine Fachschulausbildung habe sie, wegen vieler Fehlstunden – da sie bereits auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt worden sei – abgebrochen. Der Trägerverein des Wohnheims werde aktuelle Befunde übermitteln. Sie sei laufend in ärztlicher Behandlung. Gleichzeitig stellte sie einen Verfahrenshilfeantrag.

In seiner dazu erstatteten Äußerung hielt der Antragsteller seinen Antrag aufrecht.

Das Erstgericht stellte diese Äußerung der Antragsgegnerin gemäß § 17 AußStrG zu und forderte sie „letztmalig“ auf, binnen drei Wochen aktuelle Befunde und zweckdienliche Nachweise zu ihrer gesundheitlichen Situation sowie näher bezeichnete Nachweise zum Einkommen und Vermögen innerhalb derselben Frist vorzulegen. Diese Aufforderung wurde der Antragsgegnerin am 22. Dezember 2016 zugestellt und blieb unbeantwortet.

Das Erstgericht gab dem Oppositionsantrag mit Beschluss vom 10. Februar 2017 statt, erklärte den Unterhaltsanspruch ab 1. Juni 2016 für erloschen (Punkt 1.) und wies den Verfahrenshilfeantrag mangels Vorlage von Nachweisen ab (Punkt 3.). Den eingangs dargelegten Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahin, dass angesichts der Vollversorgung kein Unterhaltsbedarf mehr bestehe. Die Antragsgegnerin habe trotz der sie treffenden Behauptungs- und Beweispflicht keine Unterlagen vorgelegt, aus denen eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit aufgrund von gesundheitlichen Problemen hervorginge. Da die Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers nicht mehr bestehe, sei die Exekution zur Hereinbringung des Unterhalts für erloschen zu erklären (ON 7).

Nachdem der Antragsgegnerin über neuerlichen Antrag vom 20. Februar 2017 die Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts mit Beschluss vom 1. März 2017 (zugestellt am 15. März 2017) bewilligt worden war, erhob sie, vertreten durch die bestellte Verfahrenshelferin, gegen Punkt 1. des Beschlusses ON 7 Rekurs . Mit diesem Rechtsmittel legte sie ein Sachverständigengutachten des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien vom 13. Oktober 2016 vor. Diesem ist ein Gesamtgrad der Behinderung der Antragsgegnerin von 60 %, weil sie an einer Phokomelie des linken Arms und einer depressiven Störung leide, zu entnehmen. Zum Psycho‑(patho‑)logischen Status wird ua festgehalten, dass Konzentration, Aufmerksamkeit und Auffassungsvermögen der Antragsgegnerin reduziert sind; weiters wird ausgeführt, dass sie voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und diese Unfähigkeit vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten ist.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs (vorerst) nicht zu. Sie habe zwar unsubstantiiert ihre Arbeitsunfähigkeit eingewendet, jedoch trotz nachdrücklicher Aufforderung ohne Angabe von Gründen keine zweckdienlichen Nachweise vorgelegt. Daher habe für das Erstgericht kein Anlass bestanden, amtswegig ein Gutachten eines medizinischen Sachverständigen einzuholen. Es habe keine Säumnisfolgen aus der Nichtäußerung abgeleitet und § 17 AußStrG nicht angewendet. Die Antragsgegnerin habe auch nicht eingewendet, sie habe trotz Vollversorgung ungedeckte Bedürfnisse. Daher sei von ihrer fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen gewesen. Selbst wenn – wie im Rekurs behauptet – das Land Niederösterreich den Aufenthalt der Antragsgegnerin nach dem NÖ‑SHG, das eine aufgeschobene Legalzession vorsehe, finanziere, bestehe kein Unterhaltsanspruch.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu, um zu klären, ob es zur Prüfung der Prozessfähigkeit der Antragsgegnerin verpflichtet gewesen wäre.

Das Erstgericht verfügte am 6. Juli 2017 (ON 21) die Zustellung der Rekursentscheidung auch an den einstweiligen Sachwalter, weil nach Rücklangen des Aktes vom Rekursgericht ein vom Bezirksgericht Wiener Neustadt zu 21 P 21/17d‑4 am 13. März 2017 gefasster Beschluss im Akt vorlag, mit dem für die Antragsgegnerin der Rechtsanwalt Mag. Michael Luszczak zum einstweiligen Sachwalter ua für die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern bestellt wurde.

Gegen die Rekursentscheidung erhob die Antragsgegnerin , vertreten durch die bestellte Verfahrenshelferin, Zulassungsvorstellung verbunden mit einem ordentlichen Revisionsrekurs und begehrte die Nichtigerklärung des Verfahrens seit Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags; hilfsweise stellte sie einen Aufhebungsantrag. Die Antragsgegnerin macht dem Rekursgericht ua zum Vorwurf, es hätte selbständig nach § 5 Abs 1 AußStrG prüfen müssen, ob sie bereits vor Bestellung des einstweiligen Sachwalters prozessunfähig gewesen sei.

Der Antragsteller erachtet den Revisionsrekurs in seiner Revisionsrekursbeantwortung für unzulässig und unberechtigt.

Im Hinblick auf die für die Vorinstanzen (vgl ON 21) offensichtlich erst seit Anfang Juli 2017 aktenkundige Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für die Antragsgegnerin hat der erkennende Senat – durch Nachschau im VJ-Register – zum Sachwalterschaftsverfahren beim Bezirksgericht Wiener Neustadt zu 21 P 21/17d in Erfahrung gebracht, dass Mag. Michael Luszczak mit Beschluss vom 30. August 2017 zum Sachwalter der Antragsgegnerin (§ 268 Abs 3 Z 2 ABGB) ua zur Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern bestellt wurde (die Beschlusszustellung erfolgte an den Sachwalter am 1. September 2017 und an die Betroffene am 6. September 2017, sodass dessen Rechtskraft mit Ablauf des 20. September 2017 eintrat).

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat Folgendes erwogen:

1.  Mit Rücksicht auf die schon im März 2017 wirksam gewordene Bestellung eines einstweiligen Sachwalters und die zwischenzeitig erfolgte Bestellung eines („endgültigen“) Sachwalters mit Wirkung ab 21. September 2017 ist zunächst zu prüfen, ob die am 18. Juli 2017 von der Verfahrenshelferin erhobene Zulassungsbeschwerde samt ordentlichem Revisionsrekurs ein wirksames Rechtsmittel darstellt.

1.1.  Die Zuweisung von Angelegenheiten an den Sachwalter und damit die entsprechende Einschränkung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen wirkt rechtsgestaltend nur für die Zukunft (RIS‑Justiz RS0110082). Die Rechtskraft des Beschlusses über die Sachwalterbestellung führt innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters konstitutiv zur Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der betroffenen Person und auch zum Verlust der Prozess-/Verhandlungsfähigkeit (RIS-Justiz RS0125589; Weitzenböck in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 280 Rz 2; Pfurtscheller in Schwimann/Neumayr ABGB TaKom 4 § 280 aF Rz 1). Für die Zeit bis zur Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses hat das Prozess-/Verfahrensgericht selbständig zu prüfen, ob die betroffene Person prozess-/verfahrensfähig war (RIS-Justiz RS0110082 [T4]; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 5 Rz 38).

Die seit 21. September 2017 rechtskräftige Bestellung eines „endgültigen“ Sachwalters für die Antragsgegnerin hat somit keine konstitutive Wirkung auf die Zeit davor.

1.2.  Die betroffene Person wird durch die Bestellung des einstweiligen Sachwalters in ihren Rechtshandlungen nur insofern eingeschränkt, als es das Gericht ausdrücklich anordnet (§ 120 Satz 2 AußStrG). Letzteres ist im vorliegenden Bestellungsbeschluss vom 13. März 2017 nicht geschehen. Daher kam es dadurch nicht zur konstitutiven Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Antragsgegnerin (10 ObS 25/16y; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 120 Rz 17 und 30 [mwN zur – ggt – alten Rechtslage in FN 86]; Pfurtscheller in Schwimann/Neumayr ABGB TaKom 4 § 280 aF Rz 1; Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB 4 § 280 Rz 2; aA 3 Ob 236/08i; 10 ObS 95/09g; Zankl/Mondel in Rechberger AußStrG² § 120 Rz 3).

1.3.  Der Umstand, dass die Antragsgegnerin sowohl im Rekursverfahren als auch bei der Erhebung der Zulassungsvorstellung verbunden mit einem ordentlichen Revisionsrekurs von einer Rechtsanwältin als Verfahrenshelferin vertreten war, reichte allein nicht aus, um von ihrer ordnungsgemäßen Vertretung auszugehen (RIS‑Justiz RS0107438 [T1]): Würde dies doch voraussetzen, dass sie im Zeitpunkt der Antragstellung und Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung der Rechtsanwältin (also im Februar und März 2017) verfahrensfähig war (vgl 8 Ob 2185/96y; 9 Ob 11/98b; 10 ObS 95/09g; 10 Ob 64/11a), woran aber derzeit begründete Zweifel bestehen.

2.  Nach § 5 Abs 1 AußStrG hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens (also auch noch im Rechtsmittelverfahren) von Amts wegen ua den Mangel der Verfahrensfähigkeit zu berücksichtigen und das Erforderliche zur Beseitigung dieses Mangels anzuordnen (vgl RIS-Justiz RS0125145).

Die dem Erst- und Rekursgericht nach der Aktenlage bis zu deren Entscheidungen unbekannt gebliebene Bestellung eines (einstweiligen) Sachwalters ua zur Vertretung vor Gerichten kann daher vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des vorliegenden Revisionsrekurses nicht außer Acht gelassen werden. Sie lässt nämlich das Vorbringen beider Parteien in erster Instanz zu den schon länger bestehenden gesundheitlichen Problemen der Antragsgegnerin und ihr Verhalten gegenüber dem Erstgericht – nicht nur aus zeitlichen Gründen (zwischen der Wirksamkeit der Bestellung des [„endgültigen“] Sachwalters [21. September 2017] und dem Eintritt der Antragsgegnerin in das Oppositionsverfahren [29. November 2016] liegen nur etwa 10 Monate) – in einem anderen Licht erscheinen, was gewichtige Bedenken gegen die Verfahrensfähigkeit der Antragsgegnerin – schon von Beginn des Oppositionsverfahrens an – zur Folge hat.

3.  Es bedarf somit der Klärung, ob der Mangel der Verfahrensfähigkeit, der konstitutiv (erst) für die Zeit ab 21. September 2017 feststeht, nicht bereits seit dem Eintritt der Antragsgegnerin in das Verfahren, also seit 29. November 2016, und im weiteren Verfahren bestand, um primär beurteilen zu können, ob ein wirksames Rechtsmittel der Antragsgegnerin vorliegt.

Das obliegt dem Erstgericht (vgl § 51 Abs 2 AußStrG) im Rahmen eines Zwischenverfahrens, in dem den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren ist. Es wird daher sachdienliche Erhebungen zu diesem Thema durchzuführen haben, die zweckmäßigerweise auch die Einholung eines Neurologisch-Psychiatrischen Gutachtens, allenfalls der im Sachwalterschaftsverfahren bestellten Sachverständigen umfassen.

Nach Abschluss dieses Zwischenverfahrens wird das Rechtsmittel – samt den Akten zur Anlassexekution – neuerlich dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.

4. Zur Durchführung des Zwischenverfahrens ist der Akt an das Erstgericht rückzumitteln.

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