OGH 1Ob229/17h

OGH1Ob229/17h30.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. H* M*, und 2. R* M*, vertreten durch die Schmidberger – Kassmannhuber – Schwager Rechtsanwalts‑Partnerschaft, Steyr, gegen die beklagten Parteien 1. P* O*, und 2. A* O*, vertreten durch Mag. Irene Pumberger, Rechtsanwältin in Steyr, wegen Feststellung, Einwilligung, Beseitigung und Wiederherstellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. September 2017, GZ 6 R 103/17k‑61, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 26. Mai 2017, GZ 4 Cg 163/11w‑54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120823

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.260,67 EUR (darin 210,11 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Streitteile sind durch einen Servitutsweg, der nicht nur der Zufahrt zu ihren Grundstücken dient, sondern auch von anderen benutzt wird, getrennte Nachbarn. Sie streiten über ein Geh- und Fahrtrecht an einem spitz beginnenden, schmalen Streifen am oder beim Grundstück der Beklagten, und zwar an der Seite, an der die zuvor genannte Privatstraße entlangläuft. Sie stehen zum (historischen) Verlauf der Straße wie auch zum Kenntnisstand über die Grundgrenzen auf unterschiedlichen Standpunkten. Die Kläger hatten ihr Grundstück durch die Teilung einer herrschenden Liegenschaft, für die ein Servitutsrecht am Weg bestand, mit Schenkungsvertrag vom 12. 11. 1986 erworben und behaupten, jener Grundstreifen des Nachbarn sei (in der Natur) schon seit 1965 Teil des Wegs gewesen. Die Beklagten, die ihre Liegenschaft im Jahr 1984 durch Kauf erworben hatten, untersagten im Jahr 2010 eine Nutzung jener Fläche, positionierten Blumentröge und haben dort mittlerweile ua eine Granitabgrenzung angebracht. Sie meinen, der Weg sei (in der Natur) sukzessive in ihre Richtung verlegt worden. Bis zu dessen Asphaltierung im Jahr 1987 sei die von ihnen nun in Anspruch genommene Grundstücksfläche unbefahren (und Wiese) gewesen. Die Asphaltierung auf ihrem Grundstück sei nur geringfügig und deswegen erfolgt, weil ihr Grund durch die ausführende Firma beschädigt worden sei; es sei (bloß) Reparaturasphalt ohne Unterboden aufgetragen worden.

Die Vorinstanzen verneinten den Bestand einer Dienstbarkeit der Kläger auch an dieser Fläche und wiesen das (ua auch auf Wiederherstellung durch Entfernung der Einbauten gerichtete) Klagebegehren ab. Sie gingen dabei davon aus, dass sich weder eine (allenfalls konkludent geschlossene) vertragliche Vereinbarung über eine Dienstbarkeit noch das für eine Ersitzung notwendige Verstreichen einer Zeit von 30 Jahren habe nachweisen lassen. Auf den (genauen historischen) Verlauf des Wegs in der Natur müsse daher nicht eingegangen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Kläger ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Existiert eine inhaltlich klare Rechtsprechung, kann ein möglicherweise unglücklich formulierter Rechtssatz im Rechtsinformationssystem der Justiz eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht begründen.

1. Wenn sich die Revisionswerber wiederholt auf die „Offenkundigkeit der Servitut“ bzw „offenkundig ausgeübte Wegerechte“ berufen, unterliegen sie insoweit einem Beurteilungsfehler, als die bloß offenkundige Benützung einer fremden Sache für sich noch keine Rechte entstehen lässt. Die Formulierung in RIS‑Justiz RS0034803, wonach der Erwerber einer Liegenschaft eine offenkundige Dienstbarkeit bei Wahrnehmbarkeit einer bestimmten Nutzung gegen sich gelten lassen muss, möge auch die Ersitzungszeit noch nicht abgelaufen sein, betraf eine mit dem Voreigentümer vertraglich vereinbarte – bloß irrtümlich nicht verbücherte – Dienstbarkeit (2 Ob 448/51). In der jüngeren Rechtsprechung wurde auch unmissverständlich klargestellt, dass die Offenkundigkeit einer Nutzung einen fehlenden (vertraglichen) Titel oder eine abgeschlossene Ersitzung des Rechts nicht ersetzen kann (RIS‑Justiz RS0011631 [T5]; jüngst 1 Ob 84/17k aaO [T13]).

2. Soweit sich die Revisionswerber auf die konkludente Einräumung eines Wegerechts berufen, bleibt nicht nur unklar, wann und wem gegenüber eine solche Einräumung erfolgt sein soll, sondern auch, ob diese aus dem Verhalten der Beklagten oder ihrer Rechtsvorgänger im Liegenschaftseigentum abzuleiten wäre. Sie vermögen auch in keiner Weise sachlich zu begründen, warum die bloße Untätigkeit – nach dem strengen Maßstab des § 863 Abs 1 ABGB – den eindeutigen Erklärungswert gehabt haben sollte, den Klägern unentgeltlich eine Teilfläche ihrer Liegenschaft zum Befahren zu überlassen und damit gleichzeitig auf eine eigene anderweitige Nutzung zu verzichten. Schon weil keineswegs auszuschließen ist, dass die Beklagten selbst über längere Zeit über den wahren Verlauf ihrer Grundgrenze im Ungewissen waren, kann von einer ausreichenden Konkludenz keine Rede sein; schon gar nicht von einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht (vgl nur 1 Ob 81/01w = RIS‑Justiz RS0011650 [T11]; 1 Ob 84/17k ua). Entsprechendes gilt für die Beurteilung, vom ursprünglichen Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahr 1965 sei die Nutzung des strittigen Grundstreifens nicht gedeckt gewesen.

3. Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege die für die Ersitzung erforderliche redliche Benützung über einen Zeitraum von 30 Jahren nicht vor, begegnet keinen Bedenken, sodass auch auf die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, in welchen Fällen die Zeit redlicher Nutzung durch Rechtsvorgänger der eigenen Nutzungszeit hinzugerechnet werden kann, nicht zu beantworten ist.

Schon nach § 484 ABGB, nach dem Servituten nicht erweitert werden dürfen, ist eine Mehrbelastung des dienenden Grundstücks aufgrund einer Teilung des herrschenden Guts nur zulässig, wenn bei der Bestellung der Dienstbarkeit an eine solche künftige Mehrbelastung gedacht wurde oder nach den Umständen daran zu denken war (RIS‑Justiz RS0011815; RS0011660; zu einem Fahrweg 2 Ob 88/03k). Im vorliegenden Fall wurde im ursprünglichen Dienstbarkeitsvertrag, mit dem die Wegerechte verschiedener Anrainer begründet wurden, an die Möglichkeit der Teilung der herrschenden Grundstücke gedacht und ausdrücklich festgelegt, dass „diese Dienstbarkeiten nur für die ungeteilten herrschenden Liegenschaften bestellt worden sind“. Schon damit war für jeden Erwerber von Teilen eines herrschenden Grundstücks klar, dass er mit dem Eigentumserwerb an der abgetrennten Teilfläche nicht gleichzeitig in die Stellung des Wegeberechtigten eintritt. Hinsichtlich dieses Rechts konnte somit eine (dingliche) Rechtsnachfolge nicht eintreten, was nicht nur den Verkäufern, sondern auch den Klägern bewusst war, die in der Folge im Jahr 1987 einen Dienstbarkeitsvertrag mit Eigentümern des Wegs – allerdings nicht mit den Beklagten – abschlossen; mit letzteren wurde 1988 eine Vereinbarung getroffen, die allerdings andere Bereiche ihrer Liegenschaft betraf. War nun den Klägern bewusst, dass sie in kein Wegerecht der Verkäufer eintreten konnten, muss dies auch für die nun strittige Grundfläche gelten, die nach dem Klagevorbringen von den Verkäufern in der Annahme genutzt wurde, sie sei von der (nur der ungeteilten Liegenschaft zukommenden) vertraglichen Servitut gedeckt. Damit kommt eine redliche Benutzung bestimmter Bereiche des in der Natur vorhandenen – kurz vor ihrem Erwerb asphaltierten – Wegs durch die Kläger erst ab jenem Zeitpunkt, zu dem sie erstmals den Weg als Berechtigte aus dem Servitutsvertrag 1987 benutzten, in Frage. Dass ab diesem Zeitpunkt bis zu den widersetzlichen Handlungen der Beklagten die dreißigjährige Ersitzungsfrist noch nicht abgelaufen war, ziehen die Revisionswerber gar nicht in Zweifel.

4. Warum es unter den dargestellten rechtlichen Rahmenbedingungen von Bedeutung sein sollte, ob der Servitutsweg im relevanten Abschnitt stets eine bestimmte Breite aufgewiesen hätte, ist unverständlich, sodass der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf unvollständiger Sachverhaltsermittlung ins Leere geht.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen, womit ihr Schriftsatz als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme zu qualifizieren ist.

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